BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gedichte 1804 - 1815

 

1808

Januar: Die mit Arnim gegründete «Zeitung für Einsiedler»

beginnt zu erscheinen.

März: Beginn des Sonettenstreits zwischen den Romantikern

und der «Vossischen Clique».

August: Die «Zeitung für Einsiedler» stellt ihr Erscheinen ein,

Brentano zieht mit Auguste nach Landshut.

September: Der zweite und dritte Band des «Wunderhorns» erscheinen..

 

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Die Einsiedlerin

 

O lasse Geliebter mich einsam leben!

Dem Tode bin ich früh geweiht,

Ich kann dir nicht Friede nicht Freude geben,

Doch beten für dich in Einsamkeit.

 

Ich will dir Geliebte dein Zellchen bauen,

Mein Herz ist einsam und dir geweiht.

Und durch meine Augen kannst du wohl schauen

Den Himmel so nah, die Welt so weit.

 

 

Die Arme, ich will sie dicht um dich schlingen,

Wie Liebeszweige, an Früchten schwer,

Die Lippe, sie soll dir wie Echo klingen,

Wie Vöglein springen mein Lied umher.

 

Dein Händchen, o legs an mein Herz, es schläget

Im Busen mir ein lebend'ger Quell

Und wie sich in Liebe Liebe beweget,

Springt er dir entgegen so freudig hell.

 

Du kannst nicht lieben, nicht glauben, so ziehe

So ziehe nur hin in deinen Tod,

Die Sonne schien in dein Bettchen zu frühe,

Verschlafe nur nicht dein Abendrot.

 

Noch alle Tag' ist's nicht Abend geworden,

Mir bringet die Zeit noch Rosen einst,

Ich ziehe nach Süden, leb' wohl in Norden,

Du lachst mir noch, wie du nun weinst.

 

Und hinter dem Berge der Freund verschwindet,

Die Sonne geht durchs Himmelstor,

Sein Bündelchen traurig das Mädchen bindet,

Steigt mit dem Mond am Berg empor.

 

Es stehen die Wälder so stille, stille,

Des Berges Ströme sausen wild,

O stärke den Mut mir, stark ist der Wille,

So betet sie am Heilgenbild.

 

Da läutet im Winde ein Silberglöckchen,

Sie tritt in die Zelle von Rosenholz,

Und nimmt das braunseidene Klausnerröckchen,

Legt an die Demut, legt ab den Stolz.

 

Und wie sie die bunten Kleider hinleget,

Schlägt ihr das Herz im Busen laut,

Die Flöte der Wanduhr so sanft sich reget,

Und singt das Nachtlied der Himmelsbraut.

 

«Gut Nacht, o mein Liebchen, auf seidnem Moose,

Ach wie so sehnend die Nachtigall singt,

Am Fensterchen glühet die treue Rose,

Die Rose, die einst die Zeit mir bringt.

 

Ich mußte die Hütte, den Garten geben,

Zu bauen dein Zellchen so schön und fein,

Und muß nun wie du in der Wildnis leben,

Mit meiner Sehnsucht so einsam sein.

 

O Liebchen schlaf wohl, von deinem Schoße,

Fällt klingend der perlene Rosenkranz,

Es schläft nicht der Treue auf seidnem Moose,

Ihm flicht wohl die Liebe den Dornenkranz.»

 

So singt ihr die Flöte, doch verstehen

Kann Liebchen nicht des Liedes Leid,

Der Liebe Bitten, der Liebe Flehen,

Scheint ihr das Lied der Einsamkeit.

 

So lebt sie lange, ungeschmücket

Die Tage hin, die Nächte hin,

Und schon die Rose sich niederbücket

Sieht nicht mehr nach der Klausnerin,

 

Die Stürme sausen in wilden Nächten,

Wohl lauter als die Flöte sang,

Im Walde die Hirsche brünstig fechten

Die Welt wie wild, die Zeit wie lang.

 

Und sitzet sie traurig an der Türe,

So eilen auf verschlungner Bahn

Die Rehe paarweis, die scheuen Tiere

Und stehen still und sehn sie an.

 

«O Zeit o wolle die Rosen brechen,

Wie einsam ist Liebchen, wie allein,

In Sehnsucht will ihr das Herz zerbrechen»,

So schreibt sie oft auf Täfelein.

 

Und heftet sie dann an die Geweihe

Der Hirsche, die sie zahm gemacht,

Und mustert sie ängstlich nach der Reihe,

Ob keiner Antwort ihr gebracht.

 

Weint Liebestränen, schlingt durch die Locken

So weltlich den perlernen Rosenkranz,

Und schürzt das Röckchen, schmückt ihre Socken

Mit Waldes Blumen, mögt gern zum Tanz.

 

Und regen die Büsche im Mond sich helle,

Und flötet die Nachtigall süß und mild

So kann sie nicht schlafen, steht an der Zelle,

Und glaubet, sie sähe des Lieben Bild.

 

Umarmt die Bäume mit Liebesgeberde,

Und reicht den blühenden Zweigen die Hand,

Und kühlt sich den Busen an kühler Erde,

Und zeichnet sein Bildnis in reinen Sand.

 

Oft hebt sie die Füßchen, sie tanzt so gerne

Und beißt sich die Lippen, sie küßt so gern,

Am Himmel da stehen so ruhig die Sterne,

O weh mir wie einsam, die Liebe ist fern.

 

So eilet der Frühling, der Sommer gehet,

Es senken die Büsche das grüne Dach,

Und sie wird nicht ärnten, die nicht gesäet,

Nicht ruhig schlafen, die Reue ist wach.

 

«Du hast nicht geglaubt, nicht geliebt, so blühe,

Verblühe nur hin in deinen Tod

Die Sonne schien in dein Bettchen zu frühe,

Verschlafe nur nicht dein Abendrot.»

 

So wiederholt sie im Traum seine Worte

Es pochet im Herzen, ja poche nur,

Sie gehet im Traume wohl an die Pforte,

O wehe es pochte im Herzen nur!

 

Sie weinet getäuschet, und bleibet stehen,

Da tönen Worte zu ihr hin,

O laßt ohn' Obdach mich nicht gehen

Gott lohnt euch, fromme Klausnerin.

 

Sie öffnet die Türe, in lauter Freude

Kann sie nicht reden, ihr Auge bricht,

In Liebestränen, und Freud und Leide,

Denn ach es ist der Geliebte nicht.

 

Und wie sie so weinet, steht still der Alte

Das Haupt gesenket, blickt sie nicht an,

O Jungfrau verzeih', daß ich krank dich halte,

Du bist wohl der Welt noch zugetan.

 

So redet er zürnend, und vor ihm nieder,

Kniet weinend die arme Klausnerin,

Und fleht, gib mir den Geliebten wieder,

O führ' mich wieder ins Leben hin.

 

Der Alte spricht ruhig in jener Klause,

Die gestern mein Dach gewesen ist,

Ist Andacht und Friede wohl mehr zu Hause

Da wohnet wohl ein beßrer Christ.

 

Da wohnet ein Jüngling, fromm und stille,

Und tuet Gutes, ist ohne Tand,

Er wählte durch der Geliebten Wille

Sich also schwer betrübten Stand.

 

Die Klausnerin jammert und ringet die Hände,

Und will nicht bleiben, will zu ihm hin,

O sage mir Greis, wohin ich mich wende,

In welchem Tale finde ich ihn.

 

Es weinet der Alte, so tief gerühret

Hat ihn der ird'schen Liebe Streit,

Es schmückt sich die Holde, als Braut gezieret

Steht sie im braunen seidnen Kleid.

 

Und hastig zieht sie ihn von der Schwelle,

Will mit ihm nach dem Tale gehn,

Die Nacht ist so ruhig, der Mond so helle,

Der Greis bleibt bei den Rosen stehn.

 

Und bricht die Rosen, und knieet nieder

Ein Jüngling vor der geliebten Braut,

Sie kann ihn umarmen, und wieder, wieder,

Sie weint so stille und lacht so laut.

 

Schlaf' wohl, o mein Liebchen auf seidnem Moose,

Die Zeit bringt Rosen, o süße Zeit!

Das Einsiedlerröckchen ist leicht und ist lose,

Der Himmel so nahe die Welt so weit.

 

Auf, auf o mein Liebchen, ich will uns bringen,

Zur Freude hin, geschwind wie der Wind,

Und auf die gesattelten Hirsche sich schwingen.

Der Jüngling und sein getreues Kind.

 

Es fliehen die Berge, es fliehen die Haine,

Die Städte stehen, und sehen nach,

Dann setzt er sie nieder und küßt sie am Rheine,

O Liebchen, wer flöhe den beiden nicht nach.

 

Vor Mai 1808 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Über eine Skizze

Verzweiflung an der Liebe in der Liebe

 

In Liebeskampf? In Todes Kampf gesunken?

Ob Atem noch von ihren Lippen fließt?

Ob ihr der Krampf den kleinen Mund verschließt?

Kein Öl die Lampe? oder keinen Funken?

 

Der Jüngling – betend? tot? in Liebe trunken?

Ob er der Jungfrau höchste Gunst genießt?

Was ist's, das der gefallne Becher gießt?

Hat Gift, hat Wein, hat Balsam sie getrunken.

 

Des Jünglings Arme, Engelsflügel werden –

Nein Mantelsfalten – Leichentuches Falten.

Um sie strahlt Heilgen Schein – zerraufte Haare.

 

Strahl' Himmels Licht, flamm' Hölle zu der Erde

Brich der Verzweiflung rasende Gewalten,

Enthüll' – Verhüll' – das Freudenbett – die Bahre.

 

Vor Juni 1808 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Auf einen grünen Zweig

 

Zur Fremde zog ein frommer Knabe

An Gold so arm, wie Gold so treu,

Er sang ein Lied um milde Gabe,

Sein Lied war alt, die Welt war neu.

 

Wie Freiheit singt in Liebesbanden,

So stieg das Lied aus seiner Brust;

Die Welt hat nicht sein Lied verstanden,

Er sang mit Schmerzen von der Lust.

 

Das Leben leichter zu erringen,

Tut er der eignen Lust Gewalt;

Will nimmer spielen, nimmer singen,

Geht Kräuter suchen in den Wald.

 

Die Füße muß er wund sich laufen

Zum heißen Fels, zum kühlen Bach,

Und muß um wenig Brot verkaufen,

Die Blume, deren Dorn ihn stach.

 

Und wie er durch die Wälder irret,

Ein seltsam Tönen zu ihm drang;

Durch wildes Singen rasselnd schwirret,

Ein schmerzlicher metallner Klang.

 

Der Knabe teilt die wilden Hecken,

Und vor ihm steht ein gift'ger Baum;

Die Zweige dürr hinaus sich strecken,

Mit Blech geziert und goldnem Schaum.

 

Und viel gemeine Vögel kreisen,

Rings um des Baumes schneidend Laub;

Und die von seinen Früchten speisen,

Sie sind des goldnen Giftes Raub.

 

Da rührt der Knabe seine Laute,

Er singt ein schmerzlich wildes Lied;

Und in dem Baum, zu dem er schaute,

Er einen bunten Vogel sieht.

 

Er sitzt betrübt, die bunten Schwingen

Senkt an der Silberbrust er hin,

Und kann nicht fliegen, kann nicht singen

Des Baumes Gifte fesseln ihn.

 

Dem Knaben regt sich's tief im Herzen,

Das Vöglein zieht ihn mächtig an,

Und seines Liedes kind'sche Schmerzen

Hört gern das kranke Vöglein an.

 

Und weil im Wind die Blätter klingen,

So kann es nicht das Lied verstehn;

Doch er hört nimmer auf zu singen,

Bleibt treu vor seiner Liebe stehn.

 

Und singt ihm vor zu tausendmalen

Von Liebeslust und Frühlingslust,

Von grünen Bergen, milden Talen

Und Ruhe an geliebter Brust.

 

Schon regt das Vöglein seine Schwingen,

Schaut freundlich zu dem Knaben hin;

Des Arme um den Baum sich schlingen,

Die Liebe machet mutig ihn.

 

Er klimmet in den gift'gen Zweigen

Zerreißt mit Lust die Hände sich,

Das kranke Vöglein zu ersteigen,

Es spricht: Ach nimmer heilst du mich.

 

Und sinket stille zu ihm nieder,

An seinem Herzen hält er's warm;

Und ordnet sorglich sein Gefieder,

Und trägt's zur Sonne auf dem Arm.

 

Steigt auf die Berge, läßt es trinken

Des blauen Himmels freie Luft,

Und weiß zu blicken, weiß zu winken,

Bis er die Freude wieder ruft.

 

Die Freude kömmt, die bunten Schwingen,

Sie funkeln Liebesstrahlen gleich;

Das Vöglein weiß so süß zu singen,

Es singt den armen Knaben reich.

 

Wie auch zum Flug die Flüglein streben,

So bleibt es doch dem Treuen treu;

In Liebesfesseln will es schweben,

In Liebesfesseln ist es frei.

 

Und ich der ich dies dir singe

Bin wohl dem treuen Knaben gleich,

Vertrau mir Vöglein, denn ich bringe

Dich noch auf einen grünen Zweig.

 

Juni 1808 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Sentimentale Haushaltung.

Fragment.

 

 

Und vor der Türe zähle

Die Sterne ich allein

Doch gegen Abend stehle

Ich mich so mit hinein.

 

Mit seinen Flügeln decket

Mich da ein selig Kind

Da fühl ich wohl verstecket

Wie andre selig sind.

 

Und wie sie all von Liebe

Und Hieben Brot herschrein

Ja schier mit Keilen triebe

Es eins dem andern ein.

 

Die liebe gute Mutter

Hat eine Seligkeit

Von Kaffee und von Butter

Und von verfloßner Zeit.

 

Und der verkehrte Wille

Spuckt ihr ins Angesicht

Durch diese Himmelsstille

Ein Kinderquarren bricht.

 

Und was in schweren Tagen

Mit Not erworben ist

Wird abends da zerschlagen

Liegt morgens auf dem Mist.

 

Und doch von Mutterherzen

Ist keines wohl so sehr,

Von selgen Liebesschmerzen

Ist es auch nimmer leer.

 

Und weil sein ganzer Himmel

Die lieben Kinder sind,

Erdrückt sie im Getümmel

. . . . . . . . . . . . . . . . Kind.

 

Und weil unendlich Sehnen

Ihr einz'ger . . . . . . . . . . . Lust,

Zerkeltert sie zu Tränen

Die Kinder an der Brust.

 

Sie wirft aus Lieb die Bullen

Mit Bier am Boden um,

Und ewge Butterstullen

Die schwimmen drin herum.

 

Es pißt in alle Ecken

Das liebe Willecken,

Das läßt sich kaum bedecken

Mit einem Stüllecken.

 

Und Flöhe, Spinnen, Wanzen,

Und Fliegen lieben dies,

Sie hüpfen, kriechen, tanzen

In diesem Paradies.

 

Das wird dann mit Empfindung,

So eben hin verschmiert,

O herrliche Erfindung!

Wie man den Himmel ziert.

 

Und weiter ist da selig

Auch eine alte Magd

Die geizig, näschig, schmählich

Den Kaffeesatz zerplagt.

 

Sie bricht bei jedem Gange

Die Lügen vor dem Strauch

Die alte Feuerzange

Hat einen Doppelbauch.

 

Es findet um die Wette

Im ersten Kaffeesatz

Im zweiten, ihrem Bette,

Wohl jede Feder Platz.

 

Und wenn sie müd vom Stehlen

Ins Bett zu gehen lügt,

Hört man sie Taler zählen

Die ihr der Geiz erpflügt.

 

Mit ihren Habichtskrallen

Sie jed Gefäß zerbricht

Läßt Topf und Teller fallen

Den Kaffeetopf nur nicht.

 

Vom Abend bis zur Frühe

Verstellt jed Ofenloch

Mit ekler Sirupsbrühe

Der grobe Sudelkoch.

 

Dann kommt noch eine Amme

Zu dieser Seligkeit,

Man frage bei dem Schwamme

Nach ihrer Reinlichkeit.

 

Verstockt und dumm hoffärtig,

Grob, traurig, starr wie Zwilch,

Doch aller Huld gewärtig

Ob ihrer Menschenmilch.

 

Es schwimmt im Sudelkübel

Ein delikater Hecht

Wie Fühlkraut so sensibel

Und nichts ist ihr ganz recht,

 

Es gießt die Maritorne

In diesem Gnadehaus

Das Kind wohl oft im Zorne

Mitsamt dem Bade aus.

 

Und immer heißts die Amme

Hat dies und jenes nicht,

Man flickt am Gossendamme

Indes der Dachstuhl bricht.

 

Und zu den Seligkeiten

Kommt noch ein Jüngferlein,

Schwankt noch von allen Seiten,

Und steht auf keinem Bein.

 

Und möchte gern spazieren

Und doch auch fleißig sein,

Möcht lernen musizieren

Mit faulen Fingerlein.

 

Sie näht Geburtstagspuppen,

Und macht ein schön Gedicht,

Doch armer Leute Suppen

Zu kochen weiß sie nicht.

 

Bei Tag nicht in der Küche

Das Kind ist gar zu schwach

Am Abend Bibelsprüche,

Roman und Almanach.

 

Sie ist erst fünfzehn Jahre,

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Und schrie wohl von der Bahre

Vor einer Spinne auf,

 

Wenn sie die Not erkennte,

Die täglich sie umgibt

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 

Entstanden um 1808 (Boëtius 1985)