BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gedichte 1816 - 1819

 

1818

Anfang Januar: In dem Almanach «Die Sängerfahrt. Eine

Neujahrsgabe für Freunde der Dichtkunst und Malerei» erscheint als

Fragment «Aus der Chronika eines fahrenden Schülers».

14. September: Abreise von Berlin nach Dülmen

zu Anna Katharina Emmerick.

24. September: Ankunft in Dülmen, wo er mit dem «schweren

Tagewerk», den Aufzeichnung der Visionen Emmericks beginnt.

7. Dezember: Luise Hensel konvertiert «eigenmächtig»

zur katholischen Kirche.

 

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Am Charsamstag 1818

 

Warum er mich verlassen,

Mußt' ich zum Vater schrein,

Und du willst dich nicht fassen,

Willst niemals einsam sein.

Siehst du denn nicht die Kerzen

An meinem Grabe hier,

Was suchst du mich von Herzen,

Und weinest vor der Tür?

 

Tritt ein du wirst mich finden,

So weit dein Glaube reicht,

Bekenne deine Sünden,

So wird dein Hoffen leicht,

Und wollen deine Augen

Mich liebend dann nicht sehn,

Soll dir der Glaube taugen

Blind zu dem Tisch zu gehn.

 

Das ist die rechte Liebe,

Die alles Dunkels lacht,

Die die vorwitz'gen Triebe

Gehorsam glaubend macht

Dann werden alle Sinnen

In meinem Hiersein neu

Dann denkt man nicht von hinnen

Auf daß man heilig sei.

 

Will Glauben, Lieben, Loben

Und Hoffen noch verstehn

So wollen sie nach oben

Vorbei beim Heiland gehn.

Du brauchst nicht so zu schreien

Die Türe schließ' ich nicht,

Wenn tausend Teufel dräuen,

Sie löschen mir kein Licht.

 

Wer will dich mir begraben,

Die Braut, der ich vermählt,

Mit der kannst du mich haben,

Hast du mich recht erwählt,

Die Kirche, die sie schmähen,

Sie ist die Mutter dein,

Sie lehrt dich auferstehen

Sie lehrt dich selig sein.

 

Karsamstag 1818 (Kemp 1978)

 

 

*

 

Das Elend soll ich einsam bauen,

O schweige nur, ich kenn das Leid,

Den heißen Schmerz des kranken Pfauen

Der nach der Sonne klimmend schreit,

Ich fühle in dem Abendgrauen

Der Nächte finstre Bitterkeit

Ich war im seligsten Vertrauen

Von je dem grimmen Schmerz geweiht

Und soll das Elend einsam bauen.

 

Das Elend soll ich einsam bauen,

Die Brunnen die ein Zauberschlag

Hervorrief auf den dürren Auen

Sie wenden sich, der junge Tag

Will nicht mehr auf mich niedertauen

Das Leben bricht mir den Vertrag

Ich soll nun in die Wüste schauen,

Ich, der der Einsamkeit erlag

Soll einsam nun das Elend bauen

 

Das Elend soll ich einsam bauen

Mir wie dem ersten Mann geschah

Als in des Paradieses Auen

Der Herr ihn einsam trauern sah

Schuf er aus seiner Brust die Frauen,

Der Himmel war der Erde nah

Doch mit dem menschlichen Vertrauen

War Schlange Frucht und Tod auch da.

Drum muß ich einsam Elend bauen

 

Das Elend soll ich einsam bauen

Verdorben war ich durch das Weib

Wollt in der Jungfrau neu mich schauen,

Die Gott verhießen, daß sie's bleib.

Maria, Zuflucht der Jungfrauen,

Erhalt dem Herren ihren Leib,

Laß sie nicht blinder Not vertrauen

Ob Erde sie vom Himmel treib.

Ich muß mein Elend einsam bauen.

 

Das Elend soll ich einsam bauen

O Jesus höre mein Geschrei

Brich meiner Seele tiefes Grauen

O Jesus, führ den Kelch vorbei

Mach von der Hölle giftgen Klauen

O Jesus meine Seele frei

Ein armes kindliches Vertrauen

O Jesus meinem Geist verleih

Hilf mir mein Elend einsam bauen.

 

Das Elend soll ich einsam bauen –,

Wohl auf mein Stab nach Jericho!

Und will dir's vor der Wüste grauen,

Gedenk der Kreuzweg führet so,

Und fällst du in die Mörderklauen,

So kömmt die Liebe irgendwo

Dir aus der Ferne zuzuschauen,

Und läßt dich einsam Elend bauen.

 

Das Elend soll ich einsam bauen,

Weil selbst die Liebe einsam ist,

Ein reines Tier muß wiederkauen,

Einsam, was es gesellig frißt,

Die Liebe ist jetzt am Verdauen

Und fühlt nicht, daß du hungrig bist

Das aber grad muß dich erbauen

Das Elend auszubauen.

 

Sommer 1818 (Schultz 1995)

 

 

*

 

Es scheint ein Stern vom Himmel,

Ein einz'ger in mein Herz,

Er könnte wohl was Bessers tun,

Da hätt' ich Nacht und Schmerz.

 

Es spritzt ein Quell vom Felsen

Ein Tröpfchen zu mir her,

Er könnte wohl was Bessers tun,

Daß ich verschmachtet wär'.

 

Es singt ein Himmelvögelein

An meiner Kerkerwand,

Er könnte wohl was Bessers tun,

Ich käm' um den Verstand.

 

Es blüht ein einz'ges Blümlein

Auf meinem Wege wüst,

Es könnte wohl was Bessers tun,

Daß ich verzweifeln müßt'.

 

Vor mir streicht hin ein weißer Hirsch

Mit goldenem Geweih,

Er könnte wohl was Bessers tun,

Daß ich verirret sei.

 

Es scheint ein bißchen Sonnenschein

Mir in die Nacht herein,

Es könnte wohl was Bessers tun,

Ich stürb' in dunkler Pein.

 

Es fällt mir eine Blüte

Des Segens ohne Frucht,

Sie könnte wohl was Bessers tun.

Ich glaubte mich verflucht.

 

Es sieht mit Himmelsgüte

Ein reines Aug' mich an,

Es könnte wohl was Bessers tun,

Dann wär's um mich getan.

 

Es mahnet an dem Abgrund mich

Ein frommer Liedermund

Er könnte wohl was Bessers tun,

Ich stürzte in den Schlund.

 

Es tut ein frommes Mägdlein

Wohl Engeldienst an mir,

Sie könnte wohl was Bessers tun.

Daß ich mein Heil verlier'.

 

Mich hat der Herr geliebet,

Er zeigte mir, was schön,

Er könnte wohl was Bessers tun,

Dann müßt' ich untergehn.

 

Heut schienen Stern und Lichter

Mir, was ich liebe, an,

Sie könnten wohl was Bessers tun,

Und haben's doch getan.

 

Mir hüpft das Herz in Freuden

Ein Engel steht mir bei

Es könnte wohl was Bessers tun,

Bräch' es mir gleich entzwei.

 

Ich muß die Güte lieben,

Sie hat sich mein erbarmt,

Sie könnte wohl was Bessers tun,

Dann wär' ich ganz verarmt.

 

O liebe, liebe Seele du,

Mein Heil, mein Trost, mein Mut,

Ich kann ja gar nichts Bessers tun,

Denn alles ist ja gut.

 

Vermutlich 1818 (Kemp 1978)