BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gockel, Hinkel, Gackeleia

 

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In Deutschland in einem wilden Wald, zwischen Gelnhausen und Hanau, lebte ein ehrenfester bejahrter Mann, und der hieß Gockel. Gockel hatte ein Weib, und das hieß Hinkel. Gockel und Hinkel hatten ein Töchterchen, und das hieß Gackeleia. Ihre Wohnung war in einem wüsten Schloß, woran nichts auszusetzen war, denn es war nichts darin, aber viel einzusetzen, nämlich Thür und Thor und Fenster. Mit frischer Luft und Sonnenschein und allerlei Wetter war es wohl ausgerüstet, denn das Dach war eingestürzt und die Treppen und Decken und Böden waren nachgefolgt. Gras und Kraut und Busch und Baum wuchsen aus allen Winkeln, und Vögel, vom Zaunkönig bis zum Storch, nisteten in dem wüsten Haus. Es versuchten zwar einigemal auch Geier, Habichte, Weihen, Falken, Eulen, Raben und solche verdächtige Vögel sich da anzusiedeln, aber Gockel schlug es ihnen rund ab, wenn sie ihm gleich allerlei Braten und Fische als Miethe bezahlen wollten.

Einst aber sprach sein Weib Hinkel: «mein lieber Gockel, es geht uns sehr knapp, warum willst du die vornehmen Vögel nicht hier wohnen lassen? Wir könnten die Miethe doch wohl brauchen, du läßt ja das ganze Schloß von allen möglichen Vögeln bewohnen, welche dir gar nichts dafür bezahlen.» – Da antwortete Gockel: «o du unvernünftiges Hinkel, vergißt du denn ganz und gar, wer wir sind, schickt es sich auch wohl für Leute unserer Herkunft, von der Miethe solches Raubgesindels zu leben? – und gesetzt auch, Gott suchte uns mit solchem Elende heim, daß uns die Verzweiflung zu so unwürdigen Hilfsmitteln triebe, – was doch nie geschehen wird, denn eher wollte ich Hungers sterben, – womit würden die räuberischen Einwohner uns vor Allem die Miethe bezahlen? Gewiß würden sie uns alle unsre lieben Gastfreunde erwürgt in die Küche werfen, und zwar auf ihre mörderische Art zerrupft und zerfleischt. Die freundlichen Singvögel, welche mit ihrem unschuldigen Gezwitscher unsre wüste Wohnung zu einem herzerfreuenden Aufenthalte machen, willst du doch wohl lieber singen hören, als sie gebraten essen? Würde dir das Herz nicht brechen, die allerliebste Frau Nachtigall, die trauliche Grasmücke, den fröhlichen Distelfink, oder gar das liebe treue Rothkehlchen in der Pfanne zu rösten, oder am Spieße zu braten, und dann zuletzt, wenn sie alle die Miethe bezahlt hätten, nichts als das Geschrei und Gekrächze der gräulichen Raubvögel zu hören? Aber wenn auch alles dieses zu überwinden wäre, bedenkst du dann in deiner Blindheit nicht, daß diese Mörder allein so gern hier wohnen möchten, weil sie wissen, daß wir uns von der Hühnerzucht nähren wollen? Haben wir nicht die ehrbare Stamm-Henne Gallina jetzt über dreißig Eiern sitzen, werden diese nicht dreißig Hühner werden, und kann nicht jedes wieder dreißig Eier legen, welche es wieder ausbrütet zu dreißig Hühnern, macht schon dreißig mal dreißig, also neunhundert Hühner, welchen wir entgegensehen? O du unvernünftiges Hinkel! und zu diesen willst du dir Geier und Habichte ins Schloß ziehen? Hast du denn gänzlich vergessen, daß du ein edler Sprosse aus dem hohen Stamme der Grafen von Hennegau bist, und kannst du solche Vorschläge einem gebornen leider armen, leider verkannten Raugrafen von Hanau machen? Ich kenne dich nicht mehr! – O du entsetzliche Armuth! ist es denn also wahr, daß du auch die edelsten Herzen endlich mit der Last deines leeren und doch so schweren Bettelsackes zum Staube nieder drückest?»

Also redete der arme alte Raugraf Gockel von Hanau in edlem hohen Zorne, zu Hinkel von Hennegau seiner Gattin, welche so betrübt und beschämt und kümmerlich vor ihm stand, als ob sie den Zipf hätte. Aber schon sammelte sie sich und wollte so eben sprechen: «die Raubvögel bringen uns wohl auch manchmal junge Hasen» – doch da krähte der schwarze Alektryo, der große Stammhahn ihres Mannes, der über ihr auf einem Mauerrande saß, in demselben Augenblick so hell und scharf, daß er ihr das Wort wie mit einer Sichel vor dem Munde wegschnitt, und als er dabei mit den Flügeln schlug, und Graf Gockel von Hanau sein zerrissenes Mäntelchen auch ungeduldig auf der Schulter hin und her warf, so sagte die Frau Hinkel von Hennegau auch kein Piepswörtchen mehr, denn sie wußte den Alektryo und den Gockel zu ehren.

Sie wollte eben umwenden und weggehen, da sagte Gockel: «o Hinkel! ich brauche dir nichts mehr zu sagen, der ritterliche Alektryo, der Herold, Wappenprüfer und Kreiswärtel, Notarius Publikus und kaiserlich gekrönte Poet meiner Vorfahren hat meine Rede unterkrähet, und somit dagegen protestirt, daß seinen Nachkommen, den zu erwartenden Hühnchen, die gefährlichen Raubvögel zugesellt würden.» Bei diesen letzten Worten bückte sich Frau Hinkel bereits unter der niedrigen Thüre und verschwand mit einem tiefen Seufzer im Hühnerstall.

Im Hühnerstall? Ja – denn im wunderbaren, kunstreichen, im neben-, durch- und hintereinandrigen Stil der Urwelt, Mitwelt und Nachwelt erbauten Hühnerstall wohnten Gockel von Hanau, Hinkel von Hennegau und Gackeleia, ihre Fräulein Tochter, und in der Ecke stand in einem alten Schilde das auf gothische Weise von Stroh geflochtene Raugraf Gockelsche Erbhühnernest, in welchem die Glucke Gallina über den dreißig Eiern brütete, und von einer Wand zur andern ruhte eine alte Lanze in zwei Mauerlöchern, auf welcher sitzend der schwarze Alektryo Nachts zu schlafen pflegte. Der Hühnerstall war der einzige Raum in dem alten Schloße, der noch bewohnbar unter Dach und Fach stand.

 

Zu Olims Zeiten, wo Dieses und Jenes geschehen ist, war dieses Schloß eines der herrlichsten und deutlichsten in ganz Deutschland; aber die Franzosen haben es so übel mitgenommen, daß sie es recht abscheulich zurückließen. Ihr König Hahnri hatte gesagt, jeder Franzose solle Sonntags ein Huhn, und wenn keines zu haben sei, ein Hinkel in den Topf stecken und sich eine Suppe kochen. Darauf hielten sie streng, und sahen sich überall um, wie jeder zu seinem Huhn kommen könne. Als sie nun zu Haus mit den Hühnern fertig waren, machten sie nicht viel Federlesens und hatten bald mit diesem, bald mit jenem Nachbarn ein Hühnchen zu pflücken. Sie sahen die Landkarte wie einen Speisezettel an, wo etwas von Henne, Huhn oder Hahn stand, das strichen sie mit rother Tinte an und giengen mit Küchenmesser und Bratspieß darauf los. So giengen sie über den Hanebach, steckten Groß- und Kleinhüningen in den Topf, und kamen dann auch bis in das Hanauer Land. Als sie nun Gockelsruh, das herrliche Schloß der Raugrafen von Hanau, im Walde fanden, wo damals der Großvater Gockels wohnte, statuirten sie ein Exempel, schnitten allen Hühnern die Hälse ab, steckten sie in den Topf und den rothen Hahn auf das Dach, das heißt, sie machten ein so gutes Feuerchen unter den Topf, daß die lichte Lohe zum Dach herausschlug und Gockelsruh darüber verbrannte. Dann giengen sie weiter nach Hünefeld und Hunhaun und sind noch lang unterwegs geblieben.

Als sie abgespeist hatten, gieng Gockels Großvater, der mit seiner Familie und dem Stamm-, Erb- und Wappen-Hahn und Hinkel im Walde versteckt gewesen, um das Desert zu besehen, es war eine Wüste. Nichts war ihm geblieben, er konnte sein Schloß nicht mehr herstellen und übergab es daher gratis an die Verschönerungs-Commission der vier Jahrszeiten, des Windes und des Wetters, welche es auch in Jahr und Tag mit Gras und Kraut und Moos und Epheu und Büschen und Bäumen so reichlich austapezierten, daß es ein rechtes Paradies aller Waldvögelein und andern Wildpretts ward. – Er selbst zog nach Gelnhausen und nahm die Stelle eines Erb-Hühner- und Fasanenministers bei dem dortigen König an. Sein Sohn trat nach ihm in dieselbe Stelle, und nach dessen Absterben unser Gockel, der gewiß auch als Hühnerminister mit Tod abgegangen wäre, wenn ihn nicht sein Menschen- oder vielmehr Hühnergefühl gezwungen hätte, noch lebendig von Gelnhausen Abschied zu nehmen. Dieses aber gieng folgendermaßen zu.

Der König Eifrasius von Gelnhausen überließ sich der Leidenschaft des Eieressens so unmäßig, daß keine Brut Hühner mehr aufkommen konnte. Dies war gegen den Eid Gockels und gegen das Landesgesetz, Artikel Hühnerzucht. Gockel machte eine allerunterthänigste vergebliche Vorstellung nach der andern. Eifrasius errichtete den rührenden Eierorden verschiedener Grade und ließ von seinem Leibredner eine Rede dabei halten, die einer Schmeichelei so ähnlich sah, wie ein Ei dem andern. Er sagte, Eifrasius esse nur allein so viele Eier, um die Hühner zu vermindern, damit die Franzosen nicht ins Land kämen. Dabei machte er bekannt, daß man künftig nicht Ihro Majestät, sondern Ihre Eießtät König Eifrasius sagen solle und vieles Aehnliche. Auch wußte er sehr viele hinreißende Stellen großer Dichter in seiner Rede anzubringen, z. B.:

 

Ein Huhn und ein Hahn,

Meine Rede geht an;

Eine Kuh und ein Kalb,

Meine Rede ist halb;

Eine Katze und eine Maus,

Meine Rede ist aus!

 

und weiter

 

Ein Ei, un oeuf,

Ein Ochs, un boeuf,

Une vache, eine Kuh,

Fermez la porte, mach die Thür zu!

 

womit er den König ganz bezauberte.

Nach dieser Rede wurden alle anwesenden Anhänger und Schmeichler des Königs ganz eigelb im Gesicht und steckten gelbe Cocarden auf; Gockel von Hanau aber wurde vor Zorn und Schrecken und Unwill und Schaam ganz grün und blau und roth, und kriegte ordentlich einen rothen Kamm und schüttelte den Federbusch, wie ein Hahn, auf seinem bordirten Hut und scharrte mit den Füßen und hackte mit den Spornen. Da zog der König Eifrasius eben in der Kirche an ihm vorüber, sah ihn sehr ungnädig an und sprach: «in Gnaden entlassen, das Hühnerministerium ist bis auf ein Weiteres aufgehoben.» – Somit hatte Gockel seinen Abschied.

Gockel war voll Ehrgefühl, er zeigte sogleich seiner Frau an, daß er am folgenden Morgen mit ihr und Gackeleia nach seinem Stammschloße Gockelsruh aus Gelnhausen so wegziehen werde, wie seine Großeltern hineingezogen waren. Er befahl ihr, jene alten Kleider aus dem Kasten zu nehmen und im Hühnerministerium zurecht zu legen, wo sie sich morgen umkleiden wollten. Frau Hinkel war schier untröstlich über die alten seltsamen Kleider und meinte, alle Hunde würden ihr nachlaufen. Das Entsetzlichste aber war ihr, daß Gockel am hellen lichten Tage vor der Wachparade vorbei und über den Gemüßmarkt in diesem Aufzug aus der Stadt hinaus wollte, und nur unter den heftigsten Thränen mit Gackeleia vor ihm auf den Knieen liegend, konnte sie erflehen, daß er mit ihr Morgens vor Tag zur Gartenthüre hinaus, hinten um die Stadtmauer herum, seine Abreise anzutreten versprach.

Gockel hängte seine Hühnerminister-Kleidung an das königliche Hühnerministerial-Zapfenbrett, legte alle die ihm aufgedrungenen Eierorden ab, den Orden der Schmeichelei und Heuchelei und befestigte seinen eigenen, Raugräflich Gockel Hanauischen Haus-Orden der Kinderei wieder in das Knopfloch der Jacke seines Großvaters, die er morgen früh anziehen wollte; dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, um alle die Rechnungen über seine Verwaltung heute Nacht noch auszubrüten, und als er es so weit gebracht, daß Einnahme und Ausgabe sich wie ein Ei dem andern glichen, sank er ermüdet mit der Nase auf das Papier und schnarchte, daß der Streusand von zerstossenen Eierschalen umherflog, und mehrere Muster von Hühnerfedern, die vor ihm lagen, durch einander wehten. Aber der Schaden war nicht groß.

Kaum graute der Tag, als Alektryo, der edle Stammhahn sich selbst ermunternd mit den Flügeln in die Seite schlug, den Hals emporreckte und mit aufgerissenem Schnabel lautkrähend wie mit einem Trompetenstoß alle zur Abreise erweckte; das Stammhuhn Gallina begleitete sein Morgenlied mit einigen wehmüthigen Accorden. Gockel sprang auf und weckte Weib und Kind, die sich bald einstellten. Frau Hinkel war sehr traurig, auch sie mußte ihre Hühnerministerial-Kontusche ans Zapfenbrett hängen und die Kleider von Gockels Großmutter anziehen; händeringend stand sie in diesem Putz vor dem Spiegel. Gockel hatte viel zu ermahnen und zu trösten; er hatte seine Raugräfliche Gockelskappe aufgesetzt, auf der ein Hahnenkamm war, er hängte seine Perücke von Eierschalen an den Ministerialperücken-Hahn und fuhr in die großväterlichen Stiefel und Grafenhosen, welche ihm Gackeleia hinbrachte, die ziemlich lustig in ihrem seltsamen Röckchen war und das alte Erbhühnernest wie einen Fallhut auf dem Kopf trug.

Alektryo, der Stammhahn, saß neben dem Schreibtische auf der Raugräflich Gockelschen Erbhühnertrage, welche der berühmte Erwin von Steinbach zugleich mit dem Straßburger Münster erfunden hatte, und wiederholte, da er die ganze Familie wieder in ihren altgräflichen Kleidern sah, sein Krähen mit stolzer Freude. Er hatte einen reichsfreiritterlichen Unmittelbarkeitssinn und war nie gern in Gelnhausen gewesen, wo er nur zu Haus der Hahn im Korb war, am Hof aber nie auf dem Mist krähen durfte, weil dieses ein Regale, ein königliches Recht der Hofhähne war. Er war hier nur Kammerhahn à la suite, hatte allerlei Kränkungen seiner Verhältnisse von den Hofhahnen zu erleiden, und durfte sie nicht einmal deswegen herausfordern. Gleich Graf Gockel war er sehr mit dem König Eifrasius unzufrieden, denn dieser hatte einmal die Eier seiner lieben Gemahlin Gallina durch die Polizei wegnehmen und sich in die Pfanne schlagen lassen. – Seine häusliche Glückseligkeit war dadurch gestört. Er war heftig und ungeduldig, Gallina aber gacksig, glucksig und piepsig geworden. Sie saßen immer auf dem Hühnerministerium und kamen nicht ins Freie; statt auf dem Miste, scharrte Alektryo in Papierspänen, und die leidende Gallina wälzte sich im Streusand oder brütete hoffnungslos auf den ausgeblasenen Eierschaalen des Eierordens, welche dort aufbewahrt wurden.

Nun aber, da alle zur Abreise gekleidet waren, trieb Alektryo die Gallina an, von seiner Seite auf dem Gockelschen Hühnersteg hinab zu dem Hennegauschen Erbhühnerkorb der Frau Hinkel zu schreiten, und sagte ihr dabei ganz freundlich ins Ohr, was ihr tröstend zu Herzen ging: «heute Abend sind wir frei und glücklich in Gockelsruh, dem Pallaste unsrer Vorfahren, da giebt es Würmchen und Maikäfer und allerlei Sämerei die Menge; da wollen wir ein neues Leben beginnen, da gehören wir uns allein an, da wirst du eine Brut ausbrüten, die unser würdig ist.» Gallina trippelte mit einem lieblichen Lächeln gacksend den Steg hinab und setzte sich oben auf den Hühnerkorb.

Frau Hinkel nahm den Korb, worauf Gallina saß, auf ihren Kopf. In diesem Korbe hatte sie ein paar Hemden, etwas Flachs-, Hanf- und andere Sämereien, Nadel, Zwirn und Fingerhut und ein Wachsstümpfchen, ein Gebetbuch und einige schöne neue Lieder, gedruckt in diesem Jahr, und den Gräflich Hennegauschen Stammbaum und ihren Taufschein und Copulationsschein und so weiter Schein bewahrt. Dann ergriff sie ihren Rocken und sprach: «ich bin fertig.»

Gockel schlüpfte mit den Armen in die Tragriemen seiner Erbhühnertrage und trug sie wie eine gothische Kirche auf dem Rücken, oben drauf saß Alektryo, neben dran war sein Grafenschwert befestigt, und im Innern befanden sich sein Stammbaum, Grafenbrief, Taufschein, Ehekontrakt, ein Buch von Geheimnissen der Hahnen und Hühner und auch ein altes Geschlechts-Register, nach welchem Alektryo vom Hahn des Hiob und Gallina vom Hahn Petri abstammen sollte; es war aber theils sehr unleserlich mit Hühnerpfoten geschrieben, theils hatten es die Mäuse so durchstudiert, daß viele Löcher darin waren. Solche große Raritäten waren in der Hühnertrage. Gockel nahm nun seine Raugräfliche Standarte, die zugleich ein Hühnersteg war, als Stab in die Hand und sagte: «wohlan ich bin fertig.»

Gackeleia hatte das Erbhühnernest auf dem Kopf, und weil sie auf alle Weise noch sonst etwas tragen wollte, steckte sie der Vater in einen Korb, wie man sie über die jungen Hühnchen stellt, und befestigte ihr denselben über die Schultern mit Bändern, so daß sie wie in einem lustigen Reifrock mitspazierte. In der einen Hand hielt sie ihr ABC-Buch, worauf ein Hahn abgebildet war, und in der andern einen Eierweck von gestern, man nennt sie dort Bubenschenkel. Das Kind war sehr lustig, und schrie. «kikeriki, ich bin schon lang fertig.»

Nun blies Gockel die Hühnerministerial-Lampe aus, und sie giengen zu der Thüre hinaus. Gockel gab dem Nachtwächter den Hausschlüssel, und dann verließen sie still durch die hintere Gartenthüre, die durch die Stadtmauer führte, das undankbare Gelnhausen.

Kaum waren sie auf einer nahen kleinen Anhöhe, welche die Stadt überschaut, als Alektryo sich hoch aufrichtete und mit einem trotzigen kühnen Krähen allen Hahnen von Gelnhausen Hohn sprach, die erwachend von Haus zu Haus, von Thurm zu Thurm sich wieder zukrähten, so daß die Gockelsche Familie wo nicht unter dem Geläute aller Glocken, doch unter dem Krähen aller Hahnen die Stadt verließ.

Als Alektryo gekräht hatte, schauten sie alle noch einmal schweigend nach Gelnhausen zurück. Es lag eine weiße Nebelwolke über der herrlichen Stadt, die Sonne schoß mit ihren ersten Strahlen nach den blinkenden Wetterhahnen auf den Thurmspitzen, welche aus dem Nebel hervorblitzten; hie und da drang ein dunkler dichter Bäckerrauch wie eine dicke braune Schlange durch den Nebel hervor. Frau Hinkel war betrübt. Gackeleia fieng laut an zu weinen; ihr Eierweck war ihr gefallen und sie konnte ihn von dem Hühnerkorb, in dem sie steckte, gehindert nicht aufheben. – Gockel hob sie aus dem Korbe heraus und hängte sich denselben noch hinten auf die Trage, denn Gackeleia wäre mit diesem Reifrocke an allen Büschen des wilden Waldes hängen geblieben, durch welchen jetzt ihr Weg führte.

Frau Hinkel durch das Krähen aller Hahnen in Gelnhausen und durch den aufsteigenden Rauch von neuem sehr betrübt, folgte ihrem Manne mit manchem Seufzer durch den Wald. Sie gedachte an die Herrlichkeit von Gelnhausen, wo immer das eine Haus ein Bäckerladen, das andre ein Fleischerladen ist; – ach, dachte sie, jetzt ist die Stunde, jetzt öffnen die Fleischer ihre Laden, jetzt hängen sie die fetten Kälber, Hämmel und Schweine auf und breiten in deren aufgeschlitzten Leibern reinliche schneeweiße Tücher aus! – Ach jetzt ist die Stunde, jetzt öffnen die Bäcker ihre Laden und stellen auf weißen Bänken die braunglänzenden Brode, die gelben Semmeln und schön lakirten Eierwecke, Bubenschenkel genannt, in Reih und Glied. Gackeleia, die sie an der Hand führte, weckte mit ihren Reden ihre Betrübniß oft von neuem wieder auf, denn sie fragte ein um das anderemal: «Mutter, giebt es auch Bretzeln, wo wir hingehen?» Da seufzte Frau Hinkel; Gockel aber, der ernsthaft und freudig voranschritt, sagte: «nein, mein Kind Gackeleia, Bretzeln giebt es dort nicht, sie sind auch nicht gesund und verderben den Magen; aber Erdbeeren, schöne rothe Waldbeeren giebt es die Menge,» und somit zeigte er mit seinem Stocke auf einige, die am Wege standen, welche Gackeleia mit vielem Vergnügen verzehrte. Hierauf fragte Gackeleia wieder: «Mutter, giebt es auch so schöne braune Kuchenhäschen, wo wir hingehen?» Da seufzte Frau Hinkel abermals und die Thränen traten ihr in die Augen; Gockel aber sagte freundlich zu dem Kinde: «Nein, mein Kind Gackeleia, Kuchenhäschen giebt es da nicht, sie sind auch nicht gesund und verderben den Magen, aber es giebt da lebendige Seidenhäschen und weiße Kaninchen, aus deren Wolle du der Mutter auf ihren Geburtstag Strümpfe stricken kannst, wenn du fleißig bist. Sieh, sieh, da lauft eines!» und somit zeigte er mit seinem Stocke auf ein vorüberlaufendes Kaninchen. Da riß sich Gackeleia von der Mutter los, und sprang dem Hasen mit dem Geschrei nach: «gieb mir die Strümpfe, gieb mir die Strümpfe!» aber fort war er, und sie fiel über eine Baumwurzel und weinte sehr. Der Vater verwies ihr ihre Heftigkeit und tröstete sie mit Himbeeren, welche neben der Stelle wuchsen, wo sie gefallen war. Nach einiger Zeit fragte Gackeleia wieder: «liebe Mutter, giebt es denn auch da, wo wir hingehen, so schöne gebackene Männer von Kuchenteig, mit Augen von Wachholderbeeren und einer Nase von Mandelkern, und einem Mund von einer Rosine?» Da konnte die Mutter ihre Thränen nicht zurückhalten und weinte; Gockel aber sagte: «nein, mein Kind Gackeleia, solche Kuchenmänner giebt es da nicht, die sind auch gar nicht gesund und verderben den Magen. Aber es giebt da schöne bunte Vögel die Menge, welche allerliebst singen und Nestchen bauen, und Eier legen und ihre Jungen füttern. Die kannst du sehen und lieben und ihnen zuschauen, und die süßen wilden Kirschen mit ihnen theilen.» Da brach er ihr ein Zweiglein voll Kirschen von einem Baum und das Kind ward ruhig.

Als Gackeleia aber nach einer Weile wieder fragte: «liebe Mutter, giebt es denn dort, wo wir hingehen, auch so wunderschöne Pfefferkuchen, wie in Gelnhausen?» und die Frau Hinkel immer mehr weinte, ward der alte Gockel von Hanau unwillig, drehte sich um, stellte sich breit hin und sprach: «o mein Hinkel von Hennegau! du hast wohl Ursache zu weinen, daß unser Kind Gackeleia ein so naschhafter Freßsack ist und an nichts als Bretzeln, Kuchenhasen, Buttermänner und Pfefferkuchen denkt, was soll daraus werden? Noth bricht Eisen, Hunger lehrt beißen. Sei vernünftig, weine nicht, Gott, der die Raben füttert, welche nicht säen, wird den Gockel von Hanau nicht verderben lassen, der säen kann. Gott, der die Lilien kleidet, die nicht spinnen, wird die Frau Hinkel von Hennegau nicht umkommen lassen, welche sehr schön spinnen kann, und auch das Kind Gackeleia nicht, wenn es das Spinnen von seiner Mutter lernt.»

Diese Rede Gockels ward von einem gewaltigen Geklapper unterbrochen, und sie sahen alle einen großen Klapperstorch, der aus dem Gebüsche ihnen entgegentrat, sie sehr ernsthaft und ehrbar anschaute, nochmals klapperte und dann hinwegflog. «Wohlan, sagte Gockel, dieser Hausfreund hat uns willkommen geheißen, er wohnet auf dem obersten Giebel von Gockelsruh, gleich werden wir da seyn; damit wir aber nicht lange zu wählen brauchen, in welchen von den weitläufigen Gemächern des Schlosses wir wohnen wollen, so will ich unsere höchste Dienerschaft voraussenden, damit sie uns die Wohnungen aussuche.»

Nun nahm er den Stammhahn von der Schulter auf die rechte Hand und die Stammhenne auf die linke, und redete sie mit ehrbarem Ernste folgendermaßen an: «Alektryo und Gallina, ihr stehet im Begriff, wie wir, in das Stammhaus eurer Vorältern einzuziehen, und ich sehe an euren ernsthaften Mienen, daß ihr so gerührt seid als wir. Damit nun dieses Ereigniß nicht ohne Feierlichkeit sey, so ernenne ich dich Alektryo, edler Stammhahn, zu meinem Schloßhauptmann, Haushofmeister, Hofmarschall, Astronomen, Propheten, Nachtwächter, und hoffe, du wirst unbeschadet deiner Familienverhältnisse als Gatte und Vater diesen Aemtern gut vorstehen; das Nämliche erwarte ich von dir, Gallina, edles Stammhuhn; indem ich dich hiemit zur Schlüsseldame und Oberbettmeisterin des Schlosses ernenne, zweifle ich nicht, daß du diesen Aemtern trefflich vorstehen wirst, ohne deßwegen deine Pflichten als Gattin und Mutter zu vernachlässigen. Ist dieß euer Wille, so bestätigt es mir feierlich.» Da erhob Alektryo seinen Hals, blickte gegen Himmel, riß den Schnabel weit auf und krähete feierlichst, und auch Gallina gab ihre Versicherung mit einem lauten und rührenden Gacksen von sich, worauf sie Gockel beide an die Erde setzte, und sprach: «nun, Herr Schloßhauptmann und Frau Schlüsseldame, eilet voraus, suchet eine Wohnung für uns aus, zeiget auch allen Bewohnern unsers Schlosses an, sie möchten sich durch kein Geräusch in ihrem Abendgebete stören lassen, weil ich in der Nähe des Schlosses, wo der englische Garten ein wenig ins Kraut geschossen seyn mag, wahrscheinlich mit meinem Grafenschwert die Hecken werde schneiden müssen, um mir und Frau Hinkel mit unsern hohen Insignien durchzuhelfen; also thuet und bereitet uns einen würdigen Empfang.» – Da eilte der Hahn und die Henne in vollem Laufe, was giebst du, was hast du? in den Wald hinein nach dem Schlosse zu.

Nun ermahnte Gockel auch noch die Frau Hinkel und das Kind Gackeleia zur Zufriedenheit, zum Vertrauen auf Gott und zu Fleiß und Ordnung in dem neu bevorstehenden Aufenthalt auf eine so liebreiche Art, daß Frau Hinkel und das Kind Gackeleia den guten Vater herzlich umarmten und ihm alles Gute und Liebe versprachen; und so zogen sie alle froh und heiter durch den schönen Wald, die Sonne sank hinter die Bäume, es ward so recht stille und vertraulich, ein kühles Lüftchen spielte mit den Blättern und Frau Hinkel von Hennegau sang folgendes Liedchen mit freundlicher Stimme, wozu Gockel und Gackeleia leise mitsangen.

 

Wie so leis die Blätter wehn

In dem lieben, stillen Hain,

Sonne will schon schlafen gehn,

Läßt ihr goldnes Hemdelein

Sinken auf den grünen Rasen,

Wo die schlanken Hirsche grasen

In dem rothen Abendschein.

Gute Nacht, Heiapopeia!

Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia.

 

In der Quellen klarer Fluth

Treibt kein Fischlein mehr sein Spiel,

Jedes suchet, wo es ruht,

Sein gewöhnlich Ort und Ziel,

Und entschlummert überm Lauschen

Auf der Wellen leises Rauschen

Zwischen bunten Kieseln kühl.

Gute Nacht, Heiapopeia!

Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia.

 

Schlank schaut auf der Felsenwand

Sich die Glockenblume um,

Denn verspätet über Land

Will ein Bienchen mit Gesumm

Sich zur Nachtherberge melden

In den blauen zarten Zelten,

Schlüpft hinein und wird ganz stumm.

Gute Nacht, Heiapopeia!

Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia.

 

Vöglein, euer schwaches Nest,

Ist das Abendlied vollbracht,

Wird wie eine Burg so fest;

Fromme Vöglein schützt zur Nacht

Gegen Katz und Marderkrallen,

Die im Schlaf sie überfallen,

Gott, der über alle wacht.

Gute Nacht, Heiapopeia!

Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia.

 

Treuer Gott, du bist nicht weit,

Und so ziehn wir ohne Harm

In die wilde Einsamkeit

Aus des Hofes eitelm Schwarm.

Du wirst uns die Hütte bauen,

Daß wir fromm und voll Vertrauen

Sicher ruhn in deinem Arm.

Gute Nacht, Heiapopeia!

Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia.

 

Als dieß Lied zu Ende war, ward der hohe Eichenwald lichter. Sie hörten ein Geklapper, und Gackeleia blickte in die Höhe und schrie. «ach, der Klapperstorch, der Klapperstorch mit seinen Jungen, da oben steht er auf der hohen Mauer, ach, was hat der aber ein großes Nest, o da will ich mich auch einmal hineinsetzen und mit ihm klappern!»

Nun waren die Reisenden an dem ganz verwilderten Raugräflich Gockelschen Schloßgarten angekommen. Da war an kein Durchkommen zu gedenken, und Gockel sprach zu Frau Hinkel, indem er seine Erbhühnertrage absetzte, und das Grafenschwert von ihr losband und herauszog: «setze deinen Korb ab, schürze deinen Rock nieder, streiche dein Haar zurecht, dort an dem alten Springbrünnchen wasche dich, bade dir die Füße, ruhe ein bischen aus, damit wir mit Respekt einziehen. Thue der Gackeleia eben so. – Ich will indessen mit meinem Grafenschwert hier das wilde Genist lehren, daß man seinem Herrn den Weg nicht verrennt.»

Nun setzten sich Frau Hinkel und Gackeleia an das Brünnchen, wuschen und musterten sich, und Gackeleia patschte mit ihren erhitzten Füßchen in dem kalten Wasser herum. Gockel aber erhob sein Grafenschwert, und hieb kreuz und quer mit großer Kraft einen Weg durch die wildverwirrten Hecken, Büsche und Bäume. Er nannte jedes Gesträuch, das er zusammenhieb, mit Namen, und weil er schnell arbeitete, so verkürzte er die Worte – er schrie: «Potz Stachel-, Kreusel-, Preißel-, Kloster-, Hollunder-, Wachholder-, Berberitzen-,Johannis-, Brom-, Himbeeren! ich will euch lehren, mir mein Haus zu sperren! – Potz Quentel, Lavendel, Bux, Taxus, Mispel, Quitten und Hassel! – Potz Thymian, Majoran, Baldrian, Rosmarin, Hisop und Salbei!» und mit jedem Worte ein Schwertschlag, der ihm den Weg öffnete und mit Zweigen, Blättern und Blumen bestreute. Als er so bis in die Nähe des Schloßthores gekommen, kehrte er zu den Seinigen an das Brünnchen zurück.

Gockel hatte sich ganz müde gearbeitet, auch er wusch und erquickte sich an dem Wasser. Frau Hinkel hatte sich recht frisch und sauber gemacht. Sie hatte Gackeleia einen schönen Blumenkranz aufgesetzt und ihr das Hühnernest mit harten Brosamen, welche sie am Brunnen erweicht, gefüllt, diese sollte sie beim Einzug in das Schloß den Vögeln ausstreuen. Das war so, als wenn bei der Kaiserkrönung zu Frankfurt Gold ausgeworfen wird.

 

 

Nun nahm Gockel seine Hühnertrage, Frau Hinkel den Hühnerkorb wieder auf und Gackeleia trug das Nest voll Brosamen vor sich; so giengen sie durch den Weg, den Gockel gehauen hatte, auf das Schloßthor zu. Gackeleia nahm sich Zeit, sie pflückte links und rechts viele Brombeeren und Heidelbeeren, und als der Vater sie heranrief, in das Schloß einzugehen, hatte sie die Hände und das halbe Gesicht schwarz wie ein Mohrenkind. Gockel riß mit der Hühnerstange, die er trug, eine dichte Epheudecke auseinander, welche das Gartenthor zugesponnen hatte, und sie traten vor das wunderbare Raugräfliche Schloß in seinem vollen Glanz.

Der Empfang war feierlich; aus den leeren Fensteröffnungen des Schlosses hingen Teppiche von Epheu und mancherlei Blumen nieder, und wehten blühende Gesträuche wie festliche Fahnen, und zwischen ihnen durch sah der stille Abendhimmel in purpurnem Gewande herab. Die vielen Säulen und Bildwerke des Schlosses hatten Wind und Wetter und die vier Jahreszeiten seit lange mit dem schönsten Laubwerke verziert.

Der Hahn Alektryo saß auf dem steinernen Wappen über dem Thore, schüttelte sich, schlug mit den Flügeln und krähte als ein rechtschaffener Schloßtrompeter dreimal lustig in die Luft, und alle Vögelein, die in dem verlassenen, Baum durchwachsenen Baue wohnten, und welchen der Hahn die Ankunft der gnädigen Herrschaft verkündiget hatte, waren aus ihren Nestern herausgeschlüpft und schmetterten lustige Lieder in die Luft, indem sie sich auf den blühenden Hollunderbäumen und wilden Rosenhecken schaukelten, welche ihre Blüthen vor den Eintretenden niederstreuten. Der Storch auf dem Schloßgiebel klapperte dazu mit seiner ganzen Familie, so daß alles wie eine große Musik mit Pauken und Trompeten klang. Gockel, Hinkel und Gackeleia hießen alle willkommen, und Gackeleia streute mit vollen Händen die Brosamen aus, was mit großem Beifall von allen den Vögeln aufgenommen ward.

Hierauf zogen sie in die alte verfallene Schloßkapelle, knieten neben den wilden Waldblumen am Altare dicht bei dem Grabstein des alten Urgockels von Hanau nieder, sagten Gott für ihre glückliche Reise Dank, und flehten ihn um fernern Schutz und Segen an. Während ihres Gebetes waren alle Vögel ganz stille, und da sie sich von den Knieen erhoben, lockten Alektryo und Gallina, als Schloßhauptmann und Schlüsseldame, an der Thüre, sie sollten ihnen nach dem ausgesuchten Gemache folgen. Sie thaten dieß, und der Hahn und die Henne schritten gackernd und majestätisch über den Schloßhof auf den sehr kunstreich von Stein erbauten Hühnerstall zu, dessen Dach allein im Schloße bis auf einige Lücken im Stande war. Als Alektryo über die Schwelle schritt, bückte er sich tief mit dem Kopf, als befürchtete er, mit seinem hohen rothen Kamme oben anzustossen, da die Thüre doch für einen starken Mann hoch genug war; aber dieses war im Gefühle seines Adels, denn alle hohen Adeligen und alle gekrönten Häupter pflegten in den guten alten Zeiten es so zu machen, wenn sie durch ein Thor schritten; das kam aber von den erstaunlich hohen Federbüschen her, welche ihre Vorfahren auf den Helmen getragen hatten.

In diesem Hühnerstalle nun, dessen Fenster in ein kleines Gärtchen giengen, richteten sie sich ein, so gut sie konnten; Gockel hängte seine Erbhühnertrage an einen Haken hoch an der Wand auf, stellte die Hühnersteige daran, und Alektryo und Gallina sagten gute Nacht und spazierten sogleich fein ordentlich hintereinander hinauf und setzten sich still zusammen und ließen sich was träumen. – Frau Hinkel stellte den Korb, den Spinnrocken, den Bratspieß, die Pfanne, die Schüssel, den Topf und den Wasserkrug an ihre Stelle, und Gackeleia setzte das Hühnernest, wo es hin gehörte. – Dann machte Gockel aus grünen Zweigen zwei große und einen kleinen Besen, und fegte mit Hinkel und Gackeleia den Boden ein wenig rein. Gackeleia fuhr ganz stolz und geschäftig mit ihrem Besen umher. Nun machten sie ein Lager von Moos und dürren Blättern, worüber Gockel seinen Mantel und Hinkel ihre Schürze breitete. Dann betete Gockel ein kurzes Nachtgebet vor, worauf sie sich schlafen legten, Gockel rechts, Hinkel links, das Töchterlein Gackeleia in der Mitte zwischen beiden. Von der Reise und der Arbeit ermüdet, schliefen sie alle bald ein.

Gegen Mitternacht rührte sich plötzlich der wachsame Schloßhauptmann Alektryo mit warnender Stimme auf seinem Sitz, und Gockel, der vor allerlei Gedanken, wie er seine Familie ernähren solle, nicht fest schlief, richtete sich auf und blickte umher, was vorgehe. Da sah er an der offnen Thüre, durch welche der Mond schien, eine große lauernde Katze, die auch sogleich einen heftigen Sprung herein that. In demselben Augenblick hörte Gockel ein Gepfeife, und fühlte, daß ihm etwas Lebendiges in den weiten Aermel seines Wammses hineinlief. Alektryo und Gallina erhoben ein banges Geschrei wegen der Katze. Gockel sprang auf, verjagte die Feindin und warf ihr einen Stein nach. Dann zog er an der Pforte die Thierchen, die ihm in den Aermel geschlüpft waren, hervor, und erkannte im Mondschein zwei weiße Mäuschen von außerordentlicher Schönheit. Sie waren nicht scheu vor ihm, sondern setzten sich auf seiner Hand auf die Hinterbeine, und zappelten mit den Vorderpfötchen, wie ein Hündchen, das bittet, was dem alten Herrn wohl gefiel. Er setzte sie in seine Gockelsmütze, legte sich wieder nieder und diese neben sich, mit dem Gedanken, die guten Thierchen am folgenden Morgen seinem Töchterchen Gackeleia zu schenken, welche sehr ermüdet, wie ihre Mutter, nicht erwacht war.

Als Gockel wieder eingeschlafen war, machten sich die zwei Mäuschen aus der Pudelmütze wieder heraus und unterhielten sich miteinander. Die eine sprach: «Ach Sissi, meine geliebte Braut, da hast du es nun selbst erlebt, was dabei herauskommt, wenn man des Nachts so lange im Mondschein spazieren geht, habe ich dich nicht gewarnt?» – Da antwortete Sissi: «O Pfiffi, mein werther Bräutigam, mache mir keine Vorwürfe, ich zittere noch am ganzen Leibe vor der schrecklichen Katze, und wenn sich ein Blatt regt, fahre ich zusammen, und meine, ich sehe ihre feurigen Augen.» – Da sagte Pfiffi wieder: «Du brauchst dich nicht weiter zu ängstigen, der gute Mann hier hat der Katze einen so großen Stein nachgeworfen, daß sie vor Angst schier in den Springbrunnen gesprungen ist.» – «Ach!» erwiederte Sissi, «ich fürchte mich nur auf unsre weite Reise, wir müssen wohl noch acht Tage laufen, bis wir zu deinem königlichen Herrn Vater kommen, und da jetzt einmal eine Katze uns ausgekundschaftet hat, werden diese Freilaurer an allen Ecken auf uns lauern.» – Da versetzte Pfiffi: «wenn nur eine Brücke über das Flüßchen führte, das eine halbe Tagreise von hier durch den Wald fließt, so wären wir bald zu Haus; aber nun müssen wir die Quelle umgehen.» – Als sie so sprachen, hörten sie eine Eule draus schreien und krochen bang tiefer in die Mütze. – «Auch noch eine Eule,» flüsterte Sissi, «o wäre ich doch nie aus der Residenz meiner Mutter gewichen,» und nun weinte sie bitterlich. – Der Mäusebräutigam war hierüber sehr traurig, und überlegte her und hin, wie er seine Braut ermuthigen und vor Gefahren schützen solle. – Endlich sprach er: «geliebte Sissi, mir fällt etwas ein; der gute Mann, der uns in seine Mütze gebettet hat, würde uns vielleicht sicher nach Hause helfen, wenn er unsere Noth nur wüßte. Lasse uns leise an seine Ohren kriechen und ihm recht flehentlich unsere Sorgen vorstellen; ich will zuerst mit ihm sprechen, hilft das nicht, dann rede du in deinen süßesten Tönen zu ihm, wer kann dir widerstehen? aber ja recht leise, damit er nicht aufwacht, denn nur im Schlafe verstehen die Menschen die Sprache der Tiere.» – Sissi war sogleich bereit und nahte sich besinnend dem linken Ohre Gockels. Pfiffi aber lief zum rechten Ohre und sang, nachdem er sich auf die Hinterbeine gesetzt und seinen Schweif quer durch das Maul gezogen hatte, um seiner Stimme, welche durch das Kommandiren bei der letzten Revue etwas rauh geworden war, einen mildern Ton zu geben.

 

Ich bin der Prinz von Speckelfleck

Und führe heim die schönste Braut;

Die Katze bracht' ihr großen Schreck,

Sie bangt um ihre Sammethaut.

Ach, Gockel, bring uns bis zum Fluß

Und bau uns drüber einen Steg,

Daß ich mit meiner Braut nicht muß

Den Quell umgehn auf weitem Weg.

Gedenken wird dir's immerdar

Ich und der hohe Vater mein;

Ist's auch nicht gleich, vielleicht aufs Jahr

Stellt Zeit zu Dank und Lohn sich ein. –

Doch was brauchts da viel Worte noch,

Hart wird es mir, der edeln Maus,

Vor deinem großen Ohrenloch

Zu betteln. – Ich, der stets zu Haus

Als erstgeborner Königssohn

Gefürchtet und befehlend sitzt

Auf einen Parmesankästhron,

Der stolze Butterthränen schwitzt,

Sag dir hiemit, erwähl' dein Theil,

Nimm mich und meine Braut in Schutz,

Schaff uns nach Haus gesund und heil,

Sonst biete ich dir Fehd' und Trutz.

Wenn uns die Katze auch nicht beißt,

Maulleckend nur die Zähne bleckt,

Miauend meine Braut erschreckt,

Woran viel liegt, was du nicht weißt,

Krümmt sie uns nur ein einzig Haar,

Faßt uns ein wenig nur beim Schopf, –

Vielmehr, – frißt sie uns ganz und gar,

So kommt die That auf deinen Kopf,

Wonach du dich zu richten hast!

 

Gegeben vor dem Ohrenloch

Des Wirthes, auf der dritten Rast

Von unsrer Brautfahrt, da ich kroch

In seinen Aermel vor der Katz,

Nebst meiner Braut aus großem Schreck,

Worauf in seiner Mütze Platz

Er uns gemacht. Prinz Speckelfleck.

Punktum, Streusand, nun halte still,

Ins Ohr beiß ich dir mein Sigill.

 

Nach dieser ziemlich unhöflichen Rede biß Prinz Speckelfleck den ehrlichen Gockel so derb ins Ohrläppchen, daß er mit einem lauten Schrei erwachte und um sich schlug. Da flohen die beiden Mäuse in großer Angst wieder in die Pudelmütze. – «Nein das ist doch zu grob, einen ins Ohr zu beißen,» sagte Gockel. Da erwachte Frau Hinkel, und fragte: «wer hat dich denn ins Ohr gebissen, du hast gewiß geträumt.» – «Ist möglich,» sagte Gockel, und sie schliefen wieder ein.

Nach einer Weile sprach Sissi zu Pfiffi: «Aber um alle Welt, was hast du nur gethan, daß der Mann so bös geworden?» – Da wiederholte ihr Pfiffi seine ganze Rede, und Sissi sagte mit Unwillen: «Ich traue meinen Ohren kaum, Pfiffi! kann man unvernünftiger und plumper bitten, als du? die niedrigste Bauernmaus würde sich in unsrer Lage diplomatischer benommen haben. Alles ist verloren, ich bin ohne Rettung in die Krallen der Katze hingegeben durch deine übel angebrachte Hoffart. – Ach mein junges Leben, o hätte ich dich nie gesehen! u. s. w.» – Pfiffi war ganz verzweifelt über die Vorwürfe und Klagen seiner Braut, und sprach: «Ach Sissi, deine Vorwürfe zerschneiden mein Herz, ich fühle, du hast recht; aber fasse Muth, gehe an das linke Ohr und wende alle deine unwiderstehliche Redekunst an – das linke Ohr geht zum Herzen, er erhört dich gewiß; o ich Unglücklicher, daß ich in die verwünschten standesmäßigen Redensarten gefallen bin!» – Da erhob sich Sissi, und sprach: «wohlan, ich will es wagen.» – Leise, leise schlüpfte sie wieder an das linke Ohr Gockels, nahm eine rührende Stellung an, kreuzte die Vorderpfötchen über der Brust, schlang den Schweif wie einen Strick um den Hals, neigte das Köpfchen gegen das Ohr, und flüsterte so fein und süß, daß das Klopfen ihres bangen Herzchens schier lauter war, als ihr Stimmchen.

 

Verehrter Herr! ich nahe dir

Bestürzt, beschämt und herzensbang;

Ich weiß, mein Bräutigam war hier

Und ziemlich grob vor nicht gar lang;

Auch war sein Siegel sehr apart,

Mit Recht hast du ihn angeschnarrt!

Weil er verwöhnt, von Noth entfernt,

Als einz'ger Prinz verzogen ward,

Hat er das Bitten nicht gelernt;

Drum, edler Mann, nimms nicht so hart!

Wie Grobseyn ihm, sey Höflichseyn

Dir leicht, weil du erzogen fein.

Er meints gewiß von Herzen gut,

Doch kömmt beim Sprechen er in Zug,

So regt sich sein erhabnes Blut,

Und er wird gröber als genug.

Bedenk, der Kinder Pfeife klingt,

Wie ihrer Eltern Orgel singt;

Doch reut's ihn immer hintendrein,

Und in der Pudelmütze sitzt

Jetzt krumm das arme Sünderlein

Und seufzt und wimmert, daß es schwitzt,

Und schimpft, daß ihm die Hofmanier

So grob entfuhr zur Ungebühr.

Bekennet hat er mir, der Braut,

Die ihn erst tüchtig zappeln ließ,

Ihm tüchtig wusch die grobe Haut,

Die Nas' ihm auf den Fehler stieß,

Und endlich, nach manch bitterm Ach,

Dich zu versöhnen ihm versprach.

Doch, daß ich selbst mich nicht vergess',

Vergönne jetzt in Demuth mir

Zu sagen, daß ich, was Prinzeß

Bei Menschen ist, bin als ein Thier,

Und zwar als kleine, weiße Maus,

So schütt' ich nun mein Herz dir aus! –

Prinzeß Sissi von Mandelbiß

Fleht dich um Ritterdienste an;

Du weißt aus dem Aesop gewiß,

Was für die Maus ein Löw gethan,

Und wie ihm dankbar half die Maus

Dann wieder aus dem Netz heraus.

Auch meinem Bräutigam und mir

Hilf sicher in das Mäusereich, –

Die Katz, das ungeheure Thier,

Macht mich vor Schreck ganz todtenbleich!

O hättest du ein Bischen nur

Von Mausgeschmack und Mausnatur.

O wüßtest du, wie weiß und zart,

Wie lieblich ich an Leib und Seel,

Gar nicht nach andrer Mäuseart,

Ja unter allen ein Juwel,

Du littest lieber selbst den Tod,

Als du mich ließ'st in Katzennoth.

Die Aeuglein sind wie Diamant,

Die Zähne Perl und Elfenbein,

Mein Leib ist zierlich und gewandt,

Die Pfötchen rosenroth und klein,

Die Oehrlein sind zwei Blumen zart,

Die Nase einer Blüthe gleich;

Wie Blüthenfäden ist mein Bart

So rein, so fein, so weiß und weich.

Schweig Mäulchen, pfiffiglich gespitzt,

Von Schönheit, die der Leib besitzt,

Sprich von der Kunst, dem Sinn, dem Geist,

Von Leistungen, die jeder preis't, –

Denn, wie Frau Catalani singt,

Mein Stimmlein bei den Mäusen klingt.

Man hat mich drum als Gegensatz

Oft Mausalani auch genannt,

Weil Cata etwas klingt wie Katz,

Hat man das Wort so umgewandt;

Das Lani ließ man angehängt,

Weil man dabei an Wolle denkt.

Verläugne nicht dein Zartgefühl,

Laß rühren dich durch meinen Sang,

Denn lockender als Flötenspiel,

Als Harfenton und Geigenklang

Fleht er aus meiner Brust heraus:

Beschütz die kleine weiße Maus!

Bei deiner hohen Adelspflicht,

Die dich zum Schutz der Damen weiht,

Beschwör ich dich, verlaß mich nicht!

Vielleicht ist ja der Tag nicht weit,

Daß ich dir wieder helfen kann –

Doch danach frägt kein Edelmann!

Wer mich zu retten einen Stein

Der Katze in die Rippen warf,

Wer zugab, daß der Liebste mein

An meiner Seite schlummern darf

In seiner Mütze weich und warm,

Der schützt mich auch mit starkem Arm!

Erlaub nun, daß dir als Sigill

Der Wahrheit, ohne Hinterlist

Hier einsamlich und in der Still

Das Ohrläppchen demüthig küßt,

Was niemals sie noch that gewiß,

Prinzeß Sissi von Mandelbiß.

 

Nun küßte sie ganz leise das Ohrläppchen Gockels, und weil er im Schlafe etwas durch die Nase pfiff, glaubte sie, er sage ihr in der Mäusesprache die artigsten Sachen und verspreche ihr seine Hilfe für ganz gewiß. Mit leichtem Herzen begab sie sich daher in die Mütze zurück und verkündigte ihrem Bräutigam den guten Erfolg ihrer Bitten, worauf dieser sie zärtlich umarmte.

Jetzt aber war die Stunde gekommen, da die schwarze Nacht gegen Morgen ergrauet, und Alektryo, als ein getreuer Burgvogt, streckte dem anbrechenden Lichte seinen Hals entgegen, um es zum erstenmal mit einem krähenden Trompetenstoße zu bewillkommen. Da erwachte Gockel und Frau Hinkel, Gackeleia aber schlief fest. Frau Hinkel fragte ihren Mann, warum er denn heute Nacht so unruhig gewesen, und wie er nur geträumt habe, daß ihn jemand ins Ohr gebissen. Da zeigte Gockel ihr die weißen Mäuschen in seiner Mütze, und erzählte ihr, was ihm alles mit ihnen geschehen sey, und daß er versprochen habe, ihnen zu helfen; «und das will ich auch thun,» fuhr Gockel fort, «ich will beide sogleich über den nächsten Fluß bringen, wo sie bald außer Gefahr in ihrer Heimath sind.»

Nun wollte er aufstehen und sich auf den Weg begeben, aber Frau Hinkel sagte: «du bist nicht recht klug; dir träumt, du hättest den Mäusen etwas versprochen und willst es ihnen nun im Wachen halten, und deßwegen willst du mich hier in der Wildniß mit Gackeleia allein lassen, wo du so nöthig bist, um aufzuräumen und alles in Ordnung zu bringen.» – Da erwiederte Gockel: «du hast scheinbar ganz recht, aber versprochen muß gehalten werden, ich habe mein Ehrenwort gegeben, und das ist mir so deutlich und gegenwärtig als der Biß in das Ohr.» – «Wenn aber der Biß,» sagte Frau Gockel, «ein Traum war, so war auch das Ehrenwort ein Traum.» Gockel sprach hierauf unwillig: «ein Ehrenwort ist nie ein Traum, das verstehst du nicht, und den Biß habe ich so deutlich gefühlt, daß ich mit einem Schrei erwachte, das Ohr brennt mich noch.» – «Laß doch einmal sehen,» sagte Frau Hinkel, und erblickte mit großer Verwunderung wirklich die Spur von fünf spitzen Zähnchen an Gockels Ohr.

Als sie ihm dieses gesagt hatte, ließ er sich auch keinen Augenblick länger aufhalten, sprang vom Lager auf, nahm das Brod aus dem Hühnerkorb, schnitt ein Stück herunter, das er einsteckte, und sprach zu seiner Frau: «Hinkel räume einstweilen Alles hübsch auf, sieh dich im Schloße und der Umgebung um, und denke dir Alles aus, wie du es gerne zu unserer Haushaltung eingerichtet hättest; besonders gieb auf Alektryo und Gallina acht, weil es, wie du gehört hast, Katzen hier giebt; nach Mittag hoffe ich wieder hier zu seyn,» und nun nahm er seinen Reisestab in die Hand. Weil er aber die Mütze, aus der ihm die Mäuschen entgegenpfifferten, aufsetzen mußte, so nahm er ein leeres, mit zarten Federchen ausgefüttertes Vogelnest aus einem Baum, setzte die Mäuschen hinein, schob es in den Busen und gieng mit starken Schritten in den Wald gegen das Flüßchen hin.

Nach ein paar Meilen Wegs ruhte er an einer Quelle, wo er sein Brod mit seinen Reisegefährten theilte. Da er aber endlich an den Fluß kam, gieng er auf und ab, eine schmale Stelle zu finden, fand auch endlich einen Ort, wo er das Flüßchen leicht mit einem Steine überwerfen konnte. Hier nun nahm er sich vor, die Mäuschen überzusetzen, aber keine Brücke, kein Kahn war da; er entschloß sich daher kurz, zog das Nest mit den Mäusen hervor, und sprach hinein: «lebet wohl, meine lieben Gäste; du Prinz von Speckelfleck befleiße dich besserer Sitten, und du Prinzeß von Mandelbiß bilde dir nicht so viel auf die Schönheiten ein, die du besitzest; übrigens bist du wirklich ein sehr schönes Thierchen! Lebt wohl, grüßt eure Anverwandten und vergeßt nicht den armen alten Gockel von Hanau.» Die Mäuschen wußten gar nicht, was er wollte, weil er schon Abschied nahm und sie doch noch diesseits des Flußes waren, auch kein Kahn und keine Brücke weit und breit zu sehen war; sie pfifferten ihm daher allerlei Fragen entgegen, aber er verstand kein Wort, ließ sich auch weiter auf nichts ein, sondern wickelte sie, nebst einer Erdscholle, in das Nest, holte weit aus und warf sie glücklich hinüber in das hohe Gras. Da sich von dem Falle das Nest drüben öffnete, schrieen die kleinen Thierchen noch immer sehr erstaunt, wie er sie nur hinüber bringen wolle, als sie zu ihrer größten Verwunderung sahen, daß sie bereits drüben waren und fröhlich nach Hause liefen, ihre Abentheuer zu erzählen.

Auf dem Heimwege begegnete Gockel drei alten Morgenländern mit langen Bärten, welche große Naturphilosophen, Kabbalisten und Petschierstecher waren; sie führten einen alten Bock und eine alte magere Ziege an Stricken zur Frankfurter Messe. Sie redeten Gockel an: «seid ihr der Besitzer des alten Schloßes hier im Walde?» Gockel antwortete: «ja, ich bin der alte Raugraf, Gockel von Hanau.» Da fragten ihn die Männer, ob er ihnen nicht den alten Haushahn verkaufen wollte, sie wollten ihm den Bock dafür geben. Gockel antwortete: «was soll ich mit dem Bock, ihn etwa zum Gärtner machen, kann der Bock etwa krähen? Mein Hahn ist kein Alletagshahn, er ist ein Wappenhahn, ein Stammhahn; sein Vater hat auf meines Vaters Grab gekräht, und er soll auf meinem Grabe krähen, lebt wohl.» Da boten ihm die Männer die Ziege, und als er abermals nicht wollte, boten sie ihm den Bock und die Ziege; Gockel aber lachte sie aus und gieng seiner Wege. «Nun,» riefen sie ihm nach, «in vier Wochen gehen wir wieder vorbei, da wollen wir wieder nachfragen, vielleicht haben dann der Herr Raugraf mehr Lust, den Hahn zu verkaufen.»

Gockel kam gegen Abend nach Haus, und nachdem er von seiner Reise ausgeschlafen hatte, sah er sich am andern Morgen mit Frau Hinkel und dem Töchterchen Gackeleia in dem wüsten Schloße seiner Vorältern um und begann sich so gut einzurichten, als es nur immer möglich war. Alektryo zog überall mit ihnen umher, und da er an einer Stelle nicht aufhörte zu scharren und zu locken, ward Gockel aufmerksam und räumte mühsam den Schutt hinweg, wo er dann zu seiner großen Freude einiges eiserne Gartengeräth fand, das von dem eingestürzten Hause verschüttet worden war. Da war ein Spaten, eine Pickel, eine Karst, eine Harke, und Gockel machte sich gleich daran, diese rostigen Instrumente wieder blank zu wetzen und neue Stiele hinein zu schnitzen. Mit diesem Werkzeug konnte er nun tüchtig in dem Schutt herum arbeiten, und es gelang ihm, am Fuße eines Rauchfangs, ein Kamin herauszugraben, in welchem der eiserne Kessel seiner Vorfahren noch an einer Kette über der Feuerstelle hing. Auch diesen scheuerte Frau Hinkel am Brunnen wieder blank, und Gockel richtete ihr das schöne Kamin zur Kochstelle ein. – Freudig rief er sie herbei und zeigte ihr die schöne Einrichtung; aber Frau Hinkel seufzte und sagte: «was soll uns der Herd, wenn wir nichts zu kochen haben?» – «Gott wird helfen,» sagte Gockel, und lehnte sich auf seine Schaufel; indem kam Gackeleia herangehüpft und hatte eine Menge bunte Vogelfederchen in ihrer Schürze gesammelt, und sagte: «Mutter, da sind so schöne Federchen, mache mir doch solche Hühnchen und Hähnchen daraus, wie du mir oft in Gelnhausen gemacht!» – Gockel sagte: «Kind, dich schickt Gott; ja, das thue Frau Hinkel, mache ein paar Dutzend solche Vögelchen, ich will sie für Brod und andres Nöthige verkaufen.» – Frau Hinkel, welche eine ganze Sammlung solchen kleinen Geflügels für das königlich Gelnhausenische Hühner-Normal-Museum verfertigt hatte, machte nun aus Lehm und diesen Federn allerlei artige kleine Vögel; die Beine und Schnäbel wurden aus Dorn gemacht, und sie sahen recht artig aus. An den Tagen, da sie hieran auf den verfallenen Stufen des trocknen Springbrunnens sitzend arbeitete, legte Gockel auf allen fruchtbaren Erdstellen zwischen den Mauern Gartenbeete an, ordnete und verband alle Winkelchen mit Zäunen und aus umherliegenden Steinen zusammengestellten Treppen. Er sammelte alle Gartengewächse, die im verwilderten Schloßgärtchen noch übrig geblieben waren, und pflanzte sie fein ordentlich in die neu angelegten Beete.

Von den mitgebrachten Broden war das letzte schon seit einigen Tagen angeschnitten, und Frau Hinkel hatte die zwei Dutzend Federvögelchen fertig. Gockel nahm sie und sprach: «Diese Thierchen sollen uns Brod schaffen, bis wir lebendige Hühnchen zu verkaufen haben» und somit empfahl er ihnen fleißig zu seyn und gieng fort durch den wilden Wald nach der Landstraße zu. Kaum war er eine Stunde Wegs gegangen, als er einen Postillon ganz erbärmlich blasen hörte. Er gieng auf den Schall zu, und sah einen Mann in gelbem Rock mit schwarzen Aufschlägen im Gebüsch herum kriechen. Als sie sich erblickten, sagte dieser: «Gott sey Dank, daß da jemand kömmt, mir aus der Noth zu helfen.» – «Von Herzen gern, wenn's möglich ist,» erwiederte Gockel, «was giebt es, wo fehlt es?» – «Seht,» fuhr der Mann fort, «ich bin der Conducteur vom heiligen römischen Reichs-Postwagen und fahre jetzt nach Nürnberg; da ich durch Gelnhausen kam, war ein Lärm in der Stadt, daß der Hühnerminister, Alles zurücklassend, mit Frau und Kind verschwunden sey. Das ärgerte den König Eifrasius, er ließ mich zu sich rufen und sagte: «Herr Conducteur, will er mir gegen ein gutes Trinkgeld einen Gefallen thun?» – «Nicht mehr als Schuldigkeit, ihre Majestät,» sagte ich. – Da sagte der König: «Mein Hühnerminister, ein alter eigensinniger deutscher Degenknopf, ist in Gnaden entlassen auf und davon gegangen, und hat nicht einmal seinen Gehalt fürs letzte Vierteljahr mitgenommen; ich will ihm nichts schuldig bleiben; wie ich vermuthe, ist er in sein wüstes Stammschloß im Hanauer Wald gezogen. Nehme er ihm sein letztes Quartal mit und suche er ihn auszufragen; wenn er mir einen Zettel bringt, daß er es empfangen, so gebe ich ihm bei der Rückkehr ein gutes Trinkgeld.» – Ich war zu Allem bereit; man lud mir einen Sack voll Kartoffeln, einen Sack voll Mehl, einen Kuhkäs, einen Topf voll Butter, einige Laib Brod und einen Korb mit Eiern auf. Alles mit der Adresse, an Seine Hochgeborne Excellenz Herrn Raugrafen Gockel von Hanau, königlich Gelnhausenischen Exhühnerminister in – da steht ein Fragezeichen. – Nun fahre ich schon ein paar Stunden herum und kann das Schloß nicht finden, und ich führe noch herum – aber es geht nicht – denn der Postwagen ist mir umgefallen, und der ganze Korb mit Eiern ist mir zerbrochen, ihr werdet die Bescheerung sehen. – Ich ließ den Postillon schon eine Stunde lang um Hülfe blasen und suchte einstweilen, bis jemand käme, uns den Wagen aufrichten zu helfen, hier unter den Bäumen Pfifferlinge für einen Freund in Nürnberg. Das ist die Geschichte, jetzt kommt und helft.»

Gockel umarmte den Conducteur, knöpfte seinen Wammes auf, zeigte ihm seinen Orden und gab sich als den Exhühnerminister zu erkennen. Niemand war froher als der Conducteur. Sie eilten nach dem umgefallenen Postwagen, trugen die Kartoffeln, das Mehl, das Brod, den Käs, die Butter, die Gockel gehörten, in ein dichtes Gebüsch, richteten den Postwagen wieder auf, wischten mit Gras das Eigelb von den zerbrochenen Eiern aus dem Wagen und schmierten die Räder damit. Gockel nahm seinen Siegelring, worauf ein doppelter Hahn eingestochen war, den er mit Eigelb bestrich und dem Conducteur in sein Postbuch als Bescheinigung des Empfangs abdruckte. – «Nun ist alles vortrefflich, Herr Graf,» sagte der Conducteur, «aber eine Gefälligkeit möchte ich mir erbitten. Ein Freund von mir, in Nürnberg, ein Liebhaber von Raritäten, hat auf der Durchreise in Gelnhausen, im königlichen Normalhühnermuseum, eine Sammlung kleiner, von Federn gemachter Hühnchen gesehen, und wünschte um Alles in der Welt zu wissen, wo dieselben verfertigt werden, er könnte bei seinem ausgebreiteten Handel wohl hundert Dutzend davon gebrauchen.» «Gut, mein Freund,» erwiederte Gockel, «ich kann sie Ihnen verschaffen, hier haben sie gleich zwei Dutzend von neuester Façon als eine Probe; wenn sie hier wieder vorbeifahren, legen sie nur dort in den hohlen Baum, was ihr Freund dafür bezahlt, sie sollen dort immer von Zeit zu Zeit einige Dutzend solchen Geflügels vorräthig finden. Wenn sie wieder kommen, bringen sie mir etwas Drath und Zwirn und eine halbe Elle rothes Tuch mit, die Beine und den Kamm an den Thierchen schöner machen zu können.» Der Conducteur versprach Alles, und da Gockel fragte, wie denn das Handlungshaus in Nürnberg heiße, zog er eine leere Rauchtabaksdüte aus der Tasche, füllte die Hühnchen hinein und zeigte Gockel die Adresse: Gebrüder Portorico ohne Rippen. – Da blies der Postillon recht ungeduldig. Gockel schüttelte dem Conducteur die Hand, der in den heil. römischen Reichspostwagen kroch, der gewiß sehr schnell fortgefahren wäre, weil er so gut geschmiert war – aber der Kasten war schwer, die Pferde müd, der Weg schlecht und der Postillon schlief.

Gockel packte sogleich von Allem, was er erhalten hatte, so viel auf, als er tragen konnte, das Uebrige verdeckte er dicht mit Zweigen, um es Morgen vollends nach Haus zu bringen. Als er in das Schloß kam, rief er sogleich: «geschwind Frau Hinkel! den Kessel übers Feuer, ich bringe Lebensmittel,» und nun zeigte er, was er gebracht, und erzählte Alles, was er erlebt.» Frau Hinkel kochte Kartoffeln, machte gebrannte Mehlsuppe, backte Pfannkuchen. Sie assen fröhlich, streuten den Vögeln Brosamen und giengen zufrieden schlafen. Am andern Morgen holte Gockel den übrigen Vorrath und fuhr fort in dem wüsten Gebäude aufzuräumen und einzurichten.

Ihr Leben ward täglich erträglicher in dem wilden Schloß. Gockel gieng oft ganze Tage in den Wald, bald zu jagen, bald um die Vögelchen und Hühnchen der Frau Hinkel in den hohlen Baum zu tragen, wo er immer für jedes zwei Kreuzer von Hrn. Gebrüder Portorico ohne Rippen durch den Conducteur und neue Bestellungen, und was er selbst bestellt, hingelegt fand. – Wenn Gockel weggieng, befahl er immer, was gearbeitet werden sollte, und Alektryo horchte seinen Aufträgen jedesmal sehr ernsthaft zu. Seine Befehle wurden aber nicht immer befolgt. Zum Beispiel: Gackeleia sollte aus Weidenruthen Hühnernester flechten und die Weidenruthen in den Brunnen vor dem Schloßgarten legen, damit sie sich recht geschmeidig flechten ließen; aber sie that das sehr nachlässig, war eine neugierige, naschhafte kleine Spielratze, guckte in alle Vogelnester, naschte von allen Beeren, machte sich Blumenkränze und hatte keine rechte Lust zum Arbeiten, weßwegen der strenge Alektryo sie manchmal mit großem Zorn ankrähte, so daß sie erschreckt zu ihrer Arbeit zurücklief. Darum faßte sie einen starken Unwillen auf den alten Wetterpropheten und verklagte ihn bei der Mutter. Auch diese hatte keine Liebe zu Alektryo, denn, wenn sie sich manchmal über der Gartenarbeit ermüdet auf einen Stein setzte und sehnsüchtig an die Fleischer- und Bäckerladen zu Gelnhausen dachte, begann Alektryo, der ihr immer wie ein beschwerlicher Haushofmeister auf allen Schritten nachgieng, auf den zu bestellenden Gartenbeeten zu scharren und zu krähen, um sie an die Arbeit zu erinnern.

Als sie nun einstens so sitzend eingeschlafen war und vergessen hatte, der Henne Gallina Futter vorzustreuen und frisches Wasser zu geben, träumte ihr auch von den Gelnhausner Braten und Eierwecken so klar und deutlich, daß sie im Traum sagte: «ach es ist Wahrheit, es ist kein Traum;» da krähte ihr Alektryo so schneidend dicht in die Ohren, daß sie vor Schrecken erwachte und an die harte Erde fiel. Darum hatte sie noch einen viel größern Unwillen gegen den ehrlichen Stammhahn Alektryo, und jagte ihn überall hinweg, wo sie zu thun hatte. Auch hätte sie ihm gerne längst den Hals abgeschnitten, weil er sie alle Morgen um 3 Uhr von ihrem Lager aufweckte. Aber er war ihr zu der Hühnerzucht, auf welche Gockel alle seine Hoffnung gestellt hatte, gar zu nöthig.

Wenn nun Gockel Abends heimkehrte, kam ihm gewöhnlich Alektryo entgegengeflogen, schlug mit den Flügeln und krähte ihm allerlei vor, als wolle er Hinkel und Gackeleia wegen ihrer Nachläßigkeit verklagen, und diese verklagten den Hahn wieder und es gieng ein strenges Nachforschen Gockels über Alles an, wo darin Hinkel und Gackeleia mancherlei Verdruß bekamen, so daß sie dem Alektryo täglich feindseliger wurden. Das Alles währte so fort, bis die Henne Gallina dreißig Eier gelegt hatte, auf denen sie brütend saß. Auf diese Brut setzte Gockel alle seine Hoffnung für die Zukunft, und zürnte darum so gewaltig auf Frau Hinkel, als sie die Vorsprecherin der Raubvögel werden wollte, die gern im Schloße aufgenommen gewesen wären, worüber ihr Gockel einen so derben Verweis gab, wie ich gleich anfangs erzählte.

Die Freude des guten Gockels über seine brütende Henne war ungemein groß, und da er täglich erwartete, daß die kleinen Hühnchen auskriechen sollten, eilte er nach einer nahe gelegenen Stadt, Hirse zu ihrem Futter zu kaufen, und empfahl sowohl der Frau Hinkel als der kleinen Gackeleia sehr auf die brütende Gallina Acht zu haben, daß ihr ja niemals etwas mangle. Er gieng schon um Mitternacht weg, weil er einen weiten Weg vor sich hatte. Frau Hinkel dachte nun einmal recht auszuschlafen, und nahte sich dem Hahn Alektryo, der noch auf seiner Stange schlafend saß, ergriff ihn und steckte ihn in einen dunkeln Sack, damit er den anbrechenden Morgen nicht erblicken und sie mit seinem Krähen nicht erwecken möge, worauf sie sich wieder niederlegte und wie ein Ratze zu schlafen begann.

Das Töchterlein Gackeleia aber schlief nicht viel, denn sie hatte sich schon lange darauf gefreut, wenn der Vater Gockel einmal länger abwesend seyn würde, sich ein Vergnügen zu machen, das sie gar nicht erwarten konnte. Sie hatte nämlich bei ihrem Herumklettern in einem entfernten Winkel des alten Schloßes eine Katze mit fünf Jungen gefunden und weder dem Vater noch der Mutter etwas davon gesagt, weil diese immer sehr gegen die Katzen sprachen. Gackeleia aber konnte sich nie satt mit den artigen Kätzchen spielen, sie brachte alle ihre Freistunden bei denselben zu und hatte der alten Katze den Namen Schurrimurri gegeben, die fünf Jungen aber Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog genannt. Heute stand sie nun in aller Frühe leise neben der schlafenden Mutter auf, froh, daß Alektryo sie nicht verrathen könne, denn sie hatte wohl bemerkt, daß die Mutter ihn in den Sack gesteckt. Als sie aber an dem Neste der brütenden Gallina vorübergieng, hatte sie eine wunderbare Freude, denn sieh da, alle die Eier waren kleine Hühnchen geworden, und piepten um die Henne herum und drängten sich unter ihre ausgebreiteten Flügel und guckten bald da, bald dort mit ihren niedlichen Köpfchen hervor. Gackeleia wußte sich vor Freude gar nicht zu fassen; anfangs wollte sie die Mutter gleich wecken, dann aber fiel es ihr ein, sie wolle es zuerst ihren kleinen Kätzchen erzählen, und meinte, die würden sich eben so sehr, als sie selbst, über die schönen Hühnchen freuen.

Schnell lief sie nun nach dem Katzennest, und als ihr die alte Katze mit einem hohen Buckel entgegen kam und um sie herumzuschnurren begann, und die kleinen Kätzchen hinter ihr drein zogen, sprach Gackeleia: «Ach, Schurrimurri! Gallina hat dreißig junge Hühnchen, und jedes ist nicht größer als eine Maus.» Als die Katze dies hörte, war sie so begierig die Hühnchen zu sehen, daß ihr die Augen funkelten. Da sagte Gackeleia: «wenn du hübsch leise auftreten willst und nicht miauen, damit die Mutter nicht erwacht, so will ich dir die artigen Hühnchen zeigen; die kleinen Kätzchen können auch mitgehen, die werden große Freude an den Hühnchen haben.» Gleich lief nun Schurrimurri mit ihren Jungen vor Gackeleia her, und als sie an den Stall gekommen waren, ermahnte sie dieselben nochmals, recht artig zu seyn, und machte leise die Thüre auf. Da konnte sich aber Schurrimurri nicht länger halten, sie setzte mit einem Sprunge auf die brütende Gallina und erwürgte sie, und die jungen Kätzchen waren eben so schnell mit den jungen Hühnchen fertig.

Das Geschrei der Gackeleia und der sterbenden Gallina weckte die Mutter, die noch auf dem Lager schlief und mit Entsetzen ihre ganze Hoffnung von der Katze erwürgt sah, die sich, nebst ihren Jungen, bald mit ihrer Beute davon machte. Gackeleia und Hinkel weinten und rangen die Hände, und der arme Alektryo, der das Wehgeschrei der Seinigen wohl gehört hatte, flatterte und schrie in dem Sack.

Gackeleia wollte sterben vor Angst, sie umfaßte die Kniee der Mutter und schrie immer; «ach der Vater, ach der Vater, ach was wird der Vater sagen, ach er wird mich umbringen; Mutter, liebe Mutter, hilf der armen Gackeleia!»

Frau Hinkel war nicht weniger erschreckt, als Gackeleia, und fürchtete sich nicht weniger als diese vor dem gerechten Zorne Gockels, denn sie hatte den wachsamen Alektryo in den Sack gesteckt. Als sie das bedachte, fiel ihr auf einmal ein, sie wolle den Hahn Alektryo als den Mörder der jungen Hühnlein angeben, und hoffte dadurch den Zorn Gockels auf diesen unbequemen Wächter zu wenden. Sie nahm daher den Sack, worin der Hahn war, und sagte: «komm Gackeleia, wir wollen dem Vater nacheilen und ihm den Alektryo als den Mörder der kleinen Hühner und der Gallina überbringen,» und so eilten sie nun beide den Gockel einzuholen, der im Walde herumstrich, einiges Wild zu erlegen, das er bei dem Krämer gegen Hirse vertauschen wollte.

Bald sahen sie ihn auch in einem Busche zwei Schnepfen, die sich in einem Sprenkel gefangen hatten, in seinen Ranzen stecken; da fiengen sie laut an zu weinen. Gockel schrie ihnen entgegen: «Gott sey Dank, ihr weinet gewiß vor Freude, Gallina hat gewiß dreißig schöne junge Hühnchen ausgebrütet.» – «Ach,» schrie Frau Hinkel, «ach ja, aber!» – «Aber, was aber?» sagte Gockel, «was aber weint ihr, dreißig Hühner, und immer so fort, entsetzlich viele Hühner!» – Da rief Hinkel: «O Unglück über Unglück, Alektryo, dein sauberer Haushahn hat Gallina und alle die gegenwärtigen und künftigen Hühner gefressen! Da hab ich ihn in den Sack gesteckt, da hast du ihn, strafe ihn, ich will ihn nie wieder sehen.» Mit diesen Worten warf sie dem vor Schreck versteinerten Gockel den Sack mit dem Hahn vor die Füße.

Gockel war über die schreckliche Nachricht, die alle seine Hoffnungen zerstörte, ganz wie von Sinnen; «ach,» rief er aus, «nun habe ich Alles verloren, das Glück weicht von meinem Stammhaus, alle meine Voreltern und Nachkommen sind betrogen durch den unseligen Alektryo, den wir über Menschen und Vieh hoch geachtet haben. O! hätte ich ihn doch den drei morgenländischen Petschierstechern für den Geisbock und die Ziege verkauft, da hätten wir doch etwas gehabt.» Als Frau Hinkel hörte, daß er den Alektryo so gut hätte verkaufen können, machte sie dem Gockel bittere Vorwürfe, der immer trauriger ward, und endlich seinen alten pergamentenen Adelsbrief aus dem Busen zog und zu seiner Frau sagte: «Hinkel, sieh, was meinen Stamm immer bewogen hat, den Alektryo zu ehren; da unten auf der goldenen Büchse, in welcher der treulose Alektryo als mein Familienwappen in Wachs abgebildet ist, steht ein alter Familienspruch, nach welchem ich mit allen meinen Vorfahren, von dem Geschlechte des Alektryo unser Glück erwartete. Die schriftliche Urkunde davon ist bei der Verbrennung unseres Schlosses verloren gegangen, mein Großvater hat den Spruch aber zum ewigen Angedenken auf die goldene Siegelbüchse stechen lassen. Er lautet ganz klar:

 

Alektryo bringt dir Glücke selbst um Undank.

Gockel – Kopf – Kropf – Siegel – Brod gab.

 

Was aber die Worte: Kopf, Kropf, Siegel, Brod gab, bedeuten sollen, weiß ich nicht.»

Als er kaum die Worte ausgesprochen hatte, traten die drei Petschierstecher, die ihm neulich den Hahn abkaufen wollten, aus dem Gebüsch und sprachen: «was befehlen der Herr Graf Gockel von Hanau von uns?» – «Wie so,» sagte Gockel unwillig, «was soll ich befehlen?» – «Der Herr Graf,» antworteten die Männer, «haben doch unsre Namen, Kopf, Kropf und Siegel zweimal ausgesprochen, denn so heißen wir, seit unsre Vorältern nach Deutschland gezogen. – Aber vielleicht wollen der Herr Graf sich ein neues Petschaft stechen lassen; denn außerdem, daß wir in der Astrologie, Physiognomie, Chiromantie, Geomantie, Alektryomantie, Coscinomantie, Hydromantie, Crystallomantie, Cabbala, Goetie, Diplomatie und Prophetie unbegreiflich billige Privatstunden geben, und daß wir Hühneraugen schneiden, zerbrochenes Porzellain kitten und Kaffeemühlen scharf machen, sind wir hauptsächlich Petschierstecher, was durchaus zur Diplomatie, wegen der Siegelkenntniß an den Urkunden, und zur Verfertigung der Talismane nöthig ist. Ach, Herr Graf! es gehört heut zu Tag ein entsetzlicher Umfang dazu, um in den Wissenschaften komplett zu seyn; es werden grausame Forderungen gemacht, und was hat man davon, nichts als die Ehre, daß Alles in einander greift mit leeren Händen. Ja, wenn der Handel mit Vieh, mit alten Kleidern und Hasenpelzen nicht wäre – Herr Graf! – wahrhaftig die hohen Wissenschaften machen die Suppe nicht fett.» – «Also, daß ich meine Rede nicht vergesse, wollen der Herr Graf sich nicht ein Petschaft stechen lassen? – denn wir sehen, daß sie Ihr Siegel in den Händen haben, welches ein Siegel des Gleichnisses, voll der Weisheit und ausnehmend schön ist.»

«Ach», sagte Gockel, «ich möchte mein Wappen lieber ganz vernichten, denn der Hahn Alektryo, der darauf abgebildet ist, hat uns schändlich betrogen,» und nun erzählte er ihnen sein ganzes Unglück. – «Sehen der Herr Graf,» sagte der eine Petschierstecher, «wie gut wir es mit Ihnen gemeint, da wir Ihnen neulich den Hahn abkaufen wollten; haben wir nicht gesagt, Sie würden ihn nächstens vielleicht gern los werden, wenn ihn nur jemand wollte, das lehrte uns die Prophetenkunst.»

«Wie so, gut gemeint,» sagte Gockel, «wie konntet ihr denn wissen, daß mich der Hahn in solches Leid versetzen werde?» Da erwiederte der eine Morgenländer: «dieß Leid ist ja deutlich in dem alten Familienspruch ausgesprochen, welchen unsre Vorältern selbst auf die goldne Siegelbüchse gestochen haben; weswegen auch abgekürzt unter dem Spruche steht, daß durch diese Arbeit Gockel dem Kopf, dem Kropf, dem Siegel Brod gab, und aus Dankbarkeit für dieses Brod, das Ihre Vorältern den unsern gegeben, wollten wir, da der Herr Graf in Ungnade und Armuth gerathen ist, Ihro Excellenz den Hahn abkaufen, weiteres Unglück von Ihnen abzuwenden.»

«Das ist dankenswerth,» erwiederte Gockel, «aber ich sehe in dem Spruche gar keine Unglücksprophezeiung, sondern gerade das Gegentheil; steht nicht in den Worten:

 

Alektryo bringt dir Glücke selbst um Undank.

 

ganz deutlich ausgesprochen, daß der Hahn selbst für Undank seinem Herrn Glück bringen werde?» – «Ja,» sagte da der zweite Petschierstecher, «der Spruch ist, wie viele solche Sprüche, in der Flattirmanier gestellt, große Herrn flattirt man gern. Die Urkunde ist ein bischen verschmeichelt und aus Menschenfreundlichkeit ein wenig aufgemuntert; so wie man einem alten Roß die Haare aus den Ohren schneidet und die Zähne feilt, daß es jünger aussieht, haben unsre Vorfahren dem damaligen Graf Gockel den Schrecken ersparen wollen und haben ein r aus einem e und aus einem u ein ü gemacht, denn der Spruch heißt eigentlich:

 

Alektryo bringt die Glucke selbst um, o Undank!

 

was durch die Thatsache bewiesen ist, denn der undankbare Alektryo hat ja die Glucke sammt den Küchlein umgebracht; wir aber müssen dieses verstehen, denn wir sind von undenklichen Zeiten aus dem Stamme der Petschierstecher. Von unsern Vorältern ist das Siegel Juda, das Siegel Pharaos, das Siegel Ahabs, das Siegel Ahasveri und das Siegel des Darius gestochen, womit er den Daniel in die Löwengrube versiegelte. Wir sind Leute vom Fach, der Herr Graf können sich auf die Güte unsrer Auslegung verlassen, und so sie sich nicht von erster Qualität bewährt, können der Herr Graf sie uns wieder zurückgeben.»

Gockel ganz von der Rede der Männer und seinem Unglücke überzeugt, bat sie, ihm doch nun den Bock und die Ziege für den Hahn zu geben, aber das wollten sie nicht mehr und sprachen: «was soll uns der Hahn, er ist ein Unglückshahn, er kann uns ein Leid anthun, wer wird einen Unglückshahn essen, und bleibt er am Leben, er könnte einem ein Unglück ankrähen; aber lassen ihn der Herr Graf einmal sehen, man kauft keine Katze im Sack, viel weniger einen Hahn.» Da zog Gockel den Hahn aus dem Sack, und sprach weinend: «o Alektryo, Alektryo! welch Leid hast du mir gethan.» Alektryo ließ Kopf und Flügel hängen und war sehr traurig; aber als ihm der eine Petschierstecher an den Kropf fühlen wollte, ward er ganz wüthend; alle seine Federn sträubten sich empor, er hackte und biß nach ihm und schrie und schlug so heftig mit den Flügeln, daß der Mann zurückwich, und Gockel den Hahn kaum halten konnte.

«Schau eins,» sagten die drei Petschierstecher, «man soll noch Geld geben für so ein wildes Ungeheuer, es will die Leute fressen; wer wird ihn kaufen?» Als aber Gockel ihn immer wohlfeiler bot, sagten sie ihm endlich: «wir geben dem Herrn Grafen, wenn er uns den Hahn nach Hause tragen will, neun Ellen Zopfband dafür, daß er sich einen schönen langen Zopf binden kann, wie sichs einem Grafen gebührt,» und Gockel willigte ein, um nur etwas für den Alektryo zu erhalten.

Frau Hinkel und Gackeleia hatten alles dieses still mit angehört und giengen mit schwerem Gewissen nach Hause, denn sie wußten wohl, daß die Dreie die Unwahrheit sagten. Gockel aber nahm den Alektryo unter den Arm und folgte traurig den drei Petschierstechern durch den Wald nach ihrem Wohnorte. Anfangs giengen sie dicht um ihn; weil der Hahn aber dann immer nach ihnen biß und schrie, baten sie Gockel, einige Schritte mit dem grausamen Ungeheuer hinter ihnen her zu gehen. Gockel hörte öfter, wie die drei unheimlichen Männer zu einander sagten: «Kropfauf, Siegelring, Kopf ab,» und wie sie dann miteinander zankten und immer einer zum andern schrie: «nein ich Siegelring, nein du Kropf auf, nein du Hals ab,» und als Gockel sie fragte, warum sie immer miteinander zankten, sagten sie: «ei, es will keiner von uns den Hahn schlachten, weil er ein so grausames Thier ist; wenn der Herr Graf ihn gleich schlachten, so wollen wir Ihro Excellenz den Kamm, die Füße und Sporen und Schweif geben, die können Sie auf die Mütze setzen zum ewigen Andenken, – ein schönes Monument, ein statuirtes Exempel für den Undank; drehen Sie ihm unterm Tragen doch ganz leise den Hals herum.»

«Gut,» sagte Gockel, und faßte den Alektryo an der Kehle. Da fühlte er aber etwas sehr Hartes in seinem Kropfe, und der Hahn bewegte sich so heftig dabei, daß die Männer sich sehr fürchteten und zu Gockel sagten: «Ach gehen der Herr Graf ein wenig weiter hinter uns her.» Das that Gockel, und als er wieder an den Hals des Alektryo faßte, fühlte er das Harte im Kropfe wieder, und machte sich allerlei Gedanken, was es doch nur seyn könne. Da sagte auf einmal der Hahn mit deutlichen Worten zu ihm:

 

«Lieber Gockel, bitt' dich drum

Dreh mir nicht den Hals herum,

Köpf mich mit dem Grafenschwert,

Wie es eines Ritters werth.

Weh, Graf Gockel, bittre Schmach!

Trägt den Hahn den Schelmen nach.»

 

Gockel blieb vor Schrecken und Rührung stehen, als er den Alektryo reden hörte, aber er besann sich bald eines Andern, und wollte ihnen nicht mehr den köstlichen Hahn, der reden konnte, um neun Ellen Zopfband nachtragen, und rief ihnen zu, links in das Gebüsch zu treten, jetzt wolle er das grausame Ungeheuer tödten.

Sie sprangen schnell in das Gebüsch, aber da war eine mit Reisern bedeckte Wolfsgrube, die kannte Gockel gut, denn er hatte sie selbst gegraben, und Plumps fielen alle drei morgenländische Petschierstecher hinein, und riefen dem Gockel, ihnen herauszuhelfen; aber dieser gab keine Antwort, und schlich sich in die Nähe der Grube, um zu hören, was sie da unten für Betrachtungen anstellen würden.

«O weh mir!» schrie der Eine, «da haben wir es, wer dem Andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein; was nützt uns nun der Siegelring des Darius, womit er die Löwengrube verschlossen, wir sitzen in der Wolfsgrube. Alle Mühe und Arbeit und Salomonis Siegelring in des Hahnen Kropf ist verloren für uns, der Gockel muß es gemerkt haben, daß Kopf, Kropf, Siegel nicht unsere Namen, sondern nur einzelne Worte des alten geheimen Spruches sind, welcher sagt: man müsse dem Hahnen den Kopf ab und den Kropf aufschneiden, um Salomonis Siegelring aus demselben zu erhalten, der einem giebt, Herz was verlangst du? Jugend und Reichthum, alle Güter der Welt, Geld! – Geld! – Geld! – Geld!» -

Dann schrie der Andere: «o wehe uns, daß wir jemals etwas von dem Ring in dem Kropfe des Hahnen erfahren haben; o hätten unsere Väter doch niemals in dem alten Gockelschloß nach Schätzen gegraben, und dort das ganze Geheimniß auf dem Grabsteine eingehauen gelesen, so hätten wir Ruhe gehabt, jetzt schwebt uns der Ring immer vor den Augen, der einem giebt, Herz was verlangst du? Jugend und Reichthum, alle Güter der Welt! – Geld! Geld! – Geld! – Geld!»

Nun schrie der Dritte: «o Unglück über Unglück, alle Mühe und Arbeit verloren! wie lange haben wir dem König von Gelnhausen zugesetzt, wie viel haben wir an seine Minister spendirt, bis sie den Gockel ins Elend gebracht, damit wir ihm den Hahn leicht abkaufen könnten; haben unsere Eltern doch allein das Petschierstechen gelernt, um dem Hahn näher zu kommen, da sie sein Portrait nach der Natur auf das Grafensiegel stachen, wo sie ihm auf den Zahn fühlen konnten, ob er nach dem Tod des frühern Hahns, als dessen erstgeborner Sohn, auch den Ring wieder im Kropf habe. – Wie haben wir müssen laufen von Heddernheim nach Krakau, von Krakau nach Bockenheim, von Bockenheim nach Constantinopel, von Constantinopel nach Fürth, von Fürth nach Jerusalem, von Jerusalem nach Worms, von Worms nach Cairo, von Cairo wieder nach Heddernheim und von Heddernheim wieder in die ganze Geographie, laufen, laufen um zu lernen die Kabbala, Gicks Gacks und Kikriki, die große Alektryomantie, bis wir endlich den Spruch auf dem Grabstein in der Burg Gockels verstehen konnten. – Weh, Alles umsonst, Alles verloren! Wenn wir nur aus dem Loche wären, und wer bezahlt mir nun die Katze, die ich mit ihren fünf Jungen selbst aus meinem Beutel gekauft und in das Schloß gesetzt habe, damit sie die Gallina sammt der Brut fressen sollte, auf daß dem Gockel der Hahn feil würde? Wer bezahlt mir die Katze? ich will mein Geld für die Katze. Hätte ich ihr den Pelz doch abziehen und sie als einen Hasen verkaufen und den Pelz auch verkaufen können, ich will mein Geld für die Katze! Die Katze ist verloren, der Ring ist verloren, der einem giebt, Herz was verlangst du? Jugend und Reichthum, alle Güter der Welt! – Geld! – Geld! – Geld! – Geld!» –

Da Gockel über ihr Geschrei lachen mußte, glaubte der erste Petschierstecher, der zweite habe ihn ausgelacht, und schlug nach ihm; der schrie und sagte, der dritte sey es gewesen; da schlug dieser nach ihm und daraus entstand eine allgemeine Prügelei unter den Dreien, worüber Gockel mit Alektryo die Grube verließ und nach seinem Schloße in tiefen Gedanken zurückgieng.