BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Romanzen

vom Rosenkranz

 

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Romanze XII

Jacopone und Rosarosa

 

Von Folianten rings umgeben

Sitzt der stolze Jacopone;

Hochgeehrt von den Klienten

Ist der junge weise Doktor,

 

Ausgetreten seine Schwelle;

Denn mit vollen Händen kommen

Taufend, um in ihren Rechten

Weise Sprüche sich zu holen.

 

Täglich, nächtlich kommen, kehren

Zu ihm, von ihm schnelle Boten,

Fern und nah muß er die Texte

Streitigen Parteien ordnen.

 

Und vor seinem Hause stehen

Oft der Fürsten stolze Rosse,

Er ist rings im Land gebeten,

Und man wünscht ihn allerorten.

 

Er verstand wohl die Gesetze

Gleich dem griechschen Hermodore.

Die zwölf Tafeln hergestellet

Hätt er, wären sie verloren.

 

Und wie Flavius gelernet

Auswendig die Aktionen,

Kannte auch wohl alle Leges,

Alle Formeln Jacopone.

 

Mutius hat er gelesen

Und den Brutus wohl erwogen,

Den Manilius versteht er,

Ist Sulpicio gewogen.

 

Des Antistius Labeo Gegner

Folget er, des Capitonis

Schüler, des Sabini Regeln,

Sabinianischer Methode.

 

Er hielt streng bei den Gesetzen

und schrieb dissertationem,

Die ihn bracht zu hohen Ehren:

De bonorum possessione.

 

Salvium Julianum kennt er,

Gaji Institutionen,

Papinian, Ulpiano strebt er

Und Herennio zu folgen.

 

Ehre hätte dem Katheder

Zu Beryt, Konstantinopel

Und zu Rom er einst gegeben,

Wie jene Antecessores.

 

Hätte damals er gelebet,

Die drei Codices zu ordnen

In den Justinianschen, neben

Tribonian würd er gelobet.

 

Und die Sechzehn, die mit jenem

Die Pandekten ausgeboren,

Wären Siebzehn dann gewesen;

Also war sein Geist zu loben.

 

Zum Behufe der Pandekten,

Auf die fünfzig Dezisionen

Für Justinian zu stellen,

Wär er mitbeehret worden.

 

Dem Theophilo wohl neben

Dorotheo zugeordnet

Wär er, Triboniano helfend

Bei den Institutionen.

 

Er wär recht der Mann gewesen

Repetitae praelectionis

Codicem ins Licht zu stellen,

Und νεαραὶ διατάξεις.

 

Aber spätrer Zeit zur Ehre

War er recht ein Schmuck geboren

Auf Bononischem Katheder

Magnae matris studiorum

 

Wo Irnerius gelehret

Seine Justinianischen Glossen,

Bulgar, Gosias gelebet,

Hugo und Glossatoren.

 

Weil er ganz besonders ehrte

Jakob vom Ravenner Tore,

Hat er sich nach ihm genennet

Gar bescheiden Jacopone.

 

Und Accursius war sein Lehrer,

Otofredus diesem folgte;

So hat er das Recht erlernet

Nach der Summa des Azzonis.

 

Und kaum dreißig Jahre zählt er;

Um die hohe Stirne Locken

Wallen braun aus dem Barette,

Und sein Bart ist schön geordnet.

 

Wenn er im Ornate stehet

Und kreieret die Doktoren,

Fließet ihm die stolze Rede

Gleich dem zweiten Cicerone.

 

Wüßten das, was er vergessen,

Manche andre Professoren,

Wäre ziehenden Studenten

Öfters aus der Not geholfen.

 

Und so ganz in Ehren schwebend,

Lebte er in seinem Stolze;

Seinem Ruhm sind nah und ferne

Tausend Schüler nachgezogen.

 

Dunkler Herkunft zu entstreben,

Hat ihn so sein Fleiß erhoben,

Denn nicht seinen Vater kennt er,

Seine Mutter starb verborgen.

 

Er begann sein Jugendleben

Mit zwei Brüdern in dem Kloster;

Pietro ward ein Blumengärtner,

Noch studieret Meliore.

 

Da er stieg zu dem Katheder,

Nahm zum Weib er Rosarosen,

Eine Jungfrau auserlesen,

Eines Arztes Pflegetochter.

 

Als er ging zur Doktorehre

Durch der Aula hohe Pforte,

War die Züchtge ihm begegnet,

Und er sprach zu ihr die Worte:

 

«Schöne Jungfrau! Ihr begegnet

Mir an sehr gefährlchem Orte,

Jetzo ich zu streiten gehe

De bonorum possessione.

 

Und die Schätze aller Welten

Habe ich bei Euch verloren,

Nichts besitz ich auf der Erde,

Da Ihr mich mir selbst genommen.

 

Was ich künftig nun erwerbe,

Habt Ihr schon von mir gewonnen.

Geht und betet, daß die Ehre

Mir nicht gehe heut verloren!»

 

Rosarose sah beschämet

An den glatten Marmorboden:

«Ich erfleh Euch, Herr, die Ehre»,

Sprach Sie, «und halt Euch beim Worte:

 

Daß Ihr mir sodann die Ehre

Teilet, die ich Euch erworben,

Und nie nehmet mir die Ehre,

Die um jene Gott ich opfre!»

 

Ach, zu spät verstand die Rede

Rosarosas Jacopone,

Und es hat ihn sehr beschweret,

Was er damals ihr versprochen.

 

Und sie schieden; sie zum Tempel,

Er zu dem Juristenhofe;

Sie erfleht ihm Gottes Segen,

Er den Doktorhut erobert.

 

Als er austritt hochgeehret

Unter der Schalmeien Chore,

Wird bei Pauken und Trompeten

Ihm drei «Vivat hoch!» erhoben.

 

Doch er blicket allerwegen

Nach der Jungfrau dieses Morgens,

Ihm will auch der Wein nicht schmecken

Bei dem Doktorschmause oben.

 

Ach, wenn sie den Trank kredenzte,

Säh er in des Bechers Golde

Spiegelnd ihre Augen brennen;

Ach, wie er dann trinken wollte!

 

Ach, und wo ihr Mund den Becher

Selbst entsauget einen Tropfen,

Durstig hätte er die Stelle

Ausgebissen aus dem Golde.

 

Und in dem Tumult des Festes

Schleicht er aus dem lauten Chore,

Irret auf verschiednen Wegen,

Denn er wußt nicht, wo sie wohnet.

 

Wo vor Stunden sie sich trennten,

Geht er, ihren Weg verfolgend,

In den Garten, nah gelegen,

Von Sankt Clarens stillem Kloster.

 

Längs den still beblumten Feldern

Wiegen sich die vollen Rosen,

Von den Tönen tief beweget

Einer süß gerührten Orgel.

 

Und im stillen Garten stehet

Tief erschüttert Jacopone;

Lang hat ihn nicht angewehet

Der unschuldge Odem Gottes.

 

Lange hat er nicht gesehen

In das offne Herz der Rosen,

Und so frommer Töne Wehen

War entfremdet seinen Ohren.

 

Er war in der Bücher Menge

Ganz verriegelt und verschlossen,

Und hier, wo die Blumen scherzten,

Ist ihm auf das Herz gebrochen.

 

Brach ihm auf in Liebesschmerzen,

Recht wie eine Blumenknospe

Ihn Geschmeide keusch ausleget

In dem Kuß der jungen Sonne.

 

Wie verschloßne Felsenquellen

Traurig in dem Dunkel wohnen,

Jauchzend dann zutage brechen

Zu den Sternen, zu der Sonne,

 

Und mit bunten Steinen scherzend

Und mit Fischen spielend wogen,

Wo die Blumen spiegelnd stehen,

Von Libellen leicht umflogen.

 

Wie, dem Kinde gleich, die Welle

Gern um Tand die Körner Goldes

Hingibt, die im Schoß der Berge

Sie mit Angst vom Geiz erworben,

 

Und den süßen Blütenregen

Freudig zu dem Fluß hinwoget,

Freudiger dann Fischersegel

Trägt, und durch die Mühle toset,

 

Hohe Masten dann bewegend

In den breiten starken Flossen,

Und dann kühne, volle Segel

Führet, recht in hohem Stolze,

 

Dann dem ganzen Elemente

Sich hingebend, abwärts tosend

In die hohen, vollen Meere,

Stirbt in Wiedersehens Wonne;

 

So fand er sich tief beweget

Und, dem Bücherstaub entronnen,

Neue Liebe in dem Herzen,

Zwischen Blumen in der Sonne.

 

Doch da eine Stimme schwellend

Sich ergießt zum Orgelstrome,

Schreitet er zu der Kapelle,

Die in Büschen steht verborgen.

 

Und er wurzelt auf der Schwelle;

Rosarosa schlägt die Orgel

Singend, ohne ihn zu sehen,

Zwischen Engelbildern golden.

 

Auf dem kleinen Orgelwerke

Steht das Bild der Mutter Gottes,

Frische Rosen reicht ein Engel

Unserm Herrn in ihrem Schoße.

 

Und das Bild des andren Engels

Hebt empor in goldnem Korbe,

Singend auf und niederschwebend,

Einen süßen, bunten Vogel.

 

Und die leichten Bälge tretend,

Sieht er einen goldumlockten,

Schönen Knaben freudig schweben.

Ach! er glich dem Liebesgotte,

 

Wäre nicht so fromm sein Wesen;

Doch ihm fehlen Pfeil und Bogen,

Und ein Kreuz im Arm ihm lehnet

Aus zwei jungen Weidensprossen.

 

Einen Rosenstrauß am Herzen,

Schlummert still sein Lamm am Boden;

Niedersinket auch zur Stelle

Auf die Kniee Jacopone.

 

Ihr Gesang sich so erhebet:

«Heilge Jungfrau! Mutter Gottes,

Denke, wie sandst im Tempel

Jesum, den du glaubst verloren,

 

Streitend mit den Schriftgelehrten,

Mit den Ärzten, Philosophen,

Wie er als ein Kindlein redet

Wunderbare, hohe Worte.

 

Als er fragt: `Ihr Männer, wessen

Sohn Messias wird geboren?'

Alle kecklich zu ihm sprachen:

`Davids Sohn wird er geboren!' –

 

`Warum dann,' dein Kind versetzte,

`Nennt ihn David seinen Obern?

Sprach der Herr zu meinem Herren:

Du sollst mir zur Rechten thronen,

 

Daß ich dir zu Füßen werfe

Deine Feinde an den Boden!' –

`Hast die Bücher du gelesen?'

Fragte Jesum dann ein Doktor.

 

Und dein Kind sprach: `Ja, gelesen

Und auch das, was drin verborgen.'

Dann erklärt er dem Propheten

Satzungen und dunkle Worte.

 

Allen war er ein Entsetzen;

Ärzte und die Philosophen,

Pharisäer, Schriftgelehrte

Mußten Kinderweisheit loben.

 

Hohe Mutter, o gedenke,

Wie dein Herz in Freuden wogte,

Da du dort in solchen Ehren

Wiederfandest den Verlornen.

 

Zu ihm sprachst du: `Warum setztest

Mich und Joseph du in Sorgen,

Die dich suchten allerwegen,

Glaubten, du seist uns verloren?'

 

Und dein Kind sprach, zu dir redend:

`Warum sucht ihr nach dem Sohne,

Dem ihr selbst als Zucht gelehret,

In des Vaters Haus zu wohnen?' –

 

O Maria! denk der Ehren,

Die die Meister dir da boten,

Preisend deines Leibes Segen,

Der so weis ein Kind geboren!

 

O, verleihe deinen Segen

Jenem Jüngling, der heut morgen

Mir so huldvoll ist begegnet

An des Rechtshofs hoher Pforte!

 

Für ihn bring ich meine Ehre

Deinem Gottessohn zum Opfer,

Lasse ihn das Recht vermehren

Zur Vermehrung des Lob Gottes!

 

Laß geehrt nach Haus ihn kehren,

Recht zu seiner Mutter Wonne,

Denk der Freude, denk der Ehre,

Die du sahst an deinem Sohne!»

 

Als sie so das Lied geendet,

Gab der Knabe gute Worte:

«Ich will singen, ich will beten;

Schlag auch meinem Lied die Orgel!»

 

Und die Jungfrau ohn Bedenken

Seiner frommen Bitte folget,

Und er singt, die Bälge tretend,

Wie ein Engel klar aus Wolken:

 

«O, mein Jesulein, gedenke

Deiner hohen, weisen Worte,

Als Zachäus dich belehren

In dem Aleph Beta wollte!

 

`Sage Aleph!' sprach der Lehrer;

`Aleph, hast du fromm gesprochen;

Nun sprich Beth!' der Mann begehrte;

Da sprachst du zu ihm die Worte:

 

`Nein, ich sprech Beth nicht eher,

Bis mir Aleph deutlich worden;

Du sollst erstlich mich belehren,

Warum Aleph so geformet.'

 

Und da sahst du deinen Lehrer

In Unwissenheit betroffen;

Sprachst: `Ich will dich nun belehren,

Wie das Aleph ist geformet.

 

Aus drei Strichen es bestehet,

Weil auch steht die Einheit Gottes,

Dieses Aleph alles Lebens,

In drei göttlichen Personen!' –

 

Als dein Lehrer ob der Rede

Dich, o Jesu, schlagen wollte,

Mußte er zur Stunde sterben,

Der gen Gott die Hand erhoben!

 

O du Anfang, o du Ende

Aller Weisheit ausgeboren,

Allbarmherziger, o spende

Weisheit zu der Frommen Troste!»

 

«Amen!» sang die Jungfrau bebend,

«Amen!» sang da Jacopone,

Und da sie ihn sah, sich wendend,

Blühen ihrer Wangen Rosen.

 

Und sie geht aus der Kapelle;

Auch der Knabe hin ihr folget,

Wo in einem Rosenzelte

Freudig tanzt ein frischer Bronnen.

 

Und zu Rosarosen redet

Zärtlich dankend Jacopone:

«Gott erhörte gern dein Beten,

Durch dich bin geehrt ich worden.

 

Was ich heut von dir erflehet,

Ist mit Ruhm an mir erfolget,

Um dich ward mein Haupt bedecket

Mit dem Doktorhut der Rechte.

 

Und nun möchte ich die Ehre

Mit dir teilen, Fromme, Holde;

Ach, wie auf so selge Wege

Hast du, Jungfrau, mich gelocket!

 

Aus dem dunklen Bücherkerker

In den Blumensaal der Sonne,

Zu der heimlichen Kapelle,

In den selgen Klang der Orgel!

 

Sieh, es tanzet meine Seele

Auf dem frohen Strahl des Bronnens,

Und sie faltet ihre Hände,

Dir ihr Herz in Liebe opfernd!»

 

Rosarosa ihm entgegnet:

«Freund, ich bin dir wohlgewogen,

Doch ich kenne keine Eltern;

Kannst du lieben eine solche?

 

Mich gefunden und gefleget

Hat des Arztes Weib Dolores;

Sie erbaute die Kapelle,

Stiftete die kleine Orgel.

 

Dort fand sie des Grabes Stelle,

Und ich lebe von vier Soldi,

Die sie täglich ausgesetzet,

Daß ich sing und spiel die Orgel.

 

Mir zum Vormund ist gesetzet

Fromm ein Priester, der Benone,

Bis ich in den Ehstand gehe

Oder trete in ein Kloster.

 

Sonst kann ich auch schreiben, lesen,

Schnüre wirken und auch Borten,

Spinnen und Tapeten weben,

Sticken Silbernes und Goldnes.

 

Und daß ich nicht müßig gehe,

Habe ich im Klosterhofe

Eine Schule angeleget

In des Kreuzgangs hohen Bogen.

 

Oft auch hier bei dieser Quelle

Zu mir meine Kinder kommen,

Mannigfaltge Schulgesellen

Sich aus allen Winkeln holend.

 

Hier der Knabe war der erste,

Der sich selbst mir angeboten,

Und mit seines Lammes Schelle

Andre Kinder angelocket.

 

Wie sich meine Schüler nennen,

Weiß ich nur durch ihre Worte,

Kenne keines einzgen Eltern,

Meine Schul ist frei und offen.

 

Und die Mütter stehn oft ferne,

Lauschend an der Gartenpforte;

Täglich mehret sich die Herde,

Und ich lehr um Gottes Lohne.

 

Und die gute Hirtin nennen

Mich die Kinder, und ich wollte,

Hätt ich nimmer dich gesehen,

Keinen andern Namen borgen.» –

 

«Hättst du nimmer mich gesehen!»

Jacopone wiederholet;

«Hätt ich nimmer dich gesehen!

O, wie sind dies goldne Worte!

 

Wären nimmer sie geredet

Mit so liebem, süßem Tone,

Möchte ich in diesem Leben

Nimmer sehen diese Sonne!

 

Unser Los ist gleich gestellet,

Unser Würfel gleich geworfen;

Auch ich kenne keine Eltern,

Ward im Kloster auferzogen.

 

Willst du deine Hand mir schenken,

So will ich dir angeloben:

Du magst deine Kinder lehren,

Du magst spielen hier die Orgel.

 

Wenn mein Reichtum sich vermehret

Durch den Ruhm, den ich erworben,

Will ich in das Haus noch nehmen

Meinen Bruder Meliore.

 

Einen Garten auch erwerben

Pietro, dem Zuletztgebornen

Meiner Mutter, der jetzt lernet

Blumen pflegen in dem Kloster.»

 

Und dann hat er ihr gegeben

Einer Rose Doppelknospe,

Und mit scheuen Fingern trennen,

teilen sie die Zwillingsrose.

 

Tief sich in die Augen sehend

Waren sie vor Gott verlobet,

Wußten nicht, wie es geschehen,

Waren still und voller Wonne.

 

Aber Rosarosa redet,

Da sie hört des Lammes Glocke:

«Lebe wohl, auf Wiedersehen!

Meine Schüler hör ich kommen!»

 

Jacopone spricht: «Ich gehe

Hin zum alten Mönch Benone,

Unsern Bund ihm vorzulegen.»

Und dann eilt er von dem Bronnen.

 

Einsam Rosarosa stehet,

Blicket in den Strahl des Bronnens;

Wie er sinket, wie er schwebet,

Fühlt sie in dem Herzen pochen.

 

In den Händen die getrennte,

Sonst gepaarte Zwillingsrose,

Und es fließen ihre Tränen

Auf die stille Rosenknospe.

 

Eilet dann zu der Kapelle,

Findt an der belaubten Pforte

Ihre kleine Schülerherde

Feierlich im Kreis geordnet.

 

Und der Knabe trägt in Händen

Einen Kranz von weißen Rosen,

Einen Schäferstab, weiß blendend,

Sprach zu ihr die süßen Worte:

 

«Du hast dich in der Kapelle,

Hirtin, heut dem Herrn verlobet,

Der ein treuer Hirt, die Herde

Weidet an dem Himmelsbogen.

 

Und darum soll ich dich kränzen

Mit dem Brautkranz weißer Rosen

Und den Schäferstab dir geben,

Daß du denkest deiner Worte!»

 

Rosarosa kniet zur Erde,

Und er kränzt die dunklen Locken

Mit den weißen Rosen blendend,

Gibt den weißen Stab der Holden.

 

Und die Kinder sie umgeben,

Freuen sich der Rosenkrone;

Jacopones und des Herren

Denket weinend Rosarose. –

 

Wenig Sonnen untergehen,

Und herauf ziehn wenig Monde,

Wenig volle Rosen sterben

Aufgekeimt sind wenig Knospen,

 

Da geschmückt am Altar stehen,

Vor dem alten Mönch Benone,

Rosarosa, weiß bekränzet,

Rotbekränzet Jacopone.

 

Als sie goldne Ringe wechseln,

Fällt das Ringlein Jacoopones

Springend nieder an die Erde,

In dem Kreise weit hinrollend.

 

Und dem Knaben, der zugegen,

War es endlich zugerollet,

Der es in dem Lilienkelche,

Den er trug, der Braut geboten.

 

«Nimm den Ring im Lilienkelche»,

Sprach das Kind, «und denk des Opfers,

Da du um des Jünglings Ehre

Deinem Herrn dich hast verlobet!»

 

Und er schied. Sie nahm erbebend

Nun den Ring, und Jacopone

Wußte nicht, was sie beschwerte,

Da sie schwer das Ja gesprochen.

 

Und der Priester sprach den Segen;

Traurig weinte Rosarose,

Als sie still von dannen gehen;

Freudig weinet Jacopone.

 

An des Tempels Marmorschwelle

Sprach die Jungfrau: «Jacopone,

Laß mich gehn zu der Kapelle,

Einsam meinen Herrn zu loben.

 

Daß ich fromm am Abend kehre,

Bei dir in dem Haus zu wohnen;

Einen Trunk aus unsrer Quelle

Bring ich dir und viele Rosen.»

 

Einsam geht nun der Geselle,

Seine Kammer schön zu ordnen.

Pietro hat zum Schmaus gebeten

Er, und auch den Meliore.

 

Und es steigt im Abendmeere

Feurig nieder schon die Sonne,

Und es zieht die Sternenherde

Vor dem Monde durch die Wolken.

 

Rosarosa noch nicht kehret;

Pietro spannt die Blumenbogen,

Und es zündet hundert Kerzen

In der Kammer Meliore.

 

In der Kammer Mitte stehet

Blank ein Tischlein, wohlgeordnet,

Zierlich ist da aufgedecket

Für vier fröhliche Personen.

 

Pietro Rosarosens Teller

Ziert mit einer Myrtenkrone,

Und zwei künstliche Sonette

Legt dazu ihr Meliore.

 

Aber von dem Hochzeitsbette

Springet traurig Jacopone:

«Will mein Weib denn noch nicht kehren,

Gehe ich, sie mir zu holen!

 

Was des Kaisers ist soll geben

Man dem Kaiser, Gott was Gottes,

Und der Mann, er soll sich nehmen,

Was ihm ward vor beider Throne!»

 

Seinen Mantel umgeleget

Hat er dann im Liebeszorne,

Und mit raschen Schritten geht er,

Doch der Garten ist verschlossen.

 

Er vernimmt ein leises Reden,

Doch das Sprudeln jenes Bronnens

Und der Büsche flüsternd Wehen

Überrauschet ihm die Worte.

 

Eifersucht seine Herz durchbrennet,

An sich hält er seinen Odem,

Aber nur der Büsche Wehen

Hört er, und des Herzens Pochen.

 

Und er findet eine Stelle

An der Mauer ausgebrochen,

Und behutsam überkletternd

Kommt er an des Gartens Boden.

 

Durch die Gänge schleicht er, geht er;

Der wollüstge Duft der Rosen

Schüret ihm die Brust noch enger,

Und er greift nach seinem Dolche.

 

Ach, es spiegeln sich die Sterne

In dem blanken, bösen Dolche.

Ach, wie schrecklich sind die Sterne,

Denkt im Herzen Jacopone.

 

Unbekümmert um mein Elend

Spielen sie mit meinem Dolche;

Nein, sie sollen ihn nicht sehen!

Und er haucht ihn an mit Odem.

 

Aber seine Tränen nehmen

Stets den Odem von dem Dolche.

Und die Sterne ruhig sehen

In den Stahl den Himmelsbogen.

 

Und nun hört er wieder reden,

Und er hört die leisen Worte:

«Du wirst mich nicht wiedersehen

Als bei deinem frühen Tode!

 

Was du unterm Herzen trägest,

Ist ein Pfand von dem Verlobten;

Wolle nie des Leibes Tempel

Einer andern Liebe opfern!»

 

Rosarosa dann entgegnet

Sammelnd liebestrunkne Worte:

«Ja, ich bin die Magd des Herren,

Dem ich liebend bleib verlobet!

 

Was ich trage unterm Herzen,

Bleibt dir treulich aufgehoben,

Durch dich mag es heimlich leben,

Durch mich werde es geboren.

 

Nimmer habe ichs gesehen,

Nimmer werde ichs sehen wollen,

Unbekannt ie meine Seele,

Die durch Gott den Leib bewohnet.

 

Stünd geschrieben mir am Herzen

Gar die Stunde meines Todes,

Nimmer würde sie gelesen,

Und ich stürbe unverhoffet.

 

Keusch bleibt meines Leibes Tempel

Dem Geliebten nur geopfert,

Meine Blicke haben selber

Nimmer Teil an mir genommen.

 

Wenn der Himmel ist bedecket,

Ohne Sterne, Mond und Sonne,

Hab ich hier in dieser Quelle

Einsam kühl das Bad genommen.

 

Meines Herren Aug erhellte

Mir das Herz mit Liebeswonnen,

Unter Beten, unter Flehen

Bin ich ihm so lieb geworden.

 

Und sah ich am Tag die Quelle,

Die mich nächtlich kühl umschlossen,

Schamrot konnte ich wohl wetten

In der Röte mit den Rosen.

 

Leb dann wohl, auf Wiedersehen,

Du geliebter Blondgelockter!

Werde in des Todes Wehen

Rosarosen einst zum Troste!» –

 

Und nun höret jemand gehen

Durch den Garten Jacopone,

Und er sucht ihm zu begegnen,

Irret durch die Laubenbogen.

 

Ach, in seinem Herzen wehen

Höllenflammen tiefen Zornes,

Den Geliebten Rosarosens

Will er mit dem Dolch durchstoßen!

 

Mondhell fand er eine Stelle,

Und es rauschet Laub am Boden;

Mit gezücktem Dolch verstecket

Er sich im Gebüsch der Rosen.

 

Schon sieht er den Schatten schweben

Des verhaßten Blondgelockten,

Und er hat in bösem Streben

Seinen Dolch schon hoch erhoben,

 

Als der Knabe vor ihm stehet

Und ihm ruhig sagt die Worte:

«Jacopone, wiedersehen

Wirst du mich bei deinem Tode!»

 

Und er fühlte sich gefesselt

Und stieß nieder mit dem Dolche

In die kalte, harte Erde;

Hat sich lange nicht erholet.

 

Als er wieder sich erhebet,

War sein Sinn ganz wild verworren,

Auch der Himmel war bedecket

Mit dem Mantel schwarzer Wolken.

 

Und an Rosarosen denkt er:

War der Knabe nur ein Bote?

Sie muß selbst den Herrn mir nennen

Oder sterben von dem Dolche!

 

Und nun tappt er nach der Quelle

Durch die dunkeln Laubenbogen,

Und er höret Rosarosen

Badend plätschern in dem Bronnen.

 

Und in seinem Herzen reget

Sich ein Strahl geheimer Wonne.

«O, wie boshaft seid ihr, Sterne,

Daß ihr jetzt euch habt verborgen!

 

Meine Augen, Feuerspeere,

Möchten gern die Nacht durchbohren,

Daß der helle Tag anbreche

Glänzend mit der vollen Sonne;

 

Daß ich meine Braut könnt sehen

In dem Schoß kristallner Wogen,

Süß errötend in dem Tempel,

Taufend voller Liebesrosen!

 

In den Arm wollt ich sie nehmen,

Und mit lustberauschten Worten

Meines Gartens Rosen brechen

Beim Geläut der Blumenglocken!»

 

Also denkt er, und es hebet

Sich ein lauer Wind von Osten,

Der die Bäume leis beweget

Und im Laube laut ertoset.

 

Und es wirft zur Badequelle

Viele Rosen Jacopone,

Doch im Bad die Jungfrau denket,

Daß der Sturm sie abgebrochen.

 

«O Geliebter», spricht sie betend,

«Nicht mit Rosen, nur mit Dornen

Deine arme Dienrin treffe,

Weil sie dir das Wort gebrochen!»

 

Doch nun schleicht zu der Kapelle,

Zündet an der Ampel Dochte

Jacopone eine Kerze,

Trägt sie unterm Hut verborgen.

 

Da er kehrt zum Rosenzelte,

Da er nah des Bades Bronnen,

Füllt er plötzlich mit der Kerze

Schein die dunkle Blumengrotte.

 

Rosarose taucht erschrecket

Schreiend nieder in den Bronnen,

Alle Sinne ihr vergehen,

Als wär sie vom Blitz getroffen.

 

Und es löschte aus die Kerze

Vom Gespritze. Jacopone,

Ach, er hat sie nackt gesehen,

Nimmer wird der Anblick frommen!

 

Und sie weinet, und sie flehet,

Daß er fliehe ovn dem Orte;

Aber er war tief verblendet,

Sprach zu ihr die harten Worte:

 

«Für mich bist du nicht zu sehen,

Aber für den Blondgelockten;

Das, was du trägst unterm Herzen

Soll mir ewig sein verborgen!

 

Ihm willst du nicht Treue brechen,

Aber mir ist sie gebrochen;

Aber jetzt sollst du ihn nennen,

Und dann will ich dich durchbohren!

 

In des frechen Blutes Quelle

Soll erröten dieser Bronnen,

Sich und dich der Lüge schelten,

Denn hier hast du mich belogen!»

 

Stammelnd ihm entgegnet:

«Herr und Gatte, hör mein Flehen!

Ehe du mich willst ermorden,

Laß mich an die Kleider legen,

 

Daß mich nicht errötend sehe

So entblößt der junge Morgen;

Herr, nur aus der Laube trete,

Ich will rufen dich zum Morde!

 

Denn ich kann dir nimmer nennen,

Was mir unterm Herzen wohnet,

Da ichs nimmer hab gesehen,

Da es immer bleibt verborgen.

 

Herr und Gatte, hör mein Flehen!

Laß mich beten vor dem Tode,

Laß mich nicht so elend sterben

Ohne Sakramentes Troste!»

 

«Das will ich dir zugestehen!»

Sprach voll Unwill Jacopone,

«Doch die Kleider dir verstecke

Ich, daß du nicht kommst vom Orte.

 

Ich will bald zurücke kehren

Mit dem alten Mönch Benone;

Der den bösen Bund gesehen,

Seh zerhauen auch den Knoten!»

 

Und mit ihrem Mantel gehet

Schnell von dannen Jacopone.

Hartes Weh ist ihr geschehn,

Die zurückblieb in den Wogen.

 

Doch den Herrn um Hilf anflehend,

Ist ihr Herz erstärket worden,

Mutig stieg sie aus der Quelle,

Und die Nacht ist dunkler worden.

 

Da sie nackt in der Kapelle

Bleibe vor dem Licht verborgen,

Breitet sie der Haare Flechten

Um sich her bis auf den Boden.

 

Und auf ihre Augen senket

Nieder sie den Kranz der Rosen,

Den als Braut sie aus dem Tempel

Traurig trug in ihren Locken.

 

Da sie tritt zu der Kapelle,

Ist die Lampe schnell erloschen,

Ihre Keuschheit zu verehren;

Und sie suchet an der Orgel,

 

Wo der goldne Schlüssel hänget

Zu dem Grabe der Dolores;

In verzweifeltem Gebete

Hat sie dann die Gruft erschlossen.

 

Und die Stufen abwärts tretend

Sprach sie: «Heil euch, heilge Toten!

Wollet meine Blöße decken,

Einer armen züchtgen Tochter!»

 

Und sie hört die Stimme beben

Der verstorbenen Dolores:

«Liebe Tochter, wir dir geben

Hilfe, kniee an den Boden!»

 

Und sie fühlt sich um die Lenden

Ein Cilicium geschlossen,

Und von einer schnellen Schere

Ihre Locken abgeschoren,

 

Dann mit seidenen Gewändern

Ihren züchtgen Leib verborgen,

Hört dann nahe vor sich reden

Die unendlich süßen Worte:

 

«Den Bußgürtel um die Lenden

Trage, bis bei deinem Tode

Deine arme Schwester erbet;

Büß um meine Schuld, o Tochter!

 

Trage züchtig, die dich decken,

Diese farbgen Seidenstoffe,

Und die Schuld, die sie beflecket,

Helf mir büßen, liebe Tochter!

 

Einstens werd ich bei dir stehen;

Zu unendlich süßem Troste

Wirst du deine Mutter sehen;

Jetzo gehe, süße Tochter!»

 

Und es scheidet Rosarose

Freudig von der gütgen Toten,

Hängt den Schlüssel an die Stelle,

Da sie hat die Gruft verschlossen.

 

Und die Lampe brennet helle;

Sie setzt freudig sich zur Orgel,

Läßt ein Requiem erschwellen,

Recht in freudig vollem Tone.

 

Als in des Benone Zelle

Eingetreten Jacopone,

Lag der Alte im Gebete

Und sprach hörbar diese Worte:

 

«Herr, dein Aug nicht von mir wende,

Wenn ich steh in bösem Zorne!

Herr, o leite meine Seele

Durch des Sündenmeeres Toben!

 

Herr, laß keinen trostlos sterben,

Ohne heilge Sakramente,

Laß den Sünder nicht verderben,

Ohne Buß vor seinem Ende!»

 

An der Zelle Türe stehet

Dieses hörend Jacopone,

Und von Schrecken ganz erbebet

Pochet er und ruft: «Benone!»

 

Und, die Tür geöffnet, redet

Ernst der Mönch: «O Jacopone,

Gott hat mein Gebet gesegnet,

Daß du bist an diesem Orte!

 

Doch du hast ein wildes Wesen,

Was willst du mit diesem Dolche?

Deine Haare um dich wehen,

Kommst du, mich hier zu ermorden?

 

Oder hast du Rosarosen,

Deine fromme Braut, erstochen?

Fremde Lieb bei ihr erkennend,

Was der Herr verhüten wolle?

 

Oder hast du gen dich selber

Diesen bösen Stahl erhoben,

Willst in blinder Wut du sterben?

O, du armer Jacopone!

 

Weh, ich seh Rosarosens

Mantel deinem Arm entrollet!

Rede, rede, du Entstellter,

Gibt dem stummen Schrecken Worte!»

 

«Vater, zu dem Garten gehe,»

Spricht nun bebend Jacopone,

«Wo mein Weib in der Kapelle

Täglich singet zu der Orgel.

 

Trete zu ihr an die Quelle,

Wo sie badet in dem Bronnen,

Laß sie beichten, laß sie beten,

Eh sie stirbt von diesem Dolche.

 

Daß sie nackt die Flucht nicht nehme,

Hab ich ihr Gewand genommen;

Du magst rücklings hin es werfen,

Wenn du zu dem Bronnen kommest.»

 

Und der Mönch schließt seine Zelle,

Folgt zum Garten Jacopone.

Da sie an der Brücke stehen,

An des Reno blauen Wogen,

 

Spricht der Mönch zu dem Gesellen:

«Wirst du mich nicht hier durchbohren,

Mich dann in den Reno werfen?

Sieh, ich trau nicht deinem Dolche;

 

Gib ihn mir doch aufzuheben!»

Und es gibt ihn Jacopone,

Und sie gehn. Doch unbemerket

Wirft der Mönch ihn in die Wogen.

 

Vor dem Garten nun begehret

Seinen Dolch der Jacopone:

«Er ruht in des Reno Wellen!»

Spricht zu ihm der Mönch Benone.

 

Und die Arme um ihn legend

Küßt die Stirn er Jacopone,

Spricht: «Zu deiner Kammer kehre,

Deine Seele steht im Zorne!

 

Dir zum Troste wiederkehren

Will ich bald mit Rosarosen.

Gott verleih dir seinen Segen!»

Und es gehet Jacopone.

 

Und auf seinem Weg begegnet

Suchend ihn der Meliore,

Fragt ihn bang nach Rosarosen,

Doch es schweiget Jacopone.

 

Da sie in die Stube treten,

Schlummert Pietro an dem Boden,

Abgebrannt sind tief die Kerzen,

Traurig stehn die Blumenbogen.

 

Jacopone spricht: «O wehe!»

Und bricht aus im Tränenstrome,

«Weh, ihr dunkeln Hochzeitskerzen,

Weh, ihr armen Blumenbogen!

 

Nieder brennt ihr in dem Herzen

Und erlöscht im Tränenstrom,

Nieder welkt ihr in den Schmerzen

Unter meiner Klage Odem!

 

Kehret nicht zum Firmamente,

Sterne, Mond und hohe Sonne1

Ewig an des Himmels Schwelle

Steh blutweinende Aurore!

 

Also ewig stille stehen

Soll der Puls im Herz gebrochen,

Ewig meine Hochzeitskerze

Niederbrennen unverloschen!

 

Ewig meine Kränze welken,

Von den Tränen nur begossen,

Stille ewig sterbend leben

Nur die bittren Tränen rollend!

 

Blumenkränze, Hochzeitskerzen,

Sterne, Mond und hohe Sonne,

Ewgen Schmerzes Tränenquellen

Und blutweinende Aurore:

 

Welket, brennet, steht in Schmerzen!

Nimmer lachet Jacopone;

Die die Liebste mir gewesen,

Sie ist schlecht mir vorgekommen!»

 

Aber zu dem Mahl einkehret

Nun der alte Mönch Benone,

Ihm zur Seite traurig stehet

Rosarose ohne Locken.

 

Pietro, vom Geräusch erwecket,

Springet auf; die Myrtenkrone

Reichet er der neuen Schwester,

Lieb und Treue ihr gelobend.

 

Dann putzt schnell er rings die Kerzen,

Daß es helle ward. Meliore

Grüßt sie, reicht ihr die Sonette

Und blickt schüchtern an den Boden.

 

Aber auf dem Hochzeitsbette

Lieget jammernd Jacopone:

«Die die Liebste mir gewesen,

Sie ist schlecht mir vorgekommen!» –

 

«Nun genug der frevlen Reden!»

Spricht zu ihm der Mönch Benone,

Daß, der du ihr lieb gewesen,

Ihr nicht schlechter vor mögst kommen!

 

Hier empfange Rosarosen,

Und bei Gott im Himmel droben

Bist gleich ihr du reines Herzens,

Will ich dich vor Engeln loben.

 

Ich hab all ihr Tun gesehen,

Da ich bin ihr Beichtger worden,

Konnt des Herren Leib ihr geben

Ohne Absolutionen.

 

Sie hat dir auch schon vergeben,

Daß du sie ermorden wolltest.

Die du hast entblößt im Leben,

Ward gekleidet von den Toten.»

 

Aber Rosarosa redet:

«Denke meiner ersten Worte:

`Ich erflehe eure Ehre,

Gebe meine Gott zum Opfer.

 

So bin eine Braut des Herren

Ich, und dennoch Euch verlobet,

Teile mit euch eure Ehre,

Meine bleibe unverloren!

 

Was im Garten hat geredet

Jener Knabe, dunkle Worte

Sind es mir wie dir; erhellen

Müssen sie zukünftge Sonnen!»

 

Und sie knieet vor dem Bette,

Nimmt die Rechte Jacopones,

Auf ihr nacktes Haupt sie legend

In den vollen Kranz der Rosen.

 

Und der Jüngling, tief beweget,

Spricht: «O Weib, wo sind die Locken,

Die ich wollte liebend flechten?

Was soll mir der Kranz voll Dornen?»

 

Liebvoll Rosarosa redet:

«Ich ließ sie den gütgen Toten,

Die dein nacktes Weib bedecket,

Das du hast entblößt im Zorne.

 

Auch den Hochzeitsmantel schwebend,

Den zurück mir gab Benone,

Hab ich ihnen hingegeben,

Ihre Güte zu belohnen.

 

Herr, o wolle dich erheben,

Sieh, es kehret schon Aurore,

Wolle mich zu dir aufnehmen,

Züchtig will ich bei dir wohnen!

 

Eine Magd mich dir bequemen,

Spinnen dir zur Nacht, zum Morgen.

Für dich beten, für dich sterben;

Herr, entsage deinem Zorne!»

 

Jetzt erhebt er sich, doch sehen

Kann er nicht, ein Regenbogen

Schwebt um sie von seinen Tränen

In dem Schein des Morgenrotes.

 

Und sie trocknet seine Tränen,

Still mit ihres Kranzes Rosen,

Und Benone gibt den Segen,

Will dann kehren nach dem Kloster.

 

«Trink des Brautweins einen Becher,

Heilger!» flehte Jacopone.

«Gib ihn mir, ich will zur Messe

Ihn verwandeln!» spricht Benone.

 

«Dort will eurer ich gedenken

Und als Christi Blut ihn opfern!»

Und nun kehrt zu seiner Zelle

Still der alte Mönch Benone.

 

Rosarosa spricht nun: «Denke,

Lieber, was ich dir versprochen:

Hier ist Wasser aus der Quelle,

Hier sind unsres Gartens Rosen.

 

Lasse unsre Augen netzen,

Die getrübt vom Weinen worden.»

Und nun auf die Tafel setzet

Sie das Glas bekränzt mit Rosen.

 

Und sie kühlen mit der Quelle,

Den die Tränen all entquollen,

Ihrer Augen heiße Quellen;

Sieh, da steigt herauf die Sonne.

 

«Sie will sein bei unserm Feste!»

Spricht der stille Meliore;

Aber Pietro laut erhebet

Seine Stimme ihr zum Lobe:

 

«Grüß dich, Held des Orientes,

Grüß dich, Gottes Morgensonne,

Grüß dich, Heiland aller Wesen,

Grüß dich, Heiland voller Rosen!

 

Grüß dich, Trost der dunklen Felder,

Grüß dich, Quell der Tauestropfen,

Grüß dich auf dem Himmelswege,

Grüß dich, goldne Morgensonne!

 

Singt mir, was sie spricht, ihr Lerchen,

Singt die sieben letzten Worte,

Singt den Held des Orientes,

Der die schwere Nacht gebrochen!»

 

Also sang er, während betend

Die drei andren zu ihm horchen,

Und die volle Sonne sehen

Sie, und waren voll des Trostes.

 

Und sie trinken einen Becher

Brautwein, haben angestoßen

Einer zu des andern Segen,

Und dann aßen sie des Brotes.

 

Da ertönt das Glöcklein helle

An dem wohlbekannten Kloster,

Und sie gehen zu der Messe

Ihres alten Freunds Benone. –

 

Also liebte er ihr Wesen,

Hat sich so mit ihr versprochen,

Feiert so die Hochzeitsfeste,

Der gelehrte Jacopone.

 

Und sie war ihm tief ergeben,

Eine Magd ihm unterworfen,

Winke waren ihr Befehle

Und Gesetze seine Worte.

 

Auf sein Haus strömt voller Segen,

Und man pries ihn allerorten;

Die er führte, die Prozesse,

Waren alle bald gewonnen.

 

Und sie füllte spinnend, webend,

Seine Schränke an bis oben,

Nähte ihm wohl hundert Hemden,

Die sie alle selbst gewoben.

 

Sie half ihm die Bücher stellen,

Wußte sie gar wohl zu ordnen,

Schrieb ihm ab viel dicke Hefte

Und gar manchen schweren Codex.

 

Als sie einst ihm die Pandekten

Heimlich schrieb mit flüssgem Golde

Auf schneeweißem Pergamente

Und ihm gab am Christtagsmorgen,

 

War er gar in Lieb beweget,

Schenkte ihr, die sie gesponnen

Und gewebet, all die Hemden

Und dazu viel Münzen Goldes.

 

Und sie ließ auf allen Wegen

Zu sich bald die Armen kommen,

Ihre Linnen sie ausspendet,

Recht zu aller Frommen Troste.

 

Und so lebten sie in Segen,

Wohl vier Jahre ohne Sorgen,

Und es wußte kaum zu bergen

Seinen Reichtum Jacopone.

 

Und Bologna war getrennet

In Parteien. Die des Volkes

Sich die Gieremei nennen,

Stritten für das Recht des Volkes.

 

Lambertazzi, ihre Gegner,

Für des Adels Recht erhoben;

Von zwei feindlichen Geschlechtern

War der Namen angenommen.

 

Und da diesen eigenen Händeln

Sich noch fremde eingeflochten,

Ghilbellinen und die Guelphen,

Ward die Sache mehr verworren.

 

Und so ward gar viel gerechtet,

Manches Blut im Streit vergossen,

Daß die Frauen bittre Tränen

Um die Toten weinen konnten.

 

Oft erteilte den Geschlechtern

Seinen Rat auch Jacopone,

Und in ihrer Mitte stehend

Mußte Freund und Feind ihn loben.

 

Wenn in diesem stolzen Leben

War sein irdscher Mut erhoben,

Sah er oft sein Weib beschämet

Neben sich so still verborgen.

 

Die den Schleier nie ableget

Von des schönen Hauptes Locken,

Die mit Edelstein und Perlen

Nimmer vor ihm prangen wollte.

 

Und sie wollte niemals gehen

Zu dem Tanze, zu der Oper,

Ging vor Tag nur in die Messe

Und zu der Kapelle Orgel.

 

Endlich hat er sie erbeten,

Ihm zu folgen in die Oper,

Da die Sängrin Biondette

Wollt entsagen zu dem Kloster.

 

Und er hat ihr angeleget

Schwere Spangen roten Goldes,

Edelsteine, reiche Perlen

Und Rubinen, blutge Rosen.

 

Als er ihr den Schmuck anlegte,

Stand sie wie ein Lamm des Opfers,

Und er sprach: «Den Schleier lege

Ab, laß flechten mich die Locken!»

 

Doch sie wollt ihn nicht ablegen,

Bis er zürnend es befohlen;

Ach, was muß erschreckt er sehen:

Schneeweiß sind des Hauptes Locken!

 

Ruhig sie da zu ihm redet:

«Darum hielt ich sie verborgen.

Seit sie von der Totenschere

Fielen, sind sie bleich geworden!»

 

Ach, wie recht im tiefsten Herzen

Traf die Rede Jacopone,

Da er sah die Jungfrau stehen

Mit des Alters grauen Locken.

 

«Könnte ich mit meinen Tränen

Dir das Silberhaar vergolden!

Ach, ich habe dich dem Schrecken

Jener Schere unterworfen!»

 

Und er hat die Silberflechten

Mit Rubinen ihr durchzogen,

Wie ein Busch im Blütenschnee,

Vom Johanniswurm umflogen.

 

Wunderbar war sie zu sehen,

Eine Diamantensonne,

Und es freut an Rosarosen

Wie ein Kind sich Jacopone.

 

Wie die Flitterkränze schweben,

Und die flimmernden Goldrosen

Zitternd auf der Jungfraun Särgen,

Schien sie in der Glorien Krone

 

Eine selge Braut der Engel,

Eine Königin der Toten,

Eine hochzeitliche Seele,

Ein gestirnter Geist voll Wonne.

 

Schier geneigt, sie anzubeten,

Ging bei ihr der Jacopone.

Da sie ins Theater treten,

Ging ein Flüstern durch die Logen.

 

Nie noch hatte man gesehen

Die Gemahlin Jacopones,

Und nun wie ein höhres Wesen

Stand sie blendend vor dem Volke.

 

Und in der erstaunten Menge

Hat ein Klatschen sich erhoben,

Bis beschämt in tiefstem Herzen,

Sie den Schleier umgenommen.

 

Als die liebliche Biondette

Sang ihr Leben vor dem Volke,

War die schöne Rosarose

Tief im Herzen scharf getroffen.

 

«Daß du mich mit dir zu gehen

Hast bewogen, Jacopone,»

Sprach sie, «dank ich dir ohn Ende.

O, wie ist mir wohl geworden!

 

Diese Jungfrau anzusehen

Ist mir nie genossne Wonne,

Und ich könnte ruhig sterben,

Spräch sie zu mir süße Worte!

 

Ach, ich fühle ihrem Wesen

Meine Seele tief verwoben,

O, ich werde nie genesen,

Steht sie mir nicht bei im Tode!»

 

Und sie war so tief beweget,

Da die Jungfrau ihre Rollen

Wiederholt als Judith, Jephthe,

Daß sie nachsprach alle Worte.

 

Aber als sich um Biondetten

Hat die wilde Glut erhoben,

Hat sie, nicht um sie, um jene

Nur, das Hilfsgeschrei erhoben.

 

Und es brachte sie zu retten

Mit Gewalt nun Jacopone

Hinzu einem hohen Fenster,

Da ersah sie Meliore.

 

Keine Leiter ruht am Fenster,

Rings schon alles um sie lodert,

Und sie sprang, sich Gott befehlend,

Nieder in den Arm Meliores.

 

Glücklich nieder zu der Erde

Folgt ihr springend Jacopone,

Doch er findet sie mit Schrecken

Blaß und schon ihr Aug geschlossen.

 

Und rings unter ihrem Herzen

Blutge Tropfen niederflossen,

Doch sie sprach: «Mein Herr, ich lebe

Annoch durch die Hilfe Gottes!»

 

Und vier rheinische Studenten

Sie auf ihren Mantel hoben,

Trugen still sie durchs Gedränge,

Weinend folget Jacopone.

 

Und sie ward auf ihren Wegen

Angestaunet von dem Volke,

Wie ein Kunstwerk von Juwelen

Und ein Bild von lauterm Golde.

 

Nimmer ward von solchem Werte

Ein geheimer Schatz gehoben,

Und die tragenden Studenten

Nimmer von ihr blicken konnten,

 

Wenn sie in dem Schein der Sterne

Oder in dem Glanz des Mondes

Auf dem weißen Mantel blendet,

Wie auf Schätzen Flammen lodern.

 

Hätte sie nicht von Biondetten

Oft den Namen ausgesprochen,

Für die Leiche eines Engels

Hätte man sie halten sollen.

 

Über ihres Hauses Schwelle,

Bis zu ihrer Kammer oben,

Auf sein keusches Hochzeitbette

Ließ sie tragen Jacopone.

 

Dann entließ er die Studenten,

Ihre Treue zärtlich lobend,

Und zu ihm sprach Rosarose:

«Höre mich, mein Jacopone!

 

Da ich aus dem Leben gehe,

Soll dir bleiben unverborgen,

Was ich mußte dir verhehlen,

Das Geheimnis jenes Bronnens.

 

Warum du mich wolltest töten,

Als den Knaben du gehorchet.

Wisse, daß ich deine Schwester,

Deinem Vater bin entsprossen!

 

Und ich danke, daß du ehrend

Meine Unschuld nicht verdorben,

Daß von Blutschuld unbeflecket,

Keusch wir bei einander wohnten.

 

Aus versündeten Geschlechtern

Sind wir sündenvoll geboren,

Und die Sünde wird erst enden,

Wenn ein schweres Jahr verflossen.

 

Von der eitlen Welt dich wende,

Geh in einen frommen Orden,

Wo das Schauspielhaus verbrennte,

Laß erbauen mir ein Kloster!

 

Aber jetzo, eh ich sterbe,

Hole mir den Greis Benone,

Daß ich nehm die Sakramente,

Zu der Seele letztem Troste!»

 

Jacopone steht entsetzet,

Ohne Regung, ohne Worte,

Nur sein Haar hebt sich zu Berge;

Doch er eilet zu Benone.

 

Aber auf der Treppe schellet

Schon des kleinen Lammes Glocke,

Und zu Rosarose gehet

Ein der Knabe blondgelocket.

 

«Grüß dich Gott zum Wiedersehen1

Ei, wie bist du schön geworden,

Meine liebe Rosarose!»

Hat das Kind zu ihr gesprochen.

 

Und sie sprach: «Mein guter Engel,

Du kamst, wie du mir versprochen,

Doch du bleibest stets derselbe,

Du bist größer nicht geworden!»

 

«Mir ist», hier das Kind versetzte,

«Dieses Maß gegeben worden.

Ach, es war nicht zu ermessen,

Als dies Maß war voller Wonne!»

 

Doch nun fühlt die Jungfrau Schmerzen;

Klagend sprach sie: «O, Benone,

Komme bald zum Trost der Seele

Und geselle mich den Toten!»

 

Und der Knabe sorglich legte

Auf die Stirn ihr eine Rose,

Und von ihrem Duft erwecket,

Hat die Jungfrau sich erholet.

 

«Du hast dich zum Hochzeitsfeste»,

Spricht er, «schön geschmückt mit Golde,

Und mit Perlen und Juwelen

Strahlst du in der Jungfraunkrone!

 

Wird dein Bräutigam dich auch kennen,

Der dich sonst nur sah mit Rosen?»

«Ja,» sprach sie, «er wird mich kennen

An dem Blut, das ich vergossen!»