BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1838

 

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Zweites Lied

von der alten Waschfrau.

 

Es hat euch anzuhören wohl behagt,

Was ich von meiner Waschfrau euch gesagt;

Ihr habt's für eine Fabel wohl gehalten?

Fürwahr, mir selbst erscheint sie fabelhaft;

Der Tod hat längst sie alle hingerafft,

Die jung zugleich gewesen mit der Alten.

 

Dies werdende Geschlecht, es kennt sie nicht

Und geht an ihr vorüber ohne Pflicht

Und ohne Lust, sich ihrer zu erbarmen.

Sie steht allein. Der Arbeit zu gewohnt,

Hat sie, solang es gieng, sich nicht geschont;

Jetzt aber, wehe der vergeßnen Armen!

 

Jetzt drückt darnieder sie der Jahre Last,

Noch emsig thätig, doch entkräftet fast,

Gesteht sie*s ein: «So kann's nicht lange währen.

Mag's werden, wie's der liebe Gott bestimmt;

Wenn er nicht gnädig bald mich zu sich nimmt –

Nicht schafft's die Hand mehr –, muß er mich ernähren.»

 

Solang sie rüstig noch beim Waschtrog stand,

War für den Dürft'gen offen ihre Hand;

Da mochte sie nicht rechnen und nicht sparen.

Sie dachte blos: «Ich weiß, wie Hunger thut.» –

Vor eure Füße leg ich meinen Hut,

Sie selber ist im Betteln unerfahren.

 

Ihr Fraun und Herrn, Gott lohn es euch zumal,

Er geb euch dieses Weibes Jahre Zahl

Und spät dereinst ein gleiches Sterbekissen!

Denn wohl vor allem, was man Güter heißt,

Sind's diese beiden, die man billig preist:

Ein hohes Alter und ein rein Gewissen.

 

 

Die Reliquien.

 

Ein Nekromant stand am Altar;

Er sah mich die Gebeine küssen

Des Heil'gen, dessen Fest es war;

Und sprach: «Der wird uns beichten müssen.»

Kaum hatt' er auch mit leisem Ton

Die Zauberformel ausgesprochen,

Der Heil'ge sitzt auf und ruft uns schon

Mit gotteslästerlichem Hohn:

«Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!»

 

Und wiehernd lacht nun das Skelett

Und schreit uns gellend in die Ohren:

«Schon tausend Jahr' auf glühndem Bett

Muß ich für meine Sünden schmoren;

Doch hat ein wanstig Priesterlein

Den Heiligen in mir gerochen!

Ich bring' ihm aber tüchtig ein,

Er kann mit mir zufrieden sein. –

Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!

 

Ich war ein Bettler, Gauner, Dieb,

Sprach falsches Zeugniß auf Begehren;

Darauf als Straßenräuber trieb

Ich's ritterlich und kam zu Ehren.

Ich hab auf einer Burg gewohnt,

Bin oft in Kirchen eingebrochen,

Hab' guter Heil'gen nicht geschont;

Ihr seht, wie mir der Himmel lohnt. –

Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!

 

Küßt auch den Schädel dort, doch hat's

Bis morgen Zeit, an ihrem Feste;

Von einer Jüdin, meinem Schatz,

Sind diese heil'gen Ueberreste.

Sie hat die Hölle gut bedacht,

Auf sie mag Luzifer wohl pochen;

Zu straucheln hat ihr Reiz gebracht

Von Mönchen eine ganze Tracht. –

Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!

 

Dort wird ein Heil'ger andrer Art,

Ein Schädel, wie von keinem Denker,

In goldnem Schrein wohl aufbewahrt;

Erst dummer Dieb, dann witz'ger Henker.

Sein Werk trieb er zur höchsten Lust

Des Hofs bei festlichen Epochen;

Wir beide haben dran gemußt,

Zu welcher Ehr', ist euch bewußt. –

Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!

 

Doch, wenn die Pfaffen ausgestellt

Zur frommen Schau den morschen Plunder,

So regnet's in den Kasten Geld,

Das ist das Wunder aller Wunder! –

Des Teufels Horn! bei meiner Six! –

Adieu! wir werden unterbrochen.»

Sich niederlegend stiehlt er fix

Noch vom Altar das Kruzifix. –

Ihr Frommen, küßt nur seine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur seine Knochen!»

 

 

Die Neger

und die Marionetten.

 

Neger härmten sich und starben,

Auf dem Schiffe dutzendweise,

Starben, starben und verdarben

Dem Patron die ganze Reise.

«Blitz! Die Waare muß man retten!

Ei vergeßt doch eurer Ketten.

Seht auf meine Marionetten.

Gute Sclaven, seid vergnügt!»

 

Also läßt er auf der Stelle

Den Theaterkasten bauen,

Quäkend zeigt sich Pulcinelle,

Frau und Nachbar sind zu schauen;

Negern sind das fremde Sachen,

Sie verwundern sich, sie machen,

Große Augen, ja, sie lachen!

Gute Sclaven, seid vergnügt!

 

Pulcinell, ein arger Zänker;

Mord und Todtschlag! – kommt der Richter. –

Kommt der Galgen – kommt der Henker –

Gar befremdliche Gesichter!

Jener Ketten sind indessen,

Harm und Leid schon fast vergessen,

Seht, sie lachen wie besessen,

Gute Sclaven, seid vergnügt!

 

Und der Teufel holt am Ende

Pulcinell, er unterlieget.

Jene klatschen in die Hände:

Schwarz! Triumph! Er! wir! er sieget!

Lassen von dem Stück sich irren,

Jubeln, schreien, jauchzen, schwirren –

Helden, deren Ketten klirren,

Gute Sclaven, seid vergnügt!

 

 

Hirtenbrief der

Generalvikare von Paris.

 

Hört für diese Fastenzeit

Unsern Hirtenbrief ihr Brüder;

Hört ihn an mit Frömmigkeit,

Nehmt und lest, und lest ihn wieder.

Wird das Meisterstück verlacht,

Hat's Rousseau so weit gebracht;

Pfeift es aus der Uebermuth,

Ist's Voltaire, der solches thut.

 

Denn Jean Jacques und Arouet

Sind an allem schuld gewesen;

Satan fluchte früh und spät,

Satan hatte sie gelesen;

Mutter Evas Apfelbiß

Kommt von Rousseau ganz gewiß;

Aber Kains Missethat

War die Frucht von Voltaires Saat.

 

Weil der Presse Unfug groß

Dazumal in Noahs Tagen,

Ließ der Herr die Wasser los,

Länger konnt' er's nicht ertragen;

Riß ihm endlich die Geduld,

Trägt Rousseau allein die Schuld,

Bricht die zweite Sündflut ein,

Trägt die Schuld Voltaire allein.

 

Aerger, als sie damals war,

Ist die Welt und wird noch böser.

Dies verruchte Ketzerpaar

Streitet wider den Erlöser;

Satans linke Hand allstund

Ist Rousseau, der Höllenhund,

Aber seine rechte Hand

Ist Voltaire, der Höllenbrand.

 

Gleich in Fesseln ward das Kind

Sonst gelegt, als es geboren,

Daß es lerne, Menschen sind,

Sclav' zu werden auserkohren;

Läßt man's jetzt so fessellos,

Liegt die Schuld an Rousseau blos;

Giebt Vernunft ihm ihren Schein,

Hat Voltaire die Schuld allein.

 

Ultra-Volksvertreter sind

Jakobiner gleich zuzeiten,

Schwatzen, schwatzen in den Wind

So von Freiheit als Freiheiten;

Wer die neue Larve nimmt,

Borgt sie von Rousseau bestimmt;

Legt er sie vergeblich an,

Hat's ihm Voltaire angethan.

 

Wenn Lafitte auch laut verschreit

Des Budgets enorme Zahlen,

Gute Leute, seid bereit,

Doch am Ende zu bezahlen;

Wenn es viel euch dünken sollt',

Hat Rousseau es so gewollt;

Wenn es jährlich sich vermehrt,

Hat Voltaire es so begehrt.

 

Während man behalten will,

Was der Kirche ward genommen,

Mühen wir uns emsig still,

Wieder in Besitz zu kommen.

Mit den Forsten hält es schwer,

Und das rührt vom Rousseau her;

Nicht ein Holzstoß, nicht ein Scheit!

Voltaire bringt es noch so weit.

 

Büßet denn, ihr Sünder da,

Oder fürchtet unsre Rache!

Duldsamkeit, das wißt ihr ja,

Ist nicht eben unsre Sache;

Gebet Gott, was ihm gebührt;

Doch Rousseau hat euch verführt;

Ach, die leid'ge Neurungssucht!

Die ist Voltaires arge Frucht.

 

Deßhalb, lieben Brüder, hat

Gott erlaubt, euch zu erlauben

Harte Eier zum Salat;

Wollt ihr noch gebratne Tauben! –

Schmecken nicht mehr Rüb' und Kohl,

So versucht euch Rousseau wohl;

Wollt ihr Speck noch eingebrockt,

Ist's Voltaire, der euch verlockt.