BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Gedichte.

Ausgabe letzter Hand

 

1837

 

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Gelegenheits-Gedichte.

 

Sie tönten, sie verhallen in der Zeit.     Schiller

 

 

Der jungen Freundin ins Stammbuch.

 

Zehn Zentner schwer aus lauterem Dukatengold

Verfertige der Meister Goldschmidt einen Stuhl,

Und spare Diamanten nicht, Rubinen nicht,

Nicht leuchtende Karfunkel, nicht der Perlen Zier

An diesem Kunstwerk, welches ich, so reich es sei,

So reich und kostbar, voll und bar bezahlen will,

Wird nur der Fall, wofür ich es bestimme, wahr;

Denn dir verheiß ich, teures Kind, sotanen Stuhl,

Darauf gemächlich du in Ehren sitzen magst,

Im Falle man dich überhaupt nur sitzen läßt.

 

 

Auf den Tod von Otto von Pirch.

 

Wen birgt da unten tief die schwarze Truhe

Die von dem Fall der Erde dumpf erschallt?

Sagt, welchen Müden legt ihr da zur Ruhe? –

Von Pirch. – Ihr lügt! gar lebensfreudig wallt,

Ich sah ihn gestern noch im Tagesscheine,

Die kräft'ge, jugendstrahlende Gestalt –

Da liegt er bleich und kalt im engen Schreine. –

Er sollt es sein?? – Er ist's, den wir begraben. –

Der Edle, Tapfre, Weise, Fromme, Reine!

Er, welchen schmückten alle höhern Gaben,

Den wir ein Muster aller Tüchtigkeit

Geehrt vor allen und geliebet haben.

Er, den in dieser dünkelhaften Zeit

Der Reiz der Demuth zierte wunderbar,

Dem Bessern stets zu huldigen bereit.

Der wie ein Held, der wie ein Kind auch war,

Der.... O mein Pirch! du bist dahin gegangen,

Ich aber schüttle noch mein greises Haar.

Dein klares Aug und deine frischen Wangen,

Dein Bild wird, der Vergänglichkeit entrafft,

Stets jugendhell vor meiner Seele prangen.

Das Alter aber zehrt an meiner Kraft,

Der Lenz erweckt in mir den alten nicht,

Da prüf ich mich, da fühl ich mich erschlafft.

Es zieht ein Nebelflor vor mein Gesicht,

Von meinem Ohr entfernen sich die Töne;

Ich merke, wie der Bau zusammenbricht.

Dich nahm der Tod in deiner vollen Schöne,

Du fühltest nicht dich sterben Stück für Stück,

Wie andre morsch gewordne Menschensöhne.

Dir war das Leben Hoffnung nur und Glück,

Enttäuschung hat es nimmer dir vergällt;

Wir aber rufen schmerzlich dich zurück.

Denn alt geworden ist um uns die Welt,

Es gleicht, was noch besteht, dem letzten Traum

Zur Stunde, wo der Osten sich erhellt.

Es tragen sich die morschen Pfeiler kaum,

Der Boden wankt, der Glauben ist verloren,

Tiar'- und Kronengold ist eitel Schaum.

Dem Alten ist der Untergang geschworen,

Verwesung greift um sich, die Stoffe gären,

Im Schmerze wird die neue Zeit geboren;

Sie wird nach Männern so wie du, begehren.

 

 

Stimme der Zeit.

Zur Jubelfeier des Königlich

Preussischen Staats-Ministers

Grafen von Lottum.

Am 9. April 1834.

 

Wer den gestirnten Himmel flüchtig sähe,

Der ließe sich den Wahn vielleicht nicht rauben,

Daß unbeweglich starr dort alles stehe;

Und wer die Zeitgeschichte, möchte glauben,

Man habe sie zum Stocken schon gebracht,

Und leichtlich ließe sie zurück sich schrauben.

Wer aber während einer halben Nacht

Die Sterne sich erheben sah und neigen,

Und solchem Schauspiel sinnend nachgedacht,

Der wird die Wahrheit nimmer sich verschweigen,

Und sprechen, wann der Tag im Osten graut:

Dort muß der Schild der Sonne bald sich zeigen;

Und wer ein halb Jahrhundert nur geschaut,

Ist mit der Weltgeschichte stätem Gange

Und allgewalt'gem Fortschritt schon vertraut.

Ein Stern der Vorzeit stand im Niedergange,

Als Luther aufstieg, der, ein Held, befreit

Die halbe Welt vom schnöden Geisteszwange.

Was Großes er vollbracht, war an der Zeit;

Nur mußte, wo das Licht nicht eingedrungen,

Sich grimmiger erneun der alte Streit;

Denn wirrer hatte sich der Knäul geschlungen,

Derweil im Schwung das Rad der Zeit gerollt

Und unvernommen, was sie schrie, verklungen:

Das Licht, das mild erhellen nur gesollt,

Es ward zum Blitzstrahl, und in Ungewittern

Ward grausig Schuld und aber Schuld gezollt.

Wir sahen rings um uns den Boden zittern,

Und sahn in Bluth und Aufruhr und Empörung

Der Throne morsch gewordnes Holz zersplittern.

Im Finstern haust Verrath nur und Verschwörung;

Vom sonnenhellen festen Ufer sahen

Wir unbefährdet zu der Weltzerstörung;

Wir, die von Vaters Händen schon empfahen

Die Güter, denen nach sie jagen, ohne,

Vom Schein verlockt, den gleißenden zu nahen.

Heil ihm, der weis und stark auf festem Throne

Mit unsrer Liebe schirmend sich umgiebt,

Aus Gold der Treue schmiedend seine Krone;

Den wie ein Sohn ein jeder Preuße liebt,

Vor dessen Fuß ausbrandend ohne Schaden

Der Zeit empörter Wellenschlag zerstiebt.

Heil dir, der, ihm zunächst im Glanz der Gnaden,

Das edle, treue, waffenfreud'ge Roß

Hilft lenken an der Liebe Seidenfaden,

Das Roß, vor dessen Hufschlag der Koloß,

Der lastend auf Europa einst gelegen,

Gleich einem eitlen Nebelbild zerfloß.

Heil dir, du Biedermann; du theilst den Segen,

Wo liebend du getheilt der Sorgen Last,

Und unsre Herzen schlagen dir entgegen.

Heil dir, der mitgewirkt du rühmlich hast

Ein halb Jahrhundert zu des Landes Heil,

Und wirkst noch unablässig ohne Rast;

Dir wird der Liebe Huldigung zu Theil.

 

 

Trinkspruch

in einer literarischen Gesellschaft 1831.

 

O lasset uns in dieser düstern, bangen Zeit,

Wo hochanschwellend, donnernd der Geschichte Strom

Die starren langgehegten Eisesfesseln sprengt,

Das neue Leben unter Trümmern bricht hervor,

Und sich in Stürmen umgestalten will die Welt;

O lasset uns, ihr Freunde, – rings verhallt das Lied

Und unserm heitern Saitenspiele lauscht kein Ohr, –

Dennoch die Gottesgabe des Gesanges treu

Im reinen Busen hegen, wahren; daß vielleicht

Wir, hochergraute Barden, einst die Sonne noch

Mit Hochgesang begrüßen, welche das Gewölk

Zertheilend die verjüngte Welt bescheinen wird.

Prophetisch, Freunde, bring ich dieses volle Glas

Der fernen Zukunft einer andern Liederzeit!

 

 

Zur Einleitung

des deutschen Musenalmanachs 1833.

 

Was mir im Busen schwoll, mir unbewußt,

Ich konnt es nicht verhindern, ward Gesang;

Zum Liede ward mir jede süße Lust,

Zum Liede jeder Schmerz, mit dem ich rang;

Das Lied erhob aus zornerkrankter Brust

Sich sturmbeflügelt in der Zeiten Drang;

Ich hörte nur die eigne Stimme rauschen

Und sorgte nicht, man könne mich belauschen.

 

Doch ihr, die ich bewundert wie die Sterne

Des Himmels über mir, so hoch und klar,

Die nur entblößten Hauptes aus der Ferne

Zu grüßen, mir ein Traum des Dünkels war,

Ihr meine hohen Meister, lauschtet gerne

Dem schlichten Laut, aufblickend nahm ich wahr,

So wie des Liedes Wogen ausgebrandet,

Daß lächelnd ihr im Kreise mich umstandet.

 

Und eurem hohen Chor war's mir beschieden,

Erröthend faß ich's nicht, mich anzureihn;

Wohl herrlich ist es, von den Homeriden –

Ein Größrer sprach's – der letzte noch zu sein;

Ihr schmücktet mit der Binde mich hienieden,

Ich werde nicht das Priesterthum entweihn;

Der Ernst, die Liebe wohnen mir im Busen,

Und also schreit ich zum Altar der Musen.

 

Ihr habet auf die Stufen dieser Halle

Als Wächter mich und Herold hingestellt;

Zum Feste des Gesanges lad ich alle,

Die einer Sprache Mutterlaut gesellt;

Herein, herein! das deutsche Lied erschalle

Volltönig, kräftig in die ernste Welt;

Herein! du Meister mit der Lorbeer-Krone;

Du Jünger, der noch ringt nach gleichem Lohne.

 

Herein! du Jünger; zaudre nicht zu neigen

Dein lock'ges Haupt vor deinen Meistern hier;

Dir ziemt vor ihnen Ehrfurcht wohl zu zeigen,

Du ringst hinan zu ihrem Lichtrevier;

Und wehte nicht aus ihres Lorbeers Zweigen

Des Gottes Schöpferathem erst zu dir?

Bin so wie du, obschon in grauen Haaren,

Ein Jünger nur; vertraue meinen Jahren.

 

Herein! du Dichterfürst in deinem Ruhme,

Und laß die Mächte deiner Lieder walten;

Beschirme diese du im Heiligtume,

Dir ziemt die Jugend ehrenvoll zu halten;

Wer weiß, ob nicht die erst erschloßne Blume

Zur schönern Frucht sich werde noch entfalten?

Du hast, wie sie, im niedern Wald verborgen

Gerungen und gestrebt an deinem Morgen.

 

Wer will, sei mit im Uns; die Kunst ist frei,

Es singe, wem ein Gott Gesang gegeben;

Die Sonne weckt die Blumen auf im Mai,

Und reift im Herbst das flüß'ge Gold der Reben;

Ob später Herbst, ob Frühling in uns sei,

Es steigt der Saft, es reget sich das Leben,

Und so wir rauschend in die Saiten greifen,

Die Blumen wachen auf, die Früchte reifen.

 

Doch seht am Himmel welch ein trüber Flor

Gewitterdrohend in des Tages Schwüle!

Die Welt ist ernst geworden, sie verlor

In Sturmesdrang die Lust am Saitenspiele;

Wer, Freunde, lauschte jetzt noch unserm Chor?

Wer ist, der in der Dichtung sich gefiele?

Laßt friedsam uns und fromm im Liedergarten

Des uns vertrauten heil'gen Funkens warten.

 

 

Nachhall.

 

Wie jetzt der Baum im kalten Nebelwind

Mit nackten Zacken, also traur ich selbst;

Es reget sich kein Lied in meiner Brust

Und müßig auf der Harfe ruht die Hand.

Hat solches mir der Herbst nur angethan,

Und wird ein Frühling wieder mich erwecken? –

Vielleicht, – ich weiß es nicht. – Ist aber ganz

Versiegt in mir die Quelle des Gesanges –

Geduld, mein Herz! du wirst es überwinden,

Dich hat das Leben schon den Tod gelehrt.

 

Du mein vertrauter Freund, mein Saitenspiel,

Magst hier indeß am stillen Herde hangen;

Ich will die Efeuranke um dich winden,

Dich scheidend schmücken mit dem Wintergrün.

Hast du mich doch geschmückt mit meinen Blüthen

In Lust und Leid, verherrlicht meine Freuden,

Den Schrei des Schmerzes lindernd aufgelöst

In Wohllaut, und die Lohe meines Zornes

Verklärt ergossen in des Aethers Strom.

 

Und meine Lieder lockten feuchte Perlen

In sitt'ger Frauen Augen, ja, sie weckten

In manchem deutschen Busen Widerhall;

Die Jugend nennt und liebt den alten Sänger,

Des Namen guten Klanges nicht verschallt

Bevor das werdende Geschlecht erlischt;

Ich weiß es, und ich sprech es ruhig aus,

Nicht stolz, nicht eitel, nein, von Dank erfüllt.

 

Ich danke dir, mein heimisch deutsches Land,

Du hast, in dieser ernsten stürm'schen Zeit,

Mir unverhofft geliehen Ohr und Herz,

Und hast, mitfühlend, mir die eignen Freuden,

Die Lust der Lieder in bewegter Brust

Reich, überschwenglich reich gelohnt. Hab Dank!

Ich sang ja nur, so wie der Vogel singt.

 

Ihr jüngern Sangbegabten, sammelt euch

Um mich; ich rechne mit dem Leben ab,

So scheint es; laßt mich einmal noch zu euch

Aus vollem Herzen reden; hört mich an:

Des Sehers und des Sängers Gaben sind

Von Gott und heilig; ehrt den Gott in euch;

Frönt nicht mit Heiligem dem Weltlichen;

Buhlt mit der Lyra nicht um schnöden Lorbeer

Um nicht um schnödres Gold. Vermeßt euch nicht

Mit unsrer Zeit und unserm Vaterlande

Zu hadern, weil nach eurem Dünkel nicht

Euch Preis und Ehre zugemessen ward;

Verklagt die Mitwelt bei der Nachwelt nicht;

In Berges Klüften schläft der Widerhall

Und schläft in aller Herzen, wem ein Gott

Die Macht verliehen hat, der ruft ihn wach.

Und das ist Sängerslohn. Begehrt ihr mehr,

Begehrt den Lohn vielleicht ihr der Propheten?

 

Frei schallt aus freier Brust das deutsche Lied,

Von keinem Ludwig wird es ausgesät;

Frei wie der Vogel sei der deutsche Sänger,

Und mög er vogelfrei auch sein, ihn schützt

Der Gott, der ihn zum Liebling sich erwählt,

Ihm lohnt der Ton, der aus der Kehle dringt,

Er borget nichts von ird'scher Majestät.

Es singe, wem Gesang gegeben ward,

Im deutschen Dichterwald, doch nie entwürdigt

Zum schnöden Handwerk werde der Gesang.

Ernähret euch von ehrlichem Erwerb;

Eßt euer Brod, das ist der Menschen Los,

In eures Angesichtes Schweiß; dem Tage

Gehöret seine Plage: spaltet Holz,

Karrt Steine, wenn die Noth es von euch heischt;

Wenn aber schlägt die Abendfeierstunde,

Und in des Himmels Räumen sich entzündet

Das Licht der Sterne, dann, Geweihte, schüttelt

Von euch die Sorgen, frei erhebt das Haupt

Und frei belebt die heil'ge Nacht mit Tönen;

Ruft in den Schlafenden die Träume wach,

Die Träume jener Welt, die in euch lebt; –

Das Reich der Dichtung ist das Reich der Wahrheit,

Schließt auf das Heiligthum, es werde Licht!

 

 

Dichters Unmuth.

(Nach Fouqué)

 

Wir tragen gar im Herzen manche Pfeile,

Und bluthet's in dem stillen Schoß der Nacht,

So wird vom Schmerz das Lied hervorgebracht,

So reihet wunderbar sich Zeil an Zeile.

 

Sie lesen's nun, so, für die Langeweile,

Wann träg und laß sie die Verdauung macht,

Und finden's hübsch, und finden's schlecht erdacht,

Und hier ist's schwach, und dort entbehrt's der Feile.

 

Wir haben's aber so in der Natur,

Wir schreiben ganz mit unsers Herzens Bluth,

Was sie bekritteln zwischen Schlaf und Wachen.

 

O Pelikanes-Wirthschaft! wär's doch nur

Für keine gar so miserable Brut!

Was thut's, wir werden's drum nicht anders machen.

 

 

Die letzten Sonette.

 

1

 

«Du sangest sonst von Frauen-Lieb und Leben,

Mein trauter Freund, mir schöne Lieder vor;

An deinen lieben Lippen hing mein Ohr,

Ich fühlte mich in Lieb und Lust erbeben.

 

Du singst nicht mehr; – um deine Lyra weben

Die Spinnen, dünkt mich, einen Trauerflor;

Sprich, wirst du nie die Lust, die ich verlor,

Du süßer Liedermund, mir wiedergeben?»

 

Ich trage selbst – still, still! mein gutes Kind –

Geduldig und entbehre sonder Klage;

Bin müde jetzt, verklungen ist mein Singen.

 

Ein Sänger war ich, wie die Vögel sind,

Die kleinen, die nur zwitschern ihre Tage. –

Der Schwan nur... – Reden wir von andern Dingen!

 

2

 

Ich fühle mehr und mehr die Kräfte schwinden;

Das ist der Tod, der mir am Herzen nagt,

Ich weiß es schon und, was ihr immer sagt,

Ihr werdet mir die Augen nicht verbinden.

 

Ich werde müd und müder so mich winden,

Bis endlich der verhängte Morgen tagt,

Dann sinkt der Abend und, wer nach mir fragt,

Der wird nur einen stillen Mann noch finden.

 

Daß so vom Tod ich sprechen mag und Sterben,

Und doch sich meine Wangen nicht entfärben,

Es dünkt euch muthig, übermuthig fast.

 

Der Tod! – der Tod? Das Wort erschreckt mich nicht,

Doch hab ich im Gemüth ihn nicht erfaßt,

Und noch ihm nicht geschaut ins Angesicht.