BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Annette von Droste-Hülshoff

1797 - 1848

 

Gedichte

 

1838

 

Das Hospiz am

Großen St. Bernhard

 

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Erster Gesang

 

Die Sonne hat den Lauf vollbracht,

Schon spannt sie aus ihr Wolkenzelt;

So manche Thrän' hat sie bewacht,

So manchem Lächeln sich gesellt;

5

Um Sel'ge hat ihr Strahl gekräuselt,

Wo süß versteckt die Laube säuselt,

Und hat die Todtenbahre auch

Gesegnet mit dem frommen Hauch;

Nun einmal ihres Schleiers Saum

10

Noch gleitet um der Alpen Schaum,

Und in des Schneegestäubes Flaum,

Das an Sankt Bernhards Klippe hängt,

Der matte Hauch sich flimmernd fängt.

Dort, wo es, aus des Passes Schlunde,

15

Ums Pain de Sucre macht die Runde,

Berührt ein menschlich Angesicht,

Fürwahr zum letzten Mal, das Licht.

Wie hat der Greis die dürre Hand

So fest um seinen Stab gespannt!

20

Und wie er so verkümmert steht,

So ganz verlassen um sich späht,

Da ists, als ob, erstaunt zumal,

Noch zögern will der letzte Strahl.

Schon zog der Aar dem Horste zu,

25

Und nur die Gems vom Tour des foux

Noch einmal pfeift, und schwindet dann.

Am Riffe lehnt der alte Mann,

Wie auf dem Meere, jüngst ergrimmt,

Einsam noch eine Planke schwimmt.

30

O, du bist immer schön, Natur!

Doch dem, der Hertha's Bild gegrüßt,

Die Woge bald die Lippe schließt.

Bist Königin vernichtend nur!

Der Blitz, der Seesturm, der Vulkan,

35

Sie stehn als Zeugen oben an.

Und jener Greis am Felsenrand?

Dem Strahl, der widerprallt im Schnee,

Will schützend die besennte Hand

Sich vorbaun an der Braue Höh'.

40

Zum Montblanc hat er lang gesehn,

Und wendet abendwärts den Fuß,

Da ihm die Augen übergehn,

Daß er vor Kälte weinen muß.

Ihm ist wie taub, ihm ist wie blind,

45

Er spricht gepreßt, und thut's nicht gern:

«Mein Knabe! Henry! liebes Kind!

Schau mal hervor, sind wir noch fern?»

Dann aus des Mantels Falten dicht

Ein Bübchen windet sein Gesicht;

50

Die kleinen Züge schwillt der Hauch,

Die rothen Händchen birgt es auch

Sogleich, und zieht des Vließes Saum

Sorgfältig um der Stirne Raum,

Daß nur der Augen röthlich Licht

55

Durch des Gewandes Spalten bricht.

Nun mit den Wimpern zuckt er schnell;

«Großvater, schau! wie blitzt es hell!»

Der Alte seufzt: «es blitzt, mein Sohn,

Am Himmel nicht um diese Zeit;

60

Es ist die Sonne wohl, die schon

Sich um die letzten Zacken reiht.»

Doch wiederum der Knabe spricht:

«Großvater! 's ist die Alpe nicht,

Es springt und zittert in die Höh',

65

Wie wenn die Sonne tanzt im See

Und spielt in unserm Fensterglas.»

«Wo, Henry? Kind, wo siehst du das?»

Ein Aermchen aus der Wolle steigt.

Der Alte senkt das Haupt und schweigt.

70

Nein, nein, das ist kein Hospital!

In tausend Funken sprengt den Strahl,

Gleich nachtentbranntem Meeres-Drange,

Nur Roche polie von jenem Hange.

Und zögernd schiebt des Greises Hand

75

Den kleinen kalten Arm zurück,

Zieht fester um ihn das Gewand.

Er wirft den kummervollen Blick

Noch einmal durch die dünne Luft,

Auf jeden Fels, in jede Kluft;

80

Dann folgt ein Seufzer, unbewußt,

So schwer wie je aus Mannes Brust,

Und langsam abwärts, mit Gefahr,

Beginnt er Pfade unwirthbar.

– Schmal ist der Raum, die Klippe jäh; –

85

Zuweilen bietet das Gestein,

Ein altergrauer Felsenspalt,

Für Augenblicke schwachen Halt.

Die Ferse drückt er in den Schnee,

Und stößt des Stabes Stachel ein;

90

Denn eine Zeit gab's, wo im Gau

Von Saint Pierre kein Schütz sich fand,

Der auf der Jagd, am Alphorn blau,

Dem Benoit gegenüber stand.

Kein Aug' so scharf, kein Ohr so fein,

95

So sicher keine Kugel ging.

Von all den Kühnen er allein

So sorglos an der Klippe hing!

Zum letzten Mal dem Meister alt

Sich dankbar seine Kunst erzeigt.

100

Gottlob! nun ist die Schlucht erreicht.

Er blickt empor, durch's graue Haupt,

Fast von der Kälte sinnberaubt,

Noch einmal durch die öde Brust

Zieht sich das Bild vergangner Lust,

105

An der sein ganzes Herz gehangen,

Und doppelt fühlt er sich gefangen.

In Quarzes Schichten eingezwängt,

Durch die der schmale Pfad sich drängt,

Streckt, überbaut von Felsenwucht,

110

Sich lang des Pain de Sucre Schlucht.

Kein Laut die todte Luft durchirrt,

Kein Lebenshauch ist zu entdecken;

Und, wenn es unversehens schwirrt,

Das Schneehuhn kann den Wandrer schrecken.

115

Wo droben schwimmt das Felsendach,

An dem der Wintersturm sich brach

Jahrtausende; – doch die Gedanken

Verlassen ihn, – er sieht es wanken –

Er fördert keuchend seinen Schritt –

120

Und immerfort, in tollem Schwanken,

Ziehn rechts und links die Klippen mit;

Daß jener harrt, – sogleich – sogleich –

Wie, aus der Lüfte Schwindelreich,

Die ungeheure Masse klirrt,

125

Und er sich schon zerschmettert glaubt,

So sehr ihm Furcht die Sinne raubt.

In diese wüste Bahn hat jetzt

Der müde Mann den Fuß gesetzt,

So schnell es gehn will, fort und fort.

130

Noch immer glühn die Firsten dort,

Und abwärts gleiten sieht den Strahl

Mit Lust er und mit Graun zumal.

Sobald der Abendsonne Schein

Nicht mehr die letzte Zacke badet,

135

In's Hospital ein Glöckchen rein

Den Wandrer aus der Steppe ladet.

Und schon am Pointe de Drone das Licht

Kaum merklich noch den Schatten bricht.

«O Sonne,» seufzt der müde Greis,

140

«Bald bist du hin! der Himmel weiß,

Vielleicht hör' ich die Glocke nicht! –»

Blickt zweifelnd nach den Felsenwällen,

An denen mag der Klang zerschellen.

Das Kind, das Kind ist seine Noth!

145

Schon fühlt er, wie, vom Froste laß,

Der steife Arm zu gleiten droht;

Und ohne Ende scheint der Paß!

Ein Turm ragt an dem andern her,

Es ist, als würden's immer mehr.

150

Dem Himmel Dank, die letzte Klippe!

Und als, mit angestrengtem Fleiß,

Sich immer näher treibt der Greis,

Was knistert über'm Steingerippe?

Am Rande schiebt sich's, zittert, blinkt,

155

Langsam ein weißer Klumpen sinkt;

Dann schneller, dann mit jähem Fall,

Entlang die Klüfte tos't der Schall.

Und zu des Alten Füßen rollen

Schneetrümmer und gesprengte Schollen.

160

Und dieser einen Augenblick

Steht regungslos, mit Schwindel ringt; –

So scharf vorüber zog der Tod!

Gefaßt er dann zusammenrafft,

165

Was ihm von Wollen bleibt und Kraft.

Und vorwärts nun, mit harter Noth,

Er in den Trümmerhaufen dringt.

Doch neben, vor und um ihn stemmt

Die Masse sich, zum Wall gedämmt.

170

Mitunter eine Scholle auch

In schwachem Gleichgewichte steht,

Nur wartend auf den nächsten Hauch,

Und aufwärts ihre Kante dreht.

Wenn das Geschiebe sich belebt,

175

Ein Sarkophag, der ihn begräbt!

Horch! wie er durch die Zacken irrt,

Zuweilen eine Scheibe klirrt;

Ein feines Schwirren – schwaches Rucken –

Vor seinen Augen Blitze zucken;

180

Doch immer wieder fügt sich's ein,

Und starr die Mauer steht wie Stein.

So muß er, fast in Todesbanden,

Wie durch ein Labyrinth sich schmiegen.

Es ist vorüber, ist bestanden,

185

Und hinter ihm die Trümmer liegen.

Indeß des Tages matte Zeichen

Allmählig von den Kuppen bleichen,

Und, nach und nach, am Firmament

Des Mondes Lampe still entbrennt;

190

Verschwimmend, scheu, ihr zartes Licht

Malt noch der Dinge Formen nicht.

Doch allgemach aus Wolkenschleier

Ersteht die klare Scheibe freier.

Die Felsen scheinen sich zu regen,

195

Geflimmer zittert über'n Schnee,

Und langsam steigend aus der Höh'

Die Schatten auf den Grund sich legen.

Gebeugt, mit angestrengtem Schritt,

Aus seiner Schlucht der Wandrer tritt

200

In eine öde Fläche vor.

Er steht – er lauscht – er trägt das Ohr

Zur Erde bald und bald empor,

Und alle Sinne lauschen mit.

Er wendet sich; ob nichts vom Schalle,

205

Aus einer andern Richtung falle. –

Nur hohl und zischend sich die Luft

In des Gesteines Spalten fängt,

Und, mit Geknister, durch den Duft

Zu Nacht gefall'ner Flocken drängt.

210

Der Kälte, die den Stamm zerschellt,

Kein Schirm sich hier entgegenstellt.

Ach Gott, wohin! ringsum kein Steg,

Sich überall die Ebne gleicht.

Doch vorwärts, vorwärts, immer reg',

215

Eh dich im Schlummer Tod beschleicht,

Nur immer in die Nacht hinein.

Da, durch die Steppe fällt ein Schein,

Wie wenn sich Kerzenschimmer brechen

In angehauchten Spiegels Flächen.

220

Und über dieses Meteor

Ragt eine Masse dunkel vor.

Gegrüßt, o Stern im Mißgeschicke!

Es ist die Drance, es ist die Brücke.

Kaum die bekannten Pfade schaut

225

Der Greis, ihm ist wie aufgethaut;

Halb kehrt der Jugend Muth zurück,

Er wähnt sich einen Augenblick

Für dies und Schlimmres noch genug.

Die Brücke naht sich wie im Flug.

230

Schon hat er rüstig sie beschritten,

Schon steht er in der Ebne Mitten,

Schon keucht er um des Stromes Bogen:

Und vor ihm her die glas'gen Wogen

Durchrollt des Mondes Silbertuch.

235

Vergebens! diese Kraft ist Schein;

Mit jedem Hauche sinkt sie ein,

Mit jedem Schritte weicht das Blut,

Ach keine Wunder wirkt der Muth!

Schon matter wird des Greises Tritt.

240

Das Licht im Strome fliegt nicht mehr,

Es wandert zögernd vor ihm her.

Aus den gelähmten Fingern glitt

Der Stab und eine weite Strecke

In Sätzen prallend von der Decke,

245

Dann lagert er an Stromes Rand.

Hin schleppt der müde Mann den Schritt;

Er bückt sich mühsam, welche Qual!

Ergreift ihn, der zum dritten Mal

Ihm immer gleitet aus der Hand.

250

Und schwindelnd, bei dem sauren Beugen,

Fühlt er das Blut zum Haupte steigen,

Sein Aug', von kalten Thränen schwer,

Sieht kaum das Allernächste mehr.

Noch tappt er, wo aus dunklem Schaft

255

Die glatte Eisenspitze blinkt.

Da weicht des Armes letzte Kraft,

Und auf den Schnee das Knäbchen sinkt;

Es rafft sich auf, ergreift den Stab,

Gehorsam, leichtem Dienst gewöhnt.

260

«Mein Kind! mein Kind!» der Alte stöhnt,

Und nimmt die kleine Last ihm ab,

«Was willst du noch zuletzt dich plagen!»

Späht mit der Augen trübem Stern

Beklommen durch den nächt'gen Schein; –

265

«Du kannst nicht gehn, ich dich nicht tragen,

Und ach! das Hospital ist fern.

So müssen wir das Letzte wagen,

Und kehren bei den Todten ein.»

Er lenkt die Schritte von dem Strand,

270

Sein Knäbchen hält er an der Hand.

Das Mondlicht, das mit kaltem Kusse

Liebkoset dem versteinten Flusse,

Gleich links, auf ein Gewölbe klein,

Streut alle seine Schimmer rein,

275

Die, wie sie Wolkenflor umwebt,

Bald auf dem Dache, wie belebt,

Sich kräuseln, in den Fenstern drehn,

Und bald wie eine Lampe stehn,

Die halb der Grüfte Dunkel bricht.

280

So leisten sie die fromme Pflicht

Dem, so der Fremde ward zum Raube,

Und bei dem unbeweinten Staube

Entzünden sie das Trauerlicht.

Ja, diese Mauern, wohl erbaut

285

Mit Christensinn, sie bergen doch,

Wovor des Menschen Seele graut,

Wem Blut rollt in den Adern noch.

Sie alle, die zum Todesschlaf

Sankt Bernhards leiser Odem traf,

290

Wenn sie nicht Freundes Wort genannt,

Nicht Eidgenossen Blick erkannt,

An diesen Ort sind sie gebannt.

Der Bettler, dem kein Heimathland,

Der Jude, so auf Geld bedacht

295

Gefahrenvollen Weg betrat,

Der arme wandernde Soldat,

Der Flüchtling vor Gesetzes Macht:

Sie alle liegen hier, wie Tod

Aus dieser Wildniß sie entbot.

300

Im Pelze der, im Mantel weit,

Und jener im Studentenkleid.

Das tiefe Auge, trüb und offen,

Auf liebe Züge scheint zu hoffen,

So Zeit auf Zeiten, keine Thräne

305

Rann auf die bleiche Wange noch;

Und ließen treue Kinder doch,

Und sind geliebter Eltern Söhne.

Die Schwelle kennt der Greis genau,

Hier führt ein Steg nach Wallis Gau,

310

Sein alter Pfad, wenn von der Jagd

Er heimwärts manchen Gang gemacht,

Ans Fenster pflegt' er dann zu treten,

Nachdenklich in die Gruft zu sehn,

Und sinnend auch, im Weitergehn,

315

Ein Vaterunser wohl zu beten.

Doch vor dem Tode auf der Flucht

Erfaßt ihn ungeheures Grauen,

Als tret' er in das eigne Grab

Und soll die eigne Leiche schauen.

320

Kaum wehrt er den Gedanken ab.

«Hinweg! hinweg! so weit der Fuß

Dich trägt»; und unwillkürlich muß

Er wenden. Doch da weint das Kind:

«Großvater! weiter sollen wir?

325

Wir sind ja hier an einer Thür.

Ich kann nicht mehr.» Verschwunden sind

Die Zweifel; mühsam öffnet jetzt

Der Greis das Thor, mit Rost versetzt,

Tritt in die Wölbung, kauert sich

330

Dann auf den Boden kümmerlich,

Und nimmt an seine Brust den Kleinen.

So eine Weile sitzen sie,

Der Knabe auf des Mannes Knie

In stummen Schauern an ihn biegend,

335

Der Alte, sich nach innen schmiegend,

Das Haupt am feuchten Mauerstein,

Und übermüdet, überwacht,

Hat minder der Umgebung Acht;

Minuten noch, so schläft er ein. –

340

Schon summt es um ihn wie ein Schwarm,

Der Mantel gleitet mit dem Arm;

Und als das Haupt zur Seite sinkt, –

«Großvater! ist das Glas? es blinkt!»

Der Alte fährt empor, er blickt

345

Verschüchtert seitwärts, unverrückt

Zu Boden dann: «Sey still, sey still,

Mein Kind, es sey auch, was es will. »

Und seufzend fügt er noch hinzu:

«Es ist so spät! gib dich zur Ruh.»

350

Doch wie ein Strahl es ihn durchfliegt,

Daß Schlaf den Willen fast besiegt.

Schon greift der Krampf die Glieder an:

Zu reiben gleich beginnt der Mann.

Und als das Blut nun schneller rinnt,

355

Er immer heller sich besinnt,

Auch der Gedanke Kraft gewinnt.

Was war es, das, vom Schlaf erwacht

So in Verwirrung ihn gebracht?

Es war ein Blitz, es war ein Licht!

360

Und dennoch war es beides nicht.

Indessen hat das Knäbchen leis'

Die beiden Aermchen ausgestreckt,

Und aus des Mantels Huth mit Fleiß

Den kleinen Kopf hervorgestreckt.

365

Das Schlummern will ihm nicht gelingen;

Die Langeweile zu bezwingen

Am Mantel nestelt's immerfort,

Schaut unverrückt nach einem Ort,

Bald gähnend, bald mit halbem Wort.

370

«Ja!» flüstert's, vor Ermattung roth,

Die Händchen in des Mantels Tasche,

«Dort steht das Glas, und dort die Flasche,

Und auf dem Tische liegt das Brod.»

Dann zieht es sacht den Mantel los;

375

Es gleitet von des Alten Schooß,

Es taucht in's Dunkel. Auf sich rüttelnd

Aus wüster Träumereien Graus,

«Henry! mein Kind!» ruft jener aus,

Das graue Haupt verdrossen schüttelnd,

380

«Wo bist du nur? komm wieder, Sohn!»

Dort glänzen seine Löckchen schon!

Was reicht und streicht es an der Wand?

An's Auge hebt der Greis die Hand:

Fürwahr! nach einem Brode sucht

385

Der kleine Arm hinauf zu langen;

Und nebenan sich Schimmer reihn,

Bald roth, bald grün, wie sie gefangen

Im Glase dort, und dort im Wein.

O unverhoffter Segen! Schon

390

Vom Boden taumeln sieh den Alten.

«Laß, du vermagst es nicht zu halten,

Laß ab!» Es zittert jeder Ton,

Der aus bewegter Brust sich windet,

Und kaum im Odem Nahrung findet.

395

Die Glieder, so in Frost und Qual

Ihn treulich trugen durch die Steppen,

Kaum vorwärts weiß er sie zu schleppen

Bis hin, wo harrt das karge Mahl.

Er faßt das Brod und kann's nicht theilen

400

Und stöbert, sucht mit wirrem Eilen

In allen Taschen, allen Falten,

Selbst in der Stiefel engen Spalten.

«Hab' ich mein Messer denn verloren?»

Die Rinde bricht, sie ist noch warm.

405

«Nun iß, nun trink, mein Würmchen arm!

O, kam ich eher um zwei Stunden!

Um eine einz'ge Stunde nur!»

Die Mönche hätt' er noch gefunden;

Dies ist des Hospitales Spur.

410

Denn was die kühnste Flamme bricht,

So wild sie durch die Adern tobt:

Es löscht die fromme Liebe nicht,

Die Leib und Leben hat verlobt.

Wenn Windsbraut an den Klippen rüttelt,

415

Wenn sich das Schneegestöber schüttelt,

Wenn durch die öde Winternacht,

Nur wie ein fernes Mordgeschütz,

Die zitternde Lawine kracht,

Wenn um die Gipfel spielt der Blitz:

420

Das sind die Boten, die er kennt;

Vom Betstuhl, wo die Lampe brennt,

Der Mönch sich hebt, den Weg beginnt

Zum Tobel, wo der Sturzbach rinnt,

Zum Passe, wo der Schnee am höchsten,

425

Zum Steg, wo die Gefahr am nächsten,

Hinauf, hinab Sankt Bernhards Rund;

Voran ihm spürt sein kluger Hund.

Dann, kehrend zu des Klosters Pforte,

Die Nahrung, so er bei sich trägt,

430

Mit milder Sorgfalt wird gelegt

An sichre sturmgeschützte Orte.

Und oft, im letzten Augenblick,

Trat die gebrochne Kraft zurück

Durch sie in die versiegten Adern.

435

Wer mag mit solchen Mönchen hadern!

Welch' seelerstorbner Atheist

So frevler Torheit sich vermißt,

Daß er auf sie die Pfeile richte?

Schau! wie, gleich neuentflammtem Lichte,

440

Das Kind des Glases volle Last

Mit beiden rothen Händchen faßt.

Nun setzt es an, und trinkt, und trinkt,

Durch alle Adern strömt das Heil,

Und läßt nicht ab, und stöhnt vor Eil,

445

Fast wird der Athem ihm versetzt.

Des Alten Auge freudig blinkt:

«Mein Junge, sprich, wie ist dir jetzt?»

Doch kaum und unverständlich nur

Des Kindes Antwort ihn erreicht,

450

Das, auf sein Stückchen Brod gebeugt,

Natur, nach deinem weisen Walten,

Das schwache Leben zu erhalten,

Gefahr zu fliehn, die es nicht sieht,

Aus allen Kräften ist bemüht.

455

Indeß hat draußen durch die Nacht

Ein Murmeln, Rauschen sich verbreitet,

Wie wenn erzürnte Woge schreitet;

Des Sturmes Stimme ist erwacht.

Noch fern und hohl im Klippenschacht,

460

Von Fels zu Felsen hört man's klagen.

Der Alte sinnt: soll er es wagen,

Sich und sein Liebstes fortzutragen?

Bald ist das Hospital erreicht! –

Ein Stoß um das Gewölbe streicht,

465

Und heulend singt er über'm Dache

Das Todtenlied dem Grabgemache.

Am Boden leises Knistern irrt,

Die Thür in ihren Angeln klirrt;

Umsonst! umsonst! es ist zu spät,

470

Der Wirbel durch die Steppe geht.

Und nun? Des Greises Blicke fragen,

Ob nirgends hier ein Plätzchen sey

Noch unbesetzt, vom Zuge frei.

Durch des Gewölbes Mitte stehn

475

Drei lange Bahren, sind sie leer?

Das Dunkel wirbelt drüber her.

Doch rechts und links und gegenüber,

Wohin der scheue Blick sich richtet,

Wenn flieht der Mondenstrahl vorüber,

480

Der die zerrißnen Wolken lichtet,

Der bleichen Schläfer Reihn er streift,

Die rings in Nischen aufgeschichtet.

Ein Antlitz halb dir zugewandt,

Hier braunes Haar, und dort gebleicht,

485

Aus jenem Winkel wie versteckt

Sich eines Fußes Spitze streckt,

Und dort sich wächsern eine Hand

Wie abgetrennt vom Körper zeigt.

Wer ist der Mann so unverzagt,

490

Den solch ein Anblick nicht erschüttert?

Wenn über ihm, wie schmerzdurchzittert,

Die mitternächt'ge Stimme klagt,

Gleich Geistern durch der Nacht Revier.

Ein heimlich Flüstern zischt und kocht,

495

Und an die schlecht verschloßne Thür

Der Wind mit leisem Finger pocht.

Dem alten Manne wird's zu viel,

Die Phantasie beginnt ihr Spiel;

Auf seinem Haupt in jedes Haar

500

Scheint Leben und Gefühl zu kommen.

Mehr ist der Athem ihm benommen

Als je vor Zeiten in Gefahr.

Den Steinbock hat er oft gehetzt,

Dem Lämmergeier sich gesellt,

505

Und fröhlich pfeifend in die Welt

Dann über'n Klippenspalt gesetzt.

Ein andres, dem Geschick sich stellen

In frischer Luft, auf freien Wellen,

Ein Andres ist's, am Grabe stehn

510

Und ruhig dem verzerrten Ich

In's eingesunkne Auge sehn.

Sieh! wie schon wieder schauerlich

Der Strahl durch das Gewölbe streicht,

Und dem betäubten Manne sich

515

Am Winkel dort ein Bänkchen zeigt

In das Gemäuer eingefugt.

Das ist ja eben, was er sucht!

Und muß nun seufzend sich bereiten,

Die ganze Wölbung zu durchschreiten.

520

Wie er die Schritte zögernd lenkt,

Die Augen bleiben scharf gesenkt,

Beinah' geschlossen, als er quer

Um eine Bahre wendet her,

Zu eilig; mit dem Fuße schwer

525

Trifft er an des Gerüstes Stützen,

Durch das Gewölbe dröhnt der Schall.

Die Bahre schwankt, er will sich schützen,

Er gleitet; modriges Gewand,

Verwirrtes Haar streift seine Hand.

530

Der Alte taumelt und erbleicht.

Wie jener Winkel noch erreicht,

Das weiß er nicht, hält immer fest

An seine Brust das Kind gepreßt,

Und sucht vergebens zu bezwingen

535

Der Phantasie verstörtes Ringen.

Die Wölbung dreht, die Mauern singen,

Ihm ist, als hätte seine Hand

Des Todten Züge all ergründet;

Er sieht das gelbe Augenband,

540

Das sinkend die Verwesung kündet,

Und drüber her, zu treu! zu treu! –

So tragend eigner Schwäche Joch

Doch bleibt ihm das Bewußtseyn noch

Und eben noch die Willenskraft,

545

Zu kämpfen gegen schnöde Haft.

Er sinnt und grübelt allerlei,

Wie wohl zum Hospital der Weg?

Wie zu bestreiten jener Steg?

Wie fern die Morgenstunde sey?

550

Sucht heitre Bilder aufzuwecken,

Als in der Scheibe Herzen stecken

Ein Jeder Benoits Kugel sah. –

Indessen lehnt der Knabe da,

Des späten Wachens ungewöhnt,

555

Und schaukelt sich und seufzt und gähnt,

Ahmt leis des Sturmes Stimme nach,

Verfolgend mit den schweren Blicken

Die Strahlen, so durch das Gemach

Zuweilen lichte Streifen schicken,

560

Ergötzlich, im beschränkten Meinen,

Ihm an der Wand die Bilder scheinen;

Der klare Blitz, wenn sich das Licht

In den metallnen Knöpfen bricht

Die Reih' entlang, so Funk' an Funken

565

Aufsprühn und sich in's Dunkel tunken. –

Die Scene wechselt, langsam streicht

Ein Wolkenvorhang sich zurück,

Und in die ganze Wölbung steigt

Der Mond mit seinem Geisterblick.

570

Was noch verborgen war in Nacht

Wird an ein mattes Licht gebracht;

Aus allen Winkeln sieht man's rücken,

Was niedrig lag scheint aufzustehn

Und was erhaben sich zu bücken.

575

Vorüber nun. In starrer Rast,

Wie Grabmal sich an Grabmal fast

In königlichen Grüften zeigt,

Am Boden schlummert das Gebein,

Und drüber her der Mann von Stein.

580

Um manchen Busen spielt der Schein,

Mich dünkt ich seh' ihn sinken, heben,

Und lange Athemzüge schweben.

Der arme Kleine wie bethört

An seines Vaters Busen fährt.

585

«Großvater, schau! die Bilder leben,

Sie athmen all und wollen gehn!»

Den Greis durchzuckt ein leises Beben:

«Sey still, es wird dir nichts geschehn.»

Wohl denkt er an den nächt'gen Schein,

590

(Es fällt ihm manches Blendwerk ein),

Und zögert dennoch aufzusehn.

Und wieder hebt der Knabe an:

«Dort auf dem Tische sitzt ein Mann;

Er sitzt nicht, nein – er liegt schon wieder –

595

Und stand doch erst so eben auf.»

Dann hebt die Aermchen er hinauf

Und zieht des Greises Stirne nieder,

Ihm flüsternd, mit verstecktem Ton:

«Es ist der Pfarr, ich kenn' ihn schon!

600

Er hat den Mantel umgeschlagen

Und seinen großen weißen Kragen.»

Nun wieder fröstelnd schaut das Kind

Mit offnem Munde, vorgebückt,

Dann an des Vaters Arm gedrückt:

605

«Wie weiß ihm seine Finger sind!»

Der Alte sucht mit allem Fleiß

Sich der Gedanken zu entschlagen,

Die fast wie Irrwahn ihn bedräun.

«Henry! du solltest ruhig seyn,

610

Allein du weißt mich nur zu plagen.

Schlaf ein, schlaf ein, mein kleiner Sohn!»

Der Knabe bei dem harten Ton

Verschüchtert sich zur Seite schiebt,

Die müden Aeuglein reibt betrübt.

615

Sein Köpfchen ruht so los' und schlecht,

Auch ist der Sitz ihm gar nicht recht,

Zu dick der Mantel hängt und schwer;

So lange rutscht er hin und her

Bis, von dem harten Schooße gleitend,

620

Er auf den Grund die Sohlen setzt

Und, wie ein Häschen matt gehetzt,

In's dürre Laub sein Häuptlein reckt,

So aus die zarten Arme streckt

Das Kind, um Vaters Leib sie breitend,

625

Und bricht vor unverstandnem Graus

In ganz geheime Thränen aus.

Doch jener, in sich selbst gekehrt,

Des Kleinen Stimme nicht beachtet,

Mit angestrengter Sorge trachtet

630

Die innern Feinde abzuwehren,

So pochend durch die Adern gähren.

Er birgt die Augen, sinnt und sinnt:

Zu Saint Remi, im Stübchen klein,

Was seine Tochter wohl beginnt?

635

Die Wände hell, die Schemel rein

Sucht er den Sinnen vorzuführen.

Vergebens! wunderlich berühren

Auch hier sich Wirklichkeit und Schein;

Die todte Schwester fällt ihm ein.

640

Gleich Träumen die Gedanken irren,

Im Ohre hallt ein feines Schwirren,

Ein Klingeln, seltsam zu belauschen;

Es ist des eignen Blutes Rauschen,

Das, murrend ob der Adern Band,

645

Zum Haupt die Klagen hat gesandt.

So geht es nicht, so darf's nicht bleiben!

Der Greis, in seiner Seelenqual,

Beginnt die Glieder allzumal

Mit angestrengtem Fleiß zu reiben.

650

Des Mantels Rauschen an der Wand,

Das Rispeln seiner eignen Hand,

Des Haares Knistern, wenn er schwer

Streicht mit den Fingern drüber her:

Ein Laut des Lebens scheint dem schwachen

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Bedrängten Busen Luft zu machen.

Und dann – ein Schrei! woher und wie?

Des Alten Blut zu Eis gerinnt.

Er tappt umher: «Henry! Henry!

Wo bist du nur? wo bist du, Kind?»

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Da wieder das Gestöhn beginnt,

Und «Vater! Vater!» und auf's neu'

«Mein Vater!» wimmert's im Geschrei.

Der Alte, nach dem Laut gerichtet,

Hat jenen Winkel bald erreicht,

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Wo, schwach vom nächt'gen Strahl umlichtet,

Sich dunkel eine Nische zeigt,

Drin sichtbar halb ein Leichnam ruht,

Auf breiter Stirn den Schweizerhut.

Und um des Toten Hand geklemmt

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Der Knabe wimmert und sich stemmt,

Den lieben Vater aufzuwecken.

«Was machst du, Henry? Kind, komm her!

Er ist's ja nicht, er kehrt nicht mehr,

Du arme Waise!» und im Schrecken

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Hat er des Knaben Arm geschüttelt,

Bis, von dem Todtenhaupt gerüttelt,

Der Hut sich in die Kante stellt

Und dicht an seine Ferse fällt.

Mit Einem Ruck des Kindes Hand

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Befreiend, stürzt in tollem Graus

Der Alte in die Nacht hinaus.

Die Thüre hat er eingerannt,

Und klirrend sprengt sich hinter ihm

Die Feder ein mit Ungestüm.

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Nur fern erst an der Drance Rand

Gewinnen die Gedanken Stand.

Der Arm des Sturmes halb gesenkt

Nicht mehr so wild die Flagge schwenkt;

Doch auch das Mondlicht halb erbleicht

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Ihm dämmernd nur die Richtung zeigt.

Getrost, getrost! kurz ist der Weg,

Bekannt, betreten jeder Steg!

Nur immer vorwärts, immer reg',

Eh' dich im Schlummer Tod beschleicht.

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Ein Weilchen geht's mit hartem Muth,

Wie Noth ihn und Verzweiflung leiht.

Die Schatten dehnen sich so breit,

Die Luft verrauscht, entschlummert, ruht;

Ein grauliches Gewölke steigt

700

Allmählig an den Mond hinauf,

Der einmal noch die Scheibe zeigt.

Dann dicht und dichter zieht es auf,

Ein Nebelsee, in hoher Luft;

So wallt und wogt und rollt der Duft,

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Bis, durch den Horizont verbreitet,

Sich formlos eine Decke spreitet.

Nun fällt ein Flöckchen, unbemerkt,

Nun wieder, auf des Greises Hand,

Trifft hier und dort des Hutes Rand.

710

Nun das Gestöber sich verstärkt,

Bis wimmelnd, in verwirrten Kriegen,

Die Flocken durcheinander fliegen.

Dann, einer Staublawine gleich,

Entlastet sich der Lüfte Reich.

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So ganz entschlafen ist die Luft,

Daß sich vernehmlich reibt der Duft

Und durch die eingewiegten Flächen

Der Glocke Stimme hörbar wird,

Die mild und lockend scheint zu sprechen:

720

Kommt Alle her, die ihr verirrt!

Der Alte stutzt und bei dem Klingen

Gewaltsam sich zusammen rafft.

«O! könntest du mir junge Kraft

In meine alten Adern singen!»

725

Doch enger stets in Frostes Haft,

Wie kleine spitze Dornen wühlen,

Muß er's in allen Muskeln fühlen.

Gleich einer Trümmer, überschneit,

Er schleppt sich durch die Einsamkeit;

730

Sein Mantel, seine grauen Locken

Sie starren unter Eis und Flocken.

Oft von dem schlecht gebahnten Pfad

Der Fuß, getäuscht durch falsches Licht,

Auf eine lockre Masse trat

735

Und stampfend ihre Decke bricht.

«O namenlose Todesqual!

So nah, so nah dem Hospital!

Nur noch ein Steg, nur noch ein Paß,

O spannt euch an ihr Sehnen laß!

740

Mein armes Kind! allein um dich,

Nicht um mein Leben kämpfe ich.»

So tappt er fort. Die Bahn sich neigt:

Der Alte hat den Steg erreicht,

Den durch des Wirbels stäubend Rennen

745

Er eben, eben mag erkennen.

Die Drance in ihrem engen Bette

Sich windet um das Felsenriff,

Und drüber her, ein luftig Schiff,

Der Fichte Stamm vereint die Kette.

750

Am Tag', bei hellem Sonnenschein,

Wer schaute ohne Schwindel drein!

Zudem der Steg, jüngst überschwemmt

Von aufgelös'ten Schnees Wogen

Mit Eises Rinde ist umzogen,

755

Die sich zu glatten Hügeln dämmt.

Hier steht der Greis in seinen Nöthen,

Der nichts mehr kann und nichts mehr weiß

Und sachte noch versucht zu beten;

Schiebt dann voran die Sohle leis'.

760

Schau! wie auf dem beglasthen Bogen

Um einen Tritt er vorwärts schreitet;

Er steht nicht fest, er schwankt, er gleitet,

Er ist verloren – nein – er steht.

Mit blindem Glück zurück gezogen

765

Sein Fuß auf festem Grund sich dreht.

Zuerst der Alte ganz betäubt

Am Rand der Kluft gefesselt bleibt:

Dann, wie aus plötzlichem Entschlusse,

Den Mantel schiebt er von der Brust

770

Und herzt mit langem, langem Kusse,

Dem letzten irdischen Genusse,

Das Kind in Scheidens bittrer Lust.

Und nun: «Wohlan! es sey gewagt!

Uns hier der Morgen nimmer tagt.»

775

Doch horch! ein Klang die Luft durchweht.

Der Alte steht und lauscht und steht –

Ein Zittern durch die Züge geht.

Auf's neu' der Ton herüber treibt,

Doch schwach nur unter'm Winde bleibt.

780

«Henry! Henry! leih mir dein Ohr!

Mein guter Junge, lausch hervor!»

Das Kind nur zögernd und betrübt

Sein fröstelnd Häuptlein aufwärts schiebt.

Ein Thränchen flirrt um Wang' und Mund:

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«Großvater! 's ist ja nur ein Hund!» –

«Ist's auch gewiß ein Hund, der bellt?

Mein Gott! du sahst die bittre Qual!

Dann sey's in deine Hand gestellt,

Dann wag' ich's nicht zum zweiten Mal. »

790

Er steht und horcht: und horcht und steht,

Auf's neu' der Wind den Klang verweht.

Nun wieder heller – ha! sie nah'n;

Schon räumt der greise Mann die Bahn.

Ganz nah – sie drehn um jene Bucht; –

795

Ein Weilchen still – dann, wie zum Spott,

Ganz aus der Ferne – heil'ger Gott!

Sie ziehn vorüber an der Schlucht.

Des Alten morscher Körper nicht

Erträgt die Last des Schreckens mehr.

800

Es flirrt, es wirbelt um ihn her,

Noch hält er sich, noch sinkt er nicht.

Doch höher schon die Schauer steigen,

Allmählig sich die Knie neigen,

Noch einmal seufzt er auf in Weh

805

Und fällt dann taumelnd in den Schnee.

Die Luft, so auf und niedergeht,

Jetzt frischen Klang herüber weht,

Nicht klaffend, wie zu Jagd und Lust,

Nein, gleich dem Ruf aus Menschenbrust,

810

Mit kurzen wiederholten Stößen,

Wie Wächter die Signale lösen,

Verhallend oft in Windes Rauschen

Der Ton auf Antwort scheint zu lauschen.

Nun wiederum in weiten Reifen

815

Sie spürend durch die Gegend schweifen

Bald fern, bald näher; wie im Traum

Der Greis vernimmt die Laute kaum.

Nur einmal zuckend seine Hand

Dem Knaben klemmt sich in's Gewand.

820

Kein Schmerz mehr durch die Nerven wühlt,

Kein Glied er mehr als eignes fühlt.

Nur wie von tausend Ketten spielt

Im Haupt ein wunderliches Klirren;

Die Töne wechseln – sich verwirren –

825

Nun wird's zum Klingeln – nun zum Schwirren –

Nun wie ein linder Hauch vergeht's –

Und leiser – leiser – leiser stets,

Er schläft –