BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Annette von Droste-Hülshoff

1797 - 1848

 

Gedichte

 

1844

 

Haidebilder

 

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Der Haidemann 1)

entstanden 1841

 

«Geht, Kinder, nicht zu weit in's Bruch,

Die Sonne sinkt, schon surrt den Flug

Die Biene matter, schlafgehemmt,

Am Grunde schwimmt ein blasses Tuch,

5

Der Haidemann kömmt! –»

 

Die Knaben spielen fort am Raine,

Sie rupfen Gräser, schnellen Steine,

Sie plätschern in des Teiches Rinne,

Erhaschen die Phalän' am Ried

10

Und freu'n sich, wenn die Wasserspinne

Langbeinig in die Binsen flieht.

 

«Ihr Kinder, legt euch nicht in's Gras! –

Seht, wo noch grad' die Biene saß,

Wie weißer Rauch die Glocken füllt.

15

Scheu aus dem Busche glotzt der Haas,

Der Haidemann schwillt! –»

 

Kaum hebt ihr schweres Haupt die Schmehle

Noch aus dem Dunst, in seine Höhle

Schiebt sich der Käfe,r und am Halme

20

Die träge Motte höher kreucht,

Sich flüchtend vor dem feuchten Qualme,

Der unter ihre Flügel steigt.

 

«Ihr Kinder, haltet euch bei Haus!

Lauft ja nicht in das Bruch hinaus;

25

Seht, wie bereits der Dorn ergraut,

Die Drossel ächzt zum Nest hinaus,

Der Haidemann braut! –»

 

Man sieht des Hirten Pfeife glimmen,

Und vor ihm her die Heerde schwimmen,

30

Wie Proteus seine Robbenschaaren

Heimschwemmt im grauen Ocean.

Am Dach die Schwalben zwitschernd fahren

Und melancholisch kräht der Hahn.

 

«Ihr Kinder, bleibt am Hofe dicht!

35

Seht, wie die feuchte Nebelschicht

Schon an des Pförtchens Klinke reicht;

Am Grunde schwimmt ein falsches Licht,

Der Haidemann steigt! –»

 

Nun strecken nur der Föhren Wipfel

40

Noch aus dem Dunste grüne Gipfel,

Wie über'n Schnee Wacholderbüsche;

Ein leises Brodeln quillt im Moor,

Ein schwaches Schrillen, ein Gezische

Dringt aus der Niederung hervor.

 

45

«Ihr Kinder kommt, kommt schnell herein!

Das Irrlicht zündet seinen Schein,

Die Kröte schwillt, die Schlang' im Ried;

Jetzt ist's unheimlich draußen seyn,

Der Haidemann zieht! –»

 

50

Nun sinkt die letzte Nadel, rauchend

Zergeht die Fichte, langsam tauchend

Steigt Nebelschemen aus dem Moore,

Mit Hünenschritten gleitet's fort;

Ein irres Leuchten zuckt im Rohre,

55

Der Krötenchor beginnt am Bord.

 

Und plötzlich scheint ein schwaches Glühen

Des Hünen Glieder zu durchziehen;

Es siedet auf, es färbt die Wellen,

Der Nord, der Nord entzündet sich –

60

Glutpfeile, Feuerspeere schnellen,

Der Horizont ein Lavastrich!

 

«Gott gnad' uns! wie es zuckt und dräut,

Wie's schwehlet an der Dünenscheid'!

Ihr Kinder, faltet eure Händ',

65

Das bringt uns Pest und theure Zeit –

Der Haidemann brennt! –»

 

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1) Hier nicht das bekannte Gespenst, sondern die Nebelschicht, die sich zur Herbst- und Frühlingszeit Abends über den Haidegrund legt.