BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Annette von Droste-Hülshoff

1797 - 1848

 

Gedichte

 

1844

 

Fels, Wald und See

 

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Am Bodensee

entstanden 1841/42

 

Ueber Gelände, matt gedehnt,

Hat Nebelhauch sich wimmelnd gelegt,

Müde, müde die Luft am Strande stöhnt,

Wie ein Roß, das den schlafenden Reiter trägt;

5

Im Fischerhause kein Lämpchen brennt,

Im öden Thurme kein Heimchen schrillt

Nur langsam rollend der Pulsschlag schwillt

In dem zitternden Element.

 

Ich hör' es wühlen am feuchten Strand,

10

Mir unter'm Fuße es wühlen fort,

Die Kiesel knistern, es rauscht der Sand,

Und Stein an Stein entbröckelt dem Bord.

An meiner Sohle zerfährt der Schaum,

Eine Stimme klaget im hohlen Grund,

15

Gedämpft, mit halbgeschlossenem Mund,

Wie des grollenden Wetters Traum.

 

Ich beuge mich lauschend am Thurme her,

Sprühregenflitter fährt in die Höh',

Ha, meine Locke ist feucht und schwer!

20

Was treibst du denn, unruhiger See?

Kann dir der heilige Schlaf nicht nahn?

Doch nein, du schläfst, ich seh es genau,

Dein Auge decket die Wimper grau,

Am Ufer schlummert der Kahn.

 

25

Hast du so Vieles, so Vieles erlebt,

Daß dir im Traume es kehren muß,

Daß deine gleißende Nerv' erbebt,

Naht ihr am Strand eines Menschen Fuß?

Dahin, dahin! die einst so gesund,

30

So reich und mächtig, so arm und klein,

Und nur ihr flüchtiger Spiegelschein

Liegt zerflossen auf deinem Grund.

 

Der Ritter, so aus der Burg hervor

Vom Hange trabte in aller Früh;

35

– Jetzt nickt die Esche vom grauen Thor,

Am Zwinger zeichnet die Mylady. –

Das arme Mütterlein, das gebleicht

Sein Leichenhemde den Strand entlang;

Der Kranke, der seinen letzten Gang

40

An deinem Borde gekeucht;

 

Das spielende Kind, das neckend hier

Sein Schneckenhäuschen geschleudert hat;

Die glühende Braut, die lächelnd dir

Von der Ringelblume gab Blatt um Blatt;

45

Der Sänger, der mit trunkenem Aug'

Das Metrum geplätschert in deiner Flut,

Der Pilger, so am Gesteine geruht,

Sie Alle dahin wie Rauch!

 

Bist du so fromm, alte Wasserfey,

50

Hältst nur umschlungen, läßt nimmer los?

Hat sich aus dem Gebirge die Treu'

Geflüchtet in deinen heiligen Schoos?

O, schau mich an! ich zergeh' wie Schaum,

Wenn aus dem Grabe die Distel quillt,

55

Dann zuckt mein längst zerfallenes Bild

Wohl einmal durch deinen Traum!