BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1814

 

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Die ernsthafte Fastnacht 1814.

Als Wittenberg in der Nacht mit Sturm genommen wurde.

 

Wohl vor Wittenberg auf den Schanzen

Sind der edlen Werber viel,

Wollen da zur Fastnacht tanzen

Ein gar seltsam Ritterspiel.

 

Und die Stadt vom Felsen droben

Spiegelt sich im Sonnenschein,

Wie ein Jungfräulein erhoben –

Jeder will ihr Bräut'gam seyn.

 

„Jäger! laßt die Hörner klingen

Durch den Morgen kalt und blank!

Wohl, sie läßt sich noch bezwingen,

Hört sie alten deutschen Klang.“

 

Drauf sie einen Reiter schnelle

Senden, der so fröhlich schaut,

Der bläßt seinen Gruß so helle,

Wirbt da um die stolze Braut.

 

„Sieh', wir werben lang' verstohlen

Schon um Dich in Noth und Tod,

Komm! sonst wollen wir Dich hohlen,

Wann der Mond scheint blutigroth!“

 

Bleich schon fallen Abendlichter –

Und der Reiter bläßt nur zu,

Nacht schon webt sich dicht und dichter –

Doch das Thor bleibt immer zu.

 

Nun so spielt denn, Musikanten,

Blaßt zum Tanz aus frischer Brust!

Herz und Sinne mir entbrannten,

O Du schöne, wilde Lust!

 

Wer hat je so'n Saal gesehen?

Strom und Wälder spielen auf,

Sterne auf und nieder gehen,

Stecken hoch die Lampen auf.

 

Ja der Herr leucht't selbst zum Tanze,

Frisch denn, Kameraden mein!

Funkelnd schön im Mondesglanze

Strenges Lieb, mußt unser sein! –

 

Und es kam der Morgen heiter,

Mancher Tänzer lag da tod,

Und Victoria bließ der Reiter

Von dem Wall ins Morgenroth.

 

Entstanden 1814. Erstdruck 1816 mit dem Untertitel «Als das 11te schles. Landwehr-Infanterie-

Regiment Wittenberg in der Nacht mit Sturm nahm», hier Fassung von 1826

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Nachtbilder.

III.

Das kalte Liebchen.

 

Er.   Laß mich ein, mein süßes Schätzchen!

Sie.  Finster ist mein Kämmerlein.

Er.   Ach, ich finde doch ein Plätzchen.

Sie.  Und mein Bett ist eng und klein.

 

Er.   Fern komm ich vom weichen Pfühle.

Sie.  Ach, mein Lager ist von Stein!

Er.   Draußen ist die Nacht so kühle.

Sie.  Hier wird's noch viel kühler seyn.

 

Er.   Sieh! die Sterne schon erblassen.

Sie.  Schwerer Schlummer fällt mich an. –

Er.   Nun, so will ich schnell Dich fassen!

Sie.  Rühr' mich nicht so glühend an.

 

Er.   Fieberschauer mich durchbeben.

Sie.  Wahnsinn bringt der Todten Kuß. –

Er.   Weh! es bricht mein junges Leben!

Sie.  Mit ins Grab hinunter muß.

 

Entstanden 1814, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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Der zaubrische Spielmann.

 

Nächtlich in dem stillen Grunde,

Wenn das Abendroth versank,

Um das Waldschloß in die Runde

Ging ein lieblicher Gesang.

 

Fremde waren diese Weisen

Und der Sänger unbekannt,

Aber, wie in Zauberkreisen,

Hielt er jede Brust gebannt.

 

Hinter blühnden Mandelbäumen

Auf dem Schloß das Fräulein lauscht –

Drunten alle Blumen träumen,

Wollüstig der Garten rauscht.

 

Und die Wellen buhlend klingen,

Ringend in geheimer Lust

Kommt das wunderbare Singen

An die süß verträumte Brust.

 

„Warum weckst Du das Verlangen,

Das ich kaum zur Ruh gebracht?

Siehst Du hoch die Lilien prangen?

Böser Sänger, gute Nacht!

 

Sieh, die Blumen steh'n voll Thränen,

Einsam die Viole wacht,

Als wollt' sie sich schmachtend dehnen

In die warme Sommernacht.

 

Wohl von süßem rothem Munde

Kommt so holden Sanges Macht –

Bleibst Du ewig dort im Grunde,

Unerkannt in stiller Nacht?

 

Ach, im Wind' verfliegt mein Grüßen!

Einmal, eh' der Tag erwacht,

Möcht' ich Deinen Mund nur küssen,

Sterbend so in süßer Nacht!

 

Nachtigall, verliebte, klage

Nicht so schmeichelnd durch die Nacht! –

Ach! ich weiß nicht was ich sage,

Krank bin ich und überwacht.“

 

Also sprach sie, und die Lieder

Lockten stärker aus dem Thal,

Rings durchs ganze Thal hallt's wider

Von der Liebe Lust und Qual.

 

Und sie konnt' nicht widerstehen,

Enge ward ihr das Gemach,

Aus dem Schlosse mußt' sie gehen

Diesem Zauberstrome nach.

 

Einsam steigt sie von den Stufen

Ach! so schwüle weht der Wind!

Draußen süß die Stimmen rufen

Immerfort das schöne Kind.

 

Alle Blumen trunken lauschen,

Von den Klängen hold durchirrt,

Lieblicher die Brunnen rauschen,

Und sie eilet süß verwirrt. –

 

Wohl am Himmel auf und nieder

Trieb der Hirt die goldne Schaar,

Die Verliebte kehrt nicht wieder,

Leer nun Schloß und Garten war.

 

Und der Sänger seit der Stunde

Nicht mehr weiter singen will,

Rings im heimlich kühlen Grunde

War's vor Liebe seelig still.

 

Entstanden 1814, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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An die Freunde.

 

Der Jugend Glanz, der Sehnsucht irre Weisen,

Die tausend Ströme durch das duft'ge Land,

Es zieht uns All' zu seinen Zauberkreisen. –

Wem Gottesdienst in tiefster Brust entbrannt,

Der sieht mit Wehmuth ein unendlich Reisen

Zu ferner Heimath, die er fromm erkannt;

Und was sich spielend wob als ird'sche Blume,

Wölbt still den Kelch zum ernsten Heiligthume.

 

So schauet denn das buntbewegte Leben

Ringsum von meines Gartens heitrer Zinn',

Daß hoch die Bilder, die noch dämmernd schweben –

Wo Morgenglanz geblendet meinen Sinn –

An Eurem Blick erwachsen und sich heben.

Verwüstend rauscht die Zeit darüber hin;

In Euren treuen Herzen neu geboren,

Sind sie im wilden Strome unverloren.

 

Entstanden 1814, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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An eine junge Tänzerin.

 

Castagnetten lustig schwingen

Seh' ich Dich, Du zierlich Kind!

Mit der Locken schwarzen Ringen

Spielt der sommerlaue Wind.

Künstlich regst Du schöne Glieder,

Glühendwild

Zärtlichmild

Tauchest in Musik Du nieder

Und die Woge hebt Dich wieder.

 

Warum sind so blaß die Wangen,

Dunkelfeucht der Augen Glanz,

Und ein heimliches Verlangen

Schimmert glühend durch den Tanz?

Schalkhaft lockend schaust Du nieder,

Liebesnacht

Süß erwacht,

Wollüstig erklingen Lieder –

Schlag nicht so die Augen nieder!

 

Wecke nicht die Zauberlieder

In der dunklen Tiefe Schoos,

Selbst verzaubert sinkst Du nieder,

Und sie lassen Dich nicht los.

Tödtlich schlingt sich um die Glieder

Sündlich Glüh'n,

Und verblühn

Müssen Schönheit, Tanz und Lieder,

Ach, ich kenne Dich nicht wieder!

 

Entstanden 1814, Erstdruck 1816 unter dem Titel «An eine junge Tänzerin», hier Fassung von 1826

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Abendlandschaft.

[Nachruf an meinen Bruder.]

 

Ach, daß auch wir schliefen!

Die blühenden Tiefen,

Die Ströme, die Auen

So heimlich aufschauen,

Als ob sie all' riefen:

„Dein Liebchen ist todt!“

Unter Rosen roth,

Ach, daß wir auch schliefen!“

 

„Hast doch keine Schwingen,

Durch Wolken zu dringen!

Mußt immerfort schauen

Die Ströme, die Auen –

Die werden Dir singen

Von ihr Tag und Nacht,

Mit Wahnsinnes=Macht

Die Seele umschlingen.“

 

So singt, wie Syrenen,

Von hellblauen, schönen

Vergangenen Zeiten

Der Abend vom weiten,

Versinkt dann im Tönen,

Erst Busen dann Mund,

Im blühenden Grund –

O schweige, Syrene!

 

O wecke nicht wieder!

Denn zaub'rische Lieder

Gebunden hier träumen

Auf Feldern und Bäumen,

Und ziehen mich nieder,

So müde vor Weh,

Zu tiefstillem See –

O weckt nicht die Lieder!

 

Du kanntest die Wellen

Des Sees, sie schwellen

In magischen Ringen.

Ein wehmüthig Singen,

Tief unter den Quellen,

Im Schlummer dort hält

Verzaubert die Welt.

Wohl kennst Du die Wellen! –

 

Kühl wird's auf den Gängen,

Vor alten Gesängen

Möcht's Herz mir zerspringen.

So will ich denn singen!

Schmerz fliegt ja auf Klängen

Zu himmlischer Lust,

Und still wird die Brust

Auf kühlgrünen Gängen.

 

Laß fahren die Träume!

Der Mond scheint durch Bäume,

Die Wälder nur rauschen,

Die Thäler still lauschen,

Wie einsam die Räume!

Ach, Niemand ist mein!

Herz, wie so allein!

Laß fahren die Träume!

 

Der Herr wird Dich führen.

Tief kann ich ja spüren

Der Sterne still Walten.

Der Erde Gestalten

Kaum hörbar sich rühren.

Durch Nacht und durch Graus

Gen Morgen, nach Haus –

Ja, Gott wird mich führen.

 

Entstanden 1814, Erstdruck 1818 unter dem Titel «Lied», hier Fassung von 1826

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Die weinende Braut.

 

Du warst so herrlich anzuschauen,

So kühn und wild und doch so lieb,

Dir mußt ich Leib und Seel' vertrauen,

Ich mocht' nichts mehr, das meine blieb!

Da hast Du, Falscher, mich verlassen

Und Blumen, Lust und Frühlingsschein,

Die ganze Welt sah ich erblassen,

Ach Gott, wie bin ich nun allein!

 

Wohl Jahrlang sah ich von den Höhen

Und grüßte Dich vieltausendmal,

Und unten sah ich Viele gehen,

Doch Du erschienst nicht in dem Thal.

Und mancher Lenz mit bunten Scherzen

Kam und verflog im lust'gen Lauf,

Doch ach! in dem betrognen Herzen

Geht niemals mehr der Frühling auf.

 

Ein Kränzlein trag' ich nun im Haare,

In reichen Kleidern schön geschmückt,

Führt mich ein andrer zum Altare,

Die Eltern sind so hoch beglückt.

Und fröhlich kann ich mich wohl zeigen,

Die Sonne hell wie damals scheint,

Und vor dem Jauchzen und dem Geigen

Hört Keiner, wie die Braut still weint.

 

Die Frühlingslieder neu beginnen –

Du kehrst nach manchem Jahr' zurück,

Und stehest still, Dich zu besinnen,

Wie auf ein längstvergangnes Glück.

Doch wüstverwachsen liegt der Garten,

Das Haus steht lange still und leer,

Kein Lieb' will Dein am Fenster warten,

Und Dich und mich kennt Niemand mehr.

 

Doch eine Lerche siehst Du steigen

Vom Thal zum blauen Himmelsport,

Ein Bächlein rauschet da so eigen,

Als weinte es in einem fort.

Dort haben sie mich hingetragen,

Bedeckten mir mit Stein den Mund –

Nun kann ich Dir nicht einmal sagen,

Wie ich Dich liebt' aus Herzensgrund.

 

Entstanden 1814, Erstdruck 1826, hier Fassung von 1826

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Die Brautfahrt.

 

Durch des Meeresschlosses Hallen

Auf bespültem Felsenhang,

Weht der Hörner festlich Schallen;

Froher Hochzeitgäste Drang,

Bei der Kerzen Zauberglanze,

Wogt im buntverschlungnen Tanze.

 

Aber an des Fensters Bogen,

Ferne von der lauten Pracht,

Schaut der Bräut'gam in die Wogen

Draußen in der finstern Nacht,

Und die trunknen Blicke schreiten

Furchtlos durch die öden Weiten.

 

„Lieblich“ , sprach der wilde Ritter

Zu der zarten, schönen Braut,

„Lieblich girrt die sanfte Zitter –

Sturm ist meiner Seele Laut,

Und der Wogen dumpfes Brausen

Hebt das Herz in kühnem Grausen.

 

Ich kann hier nicht müßig lauern,

Treiben auf dem flachen Sand,

Dieser Kreis von Felsenmauern

Hält mein Leben nicht umspannt;

Schön're Länder blühen ferne,

Das verkünden mir die Sterne.

 

Du mußt glauben, Du mußt wagen,

Und, den Argonauten gleich,

Wird die Woge fromm Dich tragen

In das wunderbare Reich;

Muthig streitend mit den Winden,

Muß ich meine Heimath finden!

 

Siehst Du, heißer Sehnsucht Flügel,

Weiße Seegel dort gespannt?

Hörst Du tief die feuchten Hügel

Schlagen an die Felsenwand?

Das ist Sang zum Hochzeitsreigen –

Willst Du mit mir niedersteigen?

 

Kannst Du rechte Liebe fassen,

Nun so frage, zaudre nicht!

Schloß und Garten mußt Du lassen

Und der Eltern Angesicht –

Auf der Fluth mit mir alleine,

Da erst, Liebchen, bist Du meine!“

 

Schweigend sieht ihn an die milde

Braut mit schauerlicher Lust,

Sinkt dem kühnen Ritterbilde

Trunken an die stolze Brust.

„Dir hab ich mein Loos ergeben,

Schalte nun mit meinem Leben.“

 

Und er trägt die süße Beute

Jubelnd aus dem Schloß aufs Schiff,

Drunten harren seine Leute,

Stoßen froh vom Felsenriff;

Und die Hörner leis verhallen,

Einsam rings die Wogen schallen.

 

Wie die Sterne matter blinken

In die morgenrothe Fluth,

Sieht sie fern die Berge sinken,

Flammend steigt die hehre Gluth,

Ueber'm Spiegel trunkner Wellen

Rauschender die Seegel schwellen.

 

Monde steigen und sich neigen,

Lieblich weht schon fremde Luft,

Da seh'n sie ein Eiland steigen

Feenhaft aus blauem Duft,

Wie ein farb'ger Blumenstreifen –

Meerwärts fremde Vögel schweifen.

 

Alle faßt ein freud'ges Beben –

Aber dunkler rauscht das Meer,

Schwarze Wetter schwer sich heben,

Stille wird es ringsumher,

Und nur freudiger und treuer

Steht der Ritter an dem Steuer.

 

Und nun flattern wilde Blitze,

Sturm ras't um den Felsenriff,

Und von grimmer Wogen Spitze

Stürzt geborsten sich das Schiff.

Schwankend auf des Mastes Splitter,

Schlingt die Braut sich um den Ritter.

 

Und die Müde in den Armen,

Springt er abwärts, sinkt und ringt,

Hält den Leib, den blühendwarmen,

Bis er alle Wogen zwingt,

Und am Blumenstrand gerettet,

Auf das Gras sein Liebstes bettet.

 

„Wache auf, wach' auf, Du Schöne!

Liebesheimath rings um lacht,

Zaubrisch ringen Duft und Töne,

Wunderbarer Blumen Pracht

Funkelt rings im Morgengolde –

Schau um Dich! wach auf, Du Holde!“

 

Aber frei von Lust und Kummer

Ruht die liebliche Gestalt,

Lächelnd noch im längsten Schlummer,

Und das Herz ist still und kalt,

Still der Himmel, still im Meere,

Schimmernd rings des Thaues Zähre.

 

Und er sinkt zu ihr vor Schmerzen,

Einsam in dem fremden Thal,

Thränen aus dem wilden Herzen

Brechen da zum erstenmal,

Und vor diesem Todesbilde

Wird die ganze Seele milde.

 

Von der langen Täuschung trennt er

Schauernd sich – der Stolz entweicht,

Andre Heimath nun erkennt er,

Die kein Seegel hier erreicht,

Und an ächten Schmerzen ranken

Himmelwärts sich die Gedanken.

 

Schweigend scharrt er ein die Stille,

Pflanzt ein Kreuz hoch auf ihr Grab,

Wirft von sich die seidne Hülle,

Leget Schwert und Mantel ab,

Kleidet sich in rauhe Felle,

Haut in Fels sich die Kapelle.

 

Ueberm Rauschen dunkler Wogen

In der wilden Einsamkeit,

Hausend auf dem Felsenbogen,

Ringt er fromm mit seinem Leid,

Hat, da manches Jahr entschwunden,

Heimath, Braut und Ruh gefunden. –

 

Viele Schiffe drunten gehen

An dem schönen Inselland,

Sehen hoch das Kreuz noch stehen,

Warnend von der Felsenwand;

Und des strengen Büßers Kunde

Gehet fromm von Mund zu Munde.

 

Entstanden wohl 1814, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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Glückliche Fahrt.

 

Wünsche sich mit Wünschen schlagen,

Und die Gier wird nie gestillt.

Wer ist in dem wüsten Jagen

Da der Jäger, wer das Wild?

Seelig, wer es fromm mag wagen,

Durch das Treiben dumpf und wild

In der festen Brust zu tragen

Heilger Schönheit hohes Bild!

 

Sieh, da brechen tausend Quellen

Durch die felsenharte Welt,

Und zum Strome wird ihr Schwellen,

Der melodisch steigt und fällt.

Ringsum sich die Fernen hellen,

Gottes Hauch die Seegel schwellt –

Rettend spülen Dich die Wellen

In des Herzens stille Welt.

 

Entstanden wohl 1814, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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Abschied und Wiedersehn.

 

I.

In süßen Spielen unter nun gegangen

Sind Liebchens Augen, und sie athmet linde,

Stillauschend sitz' ich bei dem holden Kinde,

Die Locken streichelnd ihr von Stirn und Wangen.

 

Ach! Lust und Mond und Sterne sind vergangen,

Am Fenster mahnen schon die Morgenwinde:

Daß ich vom Nacken leis die Arme winde,

Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen.

 

O öffne nicht der Augen süße Strahle!

Nur Einen Kuß noch – und zum Letztenmale

Geh' ich von Dir durchs stille Schloß hernieder.

 

Streng greift der eis'ge Morgen an die Glieder,

Wie ist die Welt so klar und kalt und helle –

Tiefschauernd tret' ich von der lieben Schwelle.

 

II.

Ein zart Geheimniß webt in stillen Räumen,

Die Erde löst die diamantnen Schleifen,

Und nach des Himmels süßen Strahlen greifen

Die Blumen, die der Mutter Kleid besäumen.

 

Da rauscht's lebendig draußen in den Bäumen,

Aus Osten langen purpurrothe Streifen,

Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht schweifen –

Du hebst das blüh'nde Köpfchen hold aus Träumen.

 

Was sind's für Klänge, die an's Fenster flogen?

So altbekannt verlocken diese Lieder,

Ein Sänger steht im schwanken Dämmerschein.

 

Wach auf! Dein Liebster ist fernher gezogen,

Und Frühling ist's auf Thal und Bergen wieder,

Wach auf, wach auf, nun bist Du ewig mein!

 

Entstanden wohl 1814, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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[Der Soldat.]

 

Ist auch schmuck nicht mein Rößlein,

So ist's doch recht klug,

Trägt im Finstern zu 'nem Schlößlein

Mich rasch noch genug.

 

Ist das Schloß auch nicht prächtig:

Zum Garten aus der Thür

Tritt ein Mädchen doch allnächtig

Dort freundlich herfür.

 

Und ist auch die Kleine

Nicht die Schönst' auf der Welt,

So giebt's doch just Keine,

Die mir besser gefällt.

 

Und spricht sie vom Freien:

So schwing' ich mich auf mein Roß –

Ich bleibe im Freien,

Und sie auf dem Schloß.

 

Entstanden wohl 1814, Erstdruck 1826 als 3. Lied im Zyklus «Der zufriedene Musikant», 1837 als 1. Lied im Zyklus «Der Soldat», hier Fassung von 1826

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Frühlingsfahrt.

[Die zwei Gesellen.]

 

Es zogen zwei rüst'ge Gesellen

Zum ersten Mal von Haus,

So jubelnd recht in die hellen,

Klingenden, singenden Wellen

Des vollen Frühlings hinaus.

 

Die strebten nach hohen Dingen,

Die wollten, trotz Lust und Schmerz,

Was Rechts in der Welt vollbringen,

Und wem sie vorüber gingen,

Dem lachten Sinnen und Herz. –

 

Der Erste, der fand ein Liebchen,

Die Schwieger kauft' Hof und Haus;

Der wiegte gar bald ein Bübchen,

Und sah aus heimlichem Stübchen

Behaglich in's Feld hinaus.

 

Dem Zweiten sangen und logen

Die tausend Stimmen im Grund,

Verlockend' Syrenen, und zogen

Ihn in der buhlenden Wogen

Farbig klingenden Schlund.

 

Und wie er auftaucht' vom Schlunde,

Da war er müde und alt,

Sein Schifflein das lag im Grunde,

So still war's rings in die Runde

Und über die Wasser weht's kalt.

 

Es singen und klingen die Wellen

Des Frühlings wohl über mir;

Und seh' ich so kecke Gesellen,

Die Thränen im Auge mir schwellen –

Ach Gott, führ' uns liebreich zu Dir!

 

Entstanden um 1814, Erstdruck 1818 unter dem Titel «Frühlingsfahrt», hier Fassung von 1826