BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1826

 

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Bei einer Linde.

 

Seh' ich Dich wieder, Du geliebter Baum,

In dessen junge Triebe

Ich einst in jenes Frühlings schönstem Traum

Den Namen schnitt von meiner ersten Liebe?

 

Wie anders ist seitdem der Aeste Bug,

Verwachsen und verschwunden

Im härt'ren Stamm der vielgeliebte Zug,

Wie ihre Liebe und die schönen Stunden!

 

Auch ich seitdem wuchs stille fort, wie Du,

Und nichts an mir wollt' weilen,

Doch meine Wunde wuchs – und wuchs nicht zu,

Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.

 

Erstdruck 1826, hier Fassung von 1826

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Wenn der Hoppevogel schreit,

Ist der Tag nicht mehr weit,

Wenn die Sonne sich aufthut,

Schmeckt der Schlaf noch so gut! –

 

Erstdruck 1826, hier Fassung von 1826

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Wenn ich ein Vöglein wär',

Ich wüßt' wohl, wovon ich sänge,

Und auch zwei Flüglein hätt',

Ich wüßt' wohl, wohin ich mich schwänge!

 

Erstdruck 1826, hier Fassung von 1826

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Erwartung.

 

O schöne, bunte Vögel

Wie singt ihr gar so hell!

O Wolken, luft'ge Seegel,

Wohin so schnell, so schnell?

 

Ihr alle, ach, gemeinsam

Flieg't zu der Liebsten hin,

Sag't Ihr, wie ich hier einsam

Und voller Sorgen bin.

 

Im Walde steh' und laur' ich,

Verhallt ist jeder Laut,

Die Wipfel nur weh'n schaurig,

O komm, Du süße Braut!

 

Schon sinkt die dunkelfeuchte

Nacht rings auf Wald und Feld,

Des Mondes hohe Leuchte

Tritt in die stille Welt.

 

Wie schauert nun im Grunde

Der tiefsten Seele mich!

Wie öde ist die Runde

Und einsam ohne Dich!

 

Was rauscht? – Sie naht von ferne! –

Nun, Wald, rausch' von den Höh'n,

Nun laß' Mond, Nacht und Sterne

Nur auf und untergehn!

 

Erstdruck 1826, hier Fassung von 1826

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Der zufriedene Musikant.

 

I.

[Der wandernde Musikant 1]

 

Wandern lieb' ich für mein Leben,

Lebe eben wie ich kann,

Wollt' ich mir auch Mühe geben,

Paßt' es mir doch gar nicht an.

 

Schöne alte Lieder weiß ich,

In der Kälte, ohne Schuh'

Draußen in die Saiten reiß' ich,

Weiß nicht, wo ich Abend's ruh'.

 

Manche Schöne macht wohl Augen,

Meinet, ich gefiel' ihr sehr,

Wenn ich nur was wollte taugen,

So ein armer Lump nicht wär'. –

 

Mag dir Gott ein'n Mann bescheeren

Wohl mit Haus und Hof versehn!

Wenn wir zwei zusammen wären,

Möcht' mein Singen mir vergehn.

 

 

II.

[Der wandernde Musikant 2]

 

Wenn die Sonne lieblich schiene

Wie in Wälschland, lau und blau,

Ging' ich mit der Mandoline

Durch die überglänzte Au.

 

In der Nacht dann Liebchen lauschte

An dem Fenster süß verwacht,

Wünschte mir und ihr – uns Beiden,

Heimlich eine schöne Nacht.

 

Wenn die Sonne lieblich schiene

Wie in Welschland lau und blau,

Ging' ich mit der Mandoline

Durch die überglänzte Au.

 

III.

[Der Soldat]

 

Ist auch schmuck nicht mein Rößlein,

So ist's doch recht klug,

Trägt im Finstern zu 'nem Schlößlein

Mich rasch noch genug.

 

Ist das Schloß auch nicht prächtig:

Zum Garten aus der Thür

Tritt ein Mädchen doch allnächtig

Dort freundlich herfür.

 

Und ist auch die Kleine

Nicht die Schönst' auf der Welt,

So giebt's doch just Keine,

Die mir besser gefällt.

 

Und spricht sie vom Freien:

So schwing' ich mich auf mein Roß –

Ich bleibe im Freien,

Und sie auf dem Schloß.

 

 

IV.

[Der wandernde Musikant 5]

 

Mürrisch sitzen sie und maulen

Auf den Bänken stumm und breit,

Gähnend strecken sich die Faulen,

Und die Kecken suchen Streit.

 

Da komm' ich durch's Dorf geschritten,

Fernher durch den Abend kühl,

Stell' mich in des Kreises Mitten,

Grüß' und zieh' mein Geigenspiel.

 

Und wie ich den Bogen schwenke,

Ziehn die Klänge in der Rund'

Allen recht durch die Gelenke

Bis zum tiefsten Herzensgrund.

 

Und nun geht's ans Gläserklingen,

An ein Walzen um und um,

Je mehr ich streich', je mehr sie springen

Keiner fragt erst lang: warum? –

 

Jeder will dem Geiger reichen

Nun sein Scherflein auf die Hand –

Da vergeht ihm gleich sein Streichen,

Und fort ist der Musikant.

 

Und sie seh'n ihn fröhlich steigen

Nach den Waldeshöh'n hinaus,

Hören ihn von fern noch geigen,

Und gehn All' vergnügt nach Haus.

 

Doch in Waldes grünen Hallen

Rast' ich dann noch manche Stund',

Nur die fernen Nachtigallen

Schlagen tief aus nächt'gem Grund.

 

Und es rauscht die Nacht so leise

Durch die Waldeseinsamkeit,

Und ich sinn' auf neue Weise,

Die der Menschen Herz erfreut.

 

Erstdruck als Zyklus 1826, hier Fassung von 1826

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Reise=Lied.

[Der wandernde Musikant 6]

 

Durch Feld und Buchenhallen

Bald singend, bald fröhlich still,

Recht lustig sey vor allen

Wer's Reisen wählen will!

 

Wenn's kaum im Osten glühte,

Die Welt noch still und weit:

Da weht recht durch's Gemüthe

Die schöne Blüthenzeit!

 

Die Lerch' als Morgenbote

Sich in die Lüfte schwingt,

Eine frische Reisenote

Durch Wald und Herz erklingt.

 

O Lust, vom Berg zu schauen

Weit über Wald und Strom,

Hoch über sich den blauen

Tiefklaren Himmelsdom!

 

Vom Berge Vöglein fliegen

Und Wolken so geschwind,

Gedanken überfliegen

Die Vögel und den Wind.

 

Die Wolken zieh'n hernieder,

Das Vöglein senkt sich gleich,

Gedanken gehn und Lieder

Fort bis in's Himmelreich.

 

Entstanden 1810/12, Erstdruck 1815, hier Fassung von 1826