BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Erste Einleitung

in die Wissenschaftslehre

 

1797

 

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Einleitung.

 

1.

Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgiebt, ab, und in dein Inneres – ist die erste Forderung, welche die Philosophie an ihren Lehrling thut. Es ist von nichts, was ausser dir ist, die Rede, sondern lediglich, von dir selbst.

Auch bei der flüchtigsten Selbstbeobachtung wird jeder einen merkwürdigen Unterschied zwischen den verschiedenen unmittelbaren Bestimmungen seines Bewusstseyns, die wir auch Vorstellungen nennen können, wahrnehmen. Einige nemlich erscheinen uns als völlig abhängig von unserer Freiheit, aber es ist uns unmöglich zu glauben, dass ihnen etwas ausser uns, ohne unser Zuthun, entspreche. Unsere Phantasie, unser Wille erscheint uns als frei. Andere beziehen wir auf eine Wahrheit, die, unabhängig, von uns, festgesetzt seyn soll, als auf ihr Muster; und unter der Bedingung, dass sie mit dieser Wahrheit übereinstimmen sollen, finden wir uns in Bestimmung, dieser Vorstellung gebunden. In der Erkenntniss halten wir uns, was ihren Inhalt betrifft, nicht für frei. Wir können kurz sagen: einige unserer Vorstellungen sind von dem Gefühle der Freiheit, andere von dem Gefühle der Nothwendigkeit begleitet.

Es kann vernünftigerweise nicht die Frage entstehen: warum sind die von der Freiheit abhängigen Vorstellungen gerade so bestimmt, und nicht anders? – denn indem gesetzt wird, sie seyen von der Freiheit abhängig, wird alle Anwendung des Begriffs vom Grunde abgewiesen; sie sind so, weil ich sie so bestimmt habe, und hätte ich sie anders bestimmt, so würden sie anders seyn.

Aber es ist allerdings eine des Nachdenkens würdige Frage: welches ist der Grund des Systems der vom Gefühle der Nothwendigkeit begleiteten Vorstellungen, und dieses Gefühls der Nothwendigkeit selbst? Diese Frage zu beantworten ist die Aufgabe der Philosophie; und es ist, meines Bedünkens, nichts Philosophie, als die Wissenschaft, welche diese Aufgabe löset. Das System der von dem Gefühle der Nothwendigkeit begleiteten Vorstellungen nennt man auch die Erfahrung: innere sowohl, als äussere. Die Philosophie hat sonach – dass ich es mit anderen Worten sage – den Grund aller Erfahrung anzugeben.

Gegen das soeben behauptete kann nur dreierlei eingewendet werden. Entweder dürfte jemand läugnen, dass Vorstellungen von dem Gefühle der Nothwendigkeit begleitet, und auf eine ohne unser Zuthun bestimmt seyn sollende Wahrheit bezogen, im Bewusstseyn vorkommen. Ein solcher läugnete entweder gegen besseres Wissen, oder er wäre anders beschaffen als andere Menschen; es wäre dann für ihn auch nichts da, was er abläugnete, und kein Abläugnen, und wir könnten gegen seinen Einspruch uns ohne weiteres hinwegsetzen. Oder es dürfte jemand sagen, die aufgeworfene Frage sey völlig unbeantwortlich, wir seyen über diesen Punct in unüberwindlicher Unwissenheit, und müssten in ihr bleiben. Mit einem solchen auf Gründe und Gegengründe sich einzulassen, ist ganz überflüssig. Er wird am besten durch die wirkliche Beantwortung der Frage widerlegt, und es bleibt ihm nichts übrig, als unseren Versuch zu prüfen, und anzugeben, wo und warum er ihm nicht hinlänglich scheine. Endlich könnte jemand die Benennung in Anspruch nehmen, und behaupten: Philosophie sey überhaupt, oder sie sey ausser dem angegebenen auch noch mit, etwas Anderes. Ihm würde leicht nachzuweisen seyn, dass von jeher von allen Kennern gerade das angeführte für Philosophie gehalten worden, dass alles, was er etwa dafür ausgeben möchte, schon andere Namen habe; dass, wenn dieses Wort etwas bestimmtes bezeichnen solle, es gerade die bestimmte Wissenschaft bezeichnen müsse.

Da wir jedoch auf diesen unfruchtbaren Wortstreit 1) uns einzulassen nicht Willens sind, so haben wir an unserem Theile diesen Namen schon längst Preis gegeben, und die Wissenschaft, welche ganz eigentlich die angezeigte Aufgabe zu lösen hat, Wissenschaftslehre genannt.

 

2.

Nur bei einem als zufällig beurtheilten, d.h. wobei man voraussetzt, dass es auch anders seyn könne, das jedoch nicht durch Freiheit bestimmt seyn soll, kann man nach einem Grunde fragen; und gerade dadurch, dass er nach seinem Grunde fragt, wird es dem Frager ein zufälliges. Die Aufgabe, den Grund eines zufälligen zu suchen, bedeutet: etwas Anderes aufzuweisen, aus dessen Bestimmtheit sich einsehen lasse, warum das begründete, unter den mannigfaltigen Bestimmungen, die ihm zukommen könnten, gerade diese habe, welche es hat. Der Grund fällt, zufolge des blossen Denkens eines Grundes, ausserhalb des begründeten; beides, das begründete und der Grund, werden, inwiefern sie dies sind, einander entgegengesetzt, an einander gehalten, und so das erstere aus dem letzteren erklärt.

Nun hat die Philosophie den Grund aller Erfahrung anzugeben; ihr Object liegt sonach nothwendig ausser aller Erfahrung. Dieser Satz gilt für alle Philosophie, und hat auch, bis auf die Epoche der Kantianer und ihrer Thatsachen des Bewusstseyns, und also der inneren Erfahrung, wirklich allgemein gegolten.

Gegen den hier aufgestellten Satz lässt sich gar nichts einwenden: denn der Vordersatz unserer Schlussfolge ist die blosse Analyse des aufgestellten Begriffs der Philosophie, und aus ihm wird gefolgert. Wollte etwa jemand erinnern, dass der Begriff des Grundes anders erklärt werden müsse, so können wir demselben allerdings nicht verwehren, bei dieser Benennung sich zu denken, was er will: wir erklären aber mit unserem guten Rechte, dass wir in obiger Beschreibung der Philosophie nichts Anderes, als das angegebene darunter verstanden wissen wollen. Es müsste sonach, wenn diese Bedeutung nicht stattfinden soll, die Möglichkeit der Philosophie überhaupt in der von uns angegebenen Bedeutung geläugnet werden, und darauf haben wir schon oben Rücksicht genommen.

 

3.

Das endliche Vernunftwesen hat nichts ausser der Erfahrung; diese ist es, die den ganzen Stoff seines Denkens enthält. Der Philosoph steht nothwendig unter den gleichen Bedingungen; es scheint sonach unbegreiflich, wie er sich über die Erfahrung erheben könne.

Aber er kann abstrahiren das heisst: das in der Erfahrung verbundene durch Freiheit des Denkens trennen. In der Erfahrung ist das Ding, dasjenige, welches unabhängig von unserer Freiheit bestimmt seyn, und wonach unsere Erkenntniss sich richten soll, und die Intelligenz, welche erkennen soll, unzertrennlich verbunden. Der Philosoph kann von einem von beiden abstrahiren, und er hat dann von der Erfahrung abstrahirt und über dieselbe sich erhoben. Abstrahirt er von dem ersteren, so behält er eine Intelligenz an sich, das heisst, abstrahirt von ihrem Verhältniss zur Erfahrung; abstrahirt er von dem letzteren, so behält er ein Ding an sich, das heisst, abstrahirt davon, dass es in der Erfahrung vorkommt, – als Erklärungsgrund der Erfahrung übrig. Das erste Verfahren heisst Idealismus, das zweite Dogmatismus.

Es sind, wovon man durch das gegenwärtige eben überzeugt werden sollte, nur diese beiden philosophischen Systeme möglich. Nach dem ersten Systeme sind die von dem Gefühle der Nothwendigkeit begleiteten Vorstellungen Producte der ihnen in der Erklärung vorauszusetzenden Intelligenz; nach dem letzteren, Producte eines ihnen vorauszusetzenden Dinges an sich.

Wollte jemand diesen Satz läugnen, so hätte er zu erweisen, entweder, dass es noch einen anderen Weg sich über die Erfahrung zu erheben, als den der Abstraction gebe, oder dass in dem Bewusstseyn der Erfahrung mehr, als die beiden genannten Bestandtheile, vorkommen.

Nun wird zwar in Absicht des ersten tiefer unten erhellen, dass dasjenige, was Intelligenz seyn soll, unter einem anderen Prädicate im Bewusstseyn wirklich vorkomme, also nicht etwas lediglich durch Abstraction hervorgebrachtes sey; es wird sich aber doch zeigen, dass das Bewusstseyn derselben durch eine, dem Menschen freilich natürliche, Abstraction bedingt ist.

Es wird gar nicht geläugnet, dass es wohl möglich sey, aus Bruchstücken dieser ungleichartigen Systeme ein ganzes zusammen zu schmelzen, und dass diese inconsequente Arbeit wirklich sehr oft gethan worden: aber es wird geläugnet, dass bei einem consequenten Verfahren mehrere, als diese beiden Systeme, möglich seyen.

 

4.

Zwischen den Objecten – wir wollen den durch eine Philosophie aufgestellten Erklärungsgrund der Erfahrung das Object der 2) Philosophie nennen, da es ja nur durch und für dieselbe da zu seyn scheint – zwischen dem Object des Idealismus und dem des Dogmatismus ist, in Rücksicht ihres Verhältnisses zum Bewusstseyn überhaupt, ein merkwürdiger Unterschied. Alles, dessen ich mir bewusst bin, heisst Object des Bewusstseyns. Es giebt dreierlei Verhältnisse dieses Objects zum Vorstellenden. Entweder erscheint das Object als erst hervorgebracht durch die Vorstellung der Intelligenz, oder, als ohne Zuthun derselben vorhanden: und, im letzteren Falle, entweder als bestimmt auch seiner Beschaffenheit nach; oder als vorhanden lediglich seinem Daseyn nach, der Beschaffenheit nach aber bestimmbar durch die freie Intelligenz.

Das erste Verhältniss kommt zu einem lediglich erdichteten, es sey ohne Zweck, oder mit Zweck, das zweite einem Gegenstande der Erfahrung, das dritte nur einem einzigen Gegenstande, den wir sogleich aufweisen wollen.

Nemlich ich kann mich mit Freiheit bestimmen, dieses oder jenes zu denken, z.B. das Ding an sich des Dogmatikers. Abstrahire ich nun von dem gedachten, und sehe lediglich auf mich, so werde ich mir selbst in diesem Gegenstande das Object einer bestimmten Vorstellung. Dass ich mir gerade so bestimmt erscheine und nicht anders, gerade als denkend, und unter allen möglichen Gedanken gerade das Ding an sich denkend, soll meinem Urtheil nach abhangen von meiner Selbstbestimmung: ich habe zu einem solchen Objecte mit Freiheit mich gemacht. Mich selbst an sich aber habe ich nicht gemacht, sondern ich bin genöthigt, mich als das zu bestimmende der Selbstbestimmung voraus zu denken. Ich selbst also bin mir Object, dessen Beschaffenheit unter gewissen Bedingungen lediglich von der Intelligenz abhängt, dessen Daseyn aber immer vorauszusetzen ist.

Nun ist gerade dieses Ich an sich 3) das Object des Idealismus. Das Object dieses Systems kommt noch als etwas reales wirklich im Bewusstseyn vor, nicht als ein Ding an sich, wodurch der Idealismus aufhören würde zu seyn, was er ist, und in Dogmatismus sich verwandeln würde, aber als Ich an sich, nicht als Gegenstand der Erfahrung: denn es ist nicht bestimmt, sondern es wird lediglich durch mich bestimmt, und ist ohne diese Bestimmung nichts, und ist überhaupt ohne sie nicht; sondern als etwas über die Erfahrung erhabenes.

Das Object des Dogmatismus im Gegentheil gehört zu den Objecten der ersten Klasse, die lediglich durch freies Denken hervorgebracht werden; das Ding an sich ist eine blosse Erdichtung, und hat gar keine Realität. Es kommt nicht etwa in der Erfahrung vor: denn das System der Erfahrung ist nichts Anderes, als das mit dem Gefühle der Nothwendigkeit begleitete Denken, und kann selbst von dem Dogmatiker, der es, wie jeder Philosoph, zu begründen hat, für nichts Anderes ausgegeben werden. Der Dogmatiker will ihm zwar Realität, das heisst, die Nothwendigkeit, als Grund aller Erfahrung gedacht zu werden, zusichern, und er wird es, wenn er nachweist, dass die Erfahrung dadurch wirklich zu erklären, und ohne dasselbe nicht zu erklären ist; aber gerade davon ist die Frage, und es darf nicht vorausgesetzt werden, was zu erweisen ist.

Also das Object des Idealismus hat vor dem des Dogmatismus den Vorzug, dass es, nicht als Erklärungsgrund der Erfahrung, welches widersprechend wäre, und dieses System selbst in einen Theil der Erfahrung verwandeln würde, aber doch überhaupt, im Bewusstseyn nachzuweisen ist, dahingegen das letztere für nichts Anderes gelten kann, als für eine blosse Erdichtung, die ihre Realisation erst von dem Gelingen des Systems erwartet.

Dies ist bloss zur Beförderung der deutlichen Einsicht in die Unterschiede beider Systeme angeführt, nicht aber, um daraus etwas gegen das letztere zu folgern. Dass das Object jeder Philosophie, als Erklärungsgrund der Erfahrung, ausserhalb der Erfahrung liegen müsse, erfordert schon das Wesen der Philosophie, weit entfernt, dass es einem Systeme zum Nachtheil gereichen solle. Warum jenes Object noch überdies auf eine besondere Weise im Bewusstseyn vorkommen solle, dafür haben wir noch keine Gründe gefunden.

Sollte jemand von dem soeben behaupteten sich nicht überzeugen können, so würde, da es nur eine beiläufige Bemerkung ist, seine Ueberzeugung von dem Ganzen dadurch noch nicht unmöglich gemacht. Jedoch will ich, meinem Plane gemäss, auch hier auf mögliche Einwürfe Bedacht nehmen. Es dürfte jemand das behauptete unmittelbare Selbstbewusstseyn in einer freien Handlung des Geistes läugnen. Einen solchen hätten wir nur nochmals an die von uns angegebenen Bedingungen desselben zu erinnern. Jenes Selbstbewusstseyn dringt sich nicht auf, und kommt nicht von selbst; man muss wirklich frei handeln, und dann vom Objecte abstrahiren, und lediglich auf sich selbst merken. Niemand kann genöthigt werden, dieses zu thun, und wenn er es auch vorgiebt, kann man immer nicht wissen, ob er richtig und, wie gefordert werde, dabei verfahre. Mit einem Worte, dieses Bewusstseyn kann keinem nachgewiesen werden; jeder muss es durch Freiheit in sich selbst hervorbringen. Gegen die zweite Behauptung, dass das Ding an sich eine blosse Erdichtung sey, könnte nur darum etwas eingewendet werden, weil man sie misverstände. Wir würden einen solchen an die obige Beschreibung von der Entstehung dieses Begriffs zurückverweisen.

 

5.

Keines dieser beiden Systeme kann das entgegengesetzte direct widerlegen: denn ihr Streit ist ein Streit über das erste, nicht weiter abzuleitende Princip; jedes von beiden widerlegt, wenn ihm nur das seinige zugestanden wird, das des anderen; jedes läugnet dem entgegengesetzten alles ab, und sie haben gar keinen Punct gemein, von welchem aus sie sich einander gegenseitig verständigen und sich vereinigen könnten. Wenn sie auch über die Worte eines Satzes einig zu seyn scheinen, so nimmt jedes sie in einem anderen Sinne. 4)

Zuvörderst der Idealismus kann den Dogmatismus nicht widerlegen. Der erstere zwar hat, wie wir gesehen haben, das vor dem letzteren voraus, dass er seinen Erklärungsgrund der Erfahrung, die freihandelnde Intelligenz, im Bewusstseyn nachzuweisen vermag. Das Factum, als solches, muss ihm auch der Dogmatiker zugeben: denn ausserdem macht er sich aller ferneren Unterhandlung mit ihm unfähig; aber er verwandelt es durch eine richtige Folgerung aus seinem Princip in Schein und Täuschung, und macht es dadurch untauglich zum Erklärungsgrunde eines anderen, da es in seiner Philosophie sich selbst nicht behaupten kann. Nach ihm ist alles, was in unserem Bewusstseyn vorkommt, Product eines Dinges an sich, sonach auch unsere vermeinten Bestimmungen durch Freiheit, mit der Meinung selbst, dass wir frei seyen. Diese Meinung wird durch die Einwirkung des Dinges in uns hervorgebracht, und die Bestimmungen, die wir von unserer Freiheit ableiten, werden gleichfalls dadurch hervorgebracht: nur wissen wir das nicht, darum schreiben wir sie keiner Ursache, also der Freiheit zu. Jeder consequente Dogmatiker ist nothwendig Fatalist; er läugnet nicht das Factum des Bewusstseyns, dass wir uns für frei halten: denn dies wäre vernunftwidrig; aber er erweist aus seinem Princip die Falschheit dieser Aussage. – Er läugnet die Selbstständigkeit des Ich, auf welche der Idealist bauet, gänzlich ab, und macht dasselbe lediglich zu einem Producte der Dinge, zu einem Accidens der Welt; der consequente Dogmatiker ist nothwendig auch Materialist. Nur aus dem Postulate der Freiheit und Selbstständigkeit des Ich könnte er widerlegt werden; aber gerade das ist es, was er läugnet.

Ebensowenig kann der Dogmatiker den Idealisten widerlegen.

Das Princip desselben, das Ding an sich, ist nichts, und hat, wie der Vertheidiger desselben selbst zugeben muss, keine Realität, ausser diejenige, die es dadurch erhalten soll, dass nur aus ihm die Erfahrung sich erklären lasse: Diesen Beweis vernichtet der Idealist dadurch, dass er die Erfahrung auf andere Weise erklärt, also gerade dasjenige, worauf der Dogmatismus baut, abläugnet. Das Ding an sich wird zur völligen Chimäre; es zeigt sich gar kein Grund mehr, warum man eins annehmen sollte; und mit ihm fällt das ganze dogmatische Gebäude zusammen.

Aus dem gesagten ergiebt sich zugleich die absolute Unverträglichkeit beider Systeme, indem das, was aus dem einen folgt, die Folgerungen aus dem zweiten aufhebt; sonach die nothwendige Inconsequenz ihrer Vermischung zu Einem. Allenthalben, wo so etwas versucht wird, passen die Glieder nicht aneinander, und es entsteht irgendwo eine ungeheure Lücke. – Die Möglichkeit einer solchen Zusammensetzung, die einen stätigen Uebergang von der Materie zum Geiste, oder umgekehrt, oder, was ganz dasselbe heisst, einen stätigen Uebergang von der Nothwendigkeit zur Freiheit, müsste derjenige nachweisen, der das soeben behauptete in Anspruch nehmen wollte.

Da, soviel wir bis jetzt einsehen, in speculativer Rücksicht beide Systeme von gleichem Werthe zu seyn scheinen, beide nicht beisammen stehen, aber auch keines von beiden etwas gegen das andere ausrichten kann, so ist es eine interessante Frage, was wohl denjenigen, der dieses einsieht – und es ist ja so leicht einzusehen, – bewegen möge, das eine dem anderen vorzuziehen, und wie es komme, dass nicht der Skepticismus, als gänzliche Verzichtleistung auf die Beantwortung des aufgegebenen. Problems, allgemein werde.

Der Streit zwischen dem Idealisten und Dogmatiker ist eigentlich der, ob der Selbstständigkeit des Ich die Selbstständigkeit des Dinges, oder umgekehrt, der Selbstständigkeit des Dinges die des Ich aufgeopfert werden solle. Was ist es denn nun, das einen vernünftigen Menschen treibt, sich vorzüglich für das Eine von beiden zu erklären?

Der Philosoph findet auf dem angegebenen Gesichtspuncte, in welchen er sich nothwendig stellen muss, wenn er für einen Philosophen gelten soll, und in welchen beim Fortgange des Denkens der Mensch auch ohne sein wissentliches Zuthun über kurz oder lang zu stehen kommt, nichts weiter, als dass er sich vorstellen müsse, er sey frei, und es seyen ausser ihm bestimmte Dinge. Bei diesem Gedanken ist es dem Menschen unmöglich, stehen zu bleiben; der Gedanke der blossen Vorstellung ist nur ein halber Gedanke, ein abgebrochenes Stück eines Gedankens; es muss etwas hinzugedacht werden, das ihm 5) unabhängig vom Vorstellen entspreche. Mit anderen Worten: die Vorstellung kann für sich allein nicht bestehen, sie ist nur mit einem anderen verbunden etwas, und für sich nichts. Diese Nothwendigkeit des Denkens ist es eben, die von jenem Gesichtspuncte aus zu der Frage treibt: welches ist der Grund der Vorstellungen, oder, was ganz dasselbe heisst, welches ist das ihnen entsprechende?

Nun kann allerdings die Vorstellung von der Selbstständigkeit des Ich, und der des Dinges, nicht aber die Selbstständigkeit beider selbst, bei einander bestehen. Nur eines kann das erste, anfangende, unabhängige seyn: das, welches das zweite ist, wird nothwendig dadurch, dass es das zweite ist, abhängig von dem ersten, mit welchem es verbunden werden soll.

Welches von beiden soll nun zum ersten gemacht werden? Es ist kein Entscheidungsgrund aus der Vernunft möglich; denn es ist nicht von Anknüpfung eines Gliedes in der Reihe, wohin allein Vernunftgründe reichen, sondern von dem Anfange der ganzen Reihe die Rede, welches, als ein absolut erster Act, lediglich von der Freiheit des Denkens abhängt. Er wird daher durch Willkür, und da der Entschluss der Willkür doch einen Grund haben soll, durch Neigung und Interesse bestimmt. Der letzte Grund der Verschiedenheit des Idealisten und Dogmatikers ist sonach die Verschiedenheit ihres Interesse.

Das höchste Interesse und der Grund alles übrigen Interesse ist das für uns selbst. So bei dem Philosophen. Sein Selbst im Raisonnnement nicht zu verlieren, sondern es zu erhalten und zu behaupten, dies ist das Interesse, welches unsichtbar alles sein Denken leitet. Nun giebt es zwei Stufen der Menschheit; und im Fortgange unseres Geschlechts, ehe die letztere allgemein erstiegen ist, zwei Hauptgattungen von Menschen. Einige, die sich noch nicht zum vollen Gefühl ihrer Freiheit und absoluten Selbstständigkeit erhoben haben, finden sich selbst nur im Vorstellen der Dinge; sie haben nur jenes zerstreute, auf den Objecten haftende, und aus ihrer Mannigfaltigkeit zusammen zu lesende Selbstbewusstseyn. Ihr Bild wird ihnen nur durch die Dinge, wie durch einen Spiegel zugeworfen; werden ihnen diese entrissen, so geht ihr Selbst zugleich mit verloren; sie können um ihrer selbst willen den Glauben an die Selbstständigkeit derselben nicht aufgeben: denn sie selbst bestehen nur mit jenem. Alles, was sie sind, sind sie wirklich durch die Aussenwelt geworden. Wer in der That nur ein Product der Dinge ist, wird sich auch nie anders erblicken, und er wird recht haben, so lange er lediglich von sich und seines gleichen redet. Das Princip der Dogmatiker ist Glaube an die Dinge, um ihrer selbst willen: also mittelbarer Glaube an ihr eigenes zerstreutes und nur durch die Objecte getragenes Selbst.

Wer aber seiner Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von allem, was ausser ihm ist, sich bewusst wird, – und man wird dies nur dadurch, dass man sich, unabhängig von allem, durch sich selbst zu etwas macht, – der bedarf der Dinge nicht zur Stütze seines Selbst, und kann sie nicht brauchen, weil sie jene Selbstständigkeit aufheben, und in leeren Schein verwandeln. Das Ich, das er besitzt, und welches ihn interessirt, hebt jenen Glauben an die Dinge auf; er glaubt an seine Selbstständigkeit aus Neigung, ergreift sie mit Affect. Sein Glaube an sich selbst ist unmittelbar.

Aus diesem Interesse lassen sich auch die Affecte erklären, die sich in die Vertheidigung der philosophischen Systeme gewöhnlich einmischen. Der Dogmatiker kommt durch den Angriff seines Systems wirklich in Gefahr sich selbst zu verlieren; doch ist er gegen diesen Angriff nicht gewaffnet, weil in seinem Inneren selbst etwas ist, das es mit dem Angreifer hält; er vertheidigt sich daher mit Hitze und Erbitterung. Der Idealist im Gegentheil kann sich nicht wohl enthalten, mit einer 6) Nichtachtung auf den Dogmatiker herabzublicken, der ihm nichts sagen kann, als was der erstere schon längst gewusst und als irrig abgelegt hat; indem man, wenn auch nicht durch den Dogmatismus selbst, doch zum wenigsten durch die Stimmung dazu zu dem Idealismus hindurchgeht. Der Dogmatiker ereifert sich, verdreht, und würde verfolgen, wenn er die Macht dazu hätte: der Idealist ist kalt, und in Gefahr, des Dogmatikers zu spotten.

Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat. Ein von Natur schlaffer oder durch Geistesknechtschaft, gelehrten Luxus und Eitelkeit erschlaffter und gekrümmter Charakter wird sich nie zum Idealismus erheben.

Man kann dem Dogmatiker die Unzulänglichkeit und Inconsequenz seines Systems zeigen, wovon wir sogleich reden werden: man kann ihn verwirren und ängstigen von allen Seiten; aber man kann ihn nicht überzeugen, weil er 7) nicht ruhig und kalt zu hören und zu prüfen vermag, was er schlechthin nicht ertragen kann. Zum Philosophen – wenn der Idealismus sich als die einzige wahre Philosophie bewähren sollte – zum Philosophen muss man geboren seyn, dazu erzogen werden, und sich selbst dazu erziehen: aber man kann durch keine menschliche Kunst dazu gemacht werden. Darum verspricht auch diese Wissenschaft sich unter den schon gemachten Männern wenige Proselyten; darf sie überhaupt hoffen, so hofft sie mehr von der jungen Welt, deren angeborene Kraft noch nicht in der Schlaffheit des Zeitalters zu Grunde gegangen ist.

 

6.

Aber der Dogmatismus ist gänzlich unfähig, zu erklären, was er zu erklären hat, und dies entscheidet über seine Untauglichkeit.

Er soll die Vorstellung erklären, und macht sich anheischig, sie aus einer Einwirkung des Dinges an sich begreiflich zu machen. Nun darf er, was das unmittelbare Bewusstseyn über die erstere aussagt, nicht abläugnen. – Was sagt es denn nun über sie aus? Es ist nicht meine Absicht, hier in Begriff zu fassen, was sich nur innerlich anschauen lässt, noch dasjenige zu erschöpfen, für dessen Erörterung ein grosser Theil der Wissenschaftslehre bestimmt ist. Ich will bloss ins Gedächtniss zurückrufen, was jeder, der nur einen festen Blick in sich geworfen, schon längst gefunden haben muss.

Die Intelligenz, als solche, sieht sich selbst zu; und dieses sich selbst Sehen ist mit allem, was ihr zukommt, unmittelbar vereinigt 8), und in dieser unmittelbaren Vereinigung des Seyns und des Sehens besteht die Natur der Intelligenz. Was in ihr ist, und was sie überhaupt ist, ist sie für sich selbst; und nur, inwiefern sie es für sich selbst ist, ist sie es, als Intelligenz. Ich denke mir dieses oder jenes Object: was heisst denn das, und wie erscheine ich mir denn in diesem Denken? Nicht anders als so: ich bringe gewisse Bestimmungen in mir hervor, wenn das Object eine blosse Erdichtung ist; oder sie sind ohne mein Zuthun vorhanden, wenn es etwas wirkliches seyn soll; und ich sehe jenem Hervorbringen, diesem Seyn, zu. Sie sind in mir nur, inwiefern ich ihnen zusehe: Zusehen und Seyn sind unzertrennlich vereinigt. – Ein Ding dagegen soll gar mancherlei seyn: aber sobald die Frage entsteht: für Wen ist es denn das? wird niemand, der das Wort versteht, antworten: für sich selbst, sondern es muss noch eine Intelligenz hinzugedacht werden, für welche es sey; da hingegen die Intelligenz nothwendig für sich selbst ist, was sie ist, und nichts zu ihr hinzugedacht zu werden braucht. Durch ihr Gesetztseyn, als Intelligenz, ist das, für welches sie sey, schon mit gesetzt. Es ist sonach in der Intelligenz – dass ich mich bildlich ausdrücke – eine doppelte Reihe, des Seyns und des Zusehens, des reellen und des idealen; und in der Unzertrennlichkeit dieses Doppelten besteht ihr Wesen (sie ist synthetisch); da hingegen dem Dinge nur eine einfache Reihe, die des reellen (ein blosses Gesetztseyn), zukommt. Intelligenz und Ding sind also geradezu entgegengesetzt: sie liegen in zwei Welten, zwischen denen es keine Brücke giebt.

Diese Natur der Intelligenz überhaupt und ihre besonderen Bestimmungen will der Dogmatismus durch den Satz der Causalität erklären: sie soll bewirktes, sie soll zweites Glied in der Reihe seyn.

Aber der Satz der Causalität redet von einer reellen Reihe, nicht von einer doppelten. Die Kraft des wirkenden geht über auf ein anderes, ausser ihm liegendes, ihm entgegengesetztes, und bringt in ihm ein Seyn hervor, und weiter nichts; ein Seyn für eine mögliche Intelligenz ausser ihm und nicht für dasselbe. Gebt ihr dem Gegenstande der Einwirkung auch nur eine mechanische Kraft, so wird es den erhaltenen Eindruck fortpflanzen auf das ihm zunächst liegende, und so mag die von dem ersten ausgegangene Bewegung hindurchgehen durch eine Reihe, so lang ihr sie machen wollt; aber nirgends werdet ihr ein Glied in derselben antreffen, das in sich selbst zurückgehend wirke. Oder gebt dem Gegenstande der Einwirkung das höchste, was ihr einem Dinge geben könnt, gebt ihm Reizbarkeit, so dass es, aus eigener Kraft, und nach den Gesetzen seiner eigenen Natur, nicht nach dem ihm von dem Wirkenden gegebenen Gesetze, wie in der Reihe des blossen Mechanismus, sich richte: so wirkt es nun zwar auf den Anstoss zurück, und der Bestimmungsgrund seines Seyns in diesem Wirken liegt nicht in der Ursache, sondern nur die Bedingung, überhaupt etwas zu seyn; aber es ist und bleibt ein blosses, einfaches Seyn: ein Seyn für eine mögliche Intelligenz ausser demselben. Die Intelligenz erhaltet ihr nicht, wenn ihr sie nicht als ein erstes, absolutes hinzudenkt, deren Verbindung mit jenem von ihr unabhängigen Seyn zu erklären, euch schwer ankommen möchte. – Die Reihe ist und bleibt, nach dieser Erklärung, einfach, und es ist gar nicht erklärt, was erklärt werden sollte. Den Uebergang vom Seyn zum Vorstellen sollten sie nachweisen; dies thun sie nicht, noch können sie es thun? denn in ihrem Princip liegt lediglich der Grund eines Seyns, nicht aber des dem Seyn ganz entgegengesetzten Vorstellens. Sie machen einen ungeheueren Sprung in eine ihrem Princip ganz fremde Welt.

Diesen Sprung suchen sie auf mancherlei Weise zu verbergen. Der Strenge nach – und so verfährt der consequente Dogmatismus, der zugleich Materialismus wird – müsste die Seele gar kein Ding, und überhaupt nichts, sondern nur ein Product, nur das Resultat der Wechselwirkung der Dinge unter sich seyn.

Aber dadurch entsteht nur etwas in den Dingen, aber nimmermehr etwas von den Dingen abgesondertes, wenn nicht eine Intelligenz hinzugedacht wird, die die Dinge beobachtet. Die Gleichnisse, die sie anführen, um ihr System begreiflich zu machen, z.B. das von der Harmonie, die aus dem Zusammenklang mehrerer Instrumente entstehe, machen gerade die Vernunftwidrigkeit desselben begreiflich. Der Zusammenklang und die Harmonie ist nicht in den Instrumenten; sie ist nur in dem Geiste des Zuhörers, der in sich das mannigfaltige in Eins vereinigt; und wenn nicht ein solcher hinzugedacht wird, ist sie überhaupt nicht.

Doch, wer könnte es dem Dogmatismus verwehren, eine Seele als eines von den Dingen an sich anzunehmen? Diese gehört dann unter das von ihm zur Lösung der Aufgabe postulirte, und dadurch nur ist der Satz von einer Einwirkung der Dinge auf die Seele anwendbar, da im Materialismus nur eine Wechselwirkung der Dinge unter sich, durch welche der Gedanke hervorgebracht werden soll, stattfindet. Um das undenkbare denkbar zu machen, hat man das wirkende Ding, oder die Seele, oder beide, gleich so voraussetzen wollen, dass durch die Einwirkung Vorstellungen entstehen könnten. Das einwirkende Ding sollte so seyn, dass seine Einwirkungen Vorstellungen würden, etwa wie im Berkeley'schen Systeme Gott. (Welches System ein dogmatisches, und keinesweges ein idealistisches ist.) Hierdurch sind wir um nichts gebessert; wir verstehen nur mechanische Einwirkung, und es ist uns schlechthin unmöglich, eine andere zu denken; jene Voraussetzung also enthält blosse Worte, aber es ist in ihr kein Sinn. Oder die Seele soll von der Art seyn, dass jede Einwirkung auf sie zur Vorstellung würde. Aber hiermit geht es uns eben so, wie mit dem ersten Satze; wir können ihn schlechterdings nicht verstehen.

So verfährt der Dogmatismus allenthalben und in jeder Gestalt, in der er erscheint. In die ungeheure Lücke, die ihm zwischen Dingen und Vorstellungen übrig bleibt, setzt er statt einer Erklärung einige leere Worte, die man zwar auswendig lernen und wieder sagen kann, bei denen aber schlechthin noch nie ein Mensch etwas gedacht hat, noch je einer etwas denken wird. Wenn man nemlich sich bestimmt die Weise denken will, wie das vorgegebene geschehe, so verschwindet der ganze Begriff in einen leeren Schaum.

Der Dogmatismus kann sonach sein Princip nur wiederholen, und unter verschiedenen Gestalten wiederholen, es sagen, und immer wieder sagen; aber er kann von ihm aus nicht zu dem zu erklärenden übergehen, und es ableiten. In dieser Ableitung aber besteht eben die Philosophie. Der Dogmatismus ist sonach, auch von Seiten der Speculation angesehen, gar keine Philosophie, sondern nur eine ohnmächtige Behauptung und Versicherung. Als einzig-mögliche Philosophie bleibt der Idealismus übrig.

Das hier aufgestellte wird es nicht mit den Einwürfen des Lesers zu thun haben: denn es ist schlechterdings nichts dagegen aufzubringen, wohl aber mit der absoluten Unfähigkeit Vieler, es zu verstehen. Dass alle Einwirkung mechanisch sey, und dass durch Mechanismus keine Vorstellung entstehe, kann kein Mensch, der nur die Worte versteht, läugnen. Aber gerade da liegt die Schwierigkeit. Es gehört schon ein Grad der Selbstständigkeit und Freiheit des Geistes dazu, um das geschilderte Wesen der Intelligenz, worauf unsere ganze Widerlegung des Dogmatismus sich gründete, zu begreifen. Viele sind nun einmal mit ihrem Denken nicht weiter gekommen, als zum Fassen der einfachen Reihe des Naturmechanismus; sehr natürlich fällt ihnen nun auch die Vorstellung, wenn sie dieselbe doch denken wollen, in diese Reihe, die einzige, welche in ihrem Geiste gezogen ist. Die Vorstellung wird ihnen zu einer Art vom Dinge 9); wovon wir bei den berühmtesten philosophischen Schriftstellern Proben finden. Für diese ist der Dogmatismus ausreichend; für sie giebt es keine Lücke, weil die entgegengesetzte Welt für sie gar nicht da ist. – Man kann sonach den Dogmatiker durch den geführten Beweis nicht widerlegen, so klar er auch ist; denn er ist nicht an denselben zu bringen, weil ihm das Vermögen fehlt, womit seine Prämisse aufgefasst wird.

Auch verstösst die Weise, wie hier der Dogmatismus behandelt wird, gegen die milde Denkart unseres Zeitalters, welche zwar in allen Zeitaltern ungemein verbreitet gewesen; aber erst in dem unsrigen sich zu einer in Worten ausgedruckten Maxime erhoben hat: man müsse nicht so streng seyn im Folgern, es sey in der Philosophie mit den Beweise nicht so genau zu nehmen, wie etwa in der Mathematik. Wenn diese Denkart nur ein paar Glieder der Kette sieht, und die Regel, nach welcher geschlossen wird, erblickt, so ergänzt sie sogleich den übrigen Theil in Bausch und Bogen durch die Einbildungskraft, ohne weiter nachzuforschen, woraus er bestehe. Wenn ihnen etwa ein Alexander von Joch sagt: Alle Dinge sind durch die Naturnothwendigkeit bestimmt, nun hangen unsere Vorstellungen ab von der Beschaffenheit der Dinge, unser Wille aber von den Vorstellungen, mithin ist alles unser Wollen durch die Naturnothwendigkeit bestimmt, und unsere Meinung von der Freiheit unseres Willens ist Täuschung: so ist ihnen dies ungemein verständlich und einleuchtend, unerachtet kein Menschenverstand darin ist, und sie gehen überzeugt, und erstaunt über die Schärfe dieser Demonstration, von dannen. Ich muss erinnern, dass die Wissenschaftslehre aus dieser milden Denkart weder hervorgeht, noch auf sie rechnet. Wenn auch nur ein einziges Glied in der langen Kette, die sie zu ziehen hat, an das folgende nicht streng anschliesst, so will sie überhaupt nichts erwiesen haben.

 

7.

Der Idealismus erklärt, wie schon oben gesagt worden, die Bestimmungen des Bewusstseyns aus dem Handeln der Intelligenz. Diese ist ihm nur thätig und absolut, nicht leidend; das letzte nicht, weil sie seinem Postulate zufolge erstes und höchstes ist, dem nichts vorhergeht, aus welchem ein Leiden desselben sich erklären liesse. Es kommt aus dem gleichen Grunde ihr auch kein eigentliches Seyn, kein Bestehen zu, weil dies das Resultat einer Wechselwirkung ist, und nichts da ist, noch angenommen wird, womit die Intelligenz in Wechselwirkung gesetzt werden könnte. Die Intelligenz ist dem Idealismus ein Thun, und absolut nichts weiter; nicht einmal ein Thätiges soll man sie nennen, weil durch diesen Ausdruck auf etwas bestehendes gedeutet wird, welchem die Thätigkeit beiwohne. So etwas anzunehmen aber hat der Idealismus keinen Grund, indem in seinem Princip es nicht liegt, und alles übrige erst abzuleiten ist. Nun sollen aus dem Handeln dieser Intelligenz abgeleitet werden bestimmte Vorstellungen, die von einer Welt, einer ohne unser Zuthun vorhandenen, materiellen, im Raume befindlichen Welt u.s.w., welche bekanntermaassen im Bewusstseyn vorkommen; aber von einem unbestimmten lässt sich nichts bestimmtes ableiten, die Formel aller Ableitung der Satz des Grundes, findet da keine Anwendung. Mithin müsste jenes zum Grunde gelegte Handeln der Intelligenz ein bestimmtes Handeln seyn, und zwar, da die Intelligenz selbst der höchste Erklärungsgrund ist, ein durch sie selbst und ihr Wesen, nicht durch etwas ausser ihr, bestimmtes Handeln. Die Voraussetzung des Idealismus wird sonach diese seyn: die Intelligenz handelt, aber sie kann vermöge ihres eigenen Wesens nur auf eine gewisse Weise handeln. Denkt man sich diese nothwendige Weise des Handelns abgesondert vom Handeln, so nennt man sie sehr passend die Gesetze des Handelns; also es giebt nothwendige Gesetze der Intelligenz. – Hierdurch ist denn auch zugleich das Gefühl der Nothwendigkeit, welches die bestimmten Vorstellungen begleitet, begreiflich gemacht; die Intelligenz fühlt dann nicht etwa einen Eindruck von aussen, sondern sie fühlt in jenem Handeln die Schranken ihres eigenen Wesens. Inwiefern der Idealismus diese einzig vernunftmässige bestimmte, und wirklich erklärende Voraussetzung von nothwendigen Gesetzen der Intelligenz macht, heisst er der kritische, oder auch der transcendentale. Ein transcendenter Idealismus würde ein solches System seyn, welches aus dem freien und völlig gesetzlosen Handeln der Intelligenz die bestimmten Vorstellungen ableitete; eine völlig widersprechende Voraussetzung, indem ja, wie soeben erinnert worden, auf ein solches Handeln der Satz des Grundes nicht anwendbar ist.

Die anzunehmenden Handelnsgesetze der Intelligenz machen selbst, so gewiss sie in dem Einen Wesen der Intelligenz begründet seyn sollen, ein System aus; das heisst: dass die Intelligenz unter dieser bestimmten Bedingung gerade so handelt, lässt sich weiter erklären, und daraus erklären, weil sie unter einer Bedingung überhaupt eine bestimmte Handelnsweise hat; und das letztere lässt sich abermals erklären aus einem einzigen Grundgesetze. Sie giebt im Verlaufe ihres Handelns sich selbst ihre Gesetze; und diese Gesetzgebung geschieht selbst durch ein höheres nothwendiges Handeln oder Vorstellen. Z.B. das Gesetz der Causalität ist nicht ein erstes ursprüngliches Gesetz, sondern es ist nur eine von den mehreren Weisen der Verbindung des Mannigfaltigen, und lässt sich aus dem Grundgesetze dieser Verbindung ableiten; und das Gesetz dieser Verbindung des Mannigfaltigen lässt sich, so wie das Mannigfaltige selbst, abermals aus höheren Gesetzen ableiten.

Zufolge dieser Bemerkung kann nun selbst der kritische Idealismus auf zweierlei Art zu Werke gehen. Entweder er leitet jenes System der nothwendigen Handelnsweisen, und mit ihm zugleich die dadurch entstehenden objectiven Vorstellungen wirklich von den Grundgesetzen der Intelligenz ab, und lässt so unter den Augen des Lesers oder Zuhörers den ganzen Umfang unserer Vorstellungen allmählig entstehen: oder er fasst diese Gesetze etwa so, wie sie schon unmittelbar auf die Objecte angewendet werden, also auf ihrer tieferen 10) Stufe (man nennt sie auf dieser Stufe Kategorien) irgend woher auf, und behauptet nun: durch diese würden die Objecte bestimmt und geordnet.

Dem Kritiker von der letzten Art, der die angenommenen Gesetze der Intelligenz nicht aus dem Wesen derselben ableitet, woher mag ihm doch auch nur die materielle Kenntniss derselben, die Kenntniss, dass es gerade diese sind, das Gesetz der Substantialität der Causalität, herkommen? Denn ich will ihn noch nicht mit der Frage belästigen, woher er wisse, dass es blosse immanente Gesetze der Intelligenz sind. Es sind die Gesetze, die unmittelbar auf die Objecte angewandt werden: und er kann sie nur durch Abstraction von diesen Objecten, also nur aus der Erfahrung geschöpft haben. Es hilft nichts, wenn er sie etwa durch einen Umweg aus der Logik hernimmt; denn die Logik selbst ist ihm nicht anders, als durch Abstraction von den Objecten entstanden, und er thut nur mittelbar, was unmittelbar gethan uns zu merklich in die Augen fallen würde. Er kann daher durch nichts erhärten, dass seine postulirten Denkgesetze wirklich Denkgesetze, wirklich nichts als immanente Gesetze der Intelligenz sind: der Dogmatiker behauptet gegen ihn, es seyen allgemeine, in dem Wesen der Dinge begründete Eigenschaften derselben, und es lässt sich nicht einsehen, warum wir der unbewiesenen Behauptung des einen mehr Glauben zustellen sollten, als der unbewiesenen Behauptung des anderen. – Es entsteht bei diesem Verfahren keine Einsicht, dass und warum die Intelligenz gerade so handeln müsse. Zur Beförderung einer solchen müsste in Prämissen etwas aufgestellt werden, das nur der Intelligenz zukommen kann, und aus jenen Prämissen müssten vor unseren Augen jene Denkgesetze abgeleitet werden.

Besonders sieht man bei diesem Verfahren nicht ein, wie denn das Object selbst entstehe; denn, wenn man auch dem Kritiker seine unbewiesenen Postulate zugeben will, so wird durch sie doch nichts weiter als die Beschaffenheiten und Verhältnisse des Dinges erklärt; dass es z.B. im Raume sey, in der Zeit sich äussere, seine Accidenzen auf etwas Substantielles bezogen werden müssen, u.s.w. Aber woher denn das, welches diese Verhältnisse und Beschaffenheiten hat; woher denn der Stoff, der in diese Formen aufgenommen wird? In diesen Stoff flüchtet sich der Dogmatismus, und ihr habt übel nur ärger gemacht.

Wir wissen es wohl, das Ding entsteht allerdings durch ein Handeln nach diesen Gesetzen, das Ding ist gar nichts anderes, als – alle diese Verhältnisse durch die Einbildungskraft zusammengefaßt, und alle diese Verhältnisse mit einander sind das Ding; das Object ist allerdings die ursprüngliche Synthesis aller jener Begriffe. Form und Stoß sind nicht besondere Stücke; die gesammte Formheit ist der Stoff, und erst in der Analyse bekommen wir einzelne Formen. Aber das kann der Kritiker nach der angegebenen Methode auch nur versichern; und es ist sogar ein Geheimniss, woher er selbst es weiss, wenn er es weiss. So lange man nicht das ganze Ding vor den Augen des Denkers entstehen lässt, ist der Dogmatismus nicht bis in seinen letzten Schlupfwinkel verfolgt. Aber dies ist nur dadurch möglich, dass man die Intelligenz in ihrer ganzen, nicht in ihrer getheilten Gesetzmässigkeit handeln lasse.

Ein solcher Idealismus ist sonach unerwiesen und unerweislich. Er hat gegen den Dogmatismus keine anderen Waffen, als die Versicherung, dass er recht habe; und gegen den höheren vollendeten Kriticismus keine anderen, als ohnmächtigen Zorn, und die Behauptung, dass man nicht weiter gehen könne, die Versicherung, dass über ihn hinaus kein Boden mehr sey, dass man dann ihm unverständlich werde, und dergleichen; welches alles gar nichts bedeutet.

Endlich werden in einem solchen Systeme nur diejenigen Gesetze, nach welchen durch die lediglich subsumirende Wechselkraft nur die Objecte der äusseren Erfahrung bestimmt werden, aufgestellt. Aber dies ist bei weitem der kleinste Theil des Vernunftsystems. In dem Gebiete der praktischen Vernunft und der reflectirenden Urtheilskraft tappt daher dieser halbe Kriticismus, da es ihm an der Einsicht in das ganze Verfahren der Vernunft fehlt, ebenso blind herum, als der blosse Nachbeter, und schreibt, ebenso unbefangen, ihm selbst völlig unverständliche Ausdrücke nach. 11)

Die Methode des vollständigen transcendentalen Idealismus, den die Wissenschaftslehre aufstellt, habe ich schon einmal an einem anderen Orte ganz klar auseinandergesetzt. 12) Ich kann mir nicht erklären, wie man jene Auseinandersetzung nicht habe verstehen müssen; genug es wird versichert, man habe sie nicht verstanden.

Ich bin sonach genöthigt, das gesagte wieder zu sagen, und erinnere, dass auf das Verständniss desselben in dieser Wissenschaft alles ankomme.

Dieser Idealismus geht aus von einem einzigen Grundgesetze der Vernunft, welches er im Bewusstseyn unmittelbar nachweist. Er verfährt dabei folgendermaassen. Er fordert den Zuhörer oder Leser auf, mit Freiheit einen bestimmten Begriff zu denken; werde er dies, so werde er finden, dass er genöthigt sey; auf eine gewisse Weise zu verfahren. Es ist hier zweierlei zu unterscheiden: der geforderte Denk-Act; dieser wird durch Freiheit vollzogen, und wer ihn nicht mit vollzieht, sieht nichts von dem, was die Wissenschaftslehre aufzeigt: – und die nothwendige Weise, wie er zu vollziehen ist; diese ist in der Natur der Intelligenz gegründet, und hängt nicht ab von der Willkür; sie ist etwas nothwendiges, das aber nur in und bei einer freien Handlung vorkommt; etwas gefundenes, dessen Finden aber durch Freiheit bedingt ist.

Insoweit weiset der Idealismus im unmittelbaren Bewusstseyn nach, was er behauptet. Blosse Voraussetzung aber ist, dass jenes Nothwendige Grundgesetz der ganzen Vernunft sey, dass aus ihm das ganze System unserer nothwendigen Vorstellungen, nicht nur von einer Welt, wie ihre Objecte durch subsumirende und reflectirende Urtheilskraft bestimmt werden, sondern auch von uns selbst, als freien und praktischen Wesen unter Gesetzen sich ableiten lasse. Diese Voraussetzung hat er zu erweisen durch die wirkliche Ableitung, und darin eben besteht sein eigentliches Geschäft.

Hierbei verfährt er auf folgende Weise. Er zeigt, dass das zuerst als Grundsatz aufgestellte und unmittelbar im Bewusstseyn nachgewiesene nicht möglich ist, ohne dass zugleich noch etwas anderes geschehe, und dieses andere nicht, ohne dass zugleich etwas drittes geschehe; so lange, bis die Bedingungen des zuerst aufgewiesenen vollständig erschöpft, und dasselbe, seiner Möglichkeit nach, völlig begreiflich ist. Sein Gang ist ein ununterbrochenes Fortschreiten vom Bedingten zur Bedingung. Die Bedingung wird wieder ein Bedingtes, und es ist ihre Bedingung aufzusuchen.

Ist die Voraussetzung des Idealismus richtig, und ist in der Ableitung richtig gefolgert worden: so muss als letztes Resultat, als Inbegriff aller Bedingungen des zuerst aufgestellten, das System aller nothwendigen Vorstellungen, oder die gesammte Erfahrung herauskommen; welche Vergleichung gar nicht in der Philosophie selbst, sondern erst hinterher angestellt wird.

Denn der Idealismus hat nicht etwa diese Erfahrung als das ihm schon vorher bekannte Ziel, bei welchem er ankommen müsse, im Auge; er weiss bei seinem Verfahren nichts von der Erfahrung, und sieht auf sie überhaupt gar nicht; er geht von seinem Anfangspuncte nach seiner Regel fort, unbekümmert, was am Ende herauskommen werde. – Der rechte Winkel, von welchem aus er seine gerade Linie zu ziehen hat, ist ihm gegeben; bedarf er wohl noch eines Punctes, nach welchem er hinziehe? Ich meine, alle Puncte seiner Linie sind ihm zugleich mitgegeben. Es ist euch eine bestimmte Zahl gegeben. Ihr vermuthet, dass sie das Product aus gewissen Factoren sey. So habt ihr nur, nach der euch wohlbekannten Regel, das Product dieser Factoren zu suchen. Ob es mit der gegebenen Zahl übereinstimme, wird sich hinterher, wenn ihr das Product erst habt, schon finden. Die gegebene Zahl ist die gesammte Erfahrung; die Factoren sind, – jenes im Bewusstseyn Nachgewiesene und die Gesetze des Denkens; das Multipliciren ist das Philosophiren. Diejenigen, welche euch anrathen, beim Philosophiren immer auch ein Auge mit auf die Erfahrung gerichtet zu haben, rathen euch an, die Factoren ein wenig zu ändern, und ein wenig falsch zu multipliciren, damit doch ja übereinstimmende Zahlen kommen: ein Verfahren, das so unredlich, als seicht ist.

Inwiefern man jene letzten Resultate des Idealismus ansieht, als solche, als Folgen des Raisonnements, sind sie das a priori, im menschlichen Geiste; und inwiefern man ebendasselbe, falls Raisonnement und Erfahrung wirklich übereinstimmen, ansieht, als in der Erfahrung gegeben, heisst es a posteriori. Das a priori und das a posteriori ist für einen vollständigen Idealismus gar nicht zweierlei, sondern ganz einerlei; es wird nur von zwei Seiten betrachtet, und ist lediglich durch die Art unterschieden, wie man dazu kommt. Die Philosophie anticipirt die gesammte Erfahrung, denkt sie sich nur als nothwendig, und insofern ist sie, in Vergleich mit der wirklichen Erfahrung, a priori. A posteriori ist die Zahl, inwiefern sie als gegebene betrachtet wird; a priori dieselbe Zahl, inwiefern sie als Product aus den Factoren gezogen wird. Wer hierüber anders meint, der weiss selbst nicht, was er redet.

Stimmen die Resultate einer Philosophie mit der Erfahrung nicht überein, so ist diese Philosophie sicher falsch: denn sie hat ihrem Versprechen, die gesammte Erfahrung abzuleiten und aus dem nothwendigen Handeln der Intelligenz zu erklären, nicht Genüge geleistet. Entweder ist dann die Voraussetzung des transcendentalen. Idealismus überhaupt unrichtig, oder er ist nur in der bestimmten Darstellung, welche nicht leistet, was sie sollte, unrichtig behandelt worden. Da die Aufgabe, die Erfahrung aus ihrem Grunde zu erklären, einmal in der menschlichen Vernunft liegt, da kein vernünftiger annehmen wird, dass in ihr eine Aufgabe liegen könne, deren Auflösung schlechterdings unmöglich sey; da es nur zwei Wege giebt, sie zu lösen, den des Dogmatismus, und den des transcendentalen Idealismus, und dem ersten ohne weiteres nachzuweisen ist, dass er nicht leisten könne, was er verspreche: so wird der entschlossene Denker immer für das letztere, dass man sich bloss im Schliessen geirrt habe, und die Voraussetzung an sich wohl richtig sey, entscheiden, und durch keinen mislungenen Versuch sich abhalten lassen, es wieder zu versuchen, bis es doch endlich einmal gelinge.

Der Weg dieses Idealismus geht, wie man sieht, von einem im Bewusstseyn, aber nur zufolge eines freien Denk-Acts, Vorkommenden zu der gesammten Erfahrung. Was zwischen beiden liegt, ist sein eigenthümlicher Boden. Es ist nicht Thatsache des Bewusstseyns, gehört nicht in den Umfang der Erfahrung; wie könnte so etwas je Philosophie heissen, da ja diese den Grund der Erfahrung aufzuweisen hat, aber der Grund nothwendig ausserhalb des begründeten liegt. Es ist ein durch freies, aber gesetzmässiges Denken hervorgebrachtes. – Dieses wird sogleich ganz klar werden, wenn wir die Grundbehauptung des Idealismus noch etwas näher ansehen.

Das schlechthin postulirte ist nicht möglich, erweiset er, ohne die Bedingung eines zweiten, dieses zweite nicht, ohne die Bedingung eines dritten u.s.f.; also, es ist unter allem, was er aufstellt, gar keines einzeln möglich, sondern nur in der Vereinigung mit allen ist jedes einzelne möglich. Sonach kommt, seiner eigenen Behauptung nach, nur das Ganze im Bewusstseyn vor, und dieses Ganze ist eben die Erfahrung. Er will es näher kennen lernen, darum muss er es analysiren, und zwar nicht durch ein blindes Herumtappen, sondern nach der bestimmten Regel der Composition, so dass er unter seinen Augen das Ganze entstehen sehe. Er vermag dies, weil er zu abstrahiren vermag; weil er im freien Denken allerdings das Einzelne allein aufzufassen vermag. Denn es kommt im Bewusstseyn nicht bloss Nothwendigkeit der Vorstellungen, sondern auch Freiheit derselben vor: und diese Freiheit hinwiederum kann entweder gesetzmässig oder nach Regeln verfahren. Das Ganze ist ihm auf dem Gesichtspuncte des nothwendigen Bewusstseyns gegeben; er findet es, so wie er sich selbst findet. Die durch die Zusammensetzung dieses Ganzen entstandene Reihe nur wird durch die Freiheit hervorgebracht. Wer diesen Act der Freiheit vornimmt, der wird derselben sich bewusst, und er legt gleichsam ein neues Gebiet in seinem Bewusstseyn an: wer ihn nicht vornimmt, für den ist das durch ihn bedingte gar nicht da. – Der Chemiker setzt einen Körper, etwa ein bestimmtes Metall, aus seinen Elementen zusammen. Der gemeine Mann sieht das ihm wohl bekannte Metall; der Chemiker die Verknüpfung des Körpers und der bestimmten Elemente. Sehen denn nun beide etwas anderes? Ich dächte nicht; sie sehen dasselbe, nur auf eine andere Art. Das des Chemikers ist das a priori, er sieht das Einzelne: das des gemeinen Mannes ist das a posteriori, er sieht das Ganze. – Nur ist dabei dieser Unterschied: der Chemiker muss das Ganze erst analysiren, ehe er es componiren kann, weil er es mit einem Gegenstande zu thun hat, dessen Regel der Zusammensetzung er vor der Analyse nicht kennen kann; der Philosoph aber kann ohne vorhergegangene Analyse componiren, weil er die Regel seines Gegenstandes, die Vernunft, schon kennt.

Es kommt sonach dem Inhalte der Philosophie keine andere Realität zu, als die des nothwendigen Denkens, unter der Bedingung, dass man über den Grund der Erfahrung etwas denken wolle. Die Intelligenz lässt sich nur als thätig denken, und sie lässt sich nur als auf diese bestimmte Weise thätig denken, behauptet die Philosophie. Diese Realität ist ihr völlig hinreichend; denn es geht aus ihr 13) hervor, dass es überhaupt keine andere gebe.

Den jetzt beschriebenen vollständigen kritischen Idealismus will die Wissenschaftslehre aufstellen. Das zuletzt gesagte enthält den Begriff derselben, und ich habe über diesen keine Einwürfe zu hören; denn was ich thun will, kann niemand besser wissen, als ich selbst. Demonstrationen der Unmöglichkeit einer Sache, die realisirt wird, und zum Theil schon realisirt ist, sind nur lächerlich. Man hat lediglich sich an die Ausführung zu halten, und zu untersuchen, ob sie leiste, was sie versprochen hat.

 

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1)

Streit über ein Wort. – [2ter Abdruck.] 

2)

dieser. – [2ter Abdruck.] 

3)

Ich habe bisher diesen Ausdruck vermieden, um nicht zur Vorstellung eines Ich als Dinges an sich zu veranlassen. Meine Sorgfalt war vergeblich: ich nehme ihn daher jetzt auf, weil ich nicht einsehe, wen ich zu schonen hätte. 

4)

Daher kommt es, dass Kant nicht verstanden worden und die Wissenschaftslehre keinen Eingang gefunden hat und ihn wohl so bald nicht finden wird. Das Kantische System und das der Wissenschaftslehre sind nicht in dem gewöhnlichen unbestimmten, sondern in dem soeben angegebenen bestimmten Sinne des Worts idealistisch; die modernen Philosophen aber sind insgesammt Dogmatiker, und sind festiglich entschlossen, es zu bleiben. Kant ist bloss darum geduldet worden, weil es möglich war, ihn zum Dogmatiker zu machen; die Wissenschaftslehre, mit der eine solche Verwandlung sich nicht vornehmen lässt, ist diesen Weltweisen nothwendig unausstehlich. Die schnelle Verbreitung der Kantischen Philosophie, nachdem sie gefasst worden, wie sie gefasst wurde, ist nicht ein Beweis von der Gründlichkeit, sondern von der Seichtigkeit des Zeitalters. Theils ist sie in dieser Gestalt die abenteuerlichste Misgeburt, welche je von der menschlichen Phantasie erzeugt worden, und es macht dem Scharfsinn ihrer Vertheidiger wenig Ehre, dass sie dies nicht einsehen: theils lässt sich leicht nachweisen, dass sie nur dadurch sich empfahl, weil man durch sie alle ernsthafte Speculation über die Seite gebracht, und sich mit einem Majestätsbriefe versehen glaubte, des beliebten, oberflächlichen Empirismus ferner zu pflegen. 

5)

der Vorstellung – [2ter Abdruck.] 

6)

gewissen – [2ter Abdruck.] 

7)

eine Lehre –, die er – [2ter Abdruck.]  

8)

Dieses sich selbst Sehen geht unmittelbar auf alles, was sie ist. – [2ter Abdruck.] 

9)

eine sonderbare Täuschung, wovon wir – [2ter Abdruck.] 

10)

tiefsten [2ter Abdruck.] 

11)

Ein solcher kritischer Idealismus ist von Herrn Prof. Beck in seinem Einzig-möglichen Standpuncte der kritischen Philosophie aufgestellt worden. Unerachtet ich nun in dieser Ansicht die oben gerügten Mängel finde, so soll mich dies doch nicht abhalten, dem Manne, der aus der Verworrenheit des Zeitalters selbstständig sich zur Einsicht erhoben, dass die Kantische Philosophie keinen Dogmatismus, sondern einen transcendentalen Idealismus lehre, und dass nach ihr das Object weder ganz noch halb gegeben, sondern gemacht werde, die gebührende Hochachtung öffentlich zu bezeugen, und es von der Zeit zu erwarten, dass er sich noch höher erhebe. Ich halte die angeführte Schrift für das zweckmässigste Geschenk, das dem Zeitalter gemacht werden konnte, und empfehle sie denen, welche aus meinen Schriften die Wissenschaftslehre studiren wollen, als die beste Vorbereitung. Sie führt nicht auf den Weg dieses Systemes; aber sie zerstört das mächtigste Hinderniss, das denselben so vielen verschliesst. – Man hat sich durch den Ton jener Schrift beleidigt finden wollen, und noch neuerlich fordert ein [wohlfürnehmer – (2ter Abdr.)] Rec. in einem berühmten Journale mit deutlichen Worten: crustula, elementa velit ut discere prima; ich für meine Person finde ihren Ton nur noch zu milde: denn ich sehe wahrhaftig nicht ein, welchen Dank man gewiesen Schriftstellern noch dafür haben soll, dass sie ein Jahrzehend, und darüber, die geistvollste und erhabenste Lehre verwirrt und herabgewürdigt, und warum man sich erst ihre Erlaubniss erbitten solle, um Recht haben zu dürfen. – Wogen der Eilfertigkeit, mit welcher derselbe Schriftsteller in einer anderen Gesellschaft, für welche er viel zu gut ist, über Bücher herfährt, von welchen sein eigenes Gewissen ihm sagen musste, dass er sie nicht verstehe, und dass er doch nicht recht wissen könne, wie tief die Sache gehen möge, kann ich ihn nur um seiner selbst willen bedauern. 

12)

In der Schrift: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, Weimar, 1794. 

13)

der Philosophie – [2ter Abdruck.]