BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Reden an die deutsche Nation

 

1807/08

 

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Inhaltsanzeige

der dreizehnten Rede.

 

Warum von dieser Rede nur die Inhaltsanzeige, nicht aber

die Rede selbst geliefert werde, darüber sehe man die am Ende

dieser Anzeige befindliche Anmerkung. *)

 

Fortsetzung

der angefangenen Betrachtung.

 

Es seye noch ein mehreres von nichtigen Gedanken und täuschenden Lehrgebäuden über die Angelegenheiten der Völker unter uns im Umlaufe, welches die Deutschen verhindere, eine ihrer Eigenthümlichkeit gemässe feste Ansicht über ihre gegenwärtige Lage zu fassen, äusserten wir am Ende unserer vorigen Rede. Da diese Traumbilder gerade jetzt mit grösserem Eifer zur öffentlichen Verehrung herumgeboten werden, und, nachdem so vieles Andere wankend geworden, von manchem lediglich zur Ausfüllung der entstandenen leeren Stellen aufgefasst werden könnten: so scheint es zur Sache zu gehören, dieselben mit grösserem Ernste, als ausserdem ihre Wichtigkeit verdienen dürfte, einer Prüfung zu unterwerfen.

Zuvörderst und vor allen Dingen: – die ersten, ursprünglichen und wahrhaft natürlichen Grenzen der Staaten sind ohne Zweifel ihre inneren Grenzen. Was dieselbe Sprache redet, das ist schon vor aller menschlichen Kunst vorher durch die blosse Natur mit einer Menge von unsichtbaren Banden aneinander geknüpft; es versteht sich untereinander, und ist fähig, sich immerfort klarer zu verständigen, es gehört zusammen, und ist natürlich Eins und ein unzertrennliches Ganzes. Ein solches kann kein Volk anderer Abkunft und Sprache in sich aufnehmen und mit sich vermischen wollen, ohne wenigstens fürs erste sich zu verwirren, und den gleichmässigen Fortgang seiner Bildung mächtig zu stören. Aus dieser inneren, durch die geistige Natur des Menschen selbst gezogenen Grenze ergiebt sich erst die äussere Begrenzung der Wohnsitze, als die Folge von jener, und in der natürlichen Ansicht der Dinge sind keinesweges die Menschen, welche innerhalb gewisser Berge und Flüsse wohnen, um deswillen. Ein Volk, sondern umgekehrt wohnen die Menschen beisammen, und wenn ihr Glück es so gefügt hat, durch Flüsse und Berge gedeckt, weil sie schon früher durch ein weit höheres Naturgesetz Ein Volk waren.

So sass die deutsche Nation, durch gemeinschaftliche Sprache und Denkart sattsam unter sich vereinigt, und scharf genug abgeschnitten von den anderen Völkern, in der Mitte von Europa da als scheidender Wall nicht verwandter Stämme, zahlreich und tapfer genug, um ihre Grenzen gegen jeden fremden Anfall zu schützen, sich selbst überlassen und durch ihre ganze Denkart wenig geneigt, Kunde von den benachbarten Völkerschaften zu nehmen, in derselben Angelegenheiten sich zu mischen, und durch Beunruhigungen sie zur Feindseligkeit aufzureizen. Im Verlaufe der Zeiten bewahrte sie ihr günstiges Geschick vor dem unmittelbaren Antheile am Raube der anderen Welten; dieser Begebenheit, durch welche vor allen anderen die Weise der Fortentwicklung der neueren Weltgeschichte, die Schicksale der Völker, und der grösste Theil ihrer Begriffe und Meinungen begründet worden sind. Seit dieser Begebenheit erst zertheilte sich das christliche Europa, das vorher auch ohne sein eigenes deutliches Bewusstseyn Eins gewesen war, und als solches in gemeinschaftlichen Unternehmungen sich gezeigt halte, in mehrere abgesonderte Theile; seit jener Begebenheit erst war eine gemeinschaftliche Beute aufgestellt, nach der jeder auf die gleiche Weise begehrte, weil alle sie auf die gleiche Weise brauchen konnten, und die jeder mit Eifersucht in den Händen des anderen erblickte; erst nun war ein Grund vorhanden zu geheimer Feindschaft und Kriegslust aller gegen alle. Auch wurde es nun erst zum Gewinne für Völker, Völker auch anderer Abkunft und Sprachen durch Eroberung, oder, wenn dies nicht möglich wäre, durch Bündnisse sich einzuverleiben und ihre Kräfte sich zuzueignen. Ein der Natur treugebliebenes Volk kann, wenn seine Wohnsitze ihm zu enge werden, dieselben durch Eroberung des benachbarten Bodens erweitern wollen, um mehr Raum zu gewinnen, und es wird sodann die früheren Bewohner vertreiben; es kann einen rauhen und unfruchtbaren Himmelsstrich gegen einen milderen und gesegneteren vertauschen wollen, und es wird in diesem Falle abermals die früheren Besitzer austreiben; es kann, wenn es auch ausartet, blosse Raubzüge unternehmen, auf denen es, ohne des Bodens oder der Bewohner zu begehren, bloss alles Brauchbaren sich bemächtigt, und die ausgeleerten Länder wieder verlässt; es kann endlich die früheren Bewohner des eroberten Bodens, als eine gleichfalls brauchbare Sache, wie Sklaven der Einzelnen unter sich vertheilen: aber dass es die fremde Völkerschaft, so wie dieselbe besteht, als Bestandtheile des Staates sich anfüge, dabei hat es nicht den geringsten Gewinn, und es wird niemals in Versuchung kommen, dies zu thun. Ist aber der Fall der, dass einem gleich starken, oder wohl noch stärkeren Nebenbuhler eine reizende gemeinschaftliche Beute abgekämpft werden soll, so steht die Rechnung anders. Wie auch übrigens sonst das überwundene Volk zu uns passen möge, so sind wenigstens seine Fäuste zur Bekämpfung des von uns zu beraubenden Gegners brauchbar, und jederman ist uns, als eine Vermehrung der öffentlichen Streitkraft, willkommen. So nun irgend einem Weisen, der Friede und Ruhe gewünscht hätte, über diese Lage der Dinge die Augen klar aufgegangen wären, wovon hätte derselbe Ruhe erwarten können? Offenbar nicht von der natürlichen Beschränkung der menschlichen Habsucht dadurch, dass das Ueberflüssige keinem nütze; denn eine Beute, wodurch alle versucht werden, war vorhanden: und ebensowenig hätte er sie erwarten können von dem sich selbst eine Grenze setzenden Willen, denn unter solchen, von denen jedweder alles an sich reisst, was er vermag, muss der sich selbst Beschränkende nothwendig zu Grunde gehen. Keiner will dem Anderen theilen, was er dermalen zu eigen besitzt; jeder will dem anderen das seinige rauben, wenn er irgend kann. Ruht einer, so geschieht dies nur darum, weil er sich nicht für stark genug hält, Streit anzufangen; er wird ihn sicher anfangen, sobald er die erforderliche Stärke in sich verspürt. Somit ist das einzige Mittel die Ruhe zu erhalten dieses, dass niemals einer zu der Macht gelange, dieselbe stören zu können, und dass jedweder wisse, es sey auf der anderen Seite gerade so viel Kraft zum Widerstande, als auf seiner Seite sey zum Angriffe; dass also ein Gleichgewicht und Gegengewicht der gesammten Macht entstehe, wodurch allein, nachdem alle andere Mittel verschwunden sind, jeder in seinem gegenwärtigen Besitzstande und alle in Ruhe erhalten werden. Diese beiden Stücke demnach: einen Raub, auf den kein Einziger einiges Recht habe, alle aber nach ihm die gleiche Begierde, sodann die allgemeine, immerfort thätig sich regende wirkliche Raubsucht, setzt jenes bekannte System eines Gleichgewichtes der Nacht in Europa voraus; und unter diesen Voraussetzungen würde dieses Gleichgewicht freilich das einzige Mittel seyn, die Ruhe zu erhalten, wenn nur erst das zweite Mittel gefunden wäre, jenes Gleichgewicht hervorzubringen, und es aus einem leeren Gedanken in ein wirkliches Ding zu verwandeln.

Aber waren denn auch jene Voraussetzungen allgemein, und ohne alle Ausnahme zu machen? War nicht im Mittelpuncte von Europa die übermächtige deutsche Nation rein geblieben von dieser Beute, und von der Ansteckung mit der Lust darnach, und fast ohne Vermögen, Anspruch auf dieselbe zu machen? Wäre nur diese zu Einem gemeinschaftlichen Willen und Einer gemeinschaftlichen Kraft vereinigt geblieben; hätten doch dann die übrigen Europäer sich morden mögen in allen Meeren und auf allen Inseln und Küsten: in der Mitte von Europa hätte der feste Wall der Deutschen sie verhindert aneinanderzukommen, – hier wäre Friede geblieben, und die Deutschen hätten sich, und mit sich zugleich einen Theil der übrigen europäischen Völker in Ruhe und Wohlstand erhalten.

Es war dem nur den nächsten Augenblick berechnenden Eigennutze des Auslandes nicht gemäss, dass es also bliebe. Sie fanden die deutsche Tapferkeit brauchbar, um durch sie ihre Kriege zu führen, und die Hände derselben, um mit ihnen ihren Nebenbuhlern die Beute zu entreissen; es musste ein Mittel gefunden werden, um diesen Zweck zu erreichen, und die ausländische Schlauheit siegte leicht über die deutsche Unbefangenheit und Verdachtlosigkeit. Das Ausland war es, welches zuerst der über Religionsstreitigkeiten entstandenen Entzweiung der Gemüther in Deutschland sich bediente, um diesen Inbegriff des gesammten christlichen Europa im Kleinen aus der innig verwachsenen Einheit ebenso in abgesonderte und für sich bestehende Theile künstlich zu zertrennen, wie erst jenes über einen gemeinsamen Raub sich natürlich zertrennt hatte; das Ausland wusste diese also entstandenen besonderen Staaten im Schoosse der Einen Nation, die keinen Feind hatte, denn das Ausland selbst, und keine Angelegenheit, denn die gemeinsame, gegen die Verführungen und die Hinterlist dieses mit vereinigter Kraft sich zu setzen, – es wusste diese einander gegenseitig vorzustellen als natürliche Feinde, gegen die jeder immerfort auf der Hut seyn müsse, sich selbst dagegen darzustellen als die natürlichen Verbündeten gegen diese von den eigenen Landsleuten drohende Gefahr; als die Verbündeten, mit denen allein sie selbst ständen oder fielen, und die sie daher gleichfalls in ihren Unternehmungen mit aller ihrer Macht unterstützen müssten. Nur durch dieses künstliche Bindungsmittel wurden alle Zwiste, die über irgend einen Gegenstand in der alten oder neuen Welt sich entspinnen mochten, zu eigenen Zwisten der deutschen Stämme untereinander; jeder aus irgend einem Grunde entstandene Krieg musste auf deutschem Boden und mit deutschem Blute ausgefochten werden, jede Verrückung des Gleichgewichtes in derjenigen Nation, der der ganze Urquell dieser Verhältnisse fremd war, ausgeglichen werden, und die deutschen Staaten, deren abgesondertes Daseyn schon gegen alle Natur und Vernunft stritt, mussten, damit sie doch etwas wären, zu Zulagen gemacht werden zu den Hauptgewichten in der Wage des europäischen Gleichgewichtes, deren Zuge sie blind und willenlos folgten. So wie man in manchem ausländischen Staate die Bürger bezeichnet dadurch, dass sie von dieser oder einer anderen fremden Partei seyen, und für dieses oder jenes auswärtige Bündniss stimmten, solche aber, die von der vaterländischen Partei seyen, nicht namhaft zu machen weiss; so waren die Deutschen schon längst nur für irgend eine fremde Partei, und man traf selten auf einen, der die Partei der Deutschen gehalten, und gemeint hätte, dass dieses Land sich mit sich selbst verbünden sollte.

Dies also ist der wahre Ursprung und die Bedeutung, dies der Erfolg für Deutschland und für die Welt von dem berüchtigten Lehrgebäude eines künstlich zu erhaltenden Gleichgewichtes der Macht unter den europäischen Staaten. Wäre das christliche Europa Eins geblieben, wie es sollte, und wie es ursprünglich war, so hätte man nie Veranlassung gehabt, einen solchen Gedanken zu erzeugen; das Eine ruht auf sich selbst und trägt sich selbst, und zertheilt sich nicht in streitende Kräfte, die mit einander in ein Gleichgewicht gebracht werden müssten; nur für das unrechtlich gewordene und zertheilte Europa erhielt jener Gedanke eine nothdürftige Bedeutung. Zu diesem unrechtlich gewordenen und zertheilten Europa gehörte Deutschland nicht. Wäre nur wenigstens dieses Eins geblieben, so hätte es auf sich selbst geruht im Mittelpuncte der gebildeten Erde, so wie die Sonne im Mittelpuncte der Welt; es hätte sich in Ruhe erhalten, und durch sich seine nächste Umgebung, und hätte, ohne alle künstliche Vorkehrung, durch sein blosses natürliches Daseyn, allem das Gleichgewicht gegeben. Nur der Trug des Auslandes mischte dasselbe in seine Unrechtlichkeit und seine Zwiste, und brachte ihm jenen hinterlistigen Begriff bei, als eins der wirksamsten Mittel, dasselbe über seinen wahren Vortheil zu täuschen, und es in der Täuschung zu erhalten. Dieser Zweck ist nun hinlänglich erreicht, und der beabsichtigte Erfolg liegt vollendet da vor unseren Augen. Können wir nun auch diesen nicht aufheben warum sollen wir nicht wenigstens die Quelle desselben in unserem eigenen Verstande, der fast noch das Einzige ist, das unserer Botmässigkeit überlassen geblieben, austilgen? Warum soll das alte Traumbild noch immer uns vor die Augen gestellt werden, nachdem das Uebel uns aus dem Schlafe geweckt hat? Warum sollen wir nicht wenigstens jetzt die Wahrheit sehen, und das einzige Mittel, das uns hätte retten können, erblicken – ob vielleicht unsere Nachkommen thun möchten, was wir einsehen; so wie wir jetzt leiden, weil unsere Väter träumten. Lasset uns begreifen, dass der Gedanke eines künstlich zu erhaltenden Gleichgewichtes zwar für das Ausland ein tröstender Traum seyn konnte bei der Schuld und dem Uebel, welche dasselbe drückten; dass er aber, als ein durchaus ausländisches Erzeugniss, niemals in dem Gemüthe eines Deutschen hätte Wurzel fassen, und die Deutschen niemals in die Lage hätten kommen sollen, dass er bei ihnen Wurzel fassen gekonnt hätte, dass wir wenigstes jetzt in seiner Nichtigkeit ihn durchdringen, und dass wir einsehen müssen, dass nicht bei ihm sondern allein bei der Einigkeit der Deutschen unter sich selber das allgemeine Heil zu finden sey.

Ebenso fremd ist dem Deutschen die in unseren Tagen so häufig gepredigte Freiheit der Meere; ob nun wirklich diese Freiheit, oder ob bloss das Vermögen, dass man selbst alle anderen von derselben ausschliessen könne, beabsichtiget werde. Jahrhunderte hindurch, während des Wetteifers aller anderen Nationen, hat der Deutsche wenig Begierde gezeigt, an derselben in einem ausgedehnten Masse Theil zu nehmen, und er wird es nie. Auch bedarf er derselben nicht. Sein reichlich ausgestattetes Land und sein Fleiss gewährt ihm alles, dessen der gebildete Mensch zum Leben bedarf; an Kunstfertigkeit dasselbe für den Zweck zu verarbeiten, gebricht es ihm auch nicht: und um den einigen wahrhaften Gewinn, den der Welthandel mit sich führt, die Erweiterung der wissenschaftlichen Kenntniss der Erde und ihrer Bewohner, an sich zu bringen, wird es sein eigener wissenschaftlicher Geist ihm nicht an einem Tauschmittel fehlen lassen. – O möchte doch nur den Deutschen sein günstiges Geschick ebenso vor dem mittelbaren Antheile an der Beule der anderen Welten bewahrt haben, wie es ihn vor dem unmittelbaren bewahrte! Möchte Leichtgläubigkeit und die Sucht, auch fein und vornehm zu leben, wie die anderen Völker, uns nicht die entbehrlichen Waaren, die in fremden Wellen erzeugt werden, zum Bedürfnisse gemacht haben; möchten wir in Absicht der weniger entbehrlichen lieber unserem freien Mitbürger erträgliche Bedingungen haben machen, als von dem Schweisse und Blute eines armen Sklaven jenseits der Meere Gewinn ziehen wollen: so hätten wir wenigstens nicht selbst den Vorwand geliefert zu unserem dermaligen Schicksale, und würden nicht bekriegt als Abkäufer, und zu Grunde gerichtet als ein Marktplatz Fast vor einem Jahrzehend, ehe irgend jemand voraussehen konnte, was seitdem sich ereignet, ist den Deutschen gerathen worden, vom Welthandel sich unabhängig zu machen und als Handelsstaat sich zu schliessen. Dieser Vorschlug verstiess gegen unsere Gewöhnungen, besonders aber gegen unsere abgöttische Verehrung der ausgeprägten Metalle, und wurde leidenschaftlich angefeindet und bei Seite geschoben. Seitdem lernen wir, durch fremde Gewalt genöthigt und mit Unehre, das und noch weit mehr entbehren, was wir damals mit Freiheit und zu unserer höchsten Ehre nicht entbehren zu können versicherten. Möchten wir diese Gelegenheit, da der Genuss wenigstens uns nicht besticht, ergreifen, um auf immer unsere Begriffe zu berichtigen! Möchten wir endlich einsehen, dass alle jene schwindelnden Lehrgebäude über Welthandel und Fabrication für die Welt zwar für den Ausländer passen, und gerade unter die Waffen desselben gehören, womit er von jeher uns bekriegt hat, dass sie aber bei den Deutschen keine Anwendung haben, und dass, nächst der Einigkeit dieser unter sich selber, ihre innere Selbstständigkeit und Handelsunabhängigkeit das zweite Mittel ist ihres Heils, und durch sie des Heils von Europa.

Wage man es endlich auch noch das Traumbild einer Universalmonarchie, das an die Stelle des seit einiger Zeit immer unglaublicher werdenden Gleichgewichtes der öffentlichen Verehrung dargeboten zu werden anfängt, in seiner Hassenswürdigkeit und Vernunftlosigkeit zu erblicken! Die geistige Natur vermochte das Wesen der Menschheit nun in höchst mannigfaltigen Abstufungen an Einzelnen, und an der Einzelnheit im Grossen und Ganzen, an Völkern, darzustellen. Nur wie jedes dieser letzten, sich selbst überlassen, seiner Eigenheit gemäss, und in jedem derselben jeder Einzelne jedem gemeinsamen, so wie seiner besonderen Eigenheit gemäss, sich entwickelt und gestaltet, tritt die Erscheinung der Gottheit in ihrem eigentlichen Spiegel heraus, so wie sie soll; und nur der, der entweder ohne alle Ahnung für Gesetzmässigkeit und göttliche Ordnung, oder ein verstockter Feind derselben wäre, könnte einen Eingriff in jenes höchste Gesetz der Geisterwelt wagen wollen. Nur in den unsichtbaren und den eigenen Augen verborgenen Eigenthümlichkeiten der Nationen, als demjenigen, wodurch sie mit der Quelle ursprünglichen Lebens zusammenhängen, liegt die Bürgschaft ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Würde, Tugend, Verdienstes; werden diese durch Vermischung und Verreibung abgestumpft, so entsteht Abtrennung von der geistigen Natur aus dieser Flachheit, aus dieser die Verschmelzung aller zu dem gleichmässigen und aneinanderhängenden Verderben. Sollen wir es den Schriftstellern, die über alle unsere Uebel uns mit der Aussicht trösten, dass wir dafür auch Unterthanen der beginnenden neuen Universalmonarchie seyn werden, glauben, dass irgend jemand eine solche Zerreibung aller Keime des Menschlichen in der Menschheit beschlossen habe, um den zerfliessenden Teig in irgend eine Form zu drücken; und dass eine so ungeheuere Rohheit oder Feindseligkeit gegen das menschliche Geschlecht in unserem Zeitalter möglich sey? Oder wenn wir uns auch entschliessen wollten, dieses durchaus Unglaubliche fürs erste zu glauben: durch welches Werkzeug soll denn ferner ein solcher Plan ausgeführt werden; welche Art von Volk soll es denn seyn, die bei dem gegenwärtigen Bildungszustande von Europa für irgend einen neuen Universalmonarchen die Welt erobere? Schon seit einer Reihe von Jahrhunderten haben die Völker Europens aufgehört, Wilde zu seyn und einer zerstörenden Thätigkeit um ihrer selbst willen sich zu freuen. Alle suchen hinter dem Kriege einen endlichen Frieden; hinter der Anstrengung die Ruhe hinter der Verwirrung die Ordnung; und alle wollen ihre Laufbahn mit dem Frieden eines häuslichen und stillen Lebens gekrönt sehen. Auf eine Zeitlang mag selbst ein nur vorgebildeter Nationalvortheil sie zum Kriege begeistern; wenn die Aufforderung immer auf dieselbe Weise zurückkehrt, verschwindet das Traumbild und die Fieberkraft, die dasselbe gegeben hat; die Sehnsucht nach ruhiger Ordnung kehrt zurück, und die Frage: für welchen Zweck thue und trage ich denn nun dies alles? erhebt sich. Diese Gefühle alle müsste zuvörderst ein Welteroberer unserer Zeit austilgen, und in dieses Zeitalter, das durch seine Natur ein Volk von Wilden nicht giebt, mit besonnener Kunst eins hineinbilden. Aber noch mehr. Dem von Jugend auf an einen gebildeten Anbau der Länder, an Wohlstand und Ordnung gewöhnten Auge thut, wenn man den Menschen nur ein wenig zur Ruhe kommen lässt, der Anblick derselben allenthalben, wo er ihn antrifft, wohl, indem er ihm den Hintergrund seiner eigenen, doch niemals ganz auszurottenden Sehnsucht darstellt, und es schmerzt ihn selbst, denselben zerstören zu müssen. Auch gegen dieses, dem gesellschaftlichen Menschen tief eingeprägte Wohlwollen, und gegen die Weltmuth über die Uebel, die der Krieger über die eroberten Länder bringt, muss ein Gegengewicht gefunden werden. Es giebt kein anderes, denn die Raubsucht. Wird es zum herrschenden Antriebe des Kriegers, sich einen Schatz zu machen, und wird er gewöhnt, bei Verheerung blühender Länder an nichts Anderes mehr zu denken, denn daran, was er für seine Person bei dem allgemeinen Elende gewinnen könne, so ist zu erwarten, dass die Gefühle des Mitleids und des Erbarmens in ihm verstummen. Ausser jener barbarischen Rohheit müsste demnach ein Welteroberer unserer Zeit die Seinigen auch noch zur kühlen und besonnenen Raubsucht bilden; er müsste Erpressungen nicht bestrafen, sondern vielmehr aufmuntern. Auch müsste die Schande, die natürlich auf der Sache ruht, erst wegfallen, und Rauben müsste für ein ehrenvolles Zeichen eines feinen Verstandes gelten, zu den Grossthaten gezählt werden, und den Weg zu allen Ehren und Würden bahnen. Wo ist eine Nation im neueren Europa also ehrlos, dass man sie auf diese Weise abrichten könnte? Oder setzet, dass ihm selbst diese Umbildung gelänge, so wird nun gerade durch sein Mittel die Erreichung seines Zweckes vereitelt werden. Ein solches Volk erblickt von nun an in eroberten Menschen, Ländern und Kunsterzeugungen nichts mehr, denn ein Mittel, in höchster Eile Geld zu machen, um weiterzugehen und abermals Geld zu machen; es erpresst schnell, und wirft das Ausgesogene weg auf jedes mögliche Schicksal; es haut ab den Baum, zu dessen Früchten es gelangen will: wer mit solchen Werkzeugen handelt, dem werden alle Künste der Verführung, der Ueberredung und des Truges vereitelt; nur aus der Entfernung können sie täuschen, wie man sie in der Nähe erblickt, fällt die thierische Rohheit und die schamlose und freche Raubsucht selbst dem Blödsinnigsten in die Augen, und der Abscheu des ganzen menschlichen Geschlechtes erklärt sich laut. Mit solchen kann man die Erde zwar ausplündern und wüste machen, und sie zu einem dumpfen Chaos zerreiben, nimmermehr aber sie zu einer Universalmonarchie ordnen.

Die genannten Gedanken, und alle Gedanken dieser Art, sind Erzeugnisse eines bloss mit sich selber spielenden und in seinem Gespinnste zuweilen auch hängenbleibenden Denkens, unwerth deutscher Gründlichkeit und Ernstes. Höchstens sind einige dieser Bilder, wie z.B. das eines politischen Gleichgewichtes, taugliche Hülfslinien, um in einem ausgedehnten und verworrenen Mannigfaltigen der Erscheinung sich zurechtzufinden und es zu ordnen; aber an das natürliche Vorhandenseyn dieser Dinge zu glauben, oder ihre Verwirklichung anzustreben, ist ebenso, als ob jemand die Pole, die Mittagslinie, die Wendekreise, durch die seine Betrachtung auf der Erde sich zurechtfindet, an der wirklichen Erdkugel ausgedrückt und bezeichnet aufsuchte. Möchte es Sitte werden in unserer Nation, nicht bloss zum Scherze und gleichsam versuchend, was dabei herauskommen werde, zu denken, sondern also; als ob wahr seyn solle und wirklich gelten im Leben, was wir denken: so wird es überflüssig werden, vor solchen Truggestalten einer ursprünglich ausländischen und die Deutschen bloss berückenden Staatsklugheit zu warnen.

Diese Gründlichkeit, Ernst und Gewicht unserer Denkweise wird, wenn wir sie einmal besitzen, auch hervorbrechen in unserem Leben. Besiegt sind wir; ob wir nun zugleich auch verachtet und mit Recht verachtet seyn wollen, ob wir zu allem anderen Verluste auch noch die Ehre verlieren wollen: das wird noch immer von uns abhängen. Der Kampf mit den Waffen ist beschlossen; es erhebt sich, so wir es wollen, der neue Kampf der Grundsätze, der Sitten, des Charakters.

Geben wir unseren Gästen ein Bild treuer Anhänglichkeit an Vaterland und Freunde, unbestechlicher Rechtschaffenheit und Pflichtliebe, aller bürgerlichen und häuslichen Tugenden als freundliches Gastgeschenk mit in ihre Heimath, zu der sie doch wohl endlich einmal zurückkehren werden. Hüten wir uns, sie zur Verachtung gegen uns einzuladen; durch nichts aber würden wir es sicherer, als wenn wir sie entweder übermässig fürchteten, oder unsere Weise dazusein aufzugeben, und in der ihrigen ihnen ähnlich zu werden strebten. Fern zwar sey von uns die Ungebühr, dass der Einzelne die Einzelnen herausfordere und reize; übrigens aber wird es die sicherste Maassregel seyn, allenthalben unseren Weg also fortzugehen als ob wir mit uns selber allein wären, und durchaus kein Verhältniss anzuknüpfen, das uns die Notwendigkeit nicht schlechthin auflegt; und das sicherste Mittel hierzu wird seyn dass jeder sich mit dem begnüge, was die alten vaterländischen Verhältnisse ihm zu leisten vermögen, die gemeinschaftliche Last nach seinen Kräften mit trage jede Begünstigung aber durch das Ausland für eine entehrende Schmach halte. Leider ist es beinahe allgemeine europäische, und so auch deutsche Sitte geworden, dass man im Falle der Wahl lieber sich wegwerfen, denn als das erscheinen wolle, was man imponirend nennt, und es dürfte vielleicht das ganze Lehrgebäude der angenommenen guten Lebensart auf die Einheit jenes Grundsatzes sich zurückführen lassen. Möchten wir Deutsche bei der gegenwärtigen Veranlassung lieber gegen diese Lebensart, denn gegen etwas Höheres verstossen! Möchten wir, obwohl dies ein solcher Verstoss seyn durfte, bleiben, so wie wir sind, ja, wenn wir es vermöchten, noch stärker und entschiedener werden, also wie wir seyn sollen! Möchten will der Ausstellungen, die man uns zu machen pflegt, dass es uns gar sehr an Schnelligkeit und leichter Fertigkeit gebreche, und dass wir über allem zu ernst, zu schwer und zu gewichtig werden, uns so wenig schämen, dass wir uns vielmehr bestrebten, sie immer mit grösserem Rechte und in weiterer Ausdehnung zu verdienen! Es befestige uns in diesem Entschlusse die leicht zu erlangende Ueberzeugung, dass wir mit aller unserer Mühe dennoch niemals jenen recht seyn werden, wenn wir nicht ganz aufhören wir selber zu seyn, was dem überhaupt gar nicht mehr Daseyn gleich gilt. Es giebt nemlich Volker, welche, indem sie selbst ihre Eigenthümlichkeit beibehalten, und dieselbe geehrt wissen wollen, auch den anderen Völkern die ihrigen zugestehen, und sie ihnen gönnen und verstatten; zu diesen gehören ohne Zweifel die Deutschen, und es ist dieser Zug in ihrem ganzen vergangenen und gegenwärtigen Weltleben so tief begründen, dass sie sehr oft, um gerecht zu seyn, sowohl gegen das gleichzeitige Ausland, als gegen das Alterthum, ungerecht gewesen sind gegen sich selbst. Wiederum giebt es andere Völker, denen ihr eng in sich selbst verwachsenes Selbst niemals die Freiheit gestaltet, sich zu kälter und ruhiger Betrachtung des fremden allzusondern, und die daher zu glauben genöthigt sind, es gebe nur eine einzige mögliche Weise als gebildeter Mensch zu bestehen, und dies sey jedesmal die, welche in diesem Zeitpuncte gerade ihnen irgend ein Zufall angeworfen; alle übrigen Menschen in der Welt hätten keine andere Bestimmung, denn also zu werden, wie sie sind, und sie hätten ihnen den grössten Dank abzustatten, wenn sie die Mühe über sich nehmen wollten, sie also zu bilden. Zwischen Völker der ersten Art findet eine der Ausbildung zum Menschen überhaupt höchst wohlthätige Wechselwirkung der gegenseitigen Bildung und Erziehung statt, und eine Durchdringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem guten Willen des anderen sich selbst gleich bleibt. Völker von der zweiten Art vermögen nichts zu bilden, denn sie vermögen nichts in seinem vorhandenen Seyn anzufassen; sie wollen nur alles Bestehende vernichten, und ausser sich allenthalbe eine leere Stätte hervorbringen, in der sie nur immer die eigene Gestalt wiederholen können; selbst ihr anfängliches scheinbares Hineingehen in fremde Städte ist nur die gutmüthige Herablassung des Erziehers zum jetzt noch schwachen, aber gute Hoffnung gebenden Lehrlinge; selbst die Gestalten der vollendeten Vorwelt gefallen ihnen nicht, bis sie dieselben in ihr Gewand gehüllt haben, und sie würden, wenn sie könnten, dieselben aus den Gräbern aufwecken, um sie nach ihrer Weise zu erziehen. Fern zwar bleibe von mir die Vermessenheit, irgend eine vorhandene Nation im Ganzen und ohne Ausnahme jener Beschränktheit zu beschuldigen. Lasst uns vielmehr annehmen, dass auch hier, diejenigen, die sich nicht äussern, die besseren sind. Soll man aber die, die unter uns erschienen sind und sich geäussert haben, nach diesen ihren Aeusserungen beurtheilen, so scheint zu folgen, dass sie in die geschilderte Klasse zu setzen sind. Eine solche Aeusserung scheint eines Beleges zu bedürfen, und ich führe, von den übrigen Ausflüssen dieses Geistes, die vor den Augen von Europa liegen, schweigend, nur den einigt Umstand an, den folgenden: – wir haben miteinander Krieg geführt; wir unseres Theils sind die Ueberwundenen jene die Sieger; dies ist wahr und wird zugestanden. Damit nun könnten jene ohne Zweifel sich begnügen. Ob nun etwa jemand unter uns fortführe, dafürzuhalten, wir hätten dennoch die gerechte Sache für uns gehabt und den Sieg verdient, und es sey zu beklagen, dass er nicht uns zu Theile geworden: wäre denn dies so übel und könnten es uns denn jene, die ja von ihrer Seite gleichfalls denken mögen, was sie wollen, so sehr verargen? Aber nein, jenes zu denken, sollen wir uns nicht unterstehen. Wir sollen zugleich erkennen, welch ein Unrecht es sey, jemals anders zu wollen, denn sie, und ihnen zu widerstehen; wir sollen unsere Niederlagen als das heilsamste Ereigniss für uns selbst, und sie als unsere grössten Wohlthäter segnen. Anders kann es ja nicht seyn, und man hat diese Hoffnung zu unserem guten Verstande! – Doch was spreche ich länger aus, was beinahe vor zweitausend Jahren mit vieler Genauigkeit z.B. in den Geschichtsbüchern des Tacitus ausgesprochen worden ist? Jene Ansicht der Römer von dem Verhältnisse der bekriegten Barbaren gegen sie, welche Ansicht bei diesen denn doch auf einen einige Entschuldigung verdienenden Schein sich gründete, dass es verbrecherische Rebellion und Auflehnung gegen göttliche und menschliche Gesetze sey, ihnen Widerstand zu leisten, und dass ihre Waffen den Völkern nichts Anderes zu bringen vermöchten, denn Segen, und ihre Kellen nichts Anderes, denn Ehre – diese Ansicht ist es, die man in diesen Tagen von uns gewonnen, und mit sehr vieler Gutmüthigkeit uns selbst angemuthet und bei uns vorausgesetzt hat. Ich gebe dergleichen Aeusserungen nicht für übermüthigen Hohn aus; ich kann begreifen, wie man bei grossem Eigendünkel und Beschränktheit im Ernste also glauben und dem Gegentheile ehrlich denselben Glauben zutrauen könne, wie ich denn z.B. dafürhalte, dass die Römer wirklich so glaubten; aber ich gebe nur zu bedenken, ob diejenigen unter uns, denen es unmöglich fällt, jemals zu jenem Glauben sich zu bekehren, auf irgend eine Ausgleichung rechnen können.

Tief verächtlich machen wir uns dem Auslande, wenn wir vor den Ohren desselben uns, einer den anderen, deutsche Stämme, Stände, Personen, über unser gemeinschaftliches Schicksal anklagen, und einander gegenseitige bittere und leidenschaftliche Vorwürfe machen. Zuvörderst sind alle Anklagen dieser Art grösstentheils unbillig, ungerecht, ungegründet. Welche Ursachen es sind, die Deutschlands letztes Schicksal herbeigeführt haben, haben wir oben angegeben; diese sind seit Jahrhunderten bei allen deutschen Stämmen ohne Ausnahme auf die gleiche Weise einheimisch gewesen; die letzten Ereignisse sind nicht die Folgen irgend eines besonderen Fehltrittes eines einzelnen Stammes oder seiner Regierung, sie haben sich lange genug vorbereitet, und hätten, wenn es bloss auf die in uns selbst liegenden Gründe angekommen wäre, schon vor langem uns ebensowohl treffen können. Hierin ist die Schuld oder Unschuld aller wohl gleich gross, und die Berechnung ist nicht wohl mehr möglich. Bei der Herbeieilung des endlichen Erfolges hat sich gefunden, dass die einzelnen deutschen Staaten nicht einmal sieh selbst, ihre Kräfte und ihre wahre Lage kannten: wie könnte denn irgend einer sich anmassen, aus sich selbst herauszutreten und über fremde Schuld ein auf gründliche Kenntniss sich stützendes Endurtheil zu fällen?

Mag es seyn, dass über alle Stämme des deutschen Vaterlandes hinweg einen gewissen Stand ein gegründeterer Vorwurf trifft, nicht, weil er eben auch nicht mehr eingesehen oder vermocht, als die anderen alle, was eine gemeinschaftliche Schuld ist, sondern weil er sich das Ansehen gegeben, als ob er mehr einsähe und vermöchte, und alle übrigen von der Verwaltung der Staaten verdrängt. Wäre nun auch ein solcher Vorwurf gegründet: wer soll ihn aussprechen, und wozu ist es nöthig, dass er gerade jetzt lauter und bitterer, denn je, ausgesprochen und verhandelt werde? Wir sehen, dass Schriftsteller es thun. Haben diese nun ehemals, als bei jenem Stande noch alle Macht und alles Ansehen, mit der stillschweigenden Einwilligung der entschiedenen Mehrheit des übrigen Menschengeschlechtes, sich befand, eben also geredet, wie sie jetzt reden: wer kann es ihnen verdenken, dass sie an ihre durch die Erfahrung sehr bestätigte ehemalige Rede erinnern? Wir hören auch, dass sie einzelne genannte Personen, die ehemals an der Spitze der Geschäfte standen, vor das Volksgericht führen, ihre Untauglichkeit, ihre Trägheit, ihren bösen Willen darlegen und klar darthun, dass aus solchen Ursachen nothwendig solche Wirkungen hervorgehen mussten. Haben sie schon ehemals, als bei den Angeklagten noch die Gewalt war, und die aus ihrer Verwaltung nothwendig erfolgen müssenden Uebel noch abzuwenden waren, eben dasselbe eingesehen, was sie jetzt einsehen, und es ebenso laut ausgesprochen; haben sie schon damals ihre Schuldigen mit derselben Kraft angeklagt, und kein Mittel unversucht gelassen, das Vaterland aus ihren Händen zu erretten, und sind sie bloss nicht gehört worden: so thun sie sehr recht, an ihre damals verschmähte Warnung zu erinnern. Haben sie aber etwa ihre dermalige Weisheit nur aus dem Erfolge gezogen, aus welchem seitdem alles Volk mit ihnen ebendieselbe gezogen hat: warum sagen jetzt eben sie, was alle anderen nun ebensowohl wissen? Oder haben sie vielleicht gar damals aus Gewinnsucht geschmeichelt, oder aus Furcht geschwiegen vor dem Stande und den Personen, über die jetzt, nachdem sie die Gewalt verloren haben, ungemässigt ihre Strafrede hereinbricht: o so vergessen sie künftig nicht unter den Quellen unserer Uebel, neben dem Adel und den untauglichen Ministern und Feldherren, auch noch die politischen Schriftsteller anzuführen, die erst nach gegebenem Erfolge wissen, was da hätte geschehen sollen, sowie der Pöbel auch, und die den Gewalthabern schmeicheln die Gefallenen aber schadenfroh verhöhnen!

Oder rügen sie etwa die Irrthümer der Vergangenheit, die freilich durch alle ihre Rüge nicht vernichtet werden kann, nur darum, damit man sie in der Zukunft nicht wieder begehe; und ist es bloss ihr Eifer, eine gründliche Verbesserung der menschlichen Verhältnisse zu bewirken, der sie über die Rücksichten der Klugheit und des Anstandes so kühn hinwegsetzt? Gern möchten wir ihnen diesen guten Willen zutrauen, wenn nur die Gründlichkeit der Einsicht und des Verstandes sie berechtigte, in diesem Fache guten Willen zu haben. Nicht sowohl die einzelnen Personen, die von ohngefähr auf den höchsten Plätzen sich befunden haben, sondern die Verbindung und Verwickelung des Ganzen: der ganze Geist der Zeit, die Irrthümer, die Unwissenheit, Seichtigkeit, Verzagtheit, und der von diesen unabtrennliche unsichere, Schritt, die gesammten Sitten der Zeit sind es, die unsere Uebel herbeigeführt haben; und so sind es denn weit weniger die Personen, welche gehandelt haben, denn die Plätze, und jederman, und die heftigen Tadler selbst, können mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sie, an demselben Platze sich befindend, durch die Umgebungen ohngefähr zu demselben Ziele würden hingedrängt worden seyn. Träume man weniger von überlegter Bosheit und Verrath! Unverstand und Trägheit reichen fast allenthalben aus, um die Begebenheiten zu erklären; und dies ist eine Schuld, von der keiner ohne tiefe Selbstprüfung sich ganz lossprechen sollte; da zumal, wo in der ganzen Masse sich ein sehr hohes Maass von Kraft der Trägheit befindet, dem Einzelnen, der da durchdringen sollte, ein sehr hoher Grad von Kraft der Thätigkeit beiwohnen müsste. Werden daher auch die Fehler der Einzelnen noch so scharf ausgezeichnet, so ist dadurch der Grund des Uebels noch keinesweges entdeckt, noch wird er dadurch, dass diese Fehler in der Zukunft vermieden werden, gehoben. Bleiben die Menschen fehlerhaft, so können sie nicht anders, denn Fehler machen; und wenn sie auch die ihrer Vorgänger fliehen, so werden in dem unendlichen Raume der Fehlerhaftigkeit gar leicht sich neue finden. Nur eine gänzliche Umschaffung, nur das Beginnen eines ganz neuen Geistes kann uns helfen. Werden sie auf desselben Entwickelung mit hinarbeiten, dann wollen wir ihnen neben dem Ruhme des guten Willens auch noch den des rechten und heilbringenden Verstandes gern zugestehen.

Diese gegenseitigen Vorwürfe sind, sowie sie ungerecht sind und unnütz, zugleich äusserst unklug, und müssen uns tief herabsetzen in den Augen des Auslandes, dem wir zum Ueberflusse die Kunde derselben auf alle Weise erleichtern und aufdringen. Wenn wir nicht müde werden, ihnen vorzuerzählen, wie verworren und abgeschmackt alle Dinge bei uns gewesen seyen, und in welchem hohen Grade wir elend regiert worden: müssen sie nicht glauben, dass, wie auch irgend sie sich gegen uns betragen möchten, sie doch noch immer viel zu gut für uns seyen, und niemals uns zu schlecht werden könnten? Müssen sie nicht glauben, dass wir, bei unserer grossen Ungeschicktheit und Unbeholfenheit, mit dem demüthigsten Danke jedwedes Ding aufzunehmen haben, das sie aus dem reichen Schatze ihrer Regierungs-, Verwaltungs- und Gesetzgebungskunst uns schon dargereicht haben, oder noch für die Zukunft uns zudenken? Bedarf es von unserer Seite dieser Unterstützung ihrer ohnedies nicht unvortheilhaften Meinung von sich selbst, und der geringfügigen von uns? Werden nicht dadurch gewisse Aeusserungen, die man ausserdem für bitteren Hohn halten müsste, als, dass sie erst deutschen Ländern, die vorher kein Vaterland gehabt hätten, eins brächten, oder, dass sie eine sklavische Abhängigkeit der Personen als solcher von anderen Personen, die bei uns gesetzlich gewesen wäre, abschafften, zur Wiederholung unserer eigenen Aussprüche und zum Nachhalle unserer eigenen Schmeichelworte? Es ist eine Schmach, die wir Deutsche mit keinem der anderen europäischen Völker, die in den übrigen Schicksalen uns gleich geworden sind, theilen, dass wir, sobald nur fremde Waffen unter uns geboten, gleich als ob wir schon lange auf diesen Augenblick gewartet hätten, und uns schnell, ehe die Zeit vorüberginge, ehe Güte thun wollten, in Schmähungen uns ergossen über unsere Regierungen, unsere Gewalthaber, denen wir vorher auf eine geschmacklose Weise geschmeichelt hatten, und über alles Vaterländische.

Wie wenden wir Anderen, die wir unschuldig sind, die Schmach ab von unserem Haupte und lassen die Schuldigen allein stehen? Es giebt ein Mittel. Es werden von dem Augenblicke an keine Schmähschriften mehr gedruckt werden, sobald man sicher ist, dass keine mehr gekauft werden, und sobald die Verfasse, und Verleger derselben nicht mehr auf Leser rechnen können, die durch Müssiggang, leere Neugier und Schwatzsucht, oder durch die Schadenfreude, gedemüthiget zu sehen, was ihnen einst das schmerzhafte Gefühl der Achtung entflösste, angelockt werden. Geben jeder, der die Schmach fühlt, eine ihm zum Lesen dargebotene Schmähschrift mit der gebührenden Verachtung zurück; thue er es, obwohl er glaubt, er sey der einzige, der also handelt, bis es Sitte unter uns wird, dass jeder Ehrenmann also thut; und wir werden, ohne gewaltsame Bücherverbote, gar bald dieses schmachvollen Theiles unserer Literatur erledigt werden.

Am allertiefsten endlich erniedriget es uns vor dem Auslande, wenn wir uns darauf legen, demselben zu schmeicheln. Ein Theil von uns hat schon früher sich sattsam verächtlich, lächerlich und ekelhaft gemacht, indem sie den vaterländischen Gewalthabern bei jeder Gelegenheit groben Weihrauch darbrachten, und weder Vernunft, noch Anstand, gute Sitte und Geschmack verschonten, wo sie glaubten, eine Schmeichelrede anbringen zu können. Diese Sitte ist binnen der Zeit abgekommen, und diese Lobeserhebungen haben sich zum Theil in Scheltworte verwandelt. Wir gaben indessen unseren Weihrauchwolken, gleichsam damit wir nicht aus der Uebung kämen, eine andere Richtung, nach der Seile hin, wo jetzt die Gewalt ist. Schon das Erste, sowohl die Schmeichelei selbst, als dass sie nicht verbeten wurde, musste jeden ernsthaft denkenden Deutschen schmerzen; doch blieb die Sache unter uns. Wollen wir jetzt auch das Ausland zum Zeugen machen dieser unserer niedrigen Sucht, sowie zugleich der grossen Ungeschicklichkeit, mit welcher wir uns derselben entledigen, und so der Verachtung unserer Niedrigkeit auch noch den lächerlichen Anblick unserer Ungelenkigkeit hinzufügen? Es fehlt uns nemlich in dieser Verrichtung an aller dem Ausländer eigenen Feinheit; um doch ja nicht überhört zu werden, werden wir plump und übertreibend und heben mit Vergötterungen und Versetzungen unter die Gestirne gleich an. Dazu kommt, dass es bei uns das Ansehen hat, als ob es vorzüglich das Schrecken und die Furcht sey, die unsere Lobeserhebungen uns auspressen; aber es ist kein Gegenstand lächerlicher, denn ein Furchtsamer, der die Schönheit und Anmuth desjenigen lobpreist, was er in der That für ein Ungeheuer hält, das er durch diese Schmeichelei nur bestechen will, ihn nicht zu verschlingen.

Oder sind vielleicht diese Lobpreisungen nicht Schmeichelei, sondern der wahrhafte Ausdruck der Verehrung und Bewunderung, die sie dem grossen Genie, das nach ihnen die Angelegenheiten der Menschen leitet, zu zollen genöthigt sind? Wie wenig kennen sie auch hier das Gepräge der wahren Grösse! Darin ist dieselbe in allen Zeitaltern und unter allen Völkern sich gleich gewesen, dass sie nicht eitel war, sowie umgekehrt von jeher sicherlich klein war und niedrig, was Eitelkeit zeigte. Der wahrhaften, auf sich selber ruhenden Grösse gefallen nicht Bildsäulen von der Mitwelt errichtet, oder der Beiname des Grossen, und der schreiende Beifall und die Lobpreisungen der Menge; vielmehr weiset sie diese Dinge mit gebührender Verachtung von sich weg, und erwartet ihr Urtheil über sich zunächst von dem eigenen Richter in ihrem Innern, und das laute von der richtenden Nachwelt. Auch hat mit derselben immer der Zug sich beisammen gefunden, dass sie das dunkele und räthselhafte Verhängniss ehrt und scheuet, des stets rollenden Rades des Geschickes eingedenk bleibt, und sich nicht gross oder selig preisen lasst vor ihrem Ende. Also sind jene Lobredner im Widerspruche mit sich selbst, und machen durch die That ihrer Worte den Inhalt derselben zur Lüge. Hielten sie den Gegenstand ihrer vorgegebenen Verehrung wirklich für gross, so würden sie sich bescheiden, dass er über ihren Beifall und ihr Lob erhaben sey, und ihn durch ehrfurchtsvolles Stillschweigen ehren. Indem sie sich ein Geschäft daraus machen, ihn zu loben, so zeigen sie dadurch, dass sie ihn in der That für klein und niedrig hallen, und für so eitel, dass ihre Lobpreisungen ihm gefallen könnten, und dass sie dadurch irgend ein Uebel von sich zu wenden, oder irgend ein Gut sich zu verschaffen vermöchten.

Jener begeisterte Ausruf: welch' ein erhabenes Genie, welch' eine tiefe Weisheit, welch' ein umfassender Plan! – was sagt er denn nun zuletzt aus, wenn man ihn recht ins Auge fasst? Er sagt aus, dass das Genie so gross sey, dass auch wir es vollkommen begreifen, die Weisheit so lief, dass auch wir sie durchschauen, der Plan so umfassend, dass auch wir ihn vollständig nachzubilden vermögen. Er sagt demnach aus, dass der Gelobte ohngefähr von demselben Maasse der Grösse sey, wie der Lobende, jedoch nicht ganz, indem ja der letzte den ersten vollkommen versteht und übersieht, und sonach über demselben steht, und, falls er sich nur recht anstrengte, wohl noch etwas Grösseres leisten könnte. Man muss eine sehr gute Meinung von sich selbst haben, wenn man glaubt, dass man also auf eine gefällige Weise seinen Hof machen könne; und der Gelobte muss eine sehr geringe von sich haben, wenn er solche Huldigungen mit Wohlgefallen aufnimmt.

Nein, biedere, ernste, gesetzte, deutsche Männer und Landsleute, fern bleibe ein solcher Unverstand von unserm Geiste, und eine solche Besudelung von unsrer, zum Ausdrucke des Wahren gebildeten Sprache! Ueberlassen wir es dem Auslande, bei jeder neuen Erscheinung mit Erstaunen aufzujauchzen; in jedem Jahrzehende sich einen neuen Maassstab der Grösse zu erzeugen und neue Götter zu erschallen; und Gotteslästerugen zu reden, um Menschen zu preisen. Unser Maassstab der Grösse bleibe der alte: dass gross sey nur dasjenige, was der Ideen, die immer nur Heil über die Völker bringen fähig sey, und von ihnen begeistert; über die lebenden Menschen aber lasst uns das Urtheil der richtenden Nachwelt überlassen!

 

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Nachdem ich eine Reihe von Wochen die Handschrift dieser dreizehnten Rede, die bei meiner Censurbehörde eingereicht war, zurückerwartet hatte, erhalte ich endlich statt derselben das folgende Schreiben:

«Das Manuscript der dreizehnten Rede des Herrn Professor Fichte ist, nachdem derselben schon das Imprimatur ertheilt worden, durch irgend einen Zufall verlorengegangen, und hat aller Bemühungen ohnerachtet nicht wieder aufgefunden werden können.

Um nun den Verleger etc. Reimer beim Abdruck nicht aufzuhalten, ersuche ich des Herrn Professor Fichte Wohlgeboren, diese Rede aus Ihren Heften zu ergänzen und mir zum Imprimatur zuzuschicken.

Berlin, den 13. April 1808.

v. Scheve.»

Das, was dieses Schreiben unter Heften verstehen mag, halte ich nicht und was etwa bei der Ausarbeitung des Textes auf Nebenblättern angelegt und vorbereitet war, wurde bei einer in dieser Zeit vorgefallenen Veränderung der Wohnung den Flammen übergeben. Ich war darum genöthiget, darauf zu bestehen, dass die Handschrift, die verloren seyn – nicht sollte, wieder herbeigeschafft würde. Dieses ist, wie man versichert hat, auch durch das sorgfältgste Nachsuchen nicht möglich gewesen; es ist wenigstens nicht geschehen, und ich habe die Lücke ausfüllen müssen, wie ich gekonnt.

Indem ich zu meiner eigenen Rechtfertigung genöthigt bin, diesen Vorfall zur Kunde des auswärtigen Publicums zu bringen, bitte ich jedoch dasselbe, zu glauben, dass die Erscheinungen, die man sowohl in dem Vorfalle selbst, als in dem obenstehenden Schreiben darüber finden dürfte, allhier bei uns keinesweges allgemeine Sitte sind, sondern dass dieser Vorfall nur eine höchst seltene, und vielleicht nie also dagewesene Ausnahme macht, und dass sich erwarten lässt, es werden Vorkehrungen getroffen werden, damit ein solcher Fall nicht wieder eintreten könne.