BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Versuch einer Critik aller Offenbarung

 

1792

 

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§ 8.

Von der Möglichkeit des im

Begriffe der Offenbarung vorausgesetzten

empirischen Datums.

 

Die in der Deduction des Begriffs der Offenbarung von praktischen Vernunftprincipien a priori vorausgesetzte Erfahrung ist die: es könne moralische Wesen geben, in welchen das Moralgesetz seine Causalität für immer, oder nur in gewissen Fällen verliere. Das Moralgesetz fordert eine Causalität auf das obere Begehrungsvermögen, um die Bestimmung des Willens; es fordert vermittelst jenes eine auf das untere, um die völlige Freiheit des moralischen Subjects vom Zwange der Naturtriebe hervorzubringen. Ist die erstere Art der Causalität aufgehoben, so fehlt der Wille, überhaupt ein Gesetz anzuerkennen, und ihm Gehorsam zu leisten; ist nur die zweite gehindert, so ist bei allem guten Willen der Mensch zu schwach, das Gute, das er will, wirklich auszuüben. Dieser Hypothese empirische Möglichkeit soll bewiesen werden, d.h. es soll, nicht aus der Einrichtung der menschlichen Natur überhaupt, insofern sie allgemein und a priori zu erkennen ist, sondern aus ihren empirischen Bestimmungen gezeigt werden, dass es möglich und wahrscheinlich sey, dass das Sittengesetz seine Causalität in ihnen verlieren könne; wodurch denn die Frage beantwortet wird: Warum war eine Offenbarung nöthig, und warum konnten die Menschen sich nicht mit der Naturreligion allein behelfen? Die Ursachen davon können nicht in der Einrichtung der menschlichen Natur überhaupt, insofern sie a priori zu erkennen ist, liegen; denn sonst müssten wir das Bedürfniss einer Offenbarung schon a priori zeigen können, es müsste sich ein Datum der reinen Vernunft dafür anführen lassen, und der Begriff von ihr wäre ein gegebener: sondern in zufälligen Bestimmungen derselben. Um aber die völlige Einsicht in die Grenzen, innerhalb welcher Vernunftreligion zulänglich ist, innerhalb welcher Naturreligion eintritt, und wo endlich geoffenbarte nöthig wird, zu eröffnen, wird es sehr dienlich seyn, das Verhältniss der menschlichen Natur zur Religion, sowohl überhaupt, als ihren besonderen Bestimmungen nach, zu untersuchen.

Der Mensch steht, als Theil der Sinnenwelt, unter Naturgesetzen. Er ist in Absicht seines Erkenntnissvermögens genöthigt, von Anschauungen, die unter den Gesetzen der Sinnlichkeit stehen zu Begriffen fortzugehen; und in Absicht des untern Begehrungsvermögens sich durch sinnliche Antriebe bestimmen zu lassen. Als Wesen einer übersinnlichen Welt aber, seiner vernünftigen Natur nach, wird sein oberes Begehrungsvermögen durch ein ganz anderes Gesetz bestimmt, und dieses Gesetz eröffnet durch seine Anforderungen ihm Aussichten auf Erkenntnisse, die weder unter den Bedingungen der Anschauung, noch unter denen der Begriffe stehen. Da aber sein Erkenntnissvermögen schlechterdings an jene Bedingungen gebunden ist, und er ohne sie sich gar nichts denken kann, so ist er genöthigt, auch diese Gegenstände einer übernatürlichen Welt unter jene Bedingungen zu setzen, ob er gleich erkennt, dass eine solche Vorstellungsart nur subjectiv, nicht objectiv gültig sey, und dass sie ihn weder zu theoretischen, noch praktischen Folgerungen berechtige. Sein unteres, durch sinnliche Antriebe bestimmbares Begehrungsvermögen ist dem oberen untergeordnet, und es soll nie seinen Willen bestimmen, wo die Pflicht redet. Dies ist wesentliche Einrichtung der menschlichen Natur. So soll der Mensch seyn, und so kann er auch seyn, denn alles, was ihn verhindert, so zu seyn, ist seiner Natur nicht wesentlich, sondern zufällig, und kann also nicht nur weggedacht werden, sondern auch wirklich wegseyn. In welchem Verhältnisse steht er nun in diesem Zustande gegen die Religion? bedarf er ihrer? welcher? und wozu?

Die nächste Folge dieser ursprünglichen Einrichtung der menschlichen Natur ist die, dass ihm das Moralgesetz als Gebot, und nicht als Aussage erscheint, dass es zu ihm von Sollen redet, und nicht von Seyn; dass er sich bewusst ist, auch anders, als dieses Gesetz befiehlt, handeln zu können; dass er folglich, seiner Vorstellung nach, einen Werth und ein Verdienst erhält, wenn er so handelt. Dieser Werth, den er sich selbst giebt, berechtigt ihn, die demselben angemessene Glückseligkeit zu erwarten: aber diese kann er sich nicht selbst geben, so wie jenen; er erwartet sie also vom höchsten Executor des Gesetzes, der ihm durch dasselbe angekündigt wird. Dieses Wesen zieht seine ganze Verehrung auf sich, weil es einen unendlichen Werth hat, gegen welchen der seinige in Nichts verschwindet; und seine ganze Zuneigung, weil er alles von ihm erwartet, was er gutes zu erwarten hat. Er kann nicht gleichgültig gegen den stets gegenwärtigen Beobachter, Späher und Beurtheiler seiner geheimsten Gedanken, und den gerechtesten Vergelter derselben bleiben. Er muss wünschen, ihm seine Bewunderung und Verehrung zu bezeigen, und da ers durch nichts anderes kann, es durch pünctlichen in Rücksicht auf Ihn geleisteten Gehorsam zu thun. – Dies ist reine Vernunftreligion. Religiosität von dieser Art erwartet nicht vom Gedanken des Gesetzgebers ein Moment zur Erleichterung der Willensbestimmung, sondern nur Befriedigung ihres Bedürfnisses, ihm ihre Zuneigung zu erkennen zu geben. Sie erwartet keine Anforderung von Gott, ihm zu gehorchen, sondern nur die Erlaubniss, bei ihrem willigen. Gehorsame auf ihn zu sehen. Sie will nicht Gott eine Gunst erweisen, indem sie ihm dient; sondern sie erwartet es von ihm als die höchste Gnade, sich von ihr dienen zu lassen. – – Dies ist die höchste moralische Vollkommenheit des Menschen. Sie setzt nicht nur den festen Willen, immer sittlich gut zu handeln, sondern auch völlige Freiheit voraus Es ist a priori unmöglich zu bestimmen, ob in concreto irgend ein Mensch dieser moralischen Vollkommenheit fähig sey, und es ist bei gegenwärtiger Lage der Menschheit gar nicht wahrscheinlich.

Der zweite Grad der moralischen Güte setzt eben diesen festen Willen, im Ganzen dem Moralgesetze zu gehorchen, aber keine völlige Freiheit in einzelnen Fällen voraus. Die sinnliche Neigung kämpft noch gegen das Pflichtgefühl, und ist ebenso oft Siegerin, als besiegt. Die Ursachen dieser moralischen Schwäche liegen nicht im Wesentlichen der menschlichen Natur, sondern sie sind zufällig: theils bei diesem und jenem Subjecte eine körperliche Constitution, welche die grössere Heftigkeit, und die anhaltendere Dauer der Leidenschaften begünstigt; theils, und hauptsächlich die gegenwärtige Lage der Menschheit, in welcher wir weit früher angewöhnt werden, nach Naturtrieben zu handeln, als nach moralischen Gründen, und weit öftere in den Fall kommen, uns durch die ersteren bestimmen lassen zu müssen, als durch die letzteren, so dass unsere Ausbildung als Naturmenschen meist immer grosse Vorschritte vor unserer moralischen Bildung voraus hat. Da in diesem Zustande der ernste Wille moralisch zu handeln, mithin ein lebhaftes, thätiges, sittliches Gefühl vorausgesetzt wird, so muss diese Schwäche dem Menschen sehr unangenehm seyn, und er muss begierig jedes Mittel aufsuchen und ergreifen, um seine Bestimmung durchs Moralgesetz zu erleichtern. Wenn es darum zu thun ist, der moralischen Neigung das Uebergewicht über die sinnliche zu verschaffen, so kann dies auf zweierlei Art geschehen: theils indem man die sinnliche Neigung schwächt, theils indem man den Antrieb des Sittengesetzes, die Achtung für dasselbe, verstärkt. Das erste geschieht nach technischen-praktischen Regeln, die auf Naturprincipien beruhen, und über welche jeden sein eigenes Nachdenken, Erfahrung und empirische Selbstkenntniss belehren muss. Sie liegen ausser dem Kreise unserer gegenwärtigen Untersuchung. Der Antrieb des Moralgesetzes lässt sich, ohne der Moralität Abbruch zu thun, nicht anders verstärken, als durch lebhafte Vorstellung der innern Erhabenheit und Heiligkeit seiner Forderungen; durch ein dringenderes Gefühl des Sollens und Müssens. Und wie kann dies dringender werden, als wenn uns stets die Vorstellung eines ganz heiligen Wesens vorschwebt, das uns heilig zu seyn befiehlt? In ihm erblicken wir die Uebereinstimmung mit dem Gesetze nicht mehr bloss als etwas, das seyn soll, sondern als etwas, das ist; in ihm erblicken wir die Nothwendigkeit, so zu seyn, dargestellt. Wie kann das sittliche Gefühl mehr verstärkt werden, als durch die Vorstellung, dass bei unmoralischen Handlungen nicht bloss wir selbst, die wir unvollkommene Wesen sind – nein, dass die höchste Vollkommenheit uns verachten müsse? dass bei Selbstüberwindung, und Aufopferung unserer liebsten Neigungen für die Pflicht, nicht nur wir selbst, sondern die wesentliche Heiligkeit uns ehren müsse? Wie können wir aufmerksamer auf die Stimme unseres Gewissens, und gelehriger gegen sie werden, als wenn wir in ihr die Stimme des Heiligsten hören, der unsichtbar uns immer begleitet, und die geheimsten Gedanken unseres Herzens späht – vor dem wir wandeln? Da die Neigung im Subjecte gegen dieses neue Moment des Sittengesetzes, welches ihr Abbruch thut, streitet, so wird die Vernunft suchen, dasselbe durch völlige Sicherung des Grundes, auf dem es beruht, zu befestigen; sie wird einen Beweis für den Begriff Gottes als moralischen Gesetzgebers suchen, und sie wird ihn im Begriffe desselben, als Weltschöpfers, finden. Dies ist der zweite Grad der sittlichen Vollkommenheit, der die Naturreligion begründet. – – Diese Religion soll allerdings Mittel der Willensbestimmung in einzelnen Fällen, bei eintretendem Kampfe der Neigung; gegen die Pflicht, werden; aber sie setzt die erste, höchste Bestimmung; des Willens, dem Moralgesetze überhaupt zu gehorchen, als durch dasselbe schon geschehen, voraus, denn sie bietet sich nicht dar, sondern sie muss gesucht werden, und niemand kann sie suchen, der sie nicht wünscht.

Der tiefste Verfall vernünftiger Wesen in Rücksicht auf Sittlichkeit endlich ist es, wenn nicht einmal der Wille da ist, ein Moralgesetz anzuerkennen, und ihm zu gehorchen; wenn sinnliche Triebe die einzigen Bestimmungsgründe ihres Begehrungsvermögens sind. Es scheint wenigstens vor der Hand gar nichts für die Nothwendigkeit einer Offenbarung zu beweisen, wenn man auch in der Gesellschaft unter andern moralisch besseren Menschen noch so viele in diesem Grade verdorbene Subjecte sollte aufzeigen können: denn es muss den besseren möglich seyn, und es ist ihre Pflicht, – könnte man sagen, – in den schlechteren durch Belehrung und Bildung das moralische Gefühl zu entwickeln, und sie so bis zum Bedürfniss einer Religion zu führen. Ohne uns vor der Hand auf diese Untersuchung einzulassen, wollen wir die Frage nur so stellen, wie ihre Beantwortung für den Erweis eines empirischen Bedürfnisses der Offenbarung entscheidend wird: War es möglich, dass die ganze Menschheit, oder wenigstens ganze Völker- und Länderstriche in diesen tiefen moralischen Verfall gerathen konnten? Um sie beantworten zu können, müssen wir erst den Begriff der empirischen Sinnlichkeit etwas näher bestimmen.

Sinnlichkeit überhaupt, nemlich empirische, könnte man füglich als eine Unfähigkeit zur Vorstellung der Ideen beschreiben; um dadurch zugleich den theoretischen Fehler, sich dieselben entweder gar nicht, oder nicht anders, als unter den Bedingungen der empirischen Sinnlichkeit, denken zu können, und den praktischen, sich nicht durch dieselben bestimmen zu lassen, der aus dem ersteren nothwendig folgt, zu befassen. Man kann die empirische Sinnlichkeit, ebenso wie die reine, in zwei Gattungen eintheilen, in die äussere und innere. Die erstere besteht in theoretischer Rücksicht darin, wenn man sich alles unter die empirischen Bedingungen der äusseren Sinne, alles hörbar, fühlbar, sichtbar u.s.w. denkt. und auch alles wirklich sehen, hören, fühlen will, und damit ist immer eine gänzliche Unfähigkeit zum Nachdenken. zu Verfolgung einer Reihe von Schlüssen, wenn es auch nur über Gegenstände der Natur ist, verbunden; und in praktischer, wenn man sich nur durch die Lust des äusseren Sinnes bestimmen lässt Dieses ist derjenige Grad derselben, den man auch rohe Sinnlichkeit nennt. Die zweite besteht in theoretischer Rücksicht darin, dass man sich alles wenigstens unter die empirischen Bedingungen unseres inneren Sinnes alles modificirbar denkt, und es auch wirklich modificiren will; und in praktischer, wenn man sich durch nichts höheres bestimmen lässt, als durch die Lust des inneren Sinnes. Dahin gehört die Lust am Spiel, am Dichten, am Schönen (aber nicht am Erhabenen), selbst am Nachdenken, am Gefühl seiner Kraft, und sogar das Mitgefühl, ob es gleich der edelste aller sinnlichen Triebe ist. Wenn diese Sinnlichkeit herrschend ist, d i. wenn wir bloss und lediglich durch ihren Antrieb und nie durch das Moralgesetz uns bestimmen lassen, so ist klar, dass sie allen Willen gut zu seyn, und alle Moralität gänzlich ausschliesst. Aber bei den meisten Menschen hat sie zwar bei weitem das Uebergewicht, und sie werden in den meisten Fällen bloss durch sie bestimmt; aber dennoch sind sie darum noch nicht überhaupt aller reinmoralischen Handlungen unfähig, und haben wenigstens noch so viel moralisches Gefühl, um die Sträflichkeit und Unanständigkeit ihrer Handlungsart in auffallenden Fällen oder bei gewissen Veranlassungen zu fühlen, und sich deren zu schämen. Gesetzt aber, sie wendeten das Moralgesetz auch nie auf sich selbst an, und hätten nie Scham oder Reue über ihre eigene Unvollkommenheit empfunden, so zeigt es sich doch in ihrer Beurtheilung der Handlungen anderer, in ihrer oft starken Misbilligung derselben aus richtigen moralischen Gründen, dass sie des moralischen Sinnes nicht gänzlich unfähig sind. Auf Menschen von dieser Art, sollte man glauben, würde man eben von der Seite aus, wo sie noch Empfänglichkeit für Moralität zeigen, wirken, – man würde sich eben der Grundsätze, die sie auf andere anwenden, bedienen können, um ihnen über ihren eigenen Zustand die Augen zu öffnen, sie so allmählig zum guten Willen, und durch ihn endlich zur Religiosität zu führen. Es müsste also zum Behufe der Nothwendigkeit einer Offenbarung gezeigt werden können, dass Menschen, und ganze Menschengeschlechter möglich seyen, die durch herrschende Sinnlichkeit des Sinnes für Moralität entweder gänzlich, oder doch in einem so hohen Grade beraubt wären, dass man von diesem Wege aus gar nicht auf sie wirken könne; welche sich des Moralgesetzes in ihnen entweder gar nicht, oder doch so wenig bewusst seyen, dass man auf diesen Grund in ihnen gar nichts bauen könne. Es lässt sich a priori wohl denken, dass die Menschheit entweder von ihrem Ursprunge an, oder durch mancherlei Schicksale in so eine Lage habe kommen können, dass sie, in beständigem hartem Kampfe mit der Natur um ihre Subsistenz; genöthigt gewesen sey, alle ihre Gedanken stets auf das, was vor ihren Füssen lag, zu richten; auf nichts denken zu können, als auf das Gegenwärtige; und kein ander Gesetz hören zu können, als das der Noth. In so einer Lage ist es unmöglich, dass das moralische Gefühl erwache, und sittliche Begriffe sich entwickeln; aber die Menschheit wird nicht immer, sie wird ausser besonderen Fällen nicht lange in derselben bleiben: sie wird durch Hülfe der Erfahrung, sich Regeln machen, und Maximen ihres Verhaltens abstrahiren. Diese Maximen, bloss durch Erfahrung in der Natur entstanden, werden auch bloss auf diese angewendet seyn, und möglichen moralischen Regeln oft widersprechen. Sie werden sich dennoch, durch ihre Anwendbarkeit und durch das allgemeine Beispiel bewährt, von Generation auf Generation fortpflanzen, und vermehrt werden; und nun werden sie es seyn, die die Möglichkeit der Moralität vernichten, nachdem jene dringende Noth, die vor ihnen es that, durch sie zum Theil gehoben ist. Denkt man an die Bewohner des Feuerlandes, welche ihr Leben in einem Zustande, der so nahe an die Thierheit grenzt, hinbringen, an die meisten Bewohner der Südsee-Inseln, welchen der Diebstahl etwas ganz gleichgültiges zu seyn, und welche sich desselben nicht im geringsten zu schämen scheinen, an jene Neger, welche ohne langes Bedenken ihre Frau, oder ihre Kinder gegen einen Trunk Branntwein in die Sklaverei verkaufen: so scheint man die erstere Bemerkung in der Erfahrung bestätigt zu finden; und um sich von der Richtigkeit der zweiten zu überzeugen, hat man nur die Sitten und Maximen policirter Völker zu studiren. Wie soll nun die Menschheit aus diesem Zustande zur Moralität, und durch sie zur Religion gelangen? Kann sie dieselbe nicht selbst finden? Um diese Frage bestimmter zu beantworten, müssen wir dasjenige, was hierzu vorausgesetzt wird, mit ihrem Zustande vergleichen. Um zu entscheiden, ob ein Volk der Sittlichkeit überhaupt in seinem gegenwärtigen Zustande fähig sey. oder nicht, ist es nicht genug, ihr Verhalten zu betrachten, und der Schluss: ein gewisses Volk begeht allgemein, und ohne Spur der geringsten Scham, Handlungen, die gegen die ersten Grundsätze aller Moral streiten, also ist es ohne alles moralisches Gefühl; ist übereilt. Man muss untersuchen, ob sich denn nicht einmal der Begriff von Pflicht überhaupt, wenngleich noch so dunkel gedacht, bei ihnen zeige, und wenn man dann da z.B. nur soviel findet, dass sie auf die Beobachtung eines Vertrages, die sie nicht erzwingen können, auch in dem Falle, da es dem zweiten Theile zuträglich wäre ihn nicht zu halten, trauen, und in diesem Vertrauen sich wagen; dass sie im Fall der Verletzung desselben lebhafteren und bittereren Unwillen zeigen, als sie über den ihnen dadurch zugefügten Schaden an sich zeigen würden: so muss man ihnen den Begriff der Pflicht überhaupt zugestehen. Nun aber ist ohne dieses Vertrauen auf Beobachtung der Verträge es auch nicht einmal möglich, sich zur Gesellschaft zu verbinden. Jedes Volk also, das nur in gesellschaftlicher Vereinigung lebt, ist nicht ohne allen moralischen Sinn. Aber leider ist es allgemeine Gewohnheit aller derer, bei denen die Sinnlichkeit herrschend ist, sich dieses Gefühls nicht sowohl als Bestimmungsgrundes ihrer eigenen Handlungen, als vielmehr bloss und lediglich als Beurtheilungsprincips der Handlungen anderer zu bedienen. Ja, sie gehen wohl so weit, besonders wenn die Sinnlichkeit schon in Maxime gebracht ist, eine Aufopferung, eine Verläugnung des Eigennutzes für die Pflicht, sich als lächerliche Thorheit anzurechnen, und sich derselben zu schämen; sich also stets und immer als bloss unter dem Naturbegriffe stehend zu betrachten; verfahren endlich auch wohl so consequent, es auch dem anderen für eben das anzurechnen, wofern sie nicht etwa selbst persönlich dabei interessirt, und durch die Pflichtverletzung des anderen an ihrem eigenen Vortheile gekränkt worden sind. Nur im letzten Falle erinnern sie sich, dass es Pflichten giebt; und dies macht denn die Entwickelung dieses Begriffes, wo wir ihn mit herrschender Sinnlichkeit vereinigt antreffen, sehr verdächtig, und berechtigt uns zu glauben, dass bloss das Princip der letzteren, das des Eigennutzes, sie bewirkt habe. Mit herrschender Sinnlichkeit ist also sogar der Wille, moralisch gut zu seyn, nicht zu vereinigen. Da aber dieser Wille unumgänglich nöthig ist, um eine Religion als Mittel einer stärkeren Bestimmung durchs Moralgesetz zu suchen, so kann die Menschheit in diesem Zustande nie von selbst eine Religion finden, denn sie kann sie nicht einmal suchen.

Und wenn sie dieselbe auch suchen könnte, so kann sie sie nicht finden. Um sich auf die oben entwickelte Art zu überzeugen, dass Gott es ist, der durchs Moralgesetz zu uns redet, bedarf es vors erste des Begriffes einer Schöpfung der Welt durch eine Ursache ausser ihr. Auf diesen Begriff wird die Menschheit, selbst die noch sehr ungebildete Menschheit, leicht kommen. Sie ist a priori genöthigt, sich absolute Totalität der Bedingungen zu denken; und sie schliesst die Reihe derselben nur eher und schneller, je weniger sie gebildet, und je unfähiger sie ist, eine lange Reihe zu verfolgen. Daher wird unter rohsinnlichen Menschen alles voll von Glauben und übernatürliche Ursachen, an Dämonen ohne Zahl seyn. Eine gebildetere Sinnlichkeit wird sich vielleicht zum Begriffe einer einzigen ersten Ursache, eines kunstvollen Architekten der Welt erheben. Aber zum Behuf einer Religion brauchen wir nicht diesen, sondern den von einem moralischen Weltschöpfer, und, um zu ihm zu gelangen, den Begriff eines moralischen Endzwecks der Welt. Nun wird abermals die Sinnlichkeit zwar leicht auf den Begriff von möglichen Zwecken in der Welt kommen, weil sie selbst durch die Vorstellung von Zwecken bei ihren Geschäften hienieden geleitet wird: aber der Begriff eines moralischen Endzwecks der Schöpfung ist nur dem gebildeten moralischen Gefühle möglich. Der bloss sinnliche Mensch wird also nie weder auf ihn, noch durch ihn auf das Princip einer Religion kommen.

Vors erste, wenn doch ein Mittel sollte ausfindig gemacht werden, Religion an ihn zu bringen, wozu bedarf er ihrer? Der beste moralische Mensch, der nicht nur den ernsten Willen hatte, dem Moralgesetze zu gehorchen, sondern auch die völlige Freiheit, bedurfte ihrer bloss dazu, um die Empfindung der Verehrung und Dankbarkeit gegen das höchste Wesen auf irgend eine Art zu befriedigen. Derjenige, der zwar eben den ernsten Willen, aber nicht völlige Freiheit hatte, bedurfte ihrer, um der Autorität des Moralgesetzes ein neues Moment hinzuzufügen, durch welches der Stärke der Neigung das Gegengewicht gehalten und die Freiheit hergestellt würde. Derjenige, der auch nicht den Willen hat, ein sittliches Gesetz anzuerkennen, und ihm zu gehorchen, bedarf ihrer, um nur erst diesen Willen, und dann durch ihn die Freiheit in sich hervorzubringen. Mit ihm hat also die Religion einen ganz andern Weg zu nehmen. Die reine Vernunftreligion sowohl, als die natürliche, gründeten sich auf Moralgefühl: die geoffenbarte hingegen soll selbst erst Moralgefühl begründen. Die erstere fand gar keinen Widerstand, sondern alle Neigungen im Subjecte bereit, sie anzunehmen; die zweite hatte nur in einzelnen Fällen die Neigungen zu bekämpfen, kam aber im Ganzen erwünscht und gesucht; die letztere hat nicht nur allen unmoralischen Neigungen, sondern sogar dem völligen Widerstreben, überhaupt ein Gesetz anzuerkennen, und der Abneigung gegen sie selbst, die sie das Gesetz gültig machen will, das Gegengewicht zu halten. Sie kann also und wird sich wichtigerer Momente bedienen, so viel es geschehen kann, ohne der Freiheit Abbruch zu thun, d.h. ohne gegen ihren eigenen Zweck zu handeln.

Durch welchen Weg nun kann diese Religion an die so beschaffene Menschheit gelangen? Natürlich auf eben dem, auf welchem alles an sie gelangt, was sie sich denkt, oder wodurch sie sich bestimmen lässt, auf dem der, Sinnlichkeit. Gott muss sich ihnen unmittelbar durch die Sinne ankündigen, unmittelbar durch die Sinne Gehorsam von ihnen verlangen.

Aber hier sind noch zwei Fälle möglich: nemlich entweder Gott entwickelt durch eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt in dem Herzen eines oder mehrerer, die er zu seinen Mittelspersonen an die Menschheit ausersehen hat, auf dem Wege des Nachdenkens das moralische Gefühl, und bauet auf eben dem Wege auf dasselbe das Princip aller Religion, mit dem Befehle, an den übrigen Menschen eben das zu thun, was er an ihnen gethan hat: oder er kündigt geradezu dieses Princip an, und gründet es auf seine Autorität, als Herr. Im ersteren Falle wären wir nicht einmal genöthigt, Gott als unmittelbare Ursache dieser übernatürlichen Wirkung anzunehmen sondern, ob wir gleich ein allgemeines sittliches Verderben der Menschheit angenommen haben, so könnte doch recht füglich eins der möglichen höheren moralischen Wesen Ursache einer solchen Wirkung seyn. Finden wir aber anderweilige Gründe, den Grund einer solchen Wirkung unmittelbar in Gott zu setzen, so werden wir diese Gründe dadurch gar nicht entkräften, wenn wir sagen, es sey Gott unanständig, den Pädagogen zu machen; denn nach unsrer Erkenntniss von Gott ist nichts ihm unanständig, als was gegen das Moralgesetz ist. In diesem Falle hätten wir denn auch, ununtersucht, welches moralische Wesen die veranlassende Ursache dieser Entwickelung sey, keine Offenbarung, sondern eine auf einem übernatürlichen Wege an uns gebrachte Naturreligion. Wenn dieses Mittel nur möglich und zur Erreichung des Zwecks hinlänglich war, so war keine Offenbarung, d. i. keine unmittelbar auf Gottes Autorität gegründete Ankündigung desselben, als Gesetzgebers, nöthig. Lasst uns einen Augenblick annehmen, Gott wolle sich desselben bedienen. Er wird ohne Zweifel in den Seelen derer, auf die er wirkt, die erwartete vernünftige Ueberzeugung hervorbringen. Diese werden seinem Befehle, und ihrem eigenen Gefühl der Verbindlichkeit, Moralität weiter zu verbreiten, gemäss, sich an die übrige Menschheit wenden, und eben diese Ueberzeugung auf eben dem Wege in ihnen aufzubauen suchen, auf welchem sie in ihnen selbst aufgebaut wurde. Es liegt weder in der menschlichen Natur überhaupt, noch in der empirischen Beschaffenheit der angenommenen Menschen insbesondere ein Grund, warum es diesen Abgeordneten unmöglich seyn sollte, ihren Zweck zu erreichen, wenn sie nur Gehör finden, wenn sie sich nur Aufmerksamkeit verschaffen können. Aber wie wollen sie sich diese verschaffen bei Menschen, die schon im voraus gegen das Resultat ihrer Vorstellungen eingenommen seyn müssen? Was wollen sie diesen das Nachdenken scheuenden Menschen geben, damit sie die Mühe desselben auf sich nehmen, um die Wahrheit einer Religion erkennen zu müssen, welche ihre Neigungen einschränken und sie unter ein Gesetz bringen will? Es bleibt also nur der letzte Fall übrig: sie müssen ihre Lehren unter göttlicher Autorität, und als seine Gesandten an die Menschheit, ankündigen.

Auch dies scheint wieder auf zweierlei Art möglich zu seyn, dass nemlich Gott entweder auch dieser seiner Gesandten Glauben schlechthin auf Autorität gründe, oder dass er nur wolle, und es von ihrer eigenen Einsicht erwarte, dass sie dasjenige, was auf dem blossen Wege des Nachdenkens durch irgend ein Mittel aus ihrem Herzen entwickelt worden, den übrigen Menschen unter göttlicher Autorität ankündigen, insofern sie einsehen, dass kein anderes Mittel übrig ist, Religion an sie zu bringen. Das letztere aber ist unmöglich; denn dann hätte Gott gewollt, dass diese seine Abgeordneten, – zwar in der wohlthätigsten Absicht, – aber doch, dass sie lügen und betrügen sollten: Lügen und Betrug aber bleibt immer, in welcher Absicht es auch geschehe, unrecht, weil das nie Princip einer allgemeinen Gesetzgebung werden kann; und Gott kann nie etwas unrechtes wollen.

Man könnte endlich sich drittens noch als möglich denken, Gott habe gewollt, dass sich diese angeblichen Inspirirten täuschen, und eine auf Autorität gegründete Ankündigung der göttlichen Moralgesetzgebung, die ganz natürlich, z.B. durch die vom Wunsche darnach aufgeregte Phantasie in ihnen entstanden wäre, einer übernatürlichen Ursache zuschreiben sollten. Da jede kategorische Antwort auf diese Frage, die bejahende sowohl, als die verneinende, sich lediglich auf theoretische Principien gründen könnte, weil von Erklärung einer Naturerscheinung nach derselben Gesetzen die Rede ist; alle Naturphilosophie aber nicht so weit reicht, um zu beweisen, dass etwas in der Sinnenwelt nur durch Gesetze der Natur, oder, dass es durch sie nicht möglich sey; so kann diese Behauptung, auf Erörterung einer Offenbarung in concreto angewandt, nie, weder bewiesen, noch widerlegt werden; sie gehört aber auch nicht in die Untersuchung vom möglichen Ursprunge einer geoffenbarten Religion, als welche bloss aus praktischen Principien angestellt wird. Allerdings könnte eine gewisse Wirkung, als Naturerscheinung betrachtet, aus uns entdeckbaren Naturgesetzen entstanden seyn, und dennoch könnte es zugleich dem Begriffe eines vernünftigen Wesens sehr gemäss seyn, dass wir sie, wenigstens bis zur Erreichung ihrer moralischen Absicht, einer übernatürlichen Ursache zuschrieben; und jener disjunctive Satz: Gewisse angebliche Inspirirte waren entweder wirklich inspirirt, oder sie waren Betrüger, oder sie waren Schwärmer – richtiger und gelinder ausgedrückt, sie waren unvollkommene Naturforscher – reicht bei weitem nicht hin, durch ihn die kategorischen Behauptungen, auf welche er ausgeht, zu begründen. Denn erstens heben die Begriffe, die als Glieder der Eintheilung neben einander gestellt sind, sich nicht wechselseitig auf. Die Möglichkeit, den letzteren anzunehmen, muss aus Naturbegriffen widerlegt, oder bewiesen werden; die Möglichkeit der beiden ersteren aber kann nur aus praktischen Principien dargethan werden: beide Principien aber treffen sich nicht, und aus dem einen kann sehr wohl bejaht werden, was das andere verneint. Der letzte Fall also, und einer von den beiden ersteren, sind zugleich möglich, nur die beiden ersteren widersprechen sich. Zweitens ist die Unmöglichkeit des letzteren nie in einem gegebenen Falle darzuthun. Aber dies alles wird erst in der Folge, wo wir von der physischen Möglichkeit der erwarteten übernatürlichen Wirkung in der Sinnenwelt reden werden, seine völlige Deutlichkeit erhalten.

Da also die Möglichkeit des letzteren Falles, die wir freilich nicht wegräumen können, uns nicht irre machen darf, so können wir nun aus allem bis jetzt bewiesenen sicher folgende Resultate ziehen: Die Menschheit kann so tief in moralischen Verfall gerathen, dass sie nicht anders zur Sittlichkeit zurückzubringen ist, als durch die Religion, und zur Religion nicht anders, als durch die Sinne: eine Religion, die auf solche Menschen wirken soll, kann sich auf nicht anderes gründen, als unmittelbar auf göttliche Autorität: da Gott nicht wollen kann, dass irgend ein moralisches Wesen eine solche Autorität erdichte, so muss er selbst es seyn, der sie einer solchen Religion beilegt.

Aber wozu soll nun diese Autorität? und worauf kann Gott, wenn er es mit Menschen, die in diesem Grade sinnlich sind, zu thun hat, sie gründen? Offenbar nicht auf eine Erhabenheit, für welche sie keinen Sinn und keine Ehrfurcht haben, auf seine Heiligkeit, als welches das moralische Gefühl in ihnen schon voraussetzen würde, das erst durch die Religion entwickelt werden soll; sondern auf diejenige, für deren Bewunderung sie aus Naturgründen empfänglich sind, auf seine Grösse und Macht als Herr der Natur und als ihr Herr. Nun aber ist es Heteronomie, und bewirkt keine Moralität, sondern erzwingt höchstens Legalität, wenn wir nur darum uns dem Inhalte des Moralgesetzes gemäss betragen, weil ein übermächtiges Wesen es will; und eine auf diese Autorität gegründete Religion widerspräche folglich sich selbst. Aber diese Autorität soll denn auch nicht Gehorsam, sie soll nur Aufmerksamkeit auf die weiter vorzulegenden Motive des Gehorsams begründen. Aufmerksamkeit aber, als eine empirische Bestimmung unserer Seele, ist durch natürliche Mittel zu erregen. Es würde zwar offenbar widersprechend seyn, auch nur diese durch Furcht vor angedrohten Strafen dieses mächtigen Wesens, oder wohl gar durch physische Mittel erzwingen, oder durch verheissene Belohnungen erschleichen zu wollen; widersprechend, weil Furcht und Hoffnung die Aufmerksamkeit mehr zerstreuen, als erregen, und höchstens nur ein mechanisches Nachsagen, aber keine auf vernünftige Ueberlegung gegründete Ueberzeugung, welche allein der Grund aller Moralität seyn muss, hervorbringen können; widersprechend, weil dies gleich anfangs das Princip aller Religion verfälschen, und Gott als ein Wesen darstellen würde, dem man sich noch durch etwas anderes, als durch moralische Gesinnungen, – hier durch unwilliges Anhören von Dingen, an denen man kein Interesse hat, und durch ängstliches Nachplaudern derselben – gefällig machen könnte. Aber die Vorstellung, einer noch so grossen Macht erregt auch, so lange wir uns nicht im Widerstreite gegen sie denken, nicht Furcht, sondern Bewunderung und Verehrung, die zwar nur auf pathologischen, und nicht moralischen, Gründen beruht, die aber unsere Aufmerksamkeit auf alles, was von dem mächtigen Wesen herkommt, kräftig hinzieht. So lange sich nun Gott noch nicht als moralischen Gesetzgeber, sondern bloss als redende Person ankündigt, so denken wir uns noch nicht im Widerstreite gegen ihn; und wenn er sich als solchen ankündigt, so kündigt er uns zugleich seine Heiligkeit an, welche uns alle mögliche Furcht vor seiner Macht benimmt, indem sie uns zusichert, dass er nie einen willkürlichen Gebrauch von derselben gegen uns machen, sondern dass ihre Wirkungen auf uns gänzlich von uns selbst abhängen werden. Die Anforderung Gottes also an uns in einer möglichen Offenbarung, ihn anzuhören, gründet sich auf seine Allmacht und unendliche Grösse, und kann sich auf nichts anderes gründen, indem Wesen, die einer Offenbarung bedürfen, vors erste keiner anderen Vorstellung von ihm fähig sind. Seine Anforderung aber, ihm zu gehorchen, kann sich auf nichts anderes, als auf seine Heiligkeit gründen, weil sonst der Zweck der Offenbarung, reine Moralität zu befördern, nicht erreicht würde; aber der Begriff der Heiligkeit sowohl, als die Verehrung gegen sie, muss schon vorher durch die Offenbarung entwickelt worden seyn. – Wir haben einen erhabenen Ausspruch der dies erläutert: Ihr sollt heilig, seyn, denn ich bin heilig, spricht der Herr. Der Herr redet als Herr, und fordert dadurch alles zur Aufmerksamkeit auf. Aber die Forderung der Heiligkeit gründet er nicht auf diese seine Herrschaft, sondern auf seine eigene Heiligkeit.

Aber wie wollen denn diese Menschen, ehe ihr sittliches Gefühl noch geweckt ist, beurtheilen, ob es Gott seyn könne, welcher redet? wird noch gefragt; und hier kommen wir dann auf die Beantwortung eines Einwurfs, der schon seit langem vor der Seele jedes Lesers geschwebt haben muss. Wir haben im vorigen § bewiesen, dass der Begriff der Offenbarung vernünftigerweise nur a priori möglich sey, und a posteriori gar nicht rechtmässig entstehen könne; und in diesem haben wir gezeigt, dass es einen Zustand geben könne, ja dass die ganze Menschheit in diesen Zustand verfallen könne, in welchem es ihr unmöglich ist, a priori auf den Begriff der Religion, und also auch der Offenbarung zu kommen. Dies sey ein förmlicher Widerspruch, kann man sagen; oder man kann uns das Dilemma vorlegen: Entweder fühlten die Menschen schon das sittliche Bedürfniss, das sie treiben konnte, eine Religion zu suchen, und hatten schon alle Moralbegriffe, die sie von den Wahrheiten derselben vernünftig überzeugen konnten; so bedurften sie keiner Offenbarung, sondern hatten schon a priori Religion: oder sie fühlten weder jenes Bedürfniss, noch hatten sie jene Begriffe; so konnten sie sich nie aus moralischen Gründen von der Göttlichkeit einer Religion überzeugen; aus theoretischen konnten sie es auch nicht; sie konnten es also überhaupt nicht, und eine Offenbarung ist folglich unmöglich. Aber es folgt nicht, dass Menschen, die sich des Moralgebots in ihnen wenig bewusst waren, und durch dasselbe nicht zur Aufsuchung einer Religion getrieben werden konnten, also der Offenbarung bedurften, nicht nachher eben durch Hülfe dieser Offenbarung jenes Gefühl in sich entwickeln, und so geschickt werden konnten, eine Offenbarung zu prüfen, und so vernünftig zu untersuchen, ob sie göttlichen Ursprungs seyn könne, oder nicht. Es kündigte sich ihnen eine Lehre als göttlich an, und erregte dadurch wenigstens ihre Aufmerksamkeit. Entweder nahmen sie nun dieselbe sogleich für göttlich an; und da sie dies weder aus theoretischen Principien folgern, noch nach moralischen untersuchen konnte, weil noch bis jetzt ihr Moralgefühl unentwickelt war, nahmen sie etwas ganz ohne Grund an, und es war ein Glück für sie, wenn ihnen der Zufall nützlich wurde: oder sie verwarfen sie sogleich; so verwarfen sie wieder etwas ganz ohne Grund: oder endlich sie liessen die Sache unentschieden, bis sie vernünftige Gründe eines Urtheils finden würden, und in diesem einzigen Falle handelten sie vernünftig. Dass Gott rede, oder dass er nicht rede (als kategorische, aus theoretischen Gründen mögliche, Behauptung), konnten sie nie beweisen; ob er geredet haben könne, konnte nur aus dem Inhalte dessen erhellen, was in seinem Namen gesagt ward; sie mussten es also vors erste anhören. Wenn nun durch dieses Anhören ihr moralisches Gefühl entwickelt wurde, so wurde zugleich der Begriff einer Religion, und des möglichen Inhalts derselben, sie komme nun durch Offenbarung, oder ohne sie an uns, entwickelt; und nun konnten und mussten sie, um zu einem vernünftigen Fürwahrhalten zu gelangen, die ihnen als göttlich angekündigte Offenbarung mit ihrem nun entwickelten Begriffe einer Offenbarung a priori vergleichen, und nach der Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit demselben ein Urtheil über sie fällen: und das löst dann den vermeinten Widerspruch völlig auf. Ein vernünftiges Aufnehmen einer gegebenen Offenbarung, als göttlich, ist nur aus Gründen a priori möglich, aber a posteriori können, und müssen in gewissen Fällen, Gelegenheitsursachen gegeben werden, um diese Gründe zu entwickeln.

Alle diese Untersuchungen nun haben den eigentlichen Fragepunct mehr vorbereitet, als bestimmt und entwickelt. Da nemlich nach allem bisher gesagten kein vernünftiges Aufnehmen einer Offenbarung als göttlich eher, als nach völliger Entwickelung des Moralgefühls in uns, stattfindet; da ferner nur auf dieses Gefühl und den dadurch in uns begründeten Willen, der Vernunft zu gehorchen, jeder Entschluss einem Gesetze Gottes zu gehorchen, sich gründen kann. (§ 3.): so scheint die göttliche Autorität, worauf eine gegebene Offenbarung sich gründen könnte, ihren ganzen Nutzen zu verlieren, sobald es möglich wird, sie anzuerkennen. So lange nemlich eine solche Offenbarung noch arbeitet, um den Menschen zur Empfänglichkeit für Moralität zu bilden, ist es demselben völlig problematisch, ob sie göttlichen Ursprungs auch nur seyn könne, weil dies sich nur aus einer Beurtheilung derselben nach Moralprincipien ergeben kann; sobald aber nach geschehener Entwickelung des Moralgefühls in ihm eine solche Beurtheilung möglich ist, so scheint dies Moralgefühl allein hinlänglich seyn zu können, um ihn zum Gehorsam gegen das Moralgesetz, bloss als solches, zu bestimmen. Und obgleich, wie ebenfalls oben (§ 3.) gezeigt worden, auch bei dem festesten Willen, dem Moralgesetze, bloss als Gesetze der Vernunft, zu gehorchen, einzelne Fälle möglich sind, in denen dasselbe einer Verstärkerung seiner Causalität durch die Vorstellung, es sey Gottes Gesetz, bedarf: so ist doch in dem durch eine geschehene Offenbarung zur Moralität gebildeten Subjecte die Vorstellung dieser göttlichen Gesetzgebung sowohl ihrer Materie nach durch praktische Vernunftprincipien, als ihrer Form nach durch Anwendung derselben auf den Begriff einer Welt, völlig möglich, und es erscheint kein Grund, warum er sie sich, als durch eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt gegeben, denken sollte. Es muss also ein Bedürfniss, freilich nur ein empirisches, aufgezeigt werden, welchem nur durch die bestimmte Vorstellung einer durch eine Wirkung in der Sinnenwelt geschehenen Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers abgeholfen werden kann, wenn diese ganze Vorstellung nicht vergeblich, und der Begriff eine Offenbarung nicht leer seyn soll, indem ein Glaube an dieselbe allenfalls nützlich seyn könnte, solange er nicht möglich ist, und sobald er möglich wird, seinen ganzen Nutzen verlöre: denn unmöglich können wir die frommen Empfindungen über die zu unserer Schwachheit sich herablassende Güte Gottes, und dergl, die durch eine solche Vorstellung in uns entstehen müssen, als den ganzen bleibenden Nutzen einer Offenbarung angeben.

Nun sind in obiger Deduction des Offenbarungsbegriffes zum Behuf der realen Möglichkeit desselben nicht nur solche vernünftige Wesen vorausgesetzt worden, in denen das Moralgesetz seine Causalität auf immer, sondern auch solche, bei denen es dieselbe in einzelnen Fällen verloren habe. Wo auch nicht der Wille, ein Sittengesetz anzuerkennen und ihm zu gehorchen, vorhanden ist, ist das Moralgesetz ganz ohne Causalität; wo hingegen zwar dieser, aber nicht die völlige Freiheit da ist, verliert es seine Causalität in einzelnen Fällen. Wie die Offenbarung die Wirksamkeit desselben im ersten Falle wiederherstelle, ist jetzt gezeigt worden: ob sie auch im zweiten einen ihr wesentlichen, nur durch sie möglichen Einfluss habe, davon ist jetzt die Frage. Da im ersten Falle die Offenbarung noch gar nicht als das, für was sie sich giebt, vernünftigerweise anerkannt werden kann, so könnte man diese ihre Function – die der Offenbarung an sich, insofern sie von unserer Vorstellungsart ganz unabhängig ist, oder ihrer Materie nach (functio revelationis materialiter spectatae) nennen; hingegen das, was sie im zweiten Falle zu leisten hätte, die Function der Offenbarung, insofern wir sie dafür anerkennen, oder ihrer Form nach (functio revelationis formaliter spectatae), und, da Offenbarung eigentlich nur dadurch es wird, dass wir sie dafür erkennen, der Offenbarung im eigentlichsten Sinne.

Wir haben oben bei Erörterung der Function einer Offenbarung ihrer Materie nach ganz richtig angenommen, dass dieselbe sich nur auf Subjecte beziehe, in denen auch nicht einmal der Wille, dem Vernunftgesetze zu gehorchen, vorhanden sey, dass sie hingegen in dieser Function diejenigen, denen es nicht an diesem Willen, wohl aber an völliger Freiheit, ihn zu vollbringen, mangelt, nicht zu Objecten habe, sondern dass zu Herstellung der Freiheit in dergleichen Subjecten die Naturreligion hinlänglich sey. Da nun durch die Offenbarung vermittelst ihrer ersten Function die Willensbestimmung durchs Moralgesetz möglich gemacht, mithin alle vernünftige Wesen zur zweiten Stufe der moralischen Vollkommenheit erhoben werden sollen, so würde, wenn Wesen auf dieser zweiten Stufe die Naturreligion stets genugthuend seyn könnte, gar keine Function der Offenbarung ihrer Form nach, nemlich keine Wirksamkeit derselben zu Herstellung der Freiheit stattfinden, und da dies die Function der Offenbarung im eigentlichsten Sinne ist, kein wahres Bedürfniss eines Glaubens an Offenbarung gezeigt werden können; fände sie aber statt, so scheint dies dem obigen Satze von der Hinlänglichkeit der Naturreligion zur Herstellung der Freiheit zu widersprechen. Wir haben also vors erste zu untersuchen, ob sich ein Einfluss der Vorstellung von einer geschehenen Offenbarung auf das Gemüth zur Herstellung der gehemmten Freiheit des Willens denken lasse, und dann, wenn sich ein solcher Einfluss zeigen sollte, zu untersuchen, ob und inwiefern beide Behauptungen beisammenstehen können.

Es ist eine der Eigenthümlichkeiten des empirischen Charakters des Menschen dass, so lange eine seiner Gemüthskräfte besonders aufgeregt, und in lebhafter Thätigkeit ist, andere, und das um desto mehr, je mehr sie sich von jener entfernen, unthätig, und gleichsam erschlafft sind: und dass diese ihre Erschlaffung grösser ist, je grösser die Thätigkeit jener. So vergeblich man sich bemühen würde, jemanden, der durch sinnlichen Reiz bestimmt, oder in einem heftigen Affecte ist, durch Vernunftgründe anders zu bestimmen; ebenso sicher ists, dass im Gegensatze eine Erhebung der Seele durch Ideen, oder eine Anstrengung derselben durch Nachdenken möglich ist, bei welcher sinnliche Eindrücke fast ihre ganze Kraft verlieren. Soll in solchen Fällen auf einen Menschen gewirkt werden, so kann es fast nicht anders geschehen, als vermittelst derjenigen Kraft, die eben jetzt in Thätigkeit ist, indem auf die übrigen kaum ein Eindruck zu machen ist, oder wenn er auch zu machen wäre, er nicht hinreichend seyn würde, den Willen des Menschen zu bestimmen.

Einige Gemüthskräfte haben eine nähere Verwandtschaft und einen grösseren wechselseitigen Einfluss auf einander, als andere. Denjenigen, der vom Sinnenreize fortgerissen ist, wird man durch Vernunftgründe vergeblich zurückhalten wollen, aber durch Darstellung eines anderen sinnlichen Eindrucks vermittelst der Einbildungskraft kann es sehr leicht, ohne Anwesenheit des sinnlichen Gegenstandes, also ohne unmittelbare Sinnenempfindung, gelingen. Alle durch empirische Sinnlichkeit bestimmbare Kräfte stehen in solcher Correspondenz.

Die der Pflicht widerstreitenden Bestimmungen werden alle durch Eindrücke auf diese Kräfte bewirkt; durch Sinnenempfindung, die entweder unmittelbar dem Gegenstande ausser uns correspondirt, oder die durch die empirische Einbildungskraft reproducirt wird, durch Affecte, durch Leidenschaften. Welches Gegengewicht soll nun der Mensch einer solchen Bestimmung entgegensetzen, wenn sie so stark ist, dass sie die Stimme der Vernunft gänzlich unterdrückt? Offenbar muss dies Gegengewicht durch eine Kraft des Gemüths an die Seele gebracht werden, welche von der einen Seite sinnlich, und also fähig ist einer Bestimmung der sinnlichen Natur des Menschen entgegenzuwirken, von der andern durch Freiheit bestimmbar ist, und Spontaneität hat: und diese Kraft des Gemüths ist die Einbildungskraft. Durch sie also muss das einzig mögliche Motiv einer Moralität, die Vorstellung der Gesetzgebung des Heiligen, an die Seele gebracht werden. Diese Vorstellung nun gründet in der Naturreligion sich auf Vernunftprincipien; ist aber diese Vernunft, wie wir voraussetzen, gänzlich unterdrückt, so erscheinen die Resultate derselben dunkel, ungewiss, unzuverlässig. Auch die Principien dieser Vorstellung also sollten durch die Einbildungskraft vorstellbar seyn. Dergleichen Principien nun wären Facta in der Sinnenwelt, oder eine Offenbarung. – Gott ist, denn er hat geredet und gehandelt, muss sich der Mensch in solchen Augenblicken sagen können: er will, dass ich jetzt nicht so handle, denn er hat es ausdrücklich, mit solchen Worten, unter solchen Umständen u.s.f., verboten; ich werde einst wegen der Entschliessung, die ich jetzt fassen werde, unter gewissen bestimmten Feierlichkeiten ihm Rechenschaft geben. – Sollen solche Vorstellungen aber Eindruck auf ihn machen, so muss er die denselben zum Grunde liegenden Facta als völlig wahr und richtig annehmen können; sie müssen also nicht etwa durch seine eigene Einbildungskraft erdichtet, sondern ihr gegeben werden. Dass durch eine solche Vorstellung der reinen Moralität einer durch sie bewirkten Handlung kein Abbruch gethan werde, folgt unmittelbar aus unserer Voraussetzung: das durch die Einbildungskraft versinnlicht dargestellte Motiv solle kein anderes als die Heiligkeit des Gesetzgebers, und nur das Vehiculum derselben solle sinnlich seyn.

Ob inzwischen die Reinheit des Motivs nicht oft durch die Sinnlichkeit des Vehiculums leide, und ob nicht oft Furcht der Strafe, oder Hoffnung der Belohnung, auf einen durch die Vorstellung der Offenbarung bewirkten Gehorsam weit mehr Einfluss habe, als reine Achtung für die Heiligkeit des Gesetzgebers, hat eine allgemeine Kritik des Offenbarungsbegriffes eigentlich nicht zu untersuchen; sondern nur zu erweisen, dass dies in abstracto nicht nothwendig sey, und in concreto schlechterdings nicht geschehen dürfe, wenn die Religiosität ächt und nicht bloss feinere Selbstsucht seyn solle. Da dies inzwischen nur zu leicht geschehen kann; da sich ferner im Allgemeinen nicht zeigen lässt, wann, inwieweit, und warum überhaupt eine solche Verstärkung des Moralgesetzes durch Vorstellung einer Offenbarung nöthig sey; da endlich es schlechterdings nicht zu läugnen ist, dass nicht ein allgemeiner unbezweifelt auf das Moralgesetz gegründeter Trieb in uns sey, ein vernünftiges Wesen mehr zu ehren, je weniger Verstärkung die Idee des schlechthin Rechten in seinem Gemüthe bedarf, um ihn zu bewegen, es hervorzubringen; so lässt sich auch nicht läugnen, dass es weit ehrenvoller für die Menschheit seyn würde, wenn die Naturreligion stets hinlänglich wäre, sie in jedem Falle zum Gehorsam gegen das Moralgesetz zu bestimmen: und in diesem Sinne können denn beide Sätze wohl beisammenstehen, nemlich, dass sich a priori (vor der wirklich gemachten Erfahrung) nicht einsehen lasse, warum die Vorstellung einer Offenbarung nöthig seyn sollte, um die gehemmte Freiheit herzustellen; dass aber die fast allgemeine Erfahrung in uns und anderen uns fast täglich belehre, dass wir allerdings schwach genug sind, einer dergleichen Vorstellung zu bedürfen.