BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Versuch einer Critik aller Offenbarung

 

1792

 

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§ 9.

Von der physischen Möglichkeit

einer Offenbarung.

 

Der Begriff der Offenbarung a priori, wie er durch Aufzeigung eines Bedürfnisses der empirischen Sinnlichkeit a posteriori berechtigt ist, erwartet eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt. Ist diese auch überhaupt möglich? ist es überhaupt gedenkbar, dass etwas ausser der Natur eine Causalität in der Natur habe? könnte man dabei noch fragen: und wir beantworten diese Frage, um theils in die noch immer dunkele Lehre von der Möglichkeit des Beisammenstehens der Nothwendigkeit nach Natur-, und der Freiheit nach Moralgesetzen, wenigstens für unsere gegenwärtige Absicht, wo möglich, etwas mehr Licht zu bringen; theils um aus ihrer Erörterung eine für die Berichtigung des Begriffes der Offenbarung nicht unwichtige Folge herzuleiten.

Dass es überhaupt möglich seyn müsse, ist erstes Postulat, das die praktische Vernunft a priori macht, indem sie das Uebernatürliche in uns, unser oberes Begehrungsvermögen, bestimmt, Ursache ausser sich in der Sinnenwelt, entweder der in uns. oder der ausser uns zu werden, welches hier Eins ist.

Es ist aber vors erste zu erinnern, dass es ganz zweierlei ist, ob wir sagen: der Wille, als oberes Begehrungsvermögen, ist frei; denn wenn das letztere heisst, wie es denn das heisst, er steht nicht unter Naturgesetzen. so ist dies sogleich einleuchtend, weil er. als oberes Vermögen, gar kein Theil der Natur, sondern etwas übersinnliches ist:- oder ob wir sagen: eine solche Bestimmung des Willens wird Causalität in der Sinnenwelt; wo wir allerdings fordern, dass etwas, das unter Naturgesetzen steht, durch etwas, das kein Theil der Natur ist, bestimmt werden soll, welches sich zu widersprechen und den Begriff von der Naturnothwendigkeit aufzuheben scheint, der doch den Begriff einer Natur überhaupt erst möglich macht.

Hierauf ist vors erste überhaupt zu erinnern, dass, so lange die Rede von blosser Naturerklärung ist, es uns schlechterdings nicht erlaubt ist, eine Causalität durch Freiheit anzunehmen, weil die ganze Naturphilosophie von einer solchen Causalität nichts weiss; und hinwiederum, so lange die Rede von blosser Bestimmung des oberen Begehrungsvermögens ist, es gar nicht nöthig ist, auf die Existenz einer Natur überhaupt Rücksicht zu nehmen. Beide Causalitäten, die des Natur- und die des Moralgesetzes, sind sowohl der Art ihrer Causalität, als ihrer Objecte nach, unendlich verschieden. Das Naturgesetz gebietet mit absoluter Nothwendigkeit, das Moralgesetz befiehlt der Freiheit; das erstere beherrscht die Natur, das zweite die Geisterwelt. Muss, das Losungswort des ersten, und Soll, das Losungswort des zweiten, reden von ganz verschiedenen Dingen, und können sich, auch einander entgegengesetzt, nicht widersprechen, denn sie begegnen sich nicht.

Ihre Wirkungen in der Sinnenwelt aber begegnen sich, und dürfen sich auch nicht widersprechen, wenn nicht entweder Naturerkenntniss von der einen, oder die durch die praktische Vernunft geforderte Causalität der Freiheit in der Sinnenwelt von der andern Seite unmöglich seyn soll. Die Möglichkeit dieser Uebereinkunft zweier von einander selbst gänzlich unabhängiger Gesetzgebungen lässt sich nun nicht anders denken, als durch ihre gemeinschaftliche Abhängigkeit von einer oberen Gesetzgebung, welche beiden zum Grunde liegt, die für uns aber gänzlich unzugänglich ist. Könnten wir das Princip derselben einer Weltanschauung zum Grunde legen, so würde nach ihm eine und ebendieselbe Wirkung, die uns auf die Sinnenwelt bezogen nach dem Moralgesetze als frei, und auf Causalität der Vernunft zurückgeführt, in der Natur als zufällig erscheint, als völlig nothwendig erkannt werden. Da wir aber dies nicht können, so folgt daraus offenbar, dass wir, sobald wir auf eine Causalität durch Freiheit Rücksicht nehmen, nicht alle Erscheinungen in der Sinnenwelt nach blossen Naturgesetzen als nothwendig, sondern viele nur als zufällig annehmen müssen; und dass wir sonach nicht alle aus den Gesetzen der Natur; sondern manche bloss nach Naturgesetzen erklären dürfen. Etwas bloss nach Naturgesetzen erklären aber heisst: die Causalität der Materie der Wirkung ausser der Natur, die Causalität der Form der Wirkung aber in der Natur annehmen. Nach den Gesetzen der Natur müssen sich alle Erscheinungen in der Sinnenwelt erklären lassen, denn sonst könnten sie nie ein Gegenstand der Erkenntniss werden.

Lasst uns jetzt diese Grundsätze auf jene erwartete übernatürliche Einwirkung Gottes in die Sinnenwelt anwenden. Gott ist, laut der Vernunftpostulate, als dasjenige Wesen zu denken, welches die Natur dem Moralgesetze gemäss bestimmt. In ihm also ist die Verneinung beider Gesetzgebungen, und seiner Weltanschauung liegt jenes Princip, von welchem sie beide gemeinschaftlich abhängen, zum Grunde. Ihm ist also nichts natürlich, und nichts übernatürlich, nichts nothwendig, und nichts zufällig, nichts möglich, und nichts wirklich. Soviel können wir negativ, durch die Gesetze unseres Denkens genöthigt, sicher behaupten; wenn wir aber positiv die Modalität seines Verstandes bestimmen wollen, so würden wir transscendent. Es kann also die Frage gar nicht davon seyn, wie Gott eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt sich als möglich denken, und wie er sie wirklich machen könne; sondern wie wir uns eine Erscheinung als durch eine übernatürliche Causalität Gottes gewirkt denken können?

Wir sind durch unsere Vernunft genöthigt, das ganze System der Erscheinungen, die ganze Sinnenwelt zuletzt von einer Causalität durch Freiheit nach Vernunftgesetzen, und zwar von der Causalität Gottes abzuleiten. Die ganze Welt ist für uns übernatürliche Wirkung Gottes. Es liesse sich also wohl denken, dass Gott die erste natürliche Ursache einer gewissen Erscheinung, die einer seiner moralischen Absichten gemäss war, gleich Anfangs (denn wir dürfen hier ganz menschlich reden, da wir hier nicht objective Wahrheiten, sondern subjective Denkmöglichkeiten aufstellen) in den Plan des Ganzen verflochten habe. Die Einwendung, die man dagegen gemacht hat: das heisse durch einen Umweg thun, was man geradezu thun könne; gründet sich auf eine grobe Anthropomorphose, als ob Gott unter Zeitbedigungen stehe. In diesem Falle würde die Erscheinung ganz und vollkommen aus den Gesetzen der Natur, bis zum übernatürlichen Ursprunge der ganzen Natur selbst, erklärt werden können, wenn wir dieselbe im Zusammenhange übersehen können; und dennoch wäre sie auch zugleich, als durch die Causalität eines göttlichen Begriffs von moralischen dadurch zu erreichenden Zwecke bewirkt, anzusehen.

Oder wir könnten fürs zweite annehmen, Gott habe wirklich in die schon angefangene, und nach Naturgesetzen fortlaufende Reihe der Ursachen und Wirkungen einen Eingriff gethan, und durch unmittelbare Causalität seines moralischen Begriffs eine andere Wirkung hervorgebracht, als durch die blosse Causalität der Naturwesen nach Naturgesetzen würde erfolgt seyn; so haben wir hierdurch wieder nicht bestimmt, bei welchem Gliede der Kette er eingreifen sollte, ob eben bei dem der beabsichtigten Wirkung unmittelbar vorhergehenden, oder ob er es nicht auch bei einem der Zeit und den Zwischenwirkungen nach vielleicht sehr weit von ihr entfernten thun konnte. Nehmen wir den zweiten Fall an, so werden wir, wenn wir die Naturgesetze durchaus kennen, die Erscheinung, von der die Rede ist, nach Naturgesetzen richtig aus der vorhergehenden, und diese wieder aus der vorhergehenden, und so vielleicht ins Unendliche fort, erklären können, bis wir endlich freilich auf eine Wirkung stossen, die wir nicht mehr aus, sondern bloss nach Naturgesetzen erklären können. Gesetzt aber wir könnten oder wollten dieser Reihe der natürlichen Ursachen nur bis auf einen gewissen Punct nachspüren; so wäre es sehr möglich, dass innerhalb dieser uns gesetzten Grenzen jene nicht mehr natürlich zu erklärende Wirkung nicht fiele: aber wir wären dadurch noch gar nicht berechtiget, zu schliessen, dass die untersuchte Erscheinung überhaupt nicht durch eine übernatürliche Causalität bewirkt seyn könnte. Nur im ersten Falle also würden wir sogleich von der Erscheinung aus auf eine aus Naturgesetzen nicht zu erklärende Causalität stossen, die es uns theoretisch möglich machte, eine übernatürliche für sie anzunehmen.

Aber will Gott nicht, dass der sinnliche Mensch, gegen welchen er sich durch diese Wirkung, als Urheber der Offenbarung legitimirt, sie für übernatürlich anerkennen solle? Es würde nicht anständig seyn, zu sagen, Gott wolle, dass wir jenen falschen Schluss machen sollten, auf welchen eine theoretische Anerkennung einer Erscheinung, in der Natur, als durch eine Causalität ausser ihr bewirkt, sich nach obiger Erörterung offenbar gründet. Aber da sie denn auch nicht Ueberzeugung, welches sie nicht kann, sondern nur Aufmerksamkeit begründen soll, so ist es für diese Absicht völlig hinreichend, wenn wir es indess, bis wir der moralischen Ueberzeugung fähig sind theoretisch nur für möglich annehmen, dass sie durch übernatürliche Causalität bewirkt worden seyn könne, und dazu (um es theoretisch möglich zu denken, denn um es moralisch möglich zu finden, gehört laut obiger Erörterung auch nicht einmal das) gehört weiter nichts, als dass wir keine natürliche Ursachen dieser Erscheinung sehen. Denn es ist der Vernunft ganz gemäss gedacht: wenn ich eine Begebenheit nicht aus Naturursachen erklären kann, so kommt dies entweder daher, weil ich die Naturgesetze, nach denen sie möglich ist, nicht kenne, oder daher, weil sie nach dergleichen Gesetzen überhaupt nicht möglich ist 1). – Wen fasst nun hier dieses Wir in sich? Offenbar diejenigen, und nur sie, welche in dem Plane der zu erregenden Aufmerksamkeit befasst sind. Gesetzt also, man könnte, nachdem dieser Zweck erreicht, und die Menschheit zur Fähigkeit eines moralischen Glaubens an die Göttlichkeit einer Offenbarung erhoben ist, durch erhöhte Einsicht in die Gesetze der Natur zeigen, dass gewisse für übernatürlich gehaltene Erscheinungen, auf welche diese Offenbarung sich gründe, aus Naturgesetzen völlig erklärbar seyen; so würde bloss hieraus, wenn nur diesem Irrthume nicht willkürlicher geflissentlicher Betrug, sondern bloss unwillkürliche Täuschung zum Grunde gelegen, gegen die mögliche Göttlichkeit einer solchen Offenbarung gar nichts gefolgert werden können: da eine Wirkung, besonders wenn sie dem Urgrunde aller Naturgesetze zugeschrieben wird, gar wohl völlig natürlich, und doch zugleich übernatürlich, d. i. durch die Causalität seiner Freiheit, gemäss dem Begriffe einer moralischen Absicht, gewirkt seyn kann.

Das Resultat des hier gesagten ist, dass, sowenig es dem dogmatischen Vertheidiger des Offenbarungsbegriffs erlaubt werden dürfe, aus der Unerklärbarkeit einer gewissen Erscheinung aus Naturgesetzen auf eine übernatürliche Causalität, und wohl gar geradezu auf die Causalität Gottes zu schliessen; ebensowenig sey es dem dogmatischen Gegner desselben zu verstatten, aus der Erklärbarkeit eben dieser Erscheinungen aus Naturgesetzen zu schliessen, dass sie weder durch übernatürliche Causalität überhaupt, noch insbesondere durch Causalität Gottes möglich seyen. Die ganze Frage darf gar nicht dogmatisch, nach theoretischen Principien, sondern sie muss moralisch, nach Principien der praktischen Vernunft, erörtert werden, wie sich aus allem bisher gesagten zur Genüge ergiebt; wie dieses aber geschehen müsse, wird im Verfolge dieser Abhandlung gezeigt werden.

 

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1)

Ich sehe nicht ab, wie die Bewohner von Hispaniola, wenn Christoph Colon, statt durch seine vorgebliche Verfinsterung des Mondes nur Lebensmittel von ihnen zu erzwingen, dieselbe als göttliche Beglaubigung einer Gesandtschaft von ihm an sie in moralischen Absichten gebraucht hätte, ihm vor der Hand vernünftigerweise ihre Aufmerksamkeit hätten versagen können, da der Erfolg dieser Naturbegebenheit nach seiner bestimmten Vorherverkündigung ihnen nach Naturgesetzen schlechterdings unerklärbar seyn musste. Und wenn er denn auf diese Beglaubigung eine den Principien der Vernunft völlig angemessene Religion gegründet hätte, so hätten sie nicht nur auf keinen Fall etwas dabei verloren, sondern sie hätten auch diese Religion mit völliger Ueberzeugung so lange für unmittelbar göttlichen Ursprungs halten können, bis sie durch eigene Einsicht in die Naturgesetze, und durch die historische Belehrung, dass Colon sie ebenso gut gekannt, und dass er also nicht allerdings ehrlich mit ihnen umgegangen, diese Religion zwar nicht mehr für göttliche Offenbarung hätten halten können, aber doch verbunden geblieben wären, sie wegen ihrer gänzlichen Uebereinstimmung mit dem Moralgesetze für göttliche Religion anzuerkennen.