BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Versuch einer Critik aller Offenbarung

 

1792

 

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§ 15.

Allgemeine Uebersicht

dieser Kritik.

 

Ehe irgend eine Untersuchung über den Offenbarungsbegriff möglich war, musste dieser Begriff wenigstens vorläufig bestimmt werden; und da es uns hier nicht so gut ward, wie bei gegebenen Begriffen in der reinen Philosophie, denen wir bis zu ihrer ersten Entstehung nachspüren, und sie gleichsam werden sehen, da hingegen dieser sich bloss als ein empirischer ankündiget, und wenigstens, wenn auch bei näherer Untersuchung seine Möglichkeit a priori sich ergiebt, nicht das Ansehen hat, ein Darum a priori für sich anführen zu können: so hatten wir vor der Hand darüber nur den Sprachgebrauch abzuhören. Dies geschah § 5. Da aber dieser Begriff, wie schon vorläufig zu vermuthen, § 5. aber vollkommen erweisbar war, nur in Beziehung auf Religion vernunftmässig ist, so musste eine Deduktion der Religion überhaupt zum Behuf der Ableitung des zu untersuchenden Begriffs aus seinem höheren vorausgeschickt werden (§ 2. 3. 4.).

(Der erste Gegenstand bei Untersuchung dieser Kritik ist also der, ob der Begriff der Offenbarung dem Sprachgebrauche aller Zeiten und aller Völker, die sich einer Offenbarung rühmten und rühmen, gemäss bestimmt sey; und das darum, weil er kein gegebener, sondern gemachter Begriff ist. Denn wenn sich das Gegentheil zeigen sollte, so wäre, – der von uns wider den Sprachgebrauch aufgestellte und selbsterdichtete Begriff möchte noch so richtig und gründlich untersucht seyn, – diese ganze Arbeit doch nur ein Spiel, ein vernünftelndes Exercitium, aber von keinem wesentlichen Nutzen. Weiter aber, als über die vorläufige Bestimmung des Begriffs, d. i. über die Angebung seines Genus und seiner specifischen Differenz, ist der Sprachgebrauch auch nicht zu hören; denn sonst wäre die Möglichkeit jeder Kritik aufgehoben und der Irrthum geheiligt und verewigt. – Zusatz der ersten Ausgabe.)

Nach dieser vorläufigen Bestimmung des Begriffs war zu untersuchen, ob er überhaupt einer philosophischen Kritik zu unterwerfen, und vor welchem Richterstuhle seine Sache anhängig zu machen sey. Das erste hing davon ab, ob er a priori möglich sey, und das zweite musste sich durch eine wirkliche Deduction a priori aus den Principien, von welchen er sich ableiten liess, ergeben; indem offenbar jeder Begriff unter das Gebiet desjenigen Princips gehört, von welchem er abgeleitet ist. Diese Deduction wurde § 5. 6. 7. wirklich gegeben, und aus ihr erhellte, dass dieser Begriff vor den Richterstuhl der praktischen Vernunft gehöre. Der zweite Punct, der einer strengen Prüfung unterworfen werden muss, ist mithin diese Deduction a priori, weil mit ihrer Möglichkeit die Möglichkeit jeder Kritik dieses Begriffs überhaupt, und die Richtigkeit der gegebenen, zugleich aber auch die Vernunftmässigkeit des kritisirten Begriffs selbst steht oder fällt.

Da sich bei dieser Deduction fand, dass der in Untersuchung befindliche Begriff kein Datum a priori aufzuweisen habe, sondern dasselbe a posteriori erwarte, so musste die Möglichkeit dieses verlangten Datums in der Erfahrung, aber auch nur seine Möglichkeit, gezeigt werden. Dies geschah § 8. Es kommt also bei Prüfung dieses § bloss darauf an, ob ein empirisches Bedürfniss einer Offenbarung, welches das verlangte Datum ist, nicht etwa wirklich aufgezeigt, sondern nur richtig angezeigt worden, und ob aus den empirischen Bestimmungen der Menschheit die Möglichkeit abgeleitet worden, dass ein solches Bedürfniss eintreten könne.

Mehr um den Satz, dass die Untersuchung der Möglichkeit einer Offenbarung schlechterdings nicht vor das Forum der theoretischen Vernunft gehöre, welcher schon aus der Deduction ihres Begriffs erhellet, noch einleuchtender zu machen, als um einer systematischen Nothwendigkeit willen, würde § 9. noch die physische Möglichkeit einer Offenbarung, über welche an sich gar keine Frage entstehen konnte, gezeigt.

Nach Beendigung dieser Untersuchungen muss es völlig klar seyn, dass der Begriff der Offenbarung überhaupt nicht nur an sich denkbar sey, sondern dass auch, im Falle des eintretenden empirischen Bedürfnisses sich etwas ihm correspondirendes ausser ihm erwarten lasse. Da aber dieses correspondirende eine Erscheinung in der Sinnenwelt seyn soll, welche gegeben werden muss (nicht gemacht werden kann), so kann nun der menschliche Geist hierbei nichts weiter thun, als diesen Begriff auf eine dergleichen Erscheinung anwenden, und die Kritik weiter nichts, als ihn dabei leiten, d. i. die Bedingungen festsetzten, unter denen eine solche Anwendung möglich ist. Diese Bedingungen sind § 10. 11. 12. entwickelt worden. Da dieselben nichts weiter, als die durch eine Analysis sich ergebenden Bestimmungen des Offenbarungsbegriffs selbst sind, so kommt es bei ihrer Prüfung nur darauf an, ob sie aus diesem Begriffe wirklich herfliessen, und ob sie alle angegeben sind. Die Prüfung des letzteren Punctes sucht § 13. zu erleichtern.

Da aber aus der Art dieses Begriffs sich offenbar ergeben hat, dass seine wirkliche Anwendung auf eine gegebene Erfahrung immer nur willkürlich ist, und sich auf keine Zunöthigung der Vernunft gründet, so hat §14. noch gezeigt werden müssen, worauf diese Anwendung überhaupt sich gründe, und inwiefern sie vernunftmässig sey. Auch diese Deduction der Vernunftmässigkeit dieses Verfahrens mit dem Offenbarungsbegriffe bedarf einer besonderen Prüfung.

Aus dieser kurzen Uebersicht erhellet, dass die Kritik der Offenbarung aus Principien a priori geführt werde – denn bei Untersuchung des empirischen Datums für den Offenbarungsbegriff ist sie bloss gehalten die Möglichkeit desselben zu zeigen; dass sie mithin, wenn in keinem der angezeigten Puncte ihr ein Fehler nachzuweisen ist, auf allgemeine Gültigkeit rechtmässigen Anspruch mache. Sollten aber in gegenwärtiger Bearbeitung dieser Kritik dergleichen Fehler gemacht worden seyn, wie wohl zu erwarten steht; so müsste es, wenn nur der Weg einer möglichen Kritik richtig angegeben ist, welches sich bald zeigen muss, besonders durch gemeinschaftliche Bemühungen, leicht seyn, ihnen abzuhelfen, und eine allgemeingeltende Kritik aller Offenbarung aufzustellen.

Durch diese Kritik wird nun die Möglichkeit einer Offenbarung an sich, und die Möglichkeit eines Glaubens an eine bestimmte gegebene insbesondere, wenn dieselbe nur vorher vor dem Richterstuhle ihrer besonderen Kritik bewährt gefunden, völlig gesichert, alle Einwendungen dagegen auf immer zur Ruhe verwiesen, und aller Streit darüber auf ewige Zeiten beigelegt. 1) Durch sie wird alle Kritik jeder besonderen gegebenen Offenbarung begründet, indem sie die allgemeinen Grundsätze jeder dergleichen Kritik an den Kriterien aller Offenbarung aufstellt. Es wird, nach vorher ausgemachter historischer Frage, was eine gegebene Offenbarung eigentlich lehre – welche in einzelnen Fällen leicht die schwerste seyn dürfte, möglich, mit völliger Sicherheit zu entscheiden, ob eine Offenbarung göttlichen Ursprungs seyn könne, oder nicht, und im ersten Falle ohne alle Furcht irgend einer Störung an sie zu glauben.

 

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1)

Dieser Streit gründet sich auf eine Antinomie des Offenbarungsbegriffs, und ist völlig dialektisch. Anerkennung einer Offenbarung ist nicht möglich, sagt der eine Theil; Anerkennung einer Offenbarung ist möglich, sagt der zweite: und so ausgedrückt widersprechen sich beide Sätze geradezu. Wenn aber der erste so bestimmt wird: Anerkennung einer Offenbarung aus theoretischen Gründen ist unmöglich; und der zweite: Anerkennung einer Offenbarung um eher Bestimmung des Begehrungsvermögens willen, d. i. ein Glaube an Offenbarung, ist möglich; so widersprechen sie sich nicht, sondern können beide wahr seyn, und sind es beide, laut unserer Kritik.