BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Grimm

1785 - 1863

 

Von der Poesie im Recht

 

1815

 

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§. 3.

[Beweis aus der sprache.]

Alles was anfänglich und innerlich verwandt ist, wird sich bei genauer untersuchung als ein solches stets aus dem bau und wesen der sprache selbst rechtfertigen lassen, in der immerhin die regste, lebensvollste berührung mit den dingen, die sie ausdrücken soll, anschlägt. und so reicht die aufgestellte verwandtschaft zwischen recht und poesie schon in die tiefsten gründe aller sprachen hinab. aus diesen aber blosz die deutsche zu wählen und die zahlreichen beweise, welche sie uns darbietet, genauer zu sammeln, würde eine eigene weitläufige untersuchung veranlassen; ich begnüge mich also einige blosze beispiele anzuführen. die richter heiszen finder, weil sie das urtheil finden, wie die dichter finder (trobadores, trouveurs); beide werden belegt mit dem namen: schaffer, schöffen, scof (ganz eigentlich das gr. ποιηταί) weil sie schaffen, d. h. bestimmen, ordnen 1); imgleichen merker, zurechtweiser, welche den fehler zeichnen und rügen. überall ist das gesetz ein band und wie die lieder in gesätze (sätze, sitze), stollen (stühle, füsze, pedes), so zerfallen die gesetze des rechts in stäbe und balken 2), welches vornämlich im nordischen recht sichtbar geblieben ist. recht und gesetz ist das feste, gerade, stehende oder sitzende, welches in der sprache einerlei; daher die namen: sitte von sitzen, und statut, – ferner und ebendarum das haltende, bindende und verbindende, im nordischen heiszt binda: beweisen, binda fast: durch zeugen beweisen (probare per firmatores); in der poesie waren ausdrücke wie binden und lösen von jeher terminologisch 3). in dem band (vinculum juris) liegt der zwang, die noth, die ehe. noth (naudr) als sinnliches wort bedeutet im altdeutschen stets: kette und fessel ; ehe hingegen war sonst weit allgemeiner und drückte aus, was das lateinische lex oder testamentum, bund, zeugnis und verbindlichkeit, daher wir unser: altes und neues testament früherhin durch bund, noch früher durch alte und neue eh wiedergegeben finden 4): was zurechtgesammelt, gebunden ist und aufrecht dasteht (legatum, ligatum, lectum) heiszt echt, recht, ehlich, rechtlich, gesetzlich. merkwürdig aber stimmen die das lied fesselnden banden, im altdeutschen witten (vitteae, vittae), oberdeutsch wisen, jetzo weisen genannt, genau mit beweis und beweisen im sinn des rechts zusammen. dem richterlichen und parteilichen beweisen und prüfen (probare) entspricht wiederum der dichtername im mittelalter: prüfer. wenn diese auch kieser (schauer, wähler) genannt werden, so gehen die begriffe sehen, entscheiden, unterscheiden, trennen, wählen und ordnen nothwendig in einander über und die rechtswissenschaft hat ihre Wörter: sammeln, legere (eligere) ebendaher. die gesetze im altdeutschen führen oft den namen: kür, willkür; daraus, nicht aus consuetudo ist das französ. costume, coutume zu leiten. ein anderer ausdruck : schrae, skrå  5) erklärt sich vollkommen richtig aus : schraden, schroden, schneiden, theilen, d. i. richten; im oberdeutschen schroten, woher noch die redensart: von altem schrot (schnitt, recht, kleid, costum) sein. wie ferner auch küren  6) soviel bedeutet als: reden, kosen, sprechen, klagen und sagen, so erscheinen in der dichtkunst: sprecher, frager und melder (von melden, malen, mæla, reden, anmerken  7); woher das im germanischen recht so wichtige malberg, locus conveniendi et juris dicendi) und sie gibt sprüche und bünde auf. ich will noch weiter ausholen. theilen heiszt auch reden, weil der redende (oder lesende, englisch read lesen) das wort im mund (und sinn) schneidet, weswegen Homer die menschen überhaupt μέροπες (von μέρος) d. h. die wortlauten gesprächigen nennet. unsere meistersinger bedienen sich in ihrer kunstsprache des ausdrucks: ein spiel theilen, die welschen dichter: jeu partir, jocum partiri. ganz so heiszt urtheil wie orlog, das urgesetz, das schicksal, der ausspruch (fatum, effatum), weil die theilende parze auch nach der fabel entzweischneidet, also jeder richterliche spruch ein zutheilen, trennen des rechts vom unrecht ist. schaaren, anordnen stammt von scheere her. μοῖρα (verwandt mit μέρος) heiszt die richtende parze, κατὰ μοῖραν: nach dem recht, wie es gleich vertheilt, uti par est, welches par seinerseits zu pars und paria gehört. allein diese Wörter pars, theil bedeuten zugleich den entsprossenen, sich abtheilenden ast und es weist sich hier deutlich die tiefsinnigste beziehung der wörter auf die sachen aus. denn mit dem zweig und ast wird nach uralter volkssitte geloost, und das loos (schicksal, entscheidung), nordisch hlutr, bedeutet zugleich: zweig und sache, wodurch die gründlichkeit der terminologie in äste und balken (abschnitte, sectiones), wovon ich oben ausgieng, bestätigt wird. gerade diese wörter sache und ding haben nun von jeher ihre eigne juristische bedeutung gehabt 8). nicht weniger theilt sich das ganze lied in äste und zweige (branches) ab.

Dasz nach allem diesem poesie und recht schritt zusammen gehalten haben und sich in allen ihren gliedern berühren, wird kein billiger und ernsthafter leugnen; noch weniger in dingen Wortspiele suchen wollen, worin sprachen und völker zum wunderbarsten übereinstimmen. und nirgends kann eine ideenverwandtschaft blosz wörtlich sein, sondern, wie schon gesagt, sie wird uns allenthalben keime eines wirklichen gebrauchs irgend einer sitte entfalten. der vorhin entwickelte gang der deutschen sprache insonderheit führt ganz natürlich auf die schrift der runen hin, welche aus stäben bestand, auf die stäbe und scepter (schäfte) der könige, richter und sänger, auf thron, gestühl und bank  9) aller dieser, wann sie schauten, richteten und sangen. der juristische behuf der stäbe und zweige zeigt sich nicht allein an den gestabten und festgebundenen eiden. das wunder der sprache, dichtung und sitte des alterthums, jemehr es sich bloszgibt, wird stets noch bewundernswerther und es trägt blosz den schein des sonderbaren an sich, wenn man behauptet, dasz jede untersuchung, die den namen einer gründlichen strebt zu verdienen, indem ihr manches aufzudecken gelingt, neue unergründete seiten der natur und geschichte aufdeckt.

 

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1) ein urtheil schöpfen, haurire, invenire. 

2) auch tabula ist: brett, balken.  

3) die sprache ist, wenn man in ihren ursprung dringt, völlig gegensatzlos, wiewol dieser ebendeshalb unaufhörlich aus ihr aufsteigt, daher z. b. recht und link (unrecht) gänzlich zusammenfallen und es nicht befremden kann, dasz die meisten kunstwörter des rechts und der poesie als unter einander verwandt dargelegt werden können. beides, ohne es hier weiter zu verfolgen, setze ich zum theil in den obigen beispielen voraus.  

4) gleichwol ist die einschränkung dieses worts auf das engste band (conjugium) ganz natürlich. im spanischen heiszt esposa aber noch deutlich sowol braut (ehverbundene) als fessel. 

5) z. b. die statuten der stadt Soest in Westfalen sind schrae betitelt, im norden aber viele sammlungen: Hirdskrå u. s. w. ich weisz wol, dasz Ihre skrå durch scriptum, annotatio erklärt und das ist an sich nicht falsch, weil schreiben ursprünglich einscheiden und graben bedeutet. 

6) das lateinische liegt wörtlich und ideell nah, vergl. die wörter: quaerere, queri, inquirere, quaestor, rogare und abrogare u. s. w. 

7) die verwandtschaft zwischen mahlen (reden und merken) und mahlen (zerschroten, zermalmen) ist zu auffallend, um verkannt zu werden. 

8) vergl. res, reus, causa, causari. das lateinische bietet überall ähnliche bemerkungen dar. carmen, das lied, der spruch, ist im altrömischen recht die formel, z. b. Livius I, 10. lex horrendi carminis. I, 13. verba carminis. III, 32. rogationis carmen. pactum, band, im recht ein vertrag, aber pangere gilt auch vom dichten insbesondre.  

9) stuhl räumen, stuhls bitten etc. sind gerichtliche terminologie im altdeutschen.