BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Grimm

1785 - 1863

 

Von der Poesie im Recht

 

1815

 

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§. 7.

[Beweis aus poetischen rechtsphrasen.]

Immer deutlicher wird die poesie des alten rechts hervortreten, wenn wir nun auch ganze sätze betrachten wollen.

Es mangelt dem altlateinischen gerichtswesen gar nicht an hierher gehörigen beispielen, in denen weder der sinnliche ausdruck gemiszt wird, noch die von einem tiefen gefühl ergriffene, wortehäufende anschaulichkeit. mehrere regeln sind lebendig ausgesprochen, z. b. partus sequitur ventrem. so in den gesetzen des Servius Tullius (Festus v. plorare): si parentem puer verberit, ast olle plorassit, puer divis parentum sacer esto; eben so in den 12 tafeln vorzüglich: si calvitur pedemve struit, manum endo jacito; qui parentem necassit, caput obnubito, coleoque insutus in profluentem mergitor; kein späteres recht würde so stark reden können. das haupthüllen steht auch in der formel, wann der tod nicht im fluszwasser, sondern im aufhängen bestimmt wird. Cicero 1) nennt uns das cruciatus carmen: caput obnubito, arbori infelici suspendito. Livius noch vollständiger: (I, 10.) caput obnubito, infelici arbori reste suspendito, verberato vel intra pomoerium, vel extra pomoerium. man erinnert sich hierbei eines volksglaubens und einiger stellen der alten Edda von aufgehängten, die am baum im schauer der winde schwanken.

Wie viel sprichwörter des germanischen rechts wären hier anzuführen! das erb geht nicht aus dem busen; kind fällt wieder in der mutter schoos; blutige hand nimmt kein erbe; der letzte schlieszt die thüre zu; gerade geht nicht über brücke; trittst du mein huhn, wirst du mein hahn; keine henne fliegt über die mauer; unfreie hand zieht die freie hinter sich; hut bei schleier, schleier bei hut; was die fackel zehrt ist fahrnis; kirchengut hat eisernen zahn; die henne trägt ihren handlohn auf dem schwanz; die tochter friszt die mutter; gut grusz, gut antwort u. s. w. gewisz nicht blosze versuche, die lehre desto leichter einzuprägen, sondern vielmehr stetes streben nach gleichnissen, um die sache selbst desto fester zu fassen und auszusagen.

Das friesische asegabuch liefert solche poetische wendungen in menge. schaden vom hausvieh gestiftet 2) wird umschrieben: that von pferdeshuf, rindeshorn, hahnensporn, schweineshauer und hundesbisz 3) statt des trockenen: versichern und verantworten steht da: ‚mith sinre ferra (rechten) hand urweddia and mith sinere tunga sin riucht urmeldia‘ wie das epos sagt: mit augen sehen, mit händen greifen. meer und see werden stets mit den epischen beiwörtern salzig und wild genannt. um eine vorschrift für die zeit der hungersnoth und des winters zu geben, wird so eingeleitet, wann: ‚der heisze hunger durch das land fähret und der düstre nebel und der kalte winter naht.‘ als von vaterlosen kindern die rede ist, heiszt es rührend: ‚dat syn fader so diepe ende dimme mitta fiower neylen is onder eke ende onder da erda bisloten ende bitacht‘ 4) wo ein neues gesetz sich mit den bloszen worten: dessen vater todt (gestorben) ist, begnügen würde. allein Chaucer singt in den Canterbury tales 7905 statt des einfachen todt: ded and nailed in his cheste. wo wir blosz sagen: bei hellem tage, stehet: ‚enes domliachtes dis and bi skinandere sunna.‘ 5) in dem weisthum 6) über die Dreieicher wildbahn finde ich merkwürdig dieselbe redensart ‚bei scheinender sonnen‘ einigemal wieder. und von nächtlichen überfällen: ‚so hwasa to otheron fari nachtes to hovi and to huse, bi slepandere thiade and bi unwissa wakondon mit enere glandere glede‘ (mit einer glühenden glut). vom einbringen erschlagener: ‚huam sa ma dad indreit, anda mit hondem biclaget anda mit tarem biwaynoth.‘ die 12 tafeln verboten dies händeringen und zährenvergieszen und zerfleischen der wangen, das die witwen zu thun pflegten: (ἄλοχος ἀμφιδρυφής Ilias II, 700.) mulier faciem ne carpito; mulieres genas ne radunto, neve lessum funeris ergo habento, die poesie gestattet es eher 7).– bei gelegenheit der landwehre: ‚ac scilu wi use lond wera mith egge and mit orde and mith tha bruna skelde with thene stapa helm and with thena rada skeld‘ statt der prosaischen phrase: wir sollen fechten mit allen waffen, sagt hier das alte recht: streiten mit der schärfe und spitze des schwerts, mit dem glänzenden schild etc. das eingebrachte vermögen wird genannt und beschrieben 8): ‚tha drivanda and tha dreganda, skinande gold and fiarfote kvic.‘ von dem, der böslich ins wasser geworfen wurde, wird so gesprochen: ‚in tiefes, unlandes wasser geworfen, dasz er mit den füszen grund keinen spürt, (mit den augen) himmel keinen sieht, mit den ohren keinen ruf mehr hört.‘ für das blosze: bei leben: ‚bei lebendem leib und festen gliedern.‘ die strafe des vatermörders: ‚alsa longe, sare libbe, skal hi wondria and kriapa jeftha hi skal alle thera skena wralde ofstonda and gunga anna en claster, and nammermer ne mot hi anda godishuse wesa mit ora kerstene-liodon, hnie gunge efta tha durum stonda.‘ 9)

Von der dichterischen sprache des Sachsenspiegels hier nur einige proben, weil andere noch nachher berührt werden müssen: ‚ein mann von rittersart mag seinem weibe zur morgengabe geben des morgens als er mit ihr zu tische geht, on der erbe laube: knecht oder magd, die bei ihren jahren sind, zäune, gedönet zimmer und feldgenge vihe.‘ statt des noch jetzt sehr üblichen ‚mit hand und mund‘ finde ich hier: ‚mit finger und mit zungen‘. 10) in der jagdgerechtigkeit werden benannt: ‚singende vögel und krimmende vögel‘ statt sing- und raubvögel (welches im grund freilich dasselbe aussagt); auf ähnliche weise in dem angeführten jagdweisthum die wilden schweine ‚hauende.‘

Formeln wären viele hier anzuführen, im Büdinger försterbuch v. 1425 folgende: ‚wäre aber darüber mehr ekerns, so soll der formeister reiten zu dem herrn und soll sprechen: herr es ist wol mehr ekerns, wollet ihr das schauern und schirmen euch zu nutz, dem wald zu ehren, so verleihen ich das und bestelle die hute, dasz euch recht geschehe und dem wald seine ehre bleibe.‘ in einem lehnbrief von 1498 11) wird verliehen: ‚ein habicht, ein huhn, und drei winde mit brei ohne rauch, darzu eine schöne frau.‘ ein altes gedicht 12) enthält folgende, offenbar gerichtliche formel:

 

weder han ich uch den win vergozzen,

oder han ich uch den speht erschozzen,

oder han ich uch den rein verbrant?

 

statt des allgemeinen: habe ich euch irgend an haus, wald und feld schaden gefügt? der vehmschöffeneid lautete so: ‚ich schwöre zu hehlen die heilige vehme vor weib und kind, vor vater und mutter, vor schwester und bruder, vor feuer und wind, vor allem was die sonne bescheint und der regen benetzt, vor allem was schwebet zwischen himmel und erde.‘ die meisten bannformeln 13) sind höchst poetisch: ‚des urtheilen und achten wir dich und nehmen dich von und aus allen rechten und setzen dich in alles unrecht; und wir theilen deine wirtin zu einer wissenhaften witewen und deine kinder zu ehehaften waisen, deine lehen dem herrn, von dem sie rühren, dein erb und eigen deinen kindern, dein leib und fleisch den thieren in den wäldern, den vögeln in den lüften, den fischen in den wogen; wir erlauben dich auch männiglich allen strasen und wo ein jeglich mann fried und geleit hat, soltu keins haben und wir weisen dich in die vier strasen der welt‘ etc. bemerkenswerth zeigt sich auch in solchen formen, gleich den liedern, eine solche abweichung der recensionen, dasz keine völlig mit der andern stimmt; daher möge zur vergleichung mit der ebenangeführten formel die aus der Bamberger halsgerichts ordnung art. 241. entlehnte hiernach stehen: ‚als du mit vrteil vnd recht zu der mordacht erteilt worden bist, also nim ich dein leib vnd gut aus dem fride, vnd thu si in den vnfrid, vnd künde dich erlos und rechtlos, vnd künde dich den vögeln frei in den lüften vnd den tieren in dem wald vnd den vischen in dem wasser, und solt auf keiner strasen, noch in keiner mundtat 14), die keyser oder künig gefreiet haben, nyndert friden noch geleit haben, vnd künde alle die lehen, die du hast, iren hern ledig vnd los vnd von allem rechten in alles vnrecht, vnd ist auch allergemeinlich erlaubt vber dich, das niemand an dir freveln kan noch solle, der dich angreift.‘

Der raum gestattet nicht, längere stellen aus nordischen gesetzen mitzutheilen, in denen wir, wie im deutschen, dieselbe herschende neigung, die sache bildlich und sinnlich auszudrücken, leicht erkennen; so z. b. setzt das westgothländische gesetz ‚far annar broder köpfärdum, och annar hemma i asku sitar‘ 15) statt der prosa: der eine sohn ist kaufmann, der andre bleibt daheim. an guten sprichwörtern gebricht es nicht, z. b. ‚hand skal hand fa, eller mund mened swäria‘ – ‚tompt är akers modher‘ 16) u. s. w. im angelsächsischen recht habe ich nur eine einzige poetische stelle angetroflen, in den gesetzen des Ina 43: ‚forthan seo eax bith melda nalläs theof‘ besser laute axt als dieb, d. h. offener waldfrevel wird nicht so wie diebstahl gestraft.

 

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1) pro Rabirio 4. hinzufügend: quae verba jam pridem tenebris vetustatis et luce libertatis oppressa sunt.  

2) pauperies, verderbnis, schaden, verringerung, zu der wurzel pau (fa, few) gehörig: wenig, gering. 

3) lex Rotharis 331. (Georgisch p. 1007.) si caballus cum pede, bos cornu damnum fecerit, vel si porcus cum dento hominem intricaverit, aut si canis momorderit. 

4) dasz sein vater so tief und dunkel mit vier nägeln ist unter eiche und unter die erde beschlossen und bedeckt. 

5) an hell-lichtem tag und bei scheinender sonne. 

6) vom jahr 1338. stehet gedruckt bei Lünig, Stisser, und in der beschreibung von Hanau-Munzenberg 1720. beil. no. 50. 

7) vergl. eine anmerk. zur Gudrunarquida in uns. ausg. der Edda. 

8) was man treibt und trägt, scheinendes (lichtes) gold und vierfüsziges vieh. 

9) so lang er lebt wandern und elendig reisen; oder von all der schönen welt abstehen und ins kloster gehn, nimmermehr im gotteshaus unter den christenleuten, sondern hinter der thüre stehen. 

10) Fritsch (in supplem. Besoldi thes. pr.) hat in einer Urkunde die formel gefunden: ‚die zinse ist zu reichen, wann der bär im moos liegt‘ statt der prosa: im winter. man sehe ebendaselbst über die juristische phrase: ‚einen bären anbinden‘ d. h. schulden machen, sich verbinden, dem brummenden gläubiger zins zu zahlen. 

11) Siebenkees beitr. IV, 164. 

12) im cod. vindobon.; auch im cod. pal. 341. fol. 359 a.  

13) Goldast reichssatzungen I, 238. vergl. Berlichingens leben 1736. s. 125. 

14) immunitas. 

15) leg. Westrogoth. I, §. 8. de hereditate (ein bruder fährt kauffahrtei, der andere sitzt daheim in der asche, beim väterlichen heerd). 

16) fundus est agri mater.