BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Wilhelm Hauff

1802 - 1827

 

Gedichte

 

Auswahl

 

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Reiters Morgengesang

Nach einem schwäbischen Volkslied

Morgenroth,

Leuchtest mir zum frühen Tod?

Bald wird die Trompete blasen,

Dann muß ich mein Leben lassen,

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Ich und mancher Kamerad!

 

Kaum gedacht,

War der Lust ein End gemacht.

Gestern noch auf stolzen Rossen,

Heute durch die Brust geschossen,

10

Morgen in das kühle Grab!

 

Ach, wie bald

Schwindet Schönheit und Gestalt!

Thust du stolz mit deinen Wangen,

Die mit Milch und Purpur prangen?

15

Ach! die Rosen welken all'!

 

Darum still

Füg' ich mich, wie Gott es will.

Nun, so will ich wacker streiten,

Und sollt' ich den Tod erleiden,

20

Stirbt ein braver Reitersmann.

 

Entschuldigung

Kam einst ein englischer Kapitan

zu Stambul in dem Hafen an,

der wollte nach der langen Fahrt

sich gütlich tun nach seiner Art,

5

und in Stambuls krummen Gassen

vor den Leuten sich sehen lassen.

Hatte auch weit und breit gehört,

wie die Türken so schöne Pferd',

reiche Geschirr' und Sättel haben;

10

wollte auch wie ein Türke traben,

und bestellt auf Abends um vier

Ein recht feurig, arabisch Thier,

ziehet sich an im höchsten Staat,

rothem Rock, mit Gold auf der Naht,

15

schwärzt den Bart um Wange und Maul

und steigt Punkt vier Uhr auf den Gaul.

Drauf, als er reitet durch das Thor,

kam es den Türken komisch vor,

hatten noch keinen Reiter geseh'n

20

wie den englischen Kapitän:

die Knie hatt' er hinaufgezogen,

und seinen Rücken krumm gebogen,

die Brust mit den Tressen eingedrückt,

auch den Kopf tief herabgebückt,

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saß zu Pferd wie ein armer Schneider.

Doch der Schiffskapitän ritt weiter,

glaubte getrost die Türken lachen

aus lauter Bewundrung in ihrer Sprachen.

So ritt er bis zum großen Platz,

30

da machte der Araber einen Satz

und steigt; der englische Kapitän

ergreift des Arabers lange Mähn',

gibt ihm verzweiflungsvoll die Sporen,

und schreit ihm auf Englisch in die Ohren;

35

das Roß den Reiter nicht verstand,

setzt wieder und wirft ihn in den Sand.

Die Türken den Rothrock sehr beklagen,

haben ihn auch zu Schiff getragen,

und seinem Dragoman, einem Scioten,

40

haben sie hoch und streng verboten,

er dürf's nimmer wieder leiden,

daß der Herr den Araber thät reiten.

Als sie verlassen den Kapitan,

befiehlt er gleich dem Dragoman,

45

ihm auf Englisch auszudeuten,

was er gehört von diesen Leuten.

Der Grieche spricht: «Es ist nichts weiter,

sie glauben, Ihr seyd ein schlechter Reiter,

wollen, Ihr sollt in Stambuls Gassen

50

nimmer zu Pferd Euch sehen lassen.»

Deß hat sich der Kapitän gegrämt

und vor den Türken sehr geschämt.

Spricht zum Dragoman: «Geh hinein

und sage den Türken: es kommt vom Wein;

55

der Herr ist sonst ein guter Reiter,

aber heut an der Tafel, leider,

hat er sich ziemlich im Sekt betrunken,

da ist er im Rausche vom Pferd gesunken.»

Der Grieche ging zum Hafenthor

60

und trug den Türken die Sache vor.

Doch diese hören ihn schaudernd an:

«Wir glaubten Gutes vom rothen Mann,

und dachten er sitze schlecht zu Pferd',

Weil's ihn sein Vater nicht besser gelehrt;

65

aber wie, vom Wein betrunken,

ist er im Rausche vom Pferd gesunken?

Pfui dem Giaur und seinem Glas,

Allah thue ihm dies und das!»

Da sprach ein alter Muselmann:

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«Glaubt's nicht Leute, höret mich an,

nicht weil der Frank' zu viel getrunken,

ist er schmählich vom Roß gesunken.

Hab' gleich gedacht, es wird so geh'n,

als ich ihn habe reiten seh'n,

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die Knie' hoch hinaufgezogen,

den Rücken krumm und schief gebogen,

die Brust mit Tressen eingedrückt,

Kopf und Nacken niedergebückt.

Denk' ich, wenn sein Rößlein scheut,

80

ihn sein Reiten gewiß gereut.

Aber nein, ich will euch sagen,

warum er wollte den Wein verklagen,

und stellte sich lieber als Säufer gar

denn als ein schlechter Reiter dar;

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das macht des Menschen Eitelkeit,

die ihn zu Trug und Lug verleit't.

Will mancher lieber ein Laster haben,

hätt' er nur andere glänzende Gaben;

und Mancher lieber eine Sünd' gesteht,

90

eh' er eine Lächerlichkeit verräth;

ein Dritter will gar zur Hölle fahren,

um sich ein falsch Erröthen zu sparen.

So auch der fränkische Kapitan,

schämt sich und lügt uns lieber an,

95

will lieber Säufer sich lassen schelten,

als für einen schlechten Reiter gelten.»

 

Soldatenliebe

Steh' ich in finstrer Mitternacht

so einsam auf der stillen Wacht,

so denk' ich an mein fernes Lieb,

ob mir's auch treu und hold verblieb?

 

5

Als ich zur Fahne fort gemüßt,

hat sie so herzlich mich geküßt,

mit Bändern meinen Hut geschmückt

und weinend mich ans Herz gedrückt!

 

Sie liebt mich noch, sie ist mir gut,

10

drum bin ich froh und wohlgemuth;

mein Herz schlägt warm in kalter Nacht,

wenn es ans treue Lieb gedacht.

 

Jetzt bei der Lampe milden Schein

gehst du wohl in dein Kämmerlein,

15

und schickst dein Nachtgebet zum Herrn

auch für den Liebsten in der Fern'!

 

Doch, wenn Du traurig bist und weinst,

Mich von Gefahr umrungen meinst;

sey ruhig, bin in Gottes Hut,

20

er liebt ein treu Soldatenblut.

 

Die Glocke schlägt, bald naht die Rund'

und löst mich ab zu dieser Stund';

schlaf wohl im stillen Kämmerlein

Und denk' in deinen Träumen mein!

 

Ihr Auge

Ich weiß wo einen Brunnen

voll hellem Himmelsthau,

es glänzt der Strahl der Sonnen

aus seines Spiegels Blau;

5

er ladet klar und helle

zu süßer Wonne ein,

es winkt aus seiner Quelle

der Sonne milder Schein.

 

Mir war, als sollte drunten

10

in seiner klaren Flut

das arme Herz gesunden

von seinem bangen Muth.

Ich tauchte freudig nieder

ins klare Blau hinab,

15

mein Herz, das kam nicht wieder,

fand in dem Quell sein Grab.

 

Kennst du den süßen Brunnen

so klar und silberhell?

Kennst du den Strahl der Sonnen

20

aus seinem blauen Quell?

Das ist des Liebchens Auge,

ihr süßer Silberblick, –

aus seiner Tiefe tauche

ich nie zum Licht zurück.

 

An die Freiheit

Was mir so leise einst die Brust durchbebte,

als ich zuerst zum Jüngling war erwacht,

was sich so hold in meine Träume webte,

ein lieblich Bild aus mancher Frühlingsnacht;

5

und was am Morgen klar noch in mir lebte,

was dann, zur lichten Flamme angefacht,

mit kühner Ahnung meine Seele füllte -

es wären nur der Täuschung Luftgebilde?

 

Was ich geschaut im großen Buch der Zeiten,

10

wenn ich der Völker Schicksal überlas,

was ich erkannt, wenn ich die Stemenweiten

der Schöpfung mit dem trunknen Auge maß,

was ich gefühlt bei meines Volkes Leiden,

wenn sinnend ich am stillen Hügel saß –-

15

ich fühle es an meines Herzens Glühen,

es war kein Traumbild eitler Phantasien!

 

Du, stille Nacht, und du, o meine Laute!

nur euch, ihr Trauten, hab ich es gesagt;

ertönt's noch einmal, was ich euch vertraute,

20

erzählt's dem Abendhauch, was ich geklagt,

o sagt's ihm, was ich fühlte, was ich schaute,

und was mein ahnend Herz zu hoffen wagt:

o Freiheit, Freiheit! dich hab ich gesungen,

und meiner Ahnung Lied hat dir geklungen!

 

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Die müde Sonne ist hinabgegangen,

der Abendschein am Horizont zerrinnt,

doch du, o Freiheit, spielst um meine Wangen,

stiegst du hernieder mit dem Abendwind?

Nach dir, nach dir ringt heißer mein Verlangen,

30

ich fühl's, du schwebst um mich, so mild, so lind –

O weile hier, wirf ab die Adlerflügel!

Du schweigst? Du meidest ewig Deutschlands Hügel?

 

Wohl lange ist's, seit du so gerne wohntest

bei unsem Ahnen in dem düstern Hain;

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dünkt dir, wie gern du auf den Bergen throntest

vom eis'gen Belt bis an den alten Rhein?

Mit Eichenkränzen deineSöhne lohntest?

Das schöne Land soll ganz vergessen seyn?

Noch denkst du sein; es wird dich wiedersehen,

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wird auch dein Geist dann längst mein Grab umwehen.

 

Freiheit-Hoffnung

(Januar 1823)

Freiheit, wo weilst du! Du zauderst so lange,

Vaterland sehnet nach dir sich so bange!

Kehrst du nimmer zu uns zurück?

Wendest von uns nur den trauernden Blick?

5

Ja! als mein Volk die umstrickenden Bande

sprengte mit muthig geschwungenem Schwert,

als es mit Blut abschwemmte die Schande

von dem geschändeten heimischen Herd:

Da lauschtest du dem Siegestone,

10

der aus den Schlachten zum Himmel gekracht,

und du entschwebtest dem himmlischen Throne,

Weihtest dem Volke die Siegerkrone,

Deutschland strahlte in alter Pracht;

Tag war erwacht,

15

Es sank die Nacht. –

 

Tage des Sieges, ihr konntet entweichen?

Freiheit verließ euch, ihr grünenden Eichen!

Ach, es verwelkte das fröhliche Grün,

grünende Hoffnung, du mußtest verblühn.

20

Ach! auf den Bergen verlöschten die Feuer,

Nacht umlagerte drückend die Welt –

floh die Begeistrung, ihr tapfern Befreier,

die eure Herzen zum Siege beseelt?

Das Band der Gauen ist zerschlagen!

25

Fragt ihr: wer wagte die frevelnde That?

Schreiet zum Himmel um Rache, ihr Klagen!

Die, die den Szepter des Vaterlands tragen,

traten mit Füßen der Freiheit Saat;

Fürstenrath –

30

Er wagte die That.

 

Klage, o Deutschland, trauert ihr Gauen!

Die, die geschworen den Tempel zu bauen,

haben den Altar höhnend zerstört,

haben zersplittert der Heimat Herd!

35

Doch, ob das Land jetzt feindlich zersplittert,

ob auch zersplittert die Volkskraft sey,

haben den Geist sie nimmer umgittert,

der in der Brust lebt, männlich und frei!

Der Geist hat unsre Brust durchdrungen;

40

Brüder, wenn Glaube und Schwur uns betrügt,

nur mit Begeisterung tapfer gerungen!

Ist uns das herrliche Werk gelungen,

dann aus den Grüften die Freiheit fliegt,

Wahrheit siegt,

45

Das Falsche liegt.

 

Offen ins Antlitz schaut euch die Jugend,

aber ihr glaubt nicht an männliche Tugend,

zittert vor nächtlich heimlicher That,

suchet und suchet nach Trug und Verrath.

50

Ob ihr auch spottet das tapfere Streben,

hochgefühl schwellt doch des Jünglings Brust,

Vaterlands blutig zerrissenes Leben

frisch zu vereinen, ist unsere Lust.

Ein freies Deutschland wollen wir wieder,

55

einer für alle ein Vaterland;

steige zu uns, o Freiheit, hernieder!

Hoffet auf sie und füllet, ihr Brüder,

auf die Pokale bis an den Rand,

schwört Hand in Hand

60

dem Vaterland.

 

Jesuitenbeichte

(Nach dem Französischen)

«Ich liebte zwanzig Mädchen nach der Reihe,

und jeder war mein ganzes Herz geweiht,

und jede schwur mir heute ew'ge Treue,

und brach schon morgen ihren heil'gen Eid.

5

Da schwur und flucht ich keinem Weib zu trauen.

 

«Mein Sohn, wer flucht, der sündiget. Allein

die Schuld liegt diesmal wirklich an den Frauen;

du sollst versöhnet und entschuldigt seyn.»

 

Weil ich Bestechung haßte wie die Hölle,

10

fand mein Minister mich zu ungeschickt;

und einem feilen Kerl gab er die Stelle,

der sich vor seinem Kammerdiener bückt;

da wünschte ich Herrn C... zum Teufel.

 

«Mein Sohn, welch rohe Leidenschaft! Allein

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bei kaltem Blut bereust du ohne Zweifel;

du sollst entschuldigt und versöhnet seyn.»

 

Mit schönen Worten, blendenden Versprechen,

hat ein bekannter Herr mich arm gemacht,

und um mich für die Tausende zu rächen,

20

um die mich der Verräther hat gebracht,

schalt ich Herrn V... einen Beutelschneider.»

 

«Mein Sohn! das Wort war freilich grob. Allein

die Welt nennt ihn mit diesem Namen, leider;

du sollst entschuldigt und versöhnet seyn.»

 

25

Das Sacrileg, ich will's gestehen, nannte

ich ein Gesetz für Sklaven nur gemacht,

der Menschheit Schmach und des Jahrhunderts Schande,

und P..., ihn, der es ausgedacht,

schalt ich den Mörder aller freien Seelen.»

30

«Mein Sohn, das war ein derber Schimpf. Allein

du irrtest menschlich, irren heißt nicht fehlen;

Du sollst entschuldigt und versöhnet seyn.»

 

Und als ich diese arme Welt bedachte,

und sah, wie Alles schief und irrig geht,

35

wie man die Tugend und das Recht verlachte,

und wie jetzt Trug und Laster oben steht,

da – hielt ich Gott für einen leeren Namen.

 

«Mein Sohn, du hast dich schwer verfehlt. Allein

Gott ist barmherzig gegen Sünder, Amen;

40

du sollst entschuldigt und versöhnet seyn.»

 

Ich liebte Eintracht in Palast und Hütten,

doch als ich schleichend wiederkehren sah

die Zwietracht an der Hand der Jesuiten,

da schwur ich ew'gen Haß Sankt Loyola,

45

und ew'gen Haß und Rache seinen Söhnen!»

 

«Mein Sohn! ich bin die Langmuth selbst. Allein

das heißt fürwahr das Heiligste verhöhnen;

vor uns und Gott kannst du nicht schuldlos seyn.»