BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

I. Theil

 

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5.

Die Sündfluth.

 

Henoch führte ein göttliches Leben. Eines Tages gieng er von den Seinigen hinweg, und kam nicht mehr zurück. Weil er ein göttliches Leben führte, nahm ihn Gott zu sich.

Noah lebte schon in einer bösen Zeit. Die Menschen hatten des Herrn, ihres Gottes, vergessen, obgleich sie täglich Wohlthaten aus seiner Hand empfiengen. Sie lebten nicht nach seinem heiligen Willen und Gebot, sondern nach den unheiligen Gelüsten ihres Herzens. Nur Noah und sein Weib waren noch fromm, wie Seth einst gewesen war, und bewahrten ihre Kinder, als rechtschaffenen Eltern zusteht, vor den bösen Beispielen und dem Verderbniß der Zeiten, so sehr ihnen möglich war. Gott beschloß, das menschliche Geschlecht in einer großen Wasserfluth umkommen zu lassen. Aber den frommen Noah und seine Angehörigen wollte er nicht umkommen lassen. Er befahl ihm, was er zu seiner Rettung thun sollte, und Noah that also. Er bauete aus Tannenholz eine Arche, das heißt, ein großes Haus, welches auf dem Wasser schwimmen kann. Drei Stockwerke hatte die Arche und in jedem zahlreiche Kammern. Oben gegen den Himmel hatte sie ein Fenster. Die Thüre aber war auf der einen Seite. In die Arche brachte er aller!ei Thiere von allerlei Art, Männlein und Weiblein, daß sie lebendig blieben, und allerlei Nahrungs-Mittel, daß sie ihm und ihnen zur Nahrung dienten. Also hatte ihm Gott geboten. Der Herr sprach zu Noah: «Gehe jetzt in die Arche, du und deine Angehörigen, denn ich habe dich gerecht erfunden vor mir in dieser Zeit.» Noah gieng in die Arche, er, sein Weib, seine drei Söhne und seiner Söhne Weiber, acht Seelen, und Gott schloß hinter ihnen zu. Da überzog sich auf einmal der Himmel mit schweren schwarzen Wolken; die schütteten sich aus in furchtbaren Regenströmen vierzig Tage lang, und die unterirdischen Gewässer brachen aus.

Die Arche fieng an, sich von der Erde zu erheben. Die Felder, die Bäume, die Wohnungen der Menschen standen schon unter Wasser. Die Arche fieng an, auf den Gewässern zu schwimmen. Menschen und Thiere, die noch nicht in der Ebene umgekommen waren, flüchteten auf die Hügel, von den Hügeln auf die Berge. Die Köpfe der Berge wurden immer kleiner und giengen ebenfalls unter, mit allem, was darauf seine Zuflucht genommen hatte. Fünfzehn Ellen hoch schwamm zuletzt die Arche über den Köpfen der Berge. Da war nichts mehr, als Wasser unten und Wasser oben, und ein schwimmendes Haus mit acht Seelen unter Gottes Schutz und Schirm.

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet und unter dem Schatten des Allmächtigen weilet, der spricht zu dem Herrn: «Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.»

Hundert und fünfzig Tage lang stand so hoch die Fluth, da fieng an der Wind zu wehen, der Regen hörte auf, und das Wasser nahm nach und nach wieder ab. Zuerst blieb die Arche unter dem Wasser sitzen, auf dem Gebirge Ararat. Das Gewässer nahm immer mehr ab, und die Köpfe der Berge wurden wieder sichtbar. Noah ließ einen Raben ausfliegen, der kam nicht wieder, sondern flog über dem Gewässer hin und her, bis das Gewässer vertrocknet war. Das ist der Raben freye Art. Noah ließ eine Taube ausfliegen; die fand, wohin sie flog, keinen trockenen Aufenthalt, und kam wieder in die Arche zurück. Das ist die Art der frommen Taube. Nach sieben Tagen ließ Noah eine andere Taube fliegen, die blieb aus bis um die Vesperzeit. Um die Vesperzeit kam sie zurück und brachte bereits wieder ein grünes Blatt von einem Oelbaum mit. Das war wohl eine große Freude in der Arche.

Abermal nach sieben Tagen ließ Noah noch eine Taube ausfliegen. Diese kam nimmer zurück. Daran erkannte er, daß das Erdreich wieder trocken war. Gott redete mit Noah, und er gieng heraus, und betrat zum erstenmal wieder den Erdboden, er und die Seinigen und die Thiere, welche er hatte mit sich genommen. Die Thiere flogen und hüpften und wandelten freudig auf dem neuen Erdboden herum, jegliches mit seinesgleichen. Noah aber und seine Söhne baueten einen Altar, und brachten Gott ein Dankopfer für ihre wunderbare Errettung. Das können gute Menschen nie vergessen, Gott zu danken, wenn er sie und die Ihrigen in einer Gefahr beschirmt und gnädig errettet hat. Gott hatte auch Wohlgefallen an diesen dankbaren Gesinnungen und gab der Erde und dem Menschengeschlecht noch einmal seinen Segen. «Seyd fruchtbar,» sagte er, «und mehret euch, daß euer viel werden auf der Erde. So lange die Erde steht,» sprach er, «soll nicht aufhören Saamen und Erndte, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Es soll keine Sündfluth mehr kommen, daß sie die Erde verderbe.» In diesem Augenblicke, als Noah seine Augen emporhob, da stand der schöne Regenbogen in seiner stillen Herrlichkeit und Majestät in den Wolken. Gott sprach: «das soll das Zeichen seyn und das Pfand meiner Verheißung und meiner Gnade, womit ich die Erde anschaue, mein Bogen, den ich in die Wolken gestellt habe.» – Also erscheint noch von Zeit zu Zeit der Regenbogen am Himmel, und es spiegelt sich in seiner schönen Gestalt und in seinen milden heitern Farben noch jetzt die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes gegen die Menschen ab, und leuchtet hernieder auf die Erde.

Fromme Kinder sehen ihn mit Verwunderung und Freude an, und wollen nie etwas Böses thun.

Die drei Söhne aber des Noah hießen Sem, Ham und Japhet. Ham und Japhet zogen hinweg und breiteten sich über den Erdboden aus mit ihren Geschlechtern. Ein Abkömmling aber von Sem war Abraham.