BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

I. Theil

 

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8.

Sodom und Gomorra. Die Geburt Isaaks.

 

Die morgenländischen Hirten wohnten gerne in Zelten. Einmal in der heißen Mittagsstunde saß Abraham vor dem Eingang seines Hirtenzeltes, und mochte wohl daran denken, wie unglücklich er sei, daß er zu seinem großen Reichthum keine Erben habe, oder, wie glücklich Loth sei, daß er jetzt wieder ruhig in Sodom leben könne. – Gott begegnet unsern Gedanken. – Als Abraham von ungefähr seine Augen aufhob, sah er drei unbekannte Männer gegen sein Zelt herkommen. Die sind anzusehen als höhere Wesen, welche in Menschengestalt den frommen Abraham besuchen und ihm Zukünftiges sagen wollten. Abraham gieng ihnen sogleich entgegen, er bewillkommte sie nach morgenländischer Sitte, und bat sie, daß sie bei ihm einkehrten, und eine Erquickung annahmen. Denn das war eine von den schönsten Tugenden des Abraham, sein ehrenhaftes Betragen gegen fremde Leute. Während als sie bei ihm vor dem Zelte saßen und aßen, sagte einer von den Dreien, der Vornehmste: «Ehe als ein Jahr vergeht, wirst du Vater eines Sohnes seyn.» Abraham und Sarah wollten es anfänglich nicht glauben, denn sie hatten schon zu lange vergeblich auf Nachkommenschaft gewartet. Aber der Unbekannte sagte nur mit wenigen Worten: «Sollte Gott etwas unmöglich seyn?» Als die Drei wieder fortgiengen, begleitete sie Abraham; aber ehe sie von einander schieden, sagte ihm noch der eine, daß jetzt Sodom wegen der Gottlosigkeit seiner Einwohner würde zerstört werden. Abraham redete zu dem Herrn: «Willst du denn den Gerechten mir dem Gottlosen lassen umkommen? Es möchten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt seyn; wolltest du dem Ort nicht vergeben um der fünfzig Gerechten willen? Das sey ferne von dir, daß du dem Gerechten wie dem Ungerechten thust, der du aller Welt Richter bist. Du wirst nicht also richten.» Abraham hatte den rechten Glauben. Gott verschont oft um weniger frommen Menschen willen viele Gottlose. Aber der Herr sprach endlich, als Abraham lange mit ihm geredet hatte: «Wenn ich zehn Gerechte darinnen finde, so will ich es nicht thun.»

Zwei von den Dreien giengen hierauf nach Sodom, daß sie den Loth erretteten. Loth saß an dem Thore der Stadt, als sie ankamen, und obgleich er sie ebenfalls nicht kannte, wer sie waren, bat er sie doch, die Nacht-Herberge bei ihm anzunehmen, denn es war Abend. Sie verkündeten dem Loth, daß Gott diese Stadt wegen ihrer Sünden werde untergehen lassen, und befahl ihm, aus derselben mit seinen Angehörigen fortzuziehen. Loth hatte eine Frau und zwei Töchter. Er wollte auch noch zwei junge Männer retten, die mit seinen Töchtern versprochen waren. Als sie aber, seine Rede vernommen hatten, war es ihnen lächerlich, was er sagte. So weit kann ein Mensch die Vermessenheit treiben. Wenn die göttlichen Strafgerichte schon vor der Thüre sind, so lacht sie noch und verachtet die letzten Warnungen, welche noch vorausgehen. Kaum war die Morgenröthe aufgegangen, so nöthigten die Zwei den Loth, mit den Seinigen die Stadt zu verlassen: «Eile, rette deine Seele; rette dein Leben!»

Eine fürchterliche Gewitterwolke stellte sich über das Thal Sittim. Die Blitze fiengen an zu leuchten, Feuer und Schwefel regnete vom Himmel. In dem Thal Sittim waren viele Adern von Erdharz. Das Erdharz fieng Feuer. Das ganze schöne Thal Sittim stand in Flammen. Vier Städte, Sodom, Gomorra, Adama und Zeboim giengen zu Grunde. Abraham sah in der Ferne schwarze Rauchwolken aufsteigen. Das war der Brand von Sodom. Das ganze Thal verwandelte sich in einen großen Wasserpfuhl, der das Salzmeer genannt wurde. Er ist noch zu sehen und heißt jetzt das todte Meer. Loth hatte glücklich das Städtchen Zoar erreicht, welches verschont blieb. Seine Frau verunglückte unterwegs. In der Folge zog er in das Gebirg, und wurde nachher ein Stammvater der zwei Völker Moab und Ammon. Abraham aber wurde noch in demselben Jahr Vater eines Sohnes, und gab ihm dem Namen Isaak. Da sah er mit Freuden die göttliche Verheißung erfüllt und sein Vertrauen gekrönt. Es fehlte ihm nun nichts mehr zu seinem irdischen Glück.