BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

I. Theil

 

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16.

Joseph wird nach Aegypten verkauft.

 

Die fremden Kaufleute brachten den armen Joseph nach Aegypten und verkauften ihn dem Potiphar, dem Kämmerer des Königs, zum leibeigenen Knecht. Als aber der Kämmerer den Verstand und die Frömmigkeit des Josephs erkannte, und sah, daß er ihm nützlich sey, – ein frommes und verständiges Herz findet überall Freunde – gewann er ihn immer mehr lieb, und setzte ihn zugleich über sein ganzes Vermögen. Da war zwar Joseph auf einmal ein glücklicher Mensch; aber Potiphars Frau war ein gar böses Weib, und muthete dem Joseph einmal um das andere eine große Untreue gegen seinen Herrn zu. Joseph aber sprach zu ihr: «Wie sollt' ich ein so großes Uebel thun, und wider meinen Gott sündigen?»

Dieß ist abermal ein Sternsprüchlein, mit welchem man auf guten Wegen bleibt und zu Gott kommt, wenn's auch durch ein Gefängniß hindurchgehen sollte. Als die Frau des Potiphars nicht zu ihrem Willen kommen konnte, und zuletzt fürchten mußte, daß sie verrathen werde, sagte sie zu ihrem Mann: «Der hebräische Knecht, den du in das Haus gebracht hast, hat mir eine große Untreue gegen dich zugemuthet.» Die Nachkommen Abrahams wurden in Aegypten Hebräer genannt. Darum sagte sie: «Der hebräische Knecht.» Als sein Herr die Rede seines Weibes hörte, ward er sehr zornig, und ließ den Joseph ungehört und ungerechtfertigt in das Gefängniß werfen.

So endeten die guten Tage des Josephs in dem Hause des Potiphars. Aber Gottes Gnade bleibt nicht zurück, wohin auch ein frommes und unschuldiges Herz geworfen wird. Sie gibt sich ihm zu erkennen auf die eine oder die andere Art, Gott lenkte das Herz des Amtmanns über die königlichen Gefängnisse, daß er bald ein gutes Zutrauen zu Joseph gewann, und ihm die Aufsicht und Pflege aller Gefangenen anvertraute. Daher hatte er wieder leidliche Tage. In derselbigen Zeit wurden zwei vornehme Hofbeamte des Königs, der Mundschenk und der Becker, wegen eines Vergehens ebenfalls in das nämliche Gefängniß gebracht, und Joseph erhielt die Aufsicht über sie, wie über die andern, und diente ihnen. Eines Morgens aber, als er zu ihnen kam, waren sie gar traurig, und erzählten ihm, daß Jedem von ihnen ein Traum erschienen sey, und daß Niemand sey, der ihnen ihre Träume auslegen könne. Joseph sagte: «Die Auslegung der Träume ist von Gott. Aber erzählt mir die eurigen.» Der Mundschenk begann: «Ich sahe einen Weinstock, der hatte drei Zweige. Er grünte, er wuchs, er blühte, und seine Trauben wurden reif. Ich drückte die Beeren aus in den Becher des Königs und gab dem König den Becher in die Hand.» Joseph sagte: «Ganz recht! die drei Zweige sind drei Tage; in drei Tagen wird der König dein Haupt erheben, und dich wieder in dein Amt setzen. Gedenke meiner, wenn es dir wohl geht, und thue Barmherzigkeit an mir, daß ich aus dem Gefängniß erlöset werde.» – Der Becker erzählte: «Ich trug drei Körbe auf dem Haupt und in dem obersten Korbe allerlei gebacken Speise für den König, und die Vögel aßen aus dem Korb auf meinem Haupte.» – Joseph sagte: «Die drei Körbe sind drei Tage. In drei Tagen wird der König dein Haupt erheben, und dich an den Galgen henken.» Wie gesagt, so geschehen. Nach drei Tagen setzte der König den Mundschenk wieder in sein Amt, und ließ den Becker henken. Aber der Mundschenk gedachte nicht mehr an Joseph, daß er ihn erlöst hatte. Gar oft vergessen die Menschen den treuen Dienst, der ihnen geleistet worden ist, und den Dank dafür. Aber Gott vergißt die Unschuld nicht.

Er kennt die rechten Freudenstunden und weiß wohl, was uns nützlich sey; wenn er uns nur hat treu erfunden, aufrichtig ohne Heuchelei, so kommt er, eh' wir's uns verseh'n, und lässet uns viel Gut's geschehn.

Nach zwei Jahren hatte Pharao auch einen Traum. Pharao, das ist der König. Er sah aus dem Wasser aufsteigen sieben schöne, fette Kühe, und hernach sieben magere Kühe. Die magern Kühe verschlangen die fetten und wurden doch nicht fetter. Wiederum sah er sieben Aehren wachsen auf einem Halm, die waren voll und dick, und wiederum sieben dünne verdorrte Aehren, diese verschlangen die vollen und wurden doch nicht dicker. Dieß hatte zu bedeuten, daß böse unfruchtbare Zeiten kommen würden für die Viehzucht und für den Getreidebau. Als Pharao wegen dieses Traumes bekümmert war, fiel dem Mundschenk seine Sünde ein, daß er des Josephs vergessen habe, und sagte dem König, daß ein hebräischer Mensch in dem Gefängniß sey, der habe einst ihm und dem gehenkten Becker seine Träume wahr gedeutet. Alsogleich ward Joseph vor den König gebracht; der König erzählt ihm seinen Traum. Joseph sagte: «Die Deutung der Träume ist von Gott. – Es werden noch sieben reiche fruchtbare Jahre über Aegypten kommen, hernach werden sieben unfruchtbare und magere Jahre über Aegypten kommen. Es wird eine große Noth seyn und das Land verzehren.» Hierauf rieth Joseph dem König, Kornkammern anlegen zu lassen, und sieben Jahre lang den fünften Theil alles Getreides einsammeln und aufzubewahren, für die Jahre der Noth. Diese Rede gefiel dem König so wohl, und Joseph zeigte so viel Verstand, daß der König sagte: «Wo können wir einen verständigeren Mann finden, als Joseph ist, in welchem der Geist Gottes sey.» Also setzte er den Joseph über sein ganzes Haus und über sein ganzes Land, und erhob ihn zu großen Ehren. Er nahm seinen Ring von der Hand und gab ihn dem Joseph an seine Hand, er kleidete ihn mit weißer Seide und schmückte ihn mit einer goldenen Kette; er ließ ihn auf einem königlichen Wagen fahren und vor ihm ausrufen, daß er ihm eine väterliche Sorge für das Land übertragen habe. So wurde er der Erste in Aegypten nach dem König, und erfüllte alles getreulich und klug, was er dem König selber gerathen hatte. Das ist nun des Josephs wunderbarer Weg, den er wandeln mußte, aus des Vaters Haus in eine tiefe Grube, aus der Grube als ein verkaufter Knecht nach Aegypten in das Haus des Potiphars, aus dem Haus des Potiphars in das Gefängniß, aus dem Gefangniß in des Königs Palast. Joseph war dreißig Jahre alt, als er vor dem König stand.

Merke noch bei dieser Geschichte, was die Träume betrifft: Joseph legte drei Träume aus. Das will ihm nun mancher betrügliche oder einfältige Mensch nachthun. So nun Jemand zu dir kommt und will dir einen Traum deuten, zu dem sprich: «Die Auslegung ist von Gott, beweise mir aber zuerst solche Proben von Gottesfurcht und Rechtschaffenheit, als Joseph in dem Hause des Potiphars und in dem Gefängniß bewiesen hat, alsdann will ich deiner, Auslegung glauben, daß sie von Gott sey.»