BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

I. Theil

 

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31.

Saul, der König in Israel.

 

Hierauf versammelte der Prophet die Stämme von Israel nach Mizpa, daß er ihnen nach dem Willen des Herrn ihren neuen König vorstellte. Saul war ein schön gewachsener kraftvoller Mann, um einen Kopf größer, als fast der größte Mann in Israel. «Da seht ihr, sprach Samuel, welchen der Herr erwählt hat, denn ihm ist keiner gleich in Israel.» Als nun die Stämme den schönen ansehnlichen Mann erblickten, jauchzten sie vor Freude, und riefen: «Glück sey dem König!» Doch waren auch lose Leute unter dem Volke, welche ihn verachteten, und sprachen: "Was kann uns dieser helfen?» Aber Saul that, als hörte er es nicht, Saul war ein tapferer und gutmüthiger Mensch. Die Ammoniter belagerten die Stadt Jabes, und wollten allen Einwohnern das rechte Aug ausstechen. Sie hatten nur noch sieben Tage Zeit, sich zu ergeben. Die geängstigten Einwohner von Jabes schickten Boten nach Benjamin und in die Stadt Sauls, daß ihnen Hülfe und Rettung würde. Am siebenten Tage früh in der Morgenwache kam Saul mit helfender Hand in das Lager der Ammoniter. Er schlug sie, daß ihrer nicht zwei bei einander blieben, und rettete also die Einwohner von dem schrecklichen Unglück, das ihnen bevorstand. Damals sprach das Volk: «Nun gebt die her, welche den Saul nicht wollten zum Könige haben, daß wir sie tödten.» Aber der biedere König sagte: «Es soll auf diesen Tag niemand sterben; denn der Herr hat heute Heil gegeben in Israel.»

O, wenn doch alle Leute so dächten, nichts Böses zu thun, wenn ihnen Gott Heil gegeben hat. Gott gibt uns alle Tage Heil.

Mit diesem Sieg und mit dieser großmüthigen Rede gewann Saul alle Herzen. Alle huldigten ihm in Gilgal, und freuten sich sehr.

Als nun Samuel vor dem Volke und vor dem König sein Richteramt niederlegte, sprach er unter anderm die Worte: «Ich bin vor euch hergegangen von meiner Jugend auf bis auf diesen Tag. Von nun an geht euer König vor euch her. Siehe, hier bin ich!, Antwortet wider mich vor dem Herrn und seinem Gesalbten, ob ich Jemands Ochsen, oder Esel genommen habe, ob ich Jemand habe Gewalt oder Unrecht gethan, ob ich mir durch ein Geschenk habe die Augen blenden lassen?» – Das sind ein paar herzhafte Fragen. Mancher stellte sich lieber vor eine feindliche Batterie, als vor seine Verwandte oder Mitbürger, oder Untergebene, wenn er solche Fragen an sie thun müßte. Aber was antwortete dem Samuel ganz Israel? «Du hast uns kein Unrecht gethan, und von Niemands Hand etwas angenommen.» Ein solches Zeugniß ist mehr werth, als ein gestohlener Ochs, ja mehr, als alles ungerechte Geld und Gut, hesonders wenn ein Stündlein kommt, wo Geld und Gut zurückbleibt, und das Gewissen mitgeht. Das Gewissen geht mit.

Saul aber und Jonathan mit ihm, sein wackerer Sohn, verrichteten noch viele Heldenthaten, und retteten Israel von der Hand aller, die sie drückten.

Aber so tapfer der König war, so wenig war er klug. Als er immer mächtiger wurde, so ward er auch immer sicherer und unvorsichtiger, und that dem Samuel nimmer die gebührende Ehre an, so er doch ein Prophet war, und in dem Namen Gottes mit ihm redete, und folgte seinen Ermahnungen und Vorschriften nimmer. Dies geschah besonders in einem Krieg wider die Amalekiter. Da gieng etwas vor, was nicht hätte seyn sollen. Der Prophet kam entrüstet in das Lager, und redete zu dem König: «Weil du der Stimme des Herrn deines Gottes nicht gehorcht hast, so hat der Herr heute das Königreich Israel von dir genommen.» Nämlich daß die königliche Würde nicht bei seinem Geschlechte bleiben, und sein Sohn Jonathan nicht König werden sollte nach seinem Tode.

Von dieser Zeit an sah Samuel den Saul nicht mehr, so lange er lebte. Saul aber wurde schwermüthig in seinem Herzen, und von Zeit zu Zeit überfielen ihn unruhige und schreckhafte Gedanken.