BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

II. Theil

 

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13.

Heilung eines Gichtbrüchigen.

 

Einst brachten sie einen Gichtbrüchigen Menschen auf einem Tragbettlein zu Jesu, daß er ihn heilte. Der arme Mensch war so krank, daß er nicht gehen konnte. Als sie aber mit ihm an das Haus kamen, in welchem Jesus sich befand, waren daselbst so viele Leute versammelt, und es standen so viele vor dem Eingang des Hauses, daß ihn die Träger unmöglich hineinbringen konnten. Deßwegen trugen sie ihn auf das Dach, und ließen ihn durch das Dach herab, daß er zu dem Herrn käme, ob er ihn heilen möchte. Wie kann man einen kranken Menschen auf einem Tragbett auf ein Dach bringen, wenn so viele Leute vor dem Hause stehen, daß man nicht zur Thüre hinein kommen kann? Antwort: Die Dächer lagen damals, wie noch heut zu Tag in heißen Gegenden, flach und eben über den Häusern, und waren nicht mit der gewöhnlichen Art von Ziegeln gedeckt. Der Raum war mit einer Brustwehr eingefaßt. Man kam daselbst zusammen, man verrichtete Geschäfte, man verrichtete sein Gebet daselbst. Es führten auch wohl an einer Nebenseite des Gebäudes Treppen von aussen hinauf. Dazu waren die Häuser meistens sehr niedrig gebaut. Aber auf einer solchen Treppe konnte der Kranke ohne ungewöhnliche Mühe auf das Dach oder den sogenannten Söller, und von da in das Haus gebracht werden, und verständige Kinder wollen etwas nicht sogleich für unmöglich halten, weil sie es aus Mangel an gehörigen Kenntnissen dazu nicht geschwind begreifen können. Sonst wäre noch vieles unmöglich, was doch täglich geschieht.

Als aber der Kranke auf solchem Weg zu Jesu gebracht wurde, und der Herr dieses Vertrauen sah, sprach er zu ihm: «Mensch, deine Sünden sind dir vergeben.» Etliche andere, die es hörten, sahen einander an, als ob sie sagen wollten: «Wie kann ein Mensch Sünden vergeben? Wer kann Sünden vergeben, als Gott?» Jesus fragte sie: «Was ist leichter zu sagen, dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen, stehe auf und wandle?» Jedermann mußte denken, zu sagen sey es leichter: «Dir sind deine Sünden vergeben,» aber schwerer sey es zu sagen: stehe auf und wandle,» weil es sich zeigen müsse, ob es auch geschieht. Jesus sagte daher: «Damit ihr nun sehet, daß des Menschen Sohn Macht hat auf Erden Sünden zu vergeben – stehe auf,» sprach er zu dem kranken Menschen, «hebe dein Bett auf, und gehe heim!» Der Kranke stand auf, preisete Gott, denn er war durch das Wort Jesu genesen. Er trug selbst sein Bett heim, auf welchem er vorher mußte getragen werden, weil er nicht mehr gehen konnte.