BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

II. Theil

 

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22.

Mehrere Wunderwerke Jesu.

 

An einem Abend fuhr Jesus mit seinen Jüngern über das Meer, an welchem Capernaum liegt. Mehrere andere Schiffe zogen ebenfalls mit. Jesus, von den wohlthätigen Handlungen des Tages ermüdet, legte im Hintertheil des Schiffes sein Haupt auf ein Kissen und entschlief. Unterdessen erhob sich ein heftiger Sturm auf dem Meer und die Wellen schlugen in das Schiff. Als sich die Jünger nimmer erwehren konnten, das Schiff war schon voll Wasser, weckten sie Jesum: «Herr, hilf uns! Wir verderben. Fragst du nichts darnach, daß wir zu Grunde gehen?» Also riefen die Jünger, und gar oft scheint es so, daß der, welcher allein kann helfen, nichts darnach frage, wenn alles zu Grunde gehen will. Aber Jesus bedrohete den Wind, und sprach zu dem stürmischen Meer: «Sey still und verstumme!» Da legte sich der Wind, und das Meer ward stille.

«Wie seyd ihr so furchtsam,» sprach er zu den Jüngern. «Daß ihr doch keinen Glauben habt!» Die Leute aber, welche mitschifften, verwunderten sich und sprachen:

«Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer gehorsam sind!»

Als das Schifflein wieder zurückkam, war schon wieder eine große Menge Volks am Ufer versammelt. Ein Obrister der Schule, mit Namen Jairus, wartete ängstlich auf die Rückkehr Jesu, weil er ein sterbendes Kind daheim hatte, das ihm so lieb war. Er fiel vor Jesu nieder und sprach zu ihm: «Meine Tochter ist in den letzten Zügen. Du wollest kommen, und deine Hand auf sie legen, daß sie gesund werde und lebe.» Die ganze Menge des Volks begleitete Jesum, weil sie das Wunder gern sehen wollten, das er thun würde. Denn viele folgten ihm nur aus Neugierigkeit nach, aber nicht alle. Es drängte sich eine Frau herzu, die schon zwölf Jahre lang an einer beschwerlichen Krankheit litt. Sie hatte schon ihr ganzes Vermögen an ihre Genesung verwendet, und es ward nicht besser. Diese Frau hatte das Vertrauen, daß sie würde gesund werden, wenn sie Jesum nur anrührte. Als sie nun sein Kleid von hinten anrührte, fühlte sie alsbald, daß sie von ihrer Plage genesen sey. Jesus stand stille. Er schaute um, und fragte: «Wer hat mich angerührt?» Petrus sprach: «Das Volk drücket dich, und du fragst noch: wer hat mich angerührt?» Die Frau aber fiel furchtsam vor ihm nieder, als wenn sie etwas Unrechtes gethan hätte, und sagte ihm die ganze Wahrheit. Jesus sprach zu ihr: «Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht. Gehe hin im Frieden.»

Aber was wird unterdessen aus des Jairus todtkrankem Töchterlein? Indem Jesus Obiges redete, und stillstand, kam aus dem Hause des Jairus eine Botschaft zu ihm: «Deine Tochter ist jetzt gestorben. Bemühe den Meister nicht.» Jesus ließ den tiefgebeugten Vater nicht zum Ausbruch seines Schmerzes kommen. Er sprach zu ihm: «Fürchte dich nicht, vertraue nur! deine Tochter wird gerettet.» Bis sie aber an das Trauerhaus gelangten, waren daselbst schon viele Leute versammelt, die weinten und wehklagten, und übten die Gebräuche aus, die nach Landesart in den Trauerhäusern vorgenommen wurden. Jesus sprach: «Weinet nicht, das Kind ist nicht todt, es schläft.» Etliche lachten über das schöne trostreiche Wort. Gar oft lacht der Unverstand. Jesus aber sorgte dafür, daß alle Leute hinweggeschafft wurden, daß das Töchterlein nicht erschrecken sollte, wenn es aufwachte aus seinem tiefen Todesschlaf. Ein menschenfreundliches Gemüth giebt auf alles Acht. Es durfte Niemand da bleiben, als die Eltern des Kindes und die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes. Als sie nun so allein an dem Bett des erblaßten Mägdleins standen, ergriff es Jesus bei der Hand und sprach: «Kind, stehe auf,» wie wenn am Morgen eine Mutter ihre Kinder weckt. Sie stehen frisch und munter auf und begrüßen das freundliche Tageslicht. Also stand auch auf den Ruf Jesu das entschlafene Töchterlein des Jairus auf, daß sich auch seine Eltern vor Schrecken und Freude entsetzten. Jesus aber befahl, man solle dem Kinde etwas zu essen geben. In der Bestürzung und Freude hatten es die Eltern fast vergessen.

So tröstete und erfreute er bei jeder Gelegenheit. Wohin er gieng, gieng Wohlthun mit. Sein Wort, sein Werk, und jeder Schritt war Segen und Erbarmen.