BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1789

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

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Zornige Sehnsucht

 

Ich duld' es nimmer! ewig und ewig so

Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter

Die kurzen vorgemeßnen Schritte

Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!

 

Ists Menschenlooß – ists meines? ich trag es nicht

Mich reizt der Lorber, – Ruhe beglükt mich nicht

Gefahren zeugen Männerkräfte

Leiden erheben die Brust des Jünglings.

 

Was bin ich dir, was bin ich mein Vaterland?

Ein siecher Säugling, welchen mit tränendem

Mit hofnungslosem Blik die Mutter

In den gedultigen Armen schaukelt.

 

Mich tröstete das blinkende Kelchglas nie

Mich nie der Blik der lächelnden Tändlerin,

Soll ewig trauern mich umwolken?

Ewig mich tödten die zornge Sehnsucht?

 

Was soll des Freundes traulicher Handschlag mir,

Was mir des Frühlings freundlicher Morgengruß

Was mir der Eiche Schatten? was der

Blühenden Rebe, der Linde Düfte?

 

Beim grauen Mana! nimmer genieß ich dein

Du Kelch der Freuden, blinktest du noch so schön

Bis mir ein Männerwerk gelinget

Bis ich ihn hasche, den ersten Lorbeer.

 

Der Schwur ist groß. Er zeuget im Auge mir

Die Trän' und wohl mir wenn ihn Vollendung krönt

Dann jauchz auch ich du Krais der Frohen,

Dann o Natur, ist dein Lächeln Wonne.