BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1791

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

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Hymne an die Muse

 

Schwach zu königlichem Feierliede,

Schloß ich lang genug geheim und stumm

Deine Freuden, hohe Pieride!

In des Herzens stilles Heiligtum;

Endlich, endlich soll die Saite künden,

Wie von Liebe mir die Seele glüht,

Unzertrennbarer den Bund zu binden,

Soll dir huldigen diß Feierlied.

 

Auf den Höh'n, am ernsten Felsenhange,

Wo so gerne mir die Thräne rann,

Säuselte die frühe Knabenwange

Schon dein zauberischer Othem an; –

Bin ich, Himmlische, der Göttergnaden?

Königin der Geister, bin ich werth,

Daß mich oft, des Erdetands entladen,

Dein allmächtiges Umarmen ehrt? –

 

Ha! vermöcht' ich nun, dir nachzuringen,

Königin! in deiner Götterkraft

Deines Reiches Gränze zu erschwingen,

Auszusprechen, was dein Zauber schafft! –

Siehe! die geflügelten Aeonen

Hält gebieterisch dein Othem an,

Deinem Zauber huldigen Dämonen,

Staub und Aether ist dir unterthan.

 

Wo der Forscher Adlersblike beben,

Wo der Hofnung küner Flügel sinkt,

Keimet aus der Tiefe Lust und Leben,

Wenn die Schöpferin vom Throne winkt;

Seiner Früchte süßestes bereitet

Ihr der Wahrheit gränzenloses Land;

Und der Liebe schöne Quelle leitet

In der Weisheit Hain der Göttin Hand.

 

Was vergessen wallt an Lethes Strande,

Was der Enkel eitle Waare dekt,

Stralt heran im blendenden Gewande,

Freundlich von der Göttin auferwekt;

Was in Hütten und in Heldenstaaten

In der göttergleichen Väter Zeit

Große Seelen duldeten und thaten,

Lohnt die Muse mit Unsterblichkeit.

 

Sieh'! am Dornenstrauche keimt die Rose,

So des Lenzes holder Stral erglüht; –

In der Pieride Mutterschoose

Ist der Menschheit Adel aufgeblüht;

Auf des Wilden krausgelokte Wange

Drükt sie zauberisch den Götterkuß,

Und im ersten glühenden Gesange

Fühlt er staunend geistigen Genuß.

 

Liebend lächelt nun der Himmel nieder,

Leben athmen alle Schöpfungen,

Und im morgenröthlichen Gefieder

Nahen freundlich die Unsterblichen.

Heilige Begeisterung erbauet

In dem Haine nun ein Heiligtum,

Und im Todesvollen Kampfe schauet

Der Heroë nach Elysium.

 

Öde stehn und dürre die Gefilde,

Wo die Blüthen das Gesez erzwingt;

Aber wo in königlicher Milde

Ihren Zauberstab die Muse schwingt,

Blühen schwelgerisch und kün die Saaten,

Reifen, wie der Wandelsterne Lauf,

Schnell und herrlich Hofnungen und Thaten

Der Geschlechter zur Vollendung auf.

 

Laß der Wonne Zähre dir gefallen!

Laß die Seele des Begeisterten

In der Liebe Taumel überwallen!

Laß, o Göttin! laß mich huldigen! –

Siehe! die geflügelten Aeonen

Hält gebieterisch dein Othem an,

Deinem Zauber huldigen Dämonen –

Ewig bin auch ich dir unterthan.

 

Mag der Pöbel seinen Gözen zollen,

Mag, aus deinem Heiligtum verbannt

Deinen Lieblingen das Laster grollen,

Mag, in ihrer Schwäche Schmerz entbrannt,

Stolze Lüge deine Würde schänden,

Und dein Edelstes dem Staube weih'n,

Mag sie Blüthe mir und Kraft verschwenden,

Meine Liebe! - dieses Herz ist dein!

 

In der Liebe volle Lust zerflossen,

Höhnt das Herz der Zeiten trägen Lauf,

Stark und rein im Innersten genossen,

Wiegt der Augenblik Aeonen auf; –

Wehe! wem des Lebens schöner Morgen

Freude nicht und trunkne Liebe schafft,

Wem am Sklavenbande blaicher Sorgen

Zum Genusse Kraft und Muth erschlafft.

 

Deine Priester, hohe Pieride!

Schwingen frei und froh den Pilgerstab,

Mit der allgewaltigen Aegide

Lenkst du mütterlich die Sorgen ab;

Schäumend beut die zauberische Schaale

Die Natur den Auserkornen dar,

Trunken von der Schönheit Göttermahle

Höhnet Glük und Zeit die frohe Schaar.

 

Frei und muthig, wie im Siegesliede,

Wallen sie der edeln Geister Bahn,

Dein Umarmen, hohe Pieride!

Flammt zu königlichen Thaten an; –

Laßt die Miethlinge den Preis erspähen!

Laßt sie seufzend für die Tugenden,

Für den Schweis am Joche Lohn erflehen!

Muth und That ist Lohn den Edleren!

 

Ha! von ihr, von ihr emporgehoben

Blikt dem Ziele zu der trunkne Sinn –

Hör'es, Erd' und Himmel! wir geloben,

Ewig Priestertum der Königin!

Kommt zu süßem brüderlichem Bunde,

Denen sie den Adel anerschuf,

Millionen auf dem Erdenrunde!

Kommt zu neuem seeligem Beruf!

 

Ewig sei ergrauter Wahn vergessen!

Was der reinen Geister Aug' ermißt,

Hoffe nie die Spanne zu ermessen! –

Betet an, was schön und herrlich ist!

Kostet frei, was die Natur bereitet,

Folgt der Pieride treuen Hand,

Geht, wohin die reine Liebe leitet,

Liebt und sterbt für Freund und Vaterland!