BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1796

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

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An die klugen Rathgeber

 

Ich sollte nicht im Lebensfelde ringen,

So lang mein Herz nach höchster Schöne strebt,

Ich soll mein Schwanenlied am Grabe singen,

Wo ihr so gern lebendig uns begräbt?

O! schonet mein und laßt das rege Streben,

Bis seine Fluth in's fernste Meer sich stürzt,

Laßt immerhin, ihr Ärzte, laßt mich leben,

So lang die Parze nicht die Bahn verkürzt.

 

Des Weins Gewächs verschmäht die kühlen Thale,

Hesperiens beglükter Garten bringt

Die goldnen Früchte nur im heißen Strahle,

Der, wie ein Pfeil, in's Herz der Erde dringt;

Was warnt ihr dann, wenn stolz und ungeschändet

Des Menschen Herz von kühnem Zorn entbrennt,

Was nimmt ihr ihm, der nur im Kampf vollendet,

Ihr Weichlinge, sein glühend Element?

 

Er hat das Schwerdt zum Spiele nicht genommen,

Der Richter, der die alte Nacht verdammt,

Er ist zum Schlafe nicht herabgekommen,

Der reine Geist, der aus dem Aether stammt;

Er strahlt heran, er schrökt, wie Meteore,

Befreit und bändigt, ohne Ruh' und Sold,

Bis, wiederkehrend durch des Himmels Thore,

Sein Kämpferwagen im Triumphe rollt.

 

Und ihr, ihr wollt des Rächers Arme lähmen,

Dem Geiste, der mit Götterrecht gebeut,

Bedeutet ihr, sich knechtisch zu bequemen,

Nach eures Pöbels Unerbittlichkeit?

Das Irrhaus wählt ihr euch zum Tribunale,

Dem soll der Herrliche sich unterzieh'n,

Den Gott in uns, den macht ihr zum Scandale,

Und sezt den Wurm zum König über ihn. –

 

Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz geschlagen,

Und oft in edlem Löwengrimme rang

Der Mensch an donnernden Entscheidungstagen,

Bis Glük und Wuth das kühne Recht bezwang;

Ach! wie die Sonne, sank zur Ruhe nieder

Wer unter Kampf ein herrlich Werk begann,

Er sank und morgenrötlich hub er wieder

In seinen Lieblingen zu leuchten an.

 

Jezt blüht die neue Kunst, das Herz zu morden,

Zum Todesdolch in meuchlerischer Hand

Ist nun der Rath des klugen Manns geworden,

Und furchtbar, wie ein Scherge, der Verstand;

Bekehrt von euch zu feiger Ruhe, findet

Der Geist der Jünglinge sein schmählich Grab,

Ach! ruhmlos in die Nebelnächte schwindet

Aus heitrer Luft manch schöner Stern hinab.

 

Umsonst, wenn auch der Geister Erste fallen,

Die starken Tugenden, wie Wachs, vergehn,

Das Schöne muß aus diesen Kämpfen allen,

Aus dieser Nacht der Tage Tag entstehn;

Begräbt sie nur, ihr Todten, eure Todten!

Indeß ihr noch die Leichenfakel hält,

Geschiehet schon, wie unser Herz geboten,

Bricht schon herein die neue beßre Welt.