BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann

1776 - 1822

 

Schreiben eines Klostergeistlichen

an seinen Freund in der Hauptstadt

 

1803

 

Textgrundlage:

Schreiben eines Klostergeistlichen

an seinen Freund in der Hauptstadt,

in: Der Freimüthige, oder Berlinische Zeitung

für gebildete, unbefangene Leser

Berlin: 1803, Nº 144

Faksimile: Google

 

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[573]

 

 

Schreiben eines Klostergeistlichen

an seinen Freund in der Hauptstadt.

 

Ich danke Dir von Herzen, mein lieber Freund Theodor, daß Du mir die bestellten Bücher so bald übersendet hast. Der Pater Prior hatte die Gnade, mir die Kiste, ohne sie zu öffnen, auf die Zelle zu schicken, und es war mir lieb, daß Bruder Vincentius, der mich besucht hatte, eben fortging, als ich sie erhielt und begierig auspackte; er würde an den vielen bunten Heften, die Du mir ohne weitere Bestellung mitgeschickt hast, ein Aergerniß genommen haben. Du irrst Dich nicht, mein lieber Freund Theodor; auch in meinen Mauern erfahre ich gern, wie es in der Welt, die ich für immer verließ, zugehet, und deshalb habe ich die Zeitung für die elegante Welt und den Freimüthigen mit vielem Vergnügen gelesen, unerachtet mir manches ganz besonders und ungereimt vorkam, welches wohl daher rühren mag, daß mir in meiner Zelle die Beziehungen fremd sind. So viel habe ich wohl gesehen, daß die Schriftsteller in den beiden Zeitungen sehr böse auf einander und immer ganz verschiedener Meinung sind. Sie lassen sich manchmal recht grob an, und wollen ihre Sache mit häßlichen Ausfällen und anzüglichen Schimpfreden vertheidigen. Das gefällt mir nicht, und ich habe an Sc. Hochwürden den Herrn Prälaten gedacht, der einmal den Pater Adalbertus tüchtig ausschalt, weil er in der Predigt am Tage St. Antonii de Padua auf den Doktor Luther ungemein geschimpft hatte. Der Herr Prälat meinte: das hieße der guten Sache mehr schaden als nützen, und sey das Zeichen eines rohen schlechten Gemüths! – Ganz von Freude ergriffen bin ich aber worden, als ich las, daß der berühmte Herr Schiller, der, wenn ich nicht irre, der Verfasser des schönen Gedichte ist, welches Don Carlos heißt, und welches ich, als ich noch in der Welt war, gelesen habe, ein neues Trauerspiel verfertigt und darin den Chor nach Art der alten griechischen Tragödien angebracht hat. – Es heißt ja die Braut von Messina. – Du weißt, mein lieber Freund Theodor, daß ich von jeher die Musik eifrig studirt und mich nicht begnügt habe mit dem oberflächlichen theoretischen Wesen, welches hinreicht, etwa eine Votiva, eine Vesper, oder ein neues Offertorium für einen Heiligentag zu setzen. Auf die Musik der Alten war mein vorzüglichstes Augenmerk gerichtet, und es ergriff mich ein tiefer Schmerz, wenn ich in den alten Schriftstellern von den außerordentlichen Wirkungen las, die sie hervorgebracht haben soll, und daran dachte, daß die Art, wie sie ausgeübt wurde, so ganz verloren gegangen ist. Alles was ich in den alten Scribenten auffinden konnte über die Musik und die damit verbundenen theatralischen Vorstellungen der alten Griechen, habe ich verglichen; aber noch ist es mir ganz dunkel, was ich in Vergleichung mit demjenigen, was wir jetzt Deklamation und Gesang nennen, von der Deklamation der Griechischen [574] Tragödien, die mit Noten bezeichnet war, von Klanginstrumenten begleitet wurde, und Melopöia hieß, halten soll. Die Chöre der Griechischen Tragödien haben sich gewiß noch mehr, als die Deklamationen der übrigen Verse, dem eigentlichen Gesänge genähert, sie wurden von verschiedenen Stimmen im Einklange vorgetragen und von Klanginstrumenten begleitet. Dieß beweist unter andern die Stelle im Philosophen Seneca, wo es heißt:  1)

Non vides quam multorum vocibus chorus constet, unus tamen ex omnibus redditur. Aliqua illic acuta, aliqua gravis, aliqua media. Accedunt viris feminae, interponuntur tibiae, singulorum illic voces latent, omnium apparent etc.

Wie das aber eigentlich ins Werk gerichtet wurde, in wie fern sich die Deklamation des Chors der wirklichen Melodie näherte oder nicht, davon habe ich keine deutliche Vorstellung, und, so viel ich weiß, ist es auch bis jetzt niemand gelungen, dem Dinge so auf die Spur zu kommen, daß man es hätte nachmachen können. – Den Herren Gelehrten in Weimar war die wichtige Entdeckung vorbehalten! – So wie ich lese, wird das erwähnte neue Trauerspiel des Herrn Schiller dort auf der Bühne aufgeführt, und unbezweifelt hat man daher die Deklamation notirt, und sie wird von Klanginstrumenten begleitet. Schreibe mir, mein Lieber, ob Herr Schiller selbst, oder ein anderer, den Alten so glücklich auf die Spur gekommen ist, und welche Mittel man angewendet hat, die Schauspieler und Tonkünstler in das Geheimniß der uns ganz fremd gewordenen Melopöia einzuweihen. Jemand schreibt zwar in dem Freimüthigen, daß der Chor von sieben Männern gesprochen worden sey, und daß es geklungen habe, als sagten Schüler ihre Lektion auf, und ich kann mir auch in der That nichts läppischeres und ungereimteres denken, als wenn mehrere Leute auf dem Theater Verse hersagen, ohne an jene notirte Deklamation, die sie zum Halten des Tons und des Rhythmus nöthigt, gebunden zu seyn ; ich kann es mir aber gar nicht denken, daß die gelehrten Herren in Weimar jemals auf den Gedanken gerathen seyn sollten, den Griechischen Chor wieder auf das Theater zu bringen, wenn sie nicht die Art seiner Darstellung bei den Alten im ganzen Umfange inne hätten; bei der Vorstellung, die jener tadelsüchtige Mann sah, waren die Tibiisten wahrscheinlich noch nicht eingespielt. Schreibe mir doch ferner, mein lieber Freund Theodor, ob die Flötenspieler die Deklamation durch das ganze Stück begleitet, oder nur den Chor unterstützt haben, so wie auch, ob man die Tragödie mit Masken und mit Kothurn gegeben hat. Auch bin ich begierig zu wissen, was für eine Wirkung der Chor auf die Zuhörer gemacht hat: ob sie erschüttert worden sind, oder ob es den Schauspielern so gegangen ist, wie dem seligen Herrn Professor Meibom, den der ganze Hof der Königin Christina auslachte, als er eine griechische Arie zu singen anfing. Das war unartig, denn der Mann war grundgelehrt, und meinte es gut, hatte aber manchmal sehr närrische Einfälle, wie man es in vielen Schriften lesen kann. Endlich wünsche ich von Dir über die Ursache belehrt zu werden, warum der Herr Schiller zu dem Trauerspiel nach griechischer Art nicht eine Heroengeschichte aus der alten, sondern eine Historie aus der neueren Zeit gewählt hat. Das kommt mir so vor, als wenn die hiesigen Nonnen zu St. Ursula das Staatskleid, welches sonst die Gebenedeiete trägt, zu Weihnachten dem heiligen Kinde anziehen; das ist immer zu lang und zu weit, will überall nicht passen, und sieht nicht gut aus.

Hat man nur erst die Melopöia wieder hergestellt, und sind die Leute über das Ungewöhnliche des ersten Eindrucks weg, so wird sich das Weitere wohl geben. Ohne klang-Instrumente, ohne notirte Dklamation wird alles nur ein unnützes Geplapper seyn. Das Trauerspiel General Wallenstein, welches von Herrn Schiller in Versen geschrieben seyn soll und die Hussiten vor Naumburg, welches ein schönes Stück seyn muß, da sie sich so darüber streiten, werden sie mit der tragischen Baßflöte (tibia dextra) aufführen. Das möchte ich selbst gerne hören. – Lebe wohl, mein lieber Freund Theodor, ich bete für dich zu den Heiligen und bin etc.

G. D.

 

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1) Epistulae morales ad Lucilium, 84. Brief