BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann

1776 - 1822

 

Der Sandmann

 

1817

 

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Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen Studenten Nathanael, zugetragen, und was ich Dir, günstiger Leser! zu erzählen unternommen. Hast Du, Geneigtester! wohl jemahls etwas erlebt, das Deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfüllte, Alles Andere daraus verdrängend? Es gährte und kochte in Dir, zur siedenden Gluth entzündet sprang das Blut durch die Adern und färbte höher Deine Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloß in dunkle Seufzer. Da frugen Dich die Freunde: Wie ist Ihnen, Verehrter? – Was haben Sie, Theurer? Und nun wolltest Du das innere Gebilde mit allen glühenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und mühtest Dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war Dir, als müßtest Du nun gleich im ersten Wort Alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, [32] recht zusammengreifen, so daß es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe. Doch jedes Wort, Alles was Rede vermag, schien Dir farblos und frostig und todt. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst, und die nüchternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige Windeshauche, hinein in Deine innere Gluth, bis sie verlöschen will. Hattest Du aber, wie ein kecker Mahler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriß Deines innern Bildes hingeworfen, so trugst Du mit leichter Mühe immer glühender und glühender die Farben auf und das lebendige Gewühl mannigfacher Gestalten riß die Freunde fort und sie sahen, wie Du, sich selbst mitten im Bilde, das aus Deinem Gemüth hervorgegangen! – Mich hat, wie ich es Dir, geneigter Leser! gestehen muß, eigentlich niemand nach der Geschichte des jungen Nathanael gefragt; Du weißt ja aber wohl, daß ich zu dem wunderlichen Geschlechte der Autoren gehöre, denen, tragen sie etwas so in sich, wie ich es vorhin beschrieben, so zu Muthe wird, als frage jeder, der in ihre Nähe [33] kommt und nebenher auch wohl noch die ganze Welt: Was ist es denn? Erzählen Sie Liebster? – So trieb es mich denn gar gewaltig, von Nathanaels verhängnißvollem Leben zu Dir zu sprechen. Das Wunderbare, Seltsame davon erfüllte meine ganze Seele, aber eben deshalb und weil ich Dich, o mein Leser! gleich geneigt machen mußte, Wunderliches zu ertragen, welches nichts geringes ist, quälte ich mich ab, Nathanaels Geschichte, bedeutend – originell, ergreifend, anzufangen: „Es war einmahl“ – der schönste Anfang jeder Erzählung, zu nüchtern! – „In der kleinen Provinzial-Stadt S. lebte“ – etwas besser, wenigstens ausholend zum Climax. – Oder gleich medias in res: „Scheer' er sich zum Teufel, rief, Wuth und Entsetzen im wilden Blick, der Student Nathanael, als der Wetterglas- Händler Giuseppe Coppola“ – Das hatte ich in der That schon aufgeschrieben, als ich in dem wilden Blick des Studenten Nathanael etwas possirliches zu verspüren glaubte; die Geschichte ist aber gar nicht spaßhaft. Mir kam keine Rede [34] in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuspiegeln schien. Ich beschloß gar nicht anzufangen. Nimm, geneigter Leser! die drei Briefe, welche Freund Lothar mir gütigst mittheilte, für den Umriß des Gebildes, in das ich nun erzählend immer mehr und mehr Farbe hineinzutragen mich bemühen werde. Vielleicht gelingt es mir, manche Gestalt, wie ein guter Portraitmahler, so aufzufassen, daß Du es ähnlich findest, ohne das Original zu kennen, ja daß es Dir ist, als hättest Du die Person recht oft schon mit leibhaftigen Augen gesehen. Vielleicht wirst Du, o mein Leser! dann glauben, daß nichts wunderlicher und toller sei, als das wirkliche Leben und daß dieses der Dichter doch nur, wie in eines matt geschliffnen Spiegels dunklem Widerschein, auffassen könne.

Damit klarer werde, was gleich Anfangs zu wissen nöthig, ist jenen Briefen noch hinzuzufügen, daß bald darauf, als Nathanaels Vater gestorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitläuftigen Verwandten, der ebenfalls gestorben

[35] und sie verwaist nachgelassen, von Nathanaels Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael faßten eine heftige Zuneigung zu einander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte, als Nathanael den Ort verließ um seine Studien in G. – fortzusetzen. Da ist er nun in seinem letzten Briefe und hört Collegia bei dem berühmten Professor Physices, Spalanzani.

Nun könnte ich getrost in der Erzählung fortfahren; aber in dem Augenblick steht Clara's Bild so lebendig mir vor Augen, daß ich nicht wegschauen kann, so wie es immer geschah, wenn sie mich holdlächelnd anblickte. – Für schön konnte Clara keinesweges gelten; das meinten alle, die sich von Amtswegen auf Schönheit verstehen. Doch lobten die Architekten die reinen Verhältnisse ihres Wuchses, die Mahler fanden Nacken, Schultern und Brust beinahe zu keusch geformt, verliebten sich dagegen sämmtlich in das wunderbare Magdalenenhaar und faselten überhaupt viel von [36] Battonischem Colorit. Einer von ihnen, ein wirklicher Fantast, verglich aber höchstseltsamer Weise Clara's Augen mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines Azur, Wald- und Blumenflur, der reichen Landschaft ganzes buntes, heitres Leben spiegelt. Dichter und Meister gingen aber weiter und sprachen: Was See – was Spiegel! – Können wir denn das Mädchen anschauen, ohne daß uns aus ihrem Blick wunderbare himmlische Gesänge und Klänge entgegenstrahlen, die in unser Innerstes dringen, daß da alles wach und rege wird? Singen wir selbst denn nichts wahrhaft gescheutes, so ist überhaupt nicht viel an uns und das lesen wir denn auch deutlich in dem um Clara's Lippen schwebenden feinen Lächeln, wenn wir uns unterfangen, ihr etwas vorzuquinkeliren, das so thun will als sei es Gesang, unerachtet nur einzelne Töne verworren durch einander springen. Es war dem so. Clara hatte die lebenskräftige Fantasie des heitern unbefangenen, kindischen Kindes, ein tiefes weiblich zartes Gemüth, einen gar hellen scharf [37] sichtenden Verstand. Die Nebler und Schwebler hatten bei ihr böses Spiel; denn ohne zu viel zu reden, was überhaupt in Clara's schweigsamer Natur nicht lag, sagte ihnen der helle Blick, und jenes feine ironische Lächeln: Lieben Freunde! wie möget ihr mir denn zumuthen, daß ich Eure verfließende Schattengebilde für wahre Gestalten ansehen soll, mit Leben und Regung? – Clara wurde deshalb von vielen kalt, gefühllos, prosaisch gescholten; aber andere, die das Leben in klarer Tiefe aufgefaßt, liebten ungemein das gemüthvolle, verständige, kindliche Mädchen, doch keiner so sehr, als Nathanael, der sich in Wissenschaft und Kunst kräftig und heiter bewegte. Clara hing an dem Geliebten mit ganzer Seele; die ersten Wolkenschatten zogen durch ihr Leben, als er sich von ihr trennte. Mit welchem Entzücken flog sie in seine Arme, als er nun, wie er im letzten Briefe an Lothar es verheißen, wirklich in seiner Vaterstadt ins Zimmer der Mutter eintrat. Es geschah so wie Nathanael geglaubt; denn in dem Augenblick, als er Clara [38] wieder sah, dachte er weder an den Advokaten Coppelius, noch an Clara's verständigen Brief, jede Verstimmung war verschwunden.

Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb, daß des widerwärtigen Wetterglashändlers Coppola Gestalt recht feindlich in sein Leben getreten sei. Alle fühlten das, da Nathanael gleich in den ersten Tagen in seinem ganzen Wesen durchaus verändert sich zeigte. Er versank in düstre Träumereien, und trieb es bald so seltsam, wie man es niemahls von ihm gewohnt gewesen. Alles, das ganze Leben war ihm Traum und Ahnung geworden; immer sprach er davon, wie jeder Mensch, sich frei wähnend, nur dunklen Mächten zum grausamen Spiel diene, vergeblich lehne man sich dagegen auf, demüthig müsse man sich dem fügen, was das Schicksal verhängt habe. Er ging so weit, zu behaupten, daß es thöricht sei, wenn man glaube, in Kunst und Wissenschaft nach selbstthätiger Willkühr zu schaffen; denn die Begeisterung, in der man nur zu schaffen fähig sei, [39] komme nicht aus dem eignen Innern, sondern sei das Einwirken irgend eines außer uns selbst liegenden höheren Prinzips.

Der verständigen Clara war diese mystische Schwärmerei im höchsten Grade zuwider, doch schien es vergebens, sich auf Widerlegung einzulassen. Nur dann, wenn Nathanael bewies, daß Coppelius das böse Prinzip sei, was ihn in dem Augenblick erfaßt habe, als er hinter dem Vorhange lauschte, und daß dieser widerwärtige Dämon auf entsetzliche Weise ihr Liebesglück stören werde, da wurde Clara sehr ernst und sprach: „Ja Nathanael! Du hast Recht, Coppelius ist ein böses feindliches Prinzip, er kann Entsetzliches wirken, wie eine teuflische Macht, die sichtbarlich in das Leben trat, aber nur dann, wenn Du ihn nicht aus Sinn und Gedanken verbannst. So lange Du an ihn glaubst, ist er auch und wirkt, nur Dein Glaube ist seine Macht.“ – Nathanael, ganz erzürnt, daß Clara die Existenz des Dämons nur in seinem eignen Innern statuire, wollte dann hervorrücken mit der ganzen [40] mystischen Lehre von Teufeln und grausen Mächten, Clara brach aber verdrüßlich ab, indem sie irgend etwas gleichgültiges dazwischen schob, zu Nathanaels nicht geringem Aerger. Der dachte, kalten unempfänglichen Gemüthern erschließen sich solche tiefe Geheimnisse, ohne sich deutlich bewußt zu seyn, daß er Clara eben zu solchen untergeordneten Naturen zähle, weshalb er nicht abließ mit Versuchen, sie in jene Geheimnisse einzuweihen. Am frühen Morgen, wenn Clara das Frühstück bereiten half, stand er bei ihr und las ihr aus allerlei mystischen Büchern vor, daß Clara bat: Aber lieber Nathanael, wenn ich Dich nun das böse Prinzip schelten wollte, das feindlich auf meinen Kaffee wirkt? – Denn, wenn ich, wie Du es willst, alles stehen und liegen lassen und Dir, indem Du liesest, in die Augen schauen soll, so läuft mir der Kaffee ins Feuer und ihr bekommt alle kein Frühstück! – Nathanael klappte das Buch heftig zu und rannte voll Unmuth fort in sein Zimmer. Sonst hatte er eine besondere Stärke in anmuthigen, [41] lebendigen Erzählungen, die er aufschrieb, und die Clara mit dem innigsten Vergnügen anhörte; jetzt waren seine Dichtungen düster, unverständlich, gestaltlos, so daß, wenn Clara schonend es auch nicht sagte, er doch wohl fühlte, wie wenig sie davon angesprochen wurde. Nichts war für Clara tödtender, als das Langweilige; in Blick und Rede sprach sich dann ihre nicht zu besiegende geistige Schläfrigkeit aus. Nathanael's Dichtungen waren in der That sehr langweilig. Sein Verdruß über Clara's kaltes prosaisches Gemüth stieg höher, Clara konnte ihren Unmuth über Nathanael's dunkle, düstere, langweilige Mystik nicht überwinden, und so entfernten beide im Innern sich immer mehr von einander, ohne es selbst zu bemerken. Die Gestalt des häßlichen Coppelius war, wie Nathanael selbst es sich gestehen mußte, in seiner Fantasie erbleicht und es kostete ihm oft Mühe, ihn in seinen Dichtungen, wo er als grauser Schicksalspopanz auftrat, recht lebendig zu coloriren. Es kam ihm endlich ein, jene düstre Ahnung, daß [42] Coppelius sein Liebesglück stören werde, zum Gegenstande eines Gedichts zu machen. Er stellte sich und Clara dar, in treuer Liebe verbunden, aber dann und wann war es, als griffe eine schwarze Faust in ihr Leben und risse irgend eine Freude heraus, die ihnen aufgegangen. Endlich, als sie schon am Traualtar stehen, erscheint der entsetzliche Coppelius und berührt Clara's holde Augen; die springen in Nathanaels Brust wie blutige Funken sengend und brennend, Coppelius faßt ihn und wirft ihn in einen flammenden Feuerkreis, der sich dreht mit der Schnelligkeit des Sturmes und ihn sausend und brausend fortreißt. Es ist ein Tosen, als wenn der Orkan grimmig hineinpeitscht in die schäumenden Meereswellen, die sich wie schwarze, weißhauptige Riesen emporbäumen in wüthendem Kampfe. Aber durch dies wilde Tosen hört er Clara's Stimme: Kannst Du mich denn nicht erschauen? Coppelius hat Dich getäuscht, das waren ja nicht meine Augen, die so in Deiner Brust brannten, das waren ja glühende Tropfen Deines eignen Herzbluts – [43] ich habe ja meine Augen, sieh' mich doch nur an! – Nathanael denkt: das ist Clara, und ich bin ihr Eigen ewiglich. – Da ist es, als faßt der Gedanke gewaltig in den Feuerkreis hinein, daß er stehen bleibt, und im schwarzen Abgrund verrauscht dumpf das Getöse. Nathanael blickt in Clara's Augen; aber es ist der Tod, der mit Clara's Augen ihn freundlich anschaut.

Während Nathanael dies dichtete, war er sehr ruhig und besonnen, er feilte und besserte an jeder Zeile und da er sich dem metrischen Zwange unterworfen, ruhte er nicht, bis alles rein und wohlklingend sich fügte. Als er jedoch nun endlich fertig worden, und das Gedicht für sich laut las, da faßte ihn Grausen und wildes Entsetzen und er schrie auf: Wessen grauenvolle Stimme ist das? – Bald schien ihm jedoch das Ganze wieder nur eine sehr gelungene Dichtung, und es war ihm, als müsse Clara's kaltes Gemüth dadurch entzündet werden, wiewohl er nicht deutlich dachte, wozu denn Clara [44] entzündet, und wozu es denn nun eigentlich führen solle, sie mit den grauenvollen Bildern zu ängstigen, die ein entsetzliches, ihre Liebe zerstörendes Geschick weissagten. – Sie, Nathanael und Clara, saßen in der Mutter kleinem Garten, Clara war sehr heiter, weil Nathanael sie seit drei Tagen, in denen er an jener Dichtung schrieb, nicht mit seinen Träumen und Ahnungen geplagt hatte. Auch Nathanael sprach lebhaft und froh von lustigen Dingen wie sonst, so, daß Clara sagte: Nun erst habe ich Dich ganz wieder, siehst Du es wohl, wie wir den häßlichen Coppelius vertrieben haben? Da fiel dem Nathanael erst ein, daß er ja die Dichtung in der Tasche trage, die er habe vorlesen wollen. Er zog auch sogleich die Blätter hervor und fing an zu lesen: Clara, etwas langweiliges wie gewöhnlich vermuthend und sich darein ergebend, fing an, ruhig zu stricken. Aber so wie immer schwärzer und schwärzer das düstre Gewölk aufstieg, ließ sie den Strickstrumpf sinken und blickte starr dem Nathanael ins Auge. Den riß [45] seine Dichtung unaufhaltsam fort, hochroth färbte seine Wangen die innere Gluth, Thränen quollen ihm aus den Augen – Endlich hatte er geschlossen, er stöhnte in tiefer Ermattung – er faßte Clara's Hand und seufzte wie aufgelöst in trostlosem Jammer: Ach! – Clara – Clara! – Clara drückte ihn sanft an ihren Busen und sagte leise, aber sehr langsam und ernst: Nathanael – mein herzlieber Nathanael! – wirf das tolle – unsinnige – wahnsinnige Mährchen ins Feuer. Da sprang Nathanael entrüstet auf und rief, Clara von sich stoßend: Du lebloses, verdammtes Automat! Er rannte fort, bittre Thränen vergoß die tief verletzte Clara: Ach er hat mich niemahls geliebt, denn er versteht mich nicht, schluchzte sie laut. – Lothar trat in die Laube; Clara mußte ihm erzählen was vorgefallen; er liebte seine Schwester mit ganzer Seele, jedes Wort ihrer Anklage fiel wie ein Funke in sein Inneres, so, daß der Unmuth, den er wider den träumerischen Nathanael lange im Herzen getragen, sich entzündete zum [46] wilden Zorn. Er lief zu Nathanael, er warf ihm das unsinnige Betragen gegen die geliebte Schwester in harten Worten vor, die der aufbrausende Nathanael eben so erwiederte. Ein fantastischer, wahnsinniger Geck wurde mit einem miserablen, gemeinen Alltagsmenschen erwiedert. Der Zweikampf war unvermeidlich. Sie beschlossen, sich am folgenden Morgen hinter dem Garten nach dortiger akademischer Sitte mit scharf geschliffenen Stoßrappieren zu schlagen. Stumm und finster schlichen sie umher, Clara hatte den heftigen Streit gehört und gesehen, daß der Fechtmeister in der Dämmerung die Rappiere brachte. Sie ahnte was geschehen sollte. Auf dem Kampfplatz angekommen hatten Lothar und Nathanael so eben düsterschweigend die Röcke abgeworfen, blutdürstige Kampflust im brennenden Auge wollten sie gegen einander ausfallen, als Clara durch die Gartenthür herbeistürzte. Schluchzend rief sie laut: Ihr wilden entsetzlichen Menschen! – stoßt mich nur gleich nieder, ehe ihr Euch anfallt; denn wie soll ich denn länger [47] leben auf der Welt, wenn der Geliebte den Bruder, oder wenn der Bruder den Geliebten ermordet hat! – Lothar ließ die Waffe sinken und sah schweigend zur Erde nieder, aber in Nathanael's Innerm ging in herzzerreissender Wehmuth alle Liebe wieder auf, wie er sie jemahls in der herrlichen Jugendzeit schönsten Tagen für die holde Clara empfunden. Das Mordgewehr entfiel seiner Hand, er stürzte zu Clara's Füßen. Kannst Du mir denn jemahls verzeihen, Du meine einzige, meine herzgeliebte Clara! – Kannst Du mir verzeihen, mein herzlieber Bruder Lothar! – Lothar wurde gerührt von des Freundes tiefem Schmerz; unter tausend Thränen umarmten sich die drei versöhnten Menschen und schwuren, nicht von einander zu lassen in steter Liebe und Treue.

Dem Nathanael war es zu Muthe, als sei eine schwere Last, die ihn zu Boden gedrückt, von ihm abgewälzt, ja als habe er, Widerstand leistend der finstern Macht, die ihn befangen, sein ganzes Seyn, dem Vernichtung drohte, gerettet. [48] Noch drei selige Tage verlebte er bei den Lieben, dann kehrte er zurück nach G., wo er noch ein Jahr zu bleiben, dann aber auf immer nach seiner Vaterstadt zurückzukehren gedachte.

Der Mutter war alles, was sich auf Coppelius bezog, verschwiegen worden; denn man wußte, daß sie nicht ohne Entsetzen an ihn denken konnte, weil sie, wie Nathanael, ihm den Tod ihres Mannes Schuld gab.

Wie erstaunte Nathanael, als er in seine Wohnung wollte und sah, daß das ganze Haus niedergebrannt war, so daß aus dem Schutthaufen nur die nackten Feuermauern hervorragten. Unerachtet das Feuer in dem Laboratorium des Apothekers, der im untern Stocke wohnte, ausgebrochen war, das Haus daher von unten herauf gebrannt hatte, so war es doch den kühnen, rüstigen Freunden gelungen, noch zu rechter Zeit in Nathanael's im obern Stock gelegenes Zimmer zu dringen, und Bücher, Manuscripte, [49] Instrumente zu retten. Alles hatten sie unversehrt in ein anderes Haus getragen, und dort ein Zimmer in Beschlag genommen, welches Nathanael nun sogleich bezog. Nicht sonderlich achtete er darauf, daß er dem Professor Spalanzani gegenüber wohnte, und eben so wenig schien es ihm etwas besonderes, als er bemerkte, daß er aus seinem Fenster gerade hinein in das Zimmer blickte, wo oft Olimpia einsam saß, so, daß er ihre Figur deutlich erkennen konnte, wiewohl die Züge des Gesichts undeutlich und verworren blieben. Wohl fiel es ihm endlich auf, daß Olimpia oft Stundenlang in derselben Stellung, wie er sie einst durch die Glasthüre entdeckte, ohne irgend eine Beschäftigung an einem kleinen Tische saß und daß sie offenbar unverwandten Blickes nach ihm herüberschaute; er mußte sich auch selbst gestehen, daß er nie einen schöneren Wuchs gesehen; indessen, Clara im Herzen, blieb ihm die steife, starre Olimpia höchst gleichgültig und nur zuweilen sah' er flüchtig über sein Compendium herüber nach der schönen [50] Bildsäule, das war Alles. – Eben schrieb er an Clara, als es leise an die Thüre klopfte; sie öffnete sich auf seinen Zuruf und Coppola's widerwärtiges Gesicht sah hinein. Nathanael fühlte sich im Innersten erbeben; eingedenk dessen, was ihm Spalanzani über den Landsmann Coppola gesagt und was er auch Rücksichts des Sandmanns Coppelius der Geliebten so heilig versprochen, schämte er sich aber selbst seiner kindischen Gespensterfurcht, nahm sich mit aller Gewalt zusammen und sprach so sanft und gelassen, als möglich: „Ich kaufe kein Wetterglas, mein lieber Freund! gehen Sie nur!“ Da trat aber Coppola vollends in die Stube und sprach mit heiserem Ton, indem sich das weite Maul zum häßlichen Lachen verzog und die kleinen Augen unter den grauen langen Wimpern stechend hervorfunkelten: „Ei, nix Wetterglas, nix Wetterglas! – hab' auch sköne Oke – sköne Oke!“ – Entsetzt rief Nathanael: „Toller Mensch, wie kannst Du Augen haben? – Augen – Augen? –“ Aber in dem Augenblick hatte Coppola seine [51] Wettergläser bei Seite gesetzt, griff in die weiten Rocktaschen und holte Lorgnetten und Brillen heraus, die er auf den Tisch legte. – „Nu – Nu – Brill' – Brill auf der Nas' su setze, das seyn meine Oke – sköne Oke!“ – Und damit holte er immer mehr und mehr Brillen heraus, so, daß es auf dem ganzen Tisch seltsam zu flimmern und zu funkeln begann. Tausend Augen blickten und zuckten krampfhaft und starrten auf zum Nathanael; aber er konnte nicht wegschauen von dem Tisch, und immer mehr Brillen legte Coppola hin, und immer wilder und wilder sprangen flammende Blicke durch einander und schossen ihre blutrothe Strahlen in Nathanael's Brust. Uebermannt von tollem Entsetzen schrie er auf: halt ein! halt ein, fürchterlicher Mensch! – Er hatte Coppola, der eben in die Tasche griff, um noch mehr Brillen herauszubringen, unerachtet schon der ganze Tisch überdeckt war, beim Arm festgepackt. Coppola machte sich mit heiserem widrigen Lachen sanft los und mit den Worten: „Ah! – nie für Sie – [52] aber hier sköne Glas“ – hatte er alle Brillen zusammengerafft, eingesteckt und aus der Seitentasche des Rocks eine Menge großer und kleiner Perspektive hervorgeholt. So wie die Brillen nur fort waren, wurde Nathanael ganz ruhig und an Clara denkend sah' er wohl ein, daß der entsetzliche Spuk nur aus seinem Innern hervorgegangen, so wie daß Coppola ein höchst ehrlicher Mechanicus und Opticus, keinesweges aber Coppelii verfluchter Doppeltgänger und Revenant seyn könne. Zudem hatten alle Gläser, die Coppola nun auf den Tisch gelegt, gar nichts besonderes, am wenigsten so etwas gespenstisches wie die Brillen und, um alles wieder gut zu machen, beschloß Nathanael dem Coppola jetzt wirklich etwas abzukaufen. Er ergriff ein kleines sehr sauber gearbeitetes Taschenperspektiv und sah, um es zu prüfen, durch das Fenster. Noch im Leben war ihm kein Glas vorgekommen, das die Gegenstände so rein, scharf und deutlich dicht vor die Augen rückte. Unwillkührlich sah' er hinein in Spalanzani's Zimmer; Olimpia [53] saß, wie gewöhnlich, vor dem kleinen Tisch, die Aerme darauf gelegt, die Hände gefaltet. – Nun erschaute Nathanael erst Olimpia's wunderschön geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und todt. Doch wie er immer schärfer und schärfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpia's Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entzündet würde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer fort und fort die himmlisch- schöne Olimpia betrachtend. Ein Räuspern und Scharren weckte ihn, wie aus tiefem Traum. Coppola stand hinter ihm: Tre Zechini – drei Dukat – Nathanael hatte den Opticus rein vergessen, rasch zahlte er das verlangte: „Nick so? – sköne Glas – sköne Glas!“ frug Coppola mit seiner widerwärtigen heisern Stimme und dem hämischen Lächeln. „Ja ja, ja!“ erwiederte Nathanael verdrießlich. „Adieu, lieber Freund!“ – Coppola verließ nicht ohne viele [54] seltsame Seitenblicke auf Nathanael, das Zimmer. Er hörte ihn auf der Treppe laut lachen. „Nun ja, meinte Nathanael, er lacht mich aus, weil ich ihm das kleine Perspektiv gewiß viel zu theuer bezahlt habe – zu theuer bezahlt!“ – Indem er diese Worte leise sprach, war es, als halle ein tiefer Todesseufzer grauenvoll durch das Zimmer, Nathanael's Athem stockte vor innerer Angst. – Er hatte ja aber selbst so aufgeseufzt, das merkte er wohl. Clara, sprach er zu sich selber, hat wohl Recht, daß sie mich für einen abgeschmackten Geisterseher hält; aber närrisch ist es doch – ach wohl mehr, als närrisch, daß mich der dumme Gedanke, ich hätte das Glas dem Coppola zu theuer bezahlt, noch jetzt so sonderbar ängstigt; den Grund davon sehe ich gar nicht ein. – Jetzt setzte er sich hin, um den Brief an Clara zu enden, aber ein Blick durchs Fenster überzeugte ihn, daß Olimpia noch da säße und im Augenblick, wie von unwiderstehlicher Gewalt getrieben, sprang er auf, ergriff Coppola's Perspektiv und konnte nicht [55] los von Olimpia's verführerischem Anblick, bis ihn Freund und Bruder Siegmund abrief in's Collegium bei dem Professor Spalanzani. Die Gardine vor dem verhängnißvollen Zimmer war dicht zugezogen, er konnte Olimpia eben so wenig hier, als die beiden folgenden Tage hindurch in ihrem Zimmer, entdecken, unerachtet er kaum das Fenster verließ und fortwährend durch Coppola's Perspektiv hinüberschaute. Am dritten Tage wurden sogar die Fenster verhängt. Ganz verzweifelt und getrieben von Sehnsucht und glühendem Verlangen lief er hinaus vor's Thor. Olimpia's Gestalt schwebte vor ihm her in den Lüften und trat aus dem Gebüsch, und guckte ihn an mit großen strahlenden Augen, aus dem hellen Bach. Clara's Bild war ganz aus seinem Innern gewichen, er dachte nichts, als Olimpia und klagte ganz laut und weinerlich: Ach Du mein hoher herrlicher Liebesstern, bist Du mir denn nur aufgegangen, um gleich wieder zu verschwinden, und mich zu lassen in finstrer hoffnungsloser Nacht? [56] Als er zurückkehren wollte in seine Wohnung, wurde er in Spalanzani's Hause ein geräuschvolles Treiben gewahr. Die Thüren standen offen, man trug allerlei Geräthe hinein, die Fenster des ersten Stocks waren ausgehoben, geschäftige Mägde kehrten und stäubten mit großen Haarbesen hin und herfahrend, inwendig klopften und hämmerten Tischler und Tapezierer. Nathanael blieb in vollem Erstaunen auf der Straße stehen; da trat Siegmund lachend zu ihm und sprach: „Nun, was sagst Du zu unserem alten Spalanzani?“ Nathanael versicherte, daß er gar nichts sagen könne, da er durchaus nichts vom Professor wisse, vielmehr mit großer Verwunderung wahrnehme, wie in dem stillen düstern Hause ein tolles Treiben und Wirthschaften losgegangen; da erfuhr er denn von Siegmund, daß Spalanzani morgen ein großes Fest geben wolle, Conzert und Ball, und daß die halbe Universität eingeladen sei. Allgemein verbreite man, daß Spalanzani seine Tochter Olimpia, die er so lange jedem menschlichen [57] Auge recht ängstlich entzogen, zum erstenmahl erscheinen lassen werde.

Nathanael fand eine Einladungskarte und ging mit hochklopfendem Herzen zur bestimmten Stunde, als schon die Wagen rollten und die Lichter in den geschmückten Sälen schimmerten, zum Professor. Die Gesellschaft war zahlreich und glänzend. Olimpia erschien sehr reich und geschmackvoll gekleidet. Man mußte ihr schöngeformtes Gesicht, ihren Wuchs bewundern. Der etwas seltsam eingebogene Rücken, die wespenartige Dünne des Leibes schien von zu starkem Einschnüren bewirkt zu seyn. In Schritt und Stellung hatte sie etwas abgemessenes und steifes, das manchem unangenehm auffiel; man schrieb es dem Zwange zu, den ihr die Gesellschaft auflegte. Das Conzert begann. Olimpia spielte den Flügel mit großer Fertigkeit und trug eben so eine Bravour-Arie mit heller, beinahe schneidender Glasglockenstimme vor. Nathanael war ganz entzückt; er stand in der hintersten Reihe und [58] konnte im blendenden Kerzenlicht Olimpia's Züge nicht ganz erkennen. Ganz unvermerkt nahm er deshalb Coppola's Glas hervor und schaute hin nach der schönen Olimpia. Ach! – da wurde er gewahr, wie sie voll Sehnsucht nach ihm herübersah', wie jeder Ton erst deutlich aufging in dem Liebesblick, der zündend sein Inneres durchdrang. Die künstlichen Rouladen schienen dem Nathanael das Himmelsjauchzen des in Liebe verklärten Gemüths, und als nun endlich nach der Cadenz der lange Trillo recht schmetternd durch den Saal gellte, konnte er wie von glühenden Aermen plötzlich erfaßt sich nicht mehr halten, er mußte vor Schmerz und Entzücken laut aufschreien: Olimpia! – Alle sahen sich um nach ihm, manche lachten. Der Domorganist schnitt aber noch ein finstreres Gesicht, als vorher und sagte blos: Nun nun! – Das Conzert war zu Ende, der Ball fing an. „Mit ihr zu tanzen! – mit ihr! das war nun dem Nathanael das Ziel aller Wünsche, alles Strebens; [59] aber wie sich erheben zu dem Muth, Sie, die Königin des Festes, aufzufordern? Doch! – er selbst wußte nicht wie es geschah, daß er, als schon der Tanz angefangen, dicht neben Olimpia stand, die noch nicht aufgefordert worden, und daß er, kaum vermögend einige Worte zu stammeln, ihre Hand ergriff. Eiskalt war Olimpia's Hand, er fühlte sich durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia ins Auge, das strahlte ihm voll Liebe und Sehnsucht entgegen und in dem Augenblick war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse zu schlagen und des Lebensblutes Ströme zu glühen. Und auch in Nathanael's Innerm glühte höher auf die Liebeslust, er umschlang die schöne Olimpia und durchflog mit ihr die Reihen. – Er glaubte sonst recht taktmäßig getanzt zu haben, aber an der ganz eignen rythmischen Festigkeit, womit Olimpia tanzte und die ihn oft ordentlich aus der Haltung brachte, merkte er bald, wie sehr ihm der Takt gemangelt. Er wollte jedoch mit keinem [60] andern Frauenzimmer mehr tanzen und hätte jeden, der sich Olimpia näherte, um sie aufzufordern, nur gleich ermorden mögen. Doch nur zweimahl geschah dies, zu seinem Erstaunen blieb darauf Olimpia bei jedem Tanze sitzen und er ermangelte nicht, immer wieder sie aufzuziehen. Hätte Nathanael außer der schönen Olimpia noch etwas anders zu sehen vermocht, so wäre allerlei fataler Zank und Streit unvermeidlich gewesen; denn offenbar ging das halbleise, mühsam unterdrückte Gelächter, was sich in diesem und jenem Winkel unter den jungen Leuten erhob, auf die schöne Olimpia, die sie mit ganz kuriosen Blicken verfolgten, man konnte gar nicht wissen, warum? Durch den Tanz und durch den reichlich genossenen Wein erhitzt, hatte Nathanael alle ihm sonst eigne Scheu abgelegt. Er saß neben Olimpia, ihre Hand in der seinigen und sprach hoch entflammt und begeistert von seiner Liebe in Worten, die keiner verstand, weder er, noch Olimpia. Doch diese vielleicht; denn sie [61] sah ihm unverrückt ins Auge und seufzte einmahl über's andere: Ach – Ach – Ach! – worauf denn Nathanal also sprach: „O Du herrliche, himmlische Frau! – Du Strahl aus dem verheißenen Jenseits der Liebe – Du tiefes Gemüth, in dem sich mein ganzes Seyn spiegelt“ und noch mehr dergleichen, aber Olimpia seufzte blos immer wieder: Ach, Ach! – Der Professor Spalanzani ging einigemahl bei den Glücklichen vorüber und lächelte sie ganz seltsam zufrieden an. Dem Nathanael schien es, unerachtet er sich in einer ganz andern Welt befand, mit einemmahl, als würd' es hienieden beim Professor Spalanzani merklich finster; er schaute um sich und wurde zu seinem nicht geringen Schreck gewahr, daß eben die zwei letzten Lichter in dem leeren Saal hernieder brennen und ausgehen wollten. Längst hatten Musik und Tanz aufgehört. „Trennung, Trennung“, schrie er ganz wild und verzweifelt, er küßte Olimpia's Hand, er neigte sich zu ihrem Munde, eiskalte Lippen begegneten [62] seinen glühenden! – So wie, als er Olimpia's kalte Hand berührte, fühlte er sich von innerem Grausen erfaßt, die Legende von der todten Braut ging ihm plötzlich durch den Sinn; aber fest hatte ihn Olimpia an sich gedrückt, und in dem Kuß schienen die Lippen zum Leben zu erwarmen. – Der Professor Spalanzani schritt langsam durch den leeren Saal, seine Schritte klangen hohl wieder und seine Figur, von flackernden Schlagschatten umspielt, hatte ein grauliches gespenstisches Ansehen. „Liebst Du mich – Liebst Du mich Olimpia? – Nur dies Wort! – Liebst Du mich?“ So flüsterte Nathanael, aber Olimpia seufzte, indem sie aufstand, nur: „Ach – Ach!“ „Ja Du mein holder, herrlicher Liebesstern, sprach Nathanael, bist mir aufgegangen und wirst leuchten, wirst verklären mein Inneres immerdar!“ „Ach, ach!“ replizirte Olimpia fortschreitend. Nathanael folgte ihr, sie standen vor dem Professor. „Sie haben sich außerordentlich lebhaft mit meiner Tochter [63] unterhalten“, sprach dieser lächelnd: „Nun, nun, lieber Herr Nathanael, finden Sie Geschmack daran, mit dem blöden Mädchen zu conversiren, so sollen mir Ihre Besuche willkommen seyn.“ – Einen ganzen hellen strahlenden Himmel in der Brust schied Nathanael von dannen: Spalanzani's Fest war der Gegenstand des Gesprächs in den folgenden Tagen. Unerachtet der Professor alles gethan hatte, recht splendid zu erscheinen, so wußten doch die lustigen Köpfe von allerlei Unschicklichem und Sonderbarem zu erzählen, das sich begeben, und vorzüglich fiel man über die todtstarre, stumme Olimpia her, der man, ihres schönen Aeußern unerachtet, totalen Stumpfsinn andichten und darin die Ursache finden wollte, warum Spalanzani sie so lange verborgen gehalten. Nathanael vernahm das nicht ohne innern Grimm, indessen schwieg er; denn, dachte er, würde es wohl verlohnen, diesen Burschen zu beweisen, daß eben ihr eigner Stumpfsinn es ist, der sie Olimpia's [64] tiefes herrliches Gemüth zu erkennen hindert? „Thu' mir den Gefallen Bruder, sprach eines Tages Siegmund, thu' mir den Gefallen und sage, wie es Dir gescheuten Kerl möglich war, Dich in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da drüben zu vergaffen?“ Nathanael wollte zornig auffahren, doch schnell besann er sich und erwiederte: „Sage Du mir Siegmund, wie Deinem, sonst alles Schöne klar auffassenden Blick, Deinem regen Sinn, Olimpia's himmlischer Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe ich, Dank sei es dem Geschick, Dich nicht zum Nebenbuhler; denn sonst müßte einer von uns blutend fallen.“ Siegmund merkte wohl, wie es mit dem Freunde stand, lenkte geschickt ein und fügte, nachdem er geäußert, daß in der Liebe niemahls über den Gegenstand zu rechten sei, hinzu: „Wunderlich ist es doch, daß viele von uns über Olimpia ziemlich gleich urtheilen. Sie ist uns – nimm es nicht übel. Bruder! – auf seltsame Weise starr und seelenlos erschienen. Ihr Wuchs [65] ist regelmäßig, so wie ihr Gesicht, das ist wahr! – Sie könnte für schön gelten, wenn ihr Blick nicht so ganz ohne Lebensstrahl, ich möchte sagen, ohne Sehkraft wäre. Ihr Schritt ist sonderbar abgemessen, jede Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen Räderwerks bedingt. Ihr Spiel, ihr Singen hat den unangenehm richtigen geistlosen Takt der singenden Maschine und eben so ist ihr Tanz. Uns ist diese Olimpia ganz unheimlich geworden, wir mochten nichts mit ihr zu schaffen haben, es war uns als thue sie nur so wie ein lebendiges Wesen und doch habe es mit ihr eine eigne Bewandniß“ – Nathanael gab sich dem bittern Gefühl, das ihn bei diesen Worten Siegmund's ergreifen wollte, durchaus nicht hin, er wurde Herr seines Unmuths und sagte blos sehr ernst: „Wohl mag Euch, ihr kalten prosaischen Menschen, Olimpia unheimlich seyn. Nur dem poetischen Gemüth entfaltet sich das gleich organisirte! – Nur mir ging ihr Liebesblick auf und durchstrahlte Sinn und Gedanken, [66] nur in Olimpia's Liebe finde ich mein Selbst wieder. Auch mag es nicht recht seyn, daß sie nicht in platter Conversation faselt, wie die andern flachen Gemüther. Sie spricht wenig Worte, das ist wahr; aber diese wenigen Worte erscheinen als ächte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und hoher Erkenntniß des geistigen Lebens in der Anschauung des ewigen Jenseits. Doch für Alles das habt ihr keinen Sinn und alles sind verlorne Worte.“ „Behüte Dich Gott, Herr Bruder,“ sagte Siegmund sehr sanft, beinahe wehmüthig, „aber mir scheint es, Du seist auf bösem Wege. Auf mich kannst Du rechnen, wenn alles – Nein, ich mag nichts weiter sagen! –“ Dem Nathanael war es plötzlich, als meine der kalte prosaische Siegmund es sehr treu mit ihm, er schüttelte daher die ihm dargebotene Hand recht herzlich. –

Nathanael hatte rein vergessen, daß es eine Clara in der Welt gebe, die er sonst geliebt; – die Mutter – Lothar – Alle waren aus seinem [67] Gedächtniß entschwunden, er lebte nur für Olimpia, bei der er täglich Stundenlang saß und von seiner Liebe, von zum Leben erglühter Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft fantasirte, welches alles Olimpia mit großer Andacht anhörte. Aus dem tiefsten Grunde des Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben. Gedichte, Fantasien, Visionen, Romane, Erzählungen, das wurde täglich vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonnetten, Stanzen, Canzonen, und das alles las er der Olimpia Stundenlang hinter einander vor, ohne zu ermüden. Aber auch noch nie hatte er eine solche herrliche Zuhörerin gehabt. Sie stickte und strickte nicht, sie sah' nicht durch's Fenster, sie fütterte keinen Vogel, sie spielte mit keinem Schooshündchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte kein Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein Gähnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen – Kurz! – Stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt [68] dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu rükken und zu bewegen und immer glühender, immer lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanael endlich aufstand und ihr die Hand, auch wohl den Mund küßte, sagte sie: „Ach, Ach!“ – dann aber: „Gute Nacht, mein Lieber!“ – „O du herrliches, du tiefes Gemüth, rief Nathanael auf seiner Stube: nur von Dir, von Dir allein werd' ich ganz verstanden.“ Er erbebte vor innerm Entzücken, wenn er bedachte, welch' wunderbarer Zusammenklang sich in seinem und Olimpia's Gemüth täglich mehr offenbare; denn es schien ihm, als habe Olimpia über seine Werke, über seine Dichtergabe überhaupt recht tief aus seinem Innern gesprochen, ja als habe die Stimme aus seinem Innern selbst herausgetönt. Das mußte denn wohl auch seyn; denn mehr Worte als vorhin erwähnt, sprach Olimpia niemals. Erinnerte sich aber auch Nathanael in hellen nüchternen Augenblicken, z. B. Morgens gleich nach dem Erwachen, wirklich an Olimpia's [69] gänzliche Passivität und Wortkargheit, so sprach er doch: „Was sind Worte – Worte! – Der Blick ihres himmlischen Auges sagt mehr als jede Sprache hienieden. Vermag denn überhaupt ein Kind des Himmels sich einzuschichten in den engen Kreis, den ein klägliches irdisches Bedürfniß gezogen?“ – Professor Spalanzani schien hoch erfreut über das Verhältniß seiner Tochter mit Nathanael; er gab diesem allerlei unzweideutige Zeichen seines Wohlwollens und als es Nathanael endlich wagte von ferne auf eine Verbindung mit Olimpia anzuspielen, lächelte dieser mit dem ganzen Gesicht und meinte: Er werde seiner Tochter völlig freie Wahl lassen. – Ermuthigt durch diese Worte, brennendes Verlangen im Herzen, beschloß Nathanael, gleich am folgenden Tage Olimpia anzuflehen, daß sie das unumwunden in deutlichen Worten ausspreche, was längst ihr holder Liebesblick ihm gesagt, daß sie sein Eigen immerdar seyn wolle. Er suchte nach dem Ringe, den ihm beim Abschiede die [70] Mutter geschenkt, um ihn Olimpia als Symbol seiner Hingebung, seines mit ihr aufkeimenden, blühenden Lebens darzureichen. Clara's, Lothar's Briefe fielen ihm dabei in die Hände; gleichgültig warf er sie bei Seite, fand den Ring, steckte ihn ein und rannte herüber zu Olimpia. Schon auf der Treppe, auf dem Flur, vernahm er ein wunderliches Getöse; es schien aus Spalanzani's Studirzimmer heraus zu schallen. – Ein Stampfen ein Klirren – ein Stoßen – Schlagen gegen die Thür, dazwischen Flüche und Verwünschungen. „Laß los – laß los – Infamer – Verruchter! – Darum Leib und Leben daran gesetzt? – ha ha ha ha! – so haben wir nicht gewettet – ich, ich hab' die Augen gemacht – ich das Räderwerk – dummer Teufel mit deinem Räderwerk – verfluchter Hund von einfältigem Uhrmacher – fort mit dir – Satan – halt – Peipendreher – teuflischer Bestie! – halt – fort – laß los! – Es waren Spalanzani's und des gräßlichen Coppelius Stimmen, [71] die so durch einander schwirrten und tobten. Hinein stürzte Nathanael von namenloser Angst ergriffen. Der Professor hatte eine weibliche Figur bei den Schultern gepackt, der Italiäner Coppola bei den Füßen, die zerrten und zogen sie hin und her, streitend in voller Wuth um den Besitz. Voll tiefen Entsetzens prallte Nathanael zurück, als er die Figur für Olimpia erkannte; aufflammend in wildem Zorn wollte er den Wüthenden die Geliebte entreissen, aber in dem Augenblick wand Coppola sich mit Riesenkraft drehend die Figur dem Professor aus den Händen und versetzte ihm mit der Figur selbst einen fürchterlichen Schlag, daß er rücklings über den Tisch, auf dem Phiolen, Retorten, Flaschen, gläserne Cylinder standen, taumelte und hinstürzte; alles Geräth klirrte in tausend Scherben zusammen. Nun warf Coppola die Figur über die Schulter und rannte mit fürchterlich gellendem Gelächter rasch fort die Treppe herab, so daß die häßlich herunterhängenden Füße der Figur auf den [72] Stufen hölzern klapperten und dröhnten. – Erstarrt stand Nathanael – nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpia's todterbleichtes Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze Höhlen; sie war eine leblose Puppe. Spalanzani wälzte sich auf der Erde, Glasscherben hatten ihm Kopf, Brust und Arm zerschnitten, wie aus Springquellen strömte das Blut empor. Aber er raffte seine Kräfte zusammen. – „Ihm nach – ihm nach, was zauderst Du? – Coppelius – Coppelius, mein bestes Automat hat er mir geraubt – Zwanzig Jahre gearbeitet – Leib und Leben daran gesetzt – das Räderwerk – Sprache – Gang – mein – die Augen – die Augen Dir gestohlen. – Verdammter – Verfluchter – ihm nach – hohl mir Olimpia – da hast Du die Augen! –“ Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten Hand und warf sie nach ihm, daß sie seine Brust trafen. – Da [73] packte ihn der Wahnsinn mit glühenden Krallen und fuhr in sein Inneres hinein Sinn und Gedanken zerreissend. „Hui – hui – hui! – Feuerkreis – Feuerkreis! dreh Dich Feuerkreis – lustig – lustig! – Holzpüppchen hui schön' Holzpüppchen dreh Dich –“ damit warf er sich auf den Professor und drückte ihm die Kehle zu. Er hätte ihn erwürgt, aber das Getöse hatte viele Menschen herbeigelockt, die drangen ein, rissen den wüthenden Nathanael auf und retteten so den Professor, der gleich verbunden wurde. Siegmund, so stark er war, vermochte nicht den Rasenden zu bändigen; der schrie mit fürchterlicher Stimme immer fort: „Holzpüppchen dreh' Dich“ und schlug um sich mit geballten Fäusten. Endlich gelang es der vereinten Kraft mehrerer, ihn zu überwältigen, indem sie ihn zu Boden warfen und banden. Seine Worte gingen unter in entsetzlichem thierischen Gebrüll. So in gräßlicher Raserei tobend wurde er nach dem Tollhause gebracht. – [74]

Ehe ich, günstiger Leser! Dir zu erzählen fortfahre, was sich weiter mit dem unglücklichen Nathanael zugetragen, kann ich Dir, solltest Du einigen Antheil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten Spalanzani nehmen, versichern, daß er von seinen Wunden völlig geheilt wurde. Er mußte indeß die Universität verlassen, weil Nathanael's Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein für gänzlich unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernünftigen Theezirkeln (Olimpia hatte sie mit Glück besucht) statt der lebendigen Person eine Holzpuppe einzuschwärzen. Juristen nannten es sogar einen feinen und um so härter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum gerichtet und so schlau angelegt worden, daß kein Mensch (ganz kluge Studenten ausgenommen) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise thun und sich auf allerlei Thatsachen berufen wollten, die ihnen verdächtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich nichts gescheutes zu Tage. Denn konnte z. B. wohl irgend [75] jemanden verdächtig vorgekommen seyn, daß nach der Aussage eines eleganten Theeisten Olimpia gegen alle Sitte öfter genießet, als gegähnt hatte? Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt u. s. w. Der Professor der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu, räusperte sich und sprach feierlich: „Hochzuverehrende Herren und Damen! merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze ist eine Allegorie – eine fortgeführte Metapher! – Sie verstehen mich! – Sapienti sat!“ Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten sich nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele Wurzel gefaßt und es schlich sich in der That abscheuliches Mißtrauen gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz überzeugt zu werden, daß man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, daß die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen sticke, [76] stricke, mit dem Möpschen spiele u. s. w. vor allen Dingen aber, daß sie nicht bloß höre, sondern auch manchmahl in der Art spreche, daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das Liebesbündniß vieler wurde fester und dabei anmuthiger, andere dagegen gingen leise aus einander. „Man kann wahrhaftig nicht dafür stehen,“ sagte dieser und jener. In den Thees wurde unglaublich gegähnt und niemahls genießet, um jedem Verdacht zu begegnen. – Spalanzani mußte, wie gesagt, fort, um der Criminaluntersuchung wegen der menschlichen Gesellschaft betrüglicher Weise eingeschobenen Automats zu entgehen. Coppola war auch verschwunden. –

Nathanael erwachte wie aus schwerem, fürchterlichem Traum, er schlug die Augen auf und fühlte wie ein unbeschreibliches Wonnegefühl mit sanfter himmlischer Wärme ihn durchströmte. Er lag in seinem Zimmer in des Vaters Hause auf dem Bette, Clara hatte sich über ihn hingebeugt [77] und unfern standen die Mutter und Lothar. „Endlich, endlich, o mein herzlieber Nathanael – nun bist Du genesen von schwerer Krankheit – nun bist Du wieder mein!“ – So sprach Clara recht aus tiefer Seele und faßte den Nathanael in ihre Arme. Aber dem quollen vor lauter Wehmuth und Entzücken die hellen glühenden Thränen aus den Augen und er stöhnte tief auf: „Meine – meine Clara!“ – Siegmund, der getreulich ausgeharrt bei dem Freunde in großer Noth, trat herein. Nathanael reichte ihm die Hand: „Du treuer Bruder hast mich doch nicht verlassen.“ – Jede Spur des Wahnsinns war verschwunden, bald erkräftigte sich Nathanael in der sorglichen Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Glück war unterdessen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim, von dem niemand etwas gehofft, war gestorben und hatte der Mutter nebst einem nicht unbedeutenden Vermögen ein Gütchen in einer angenehmen Gegend unfern der [78] Stadt hinterlassen. Dort wollten sie hinziehen, die Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu heirathen gedachte, und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher geworden, als er je gewesen und erkannte nun erst recht Clara's himmlisch reines, herrliches Gemüth. Niemand erinnerte ihn auch nur durch den leisesten Anklang an die Vergangenheit. Nur, als Siegmund von ihm schied, sprach Nathanael: „bei Gott Bruder! ich war auf schlimmen Wege, aber zu rechter Zeit leitete mich ein Engel auf den lichten Pfad! – Ach es war ja Clara! –“ Siegmund ließ ihn nicht weiter reden, aus Besorgniß, tief verletzende Erinnerungen möchten ihm zu hell und flammend aufgehen. – Es war an der Zeit, daß die vier glücklichen Menschen nach dem Gütchen ziehen wollten. Zur Mittagsstunde gingen sie durch die Straßen der Stadt. Sie hatten manches eingekauft, der hohe Rathsthurm warf seinen Riesenschatten über den Markt. „Ei! sagte Clara: steigen wir doch noch einmal herauf [79] und schauen in das ferne Gebirge hinein!“ Gesagt, gethan! Beide, Nathanael und Clara, stiegen herauf, die Mutter ging mit der Dienstmagd nach Hause, und Lothar, nicht geneigt, die vielen Stufen zu erklettern, wollte unten warten. Da standen die beiden Liebenden Arm in Arm auf der höchsten Gallerie des Thurmes und schauten hinein in die duftigen Waldungen, hinter denen das blaue Gebirge, wie eine Riesenstadt, sich erhob.

„Sieh' doch den sonderbaren kleinen grauen Busch, der ordentlich auf uns los zu schreiten scheint“, frug Clara. – Nathanael faßte mechanisch nach der Seitentasche; er fand Coppola's Perspektiv, er schaute seitwärts – Clara stand vor dem Glase! – Da zuckte es krampfhaft in seinen Pulsen und Adern – todtenbleich starrte er Clara an, aber bald glühten und sprühten Feuerströme durch die rollenden Augen, gräßlich brüllte er auf, wie ein gehetztes Thier; dann sprang er hoch in die Lüfte und grausig dazwischen [80] lachend schrie er in schneidendem Ton: „Holzpüppchen dreh' Dich – Holzpüppchen dreh' Dich“ und mit gewaltiger Kraft faßte er Clara und wollte sie herabschleudern, aber Clara krallte sich in verzweifelnder Todesangst fest an das Geländer. Lothar hörte den Rasenden toben, er hörte Clara's Angstgeschrei, gräßliche Ahnung durchflog ihn, er rannte herauf, die Thür der zweiten Treppe war verschlossen – stärker hallte Clara's Jammergeschrei. Unsinnig vor Wuth und Angst stieß er gegen die Thür, die endlich aufsprang – Matter und matter wurden nun Clara's Laute: „Hülfe – rettet – rettet –“ so erstarb die Stimme in den Lüften. Sie ist hin – ermordet von dem Rasenden, so schrie Lothar. Auch die Thür zur Gallerie war zugeschlagen. – Die Verzweiflung gab ihm Riesenkraft, er sprengte die Thür aus den Angeln. Gott im Himmel – Clara schwebte von dem rasenden Nathanael erfaßt über der Gallerie in den Lüften – nur mit einer Hand hatte sie [81] noch die Eisenstäbe umklammert. Rasch wie der Blitz erfaßte Lothar die Schwester, zog sie hinein, und schlug in demselben Augenblick mit geballter Faust dem Wüthenden in's Gesicht, daß er zurückprallte und die Todesbeute fahren ließ.

Lothar rannte herab, die ohnmächtige Schwester in den Armen. – Sie war gerettet. – Nun raste Nathanael herum auf der Gallerie und sprang hoch in die Lüfte und schrie „Feuerkreis dreh' dich – Feuerkreis dreh' dich“ – Die Menschen liefen auf das wilde Geschrei zusammen; unter ihnen ragte riesengroß der Advokat Coppelius hervor, der eben in die Stadt gekommen und gerades Weges nach dem Markt geschritten war. Man wollte herauf, um sich des Rasenden zu bemächtigen, da lachte Coppelius sprechend: „ha ha – wartet nur, der kommt schon herunter von selbst,“ und schaute wie die übrigen hinauf. Nathanael blieb plötzlich wie erstarrt stehen, er bückte sich herab, wurde den Coppelius gewahr und mit dem gellenden Schrei: [82] „Ha! Sköne Oke – Sköne Oke,“ sprang er über das Geländer. –

Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem Steinpflaster lag, war Coppelius im Gewühl verschwunden. –

Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Thüre eines schönen Landhauses saß und vor ihr zwei muntre Knaben spielten. Es wäre daraus zu schließen, daß Clara das ruhige häusliche Glück noch fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals hätte gewähren können.