BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf von Jhering

1818 - 1892

 

Scherz und Ernst in der Jurisprudenz

 

Dritte Abtheilung

 

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[317]

Anmerkungen

zur dritten Abtheilung.

 

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Anmerkung 1, S. 254.

Dies harte Urtheil wird unten durch manche Proben gerechtfertigt werden; andere habe ich in meiner Schrift über den Grund des Besitzesschutzes, Aufl. 2, Jena 1869, gegeben. Eine der schlimmsten ist die gänzliche Verständnislosigkeit Savigny's für die praktische Bedeutung der interdicta adipiscendae possessionis, welche er (Recht des Besitzes, Aufl. 7, S. 382-388) mit den entsprechenden petitorischen Klagen auf eine Linie stellt. Es wäre, heißt es S. 384, „kein Grund da, die letzteren von dem unbestimmten Begriff der possessorischen Klagen auszuschließen,“ und nach S. 383 „sind die int. retinendae und recuperandae poss. die einzigen possessorischen Klagen überhaupt, und die int. adipiscendae poss. haben nichts mit ihnen gemein. Ja noch mehr: diese haben untereinander selbst nichts gemein.“ Deutlicher konnte die gänzliche Unkenntnis der praktischen Bedeutung des Possessorium gegenüber dem Petitorium nicht dokumentirt werden.

 

Anmerkung 2, S, 260.

Man vergleiche die Deduktionen von Siegmund Schlossmann, der Vertrag, Leipzig 1876, in § 7-10. Wir erfahren hier z. B. S. 59, daß „für die herrschende Lehre zwar der Consens das wesentliche Moment im Vertrage ist, daß sie aber mit ihm nicht auskommt, sich vielmehr genöthigt sieht, dem Consense ein in diesem selbst nicht enthaltenes Moment (!): die Erklärung des Consenses, hinzuzufügen“; auf S. 61, daß die herrschende Lehre eine große Inkonsequenz [318] begeht, indem sie verlangt, daß die Willenserklärung dem andern Theil gegenüber geschehe; S. 75, daß das Wesen des juristischen Konstruirens darin besteht, „daß man die Sachen als etwas Anderes bezeichnet, als was sie sind, und sie nun juristisch so behandelt, wie jenes Andere, was sie nicht sind“; S. 72, daß die Jurisprudenz „eine Denkoperation, zu der nur ein Schritt erforderlich, dadurch komplicirt, daß sie beweist, daß Eins, Zwei, Drei dazu nöthig sei“. Sein Resultat faßt der Verfasser S. 79 dahin zusammen: „Der Vertrag ist kein in der Jurisprudenz irgendwie verwerthbarer Begriff. Es giebt zahlreiche Thatbestände, welche Verträge sind; daß sie aber Verträge sind und heißen, dies giebt uns nicht den mindesten Aufschluß über das juristische Wesen derselben, d. h. über den Grund, warum sie verpflichten.“ Andere Proben aus dieser Schrift werden unten bei einer andern Gelegenheit mitgetheilt werden.

 

Anmerkung 3, S. 268.

Daß man nicht überall, wo in den Quellen ein suum esse steht, das „ex jure Quiritium“ hinzufügen darf, sollte nicht erst gesagt werden. Die Römer unterscheiden sehr genau. Die rei vindicatio mittelst legis actio sacramento und mittelst der sponsio praejudicialis lautet auf m. e. ex. J. Q. (Gaj. IV, 16, 93), die mittelst der formula petitoria auf bloßes meum esse (Gaj. IV, 92), die erstere war auf Römer beschränkt, die letztere auch bei Peregrinen anwendbar und wahrscheinlich für sie zuerst durch den praetor peregrinus eingeführt. Der Gegensatz beider Formeln wiederholt sich auch bei den beiden Formen der Stellvertretung: dem procurator und dem cognitor, von jenem heißt es bei Gaj. IV, 86: in rem quoque si agat, intendit P. Maevii esse ex jure Quiritium, et condemnationem in suam personam convertit, von diesem bei Gaj. IV, 83 einfach: quod fundum peto, in eam rem etc. Die erste Form war die des jus civile, die zweite die des jus gentium, daher bei der „vindicatio“ fundi jene, bei der „petitio“ fundi diese. Auch die Doppelbezeichnung actor und petitor scheint ursprünglich damit zusammengehangen zu haben. Die Aufnahme des Zusatzes ex J. Q. in die intentio der hereditatis petitio bei Lenel, Das [319] Edictum Perpetuum, Leipzig 1883, S. 138, und in die formula petitoria der reivindicatio, daselbst S. 146, halte ich für verkehrt. Wo die Quellen für eine Klage petere gebrauchen (si ususfructus, ager vectigalis, hereditas petitur – ebenso bei der Bon. Poss.), ist die Bezugnahme auf das jus Quiritium ausgeschlossen. Die Bedeutung desselben im ältesten Recht (Zusammenhang mit der legal verstatteten Selbsthilfe) hoffe ich an anderer Stelle darthun zu können. Daß darin nicht eine einfache Bezugnahme auf das geltende Recht gelegen war, ergiebt sich daraus, daß sie sich sonst bei allen Klagen des jus strictum hätte wiederholen müssen, was bekanntlich nicht der Fall war und sinnlos gewesen wäre. Wo das alte Recht eine derartige Bezugnahme ausnahmsweise bei Rechtsgeschäften für nöthig hält, gebraucht es dafür: secundum legem publicam, so z. B. Gaj. II, 104. Wenn man den Gegensatz bei Gaj. IV, 83, 86 und 92, 93 genauer beachtet hätte, würde man es mit dem ex. J. Q. nicht so leicht genommen haben.

 

Anmerkung 4, S. 276.

J. E. Kuntze, die Obligation und die Singularsuccession des römischen und heutigen Rechtes. Leipzig 1856, S. 89. Ich lasse die Stelle wörtlich abdrucken, schicke aber, um dem Eindruck, den sie machen wird, ein Gegengewicht gegenüber zu setzen, die Bemerkung voraus, daß Niemand die hohe Begabung des Verfassers und die werthvollen Dienste, welche er der Wissenschaft geleistet hat, bereitwilliger anerkennt als ich. Dies kann mich aber nicht abhalten, hier, wo es mir darauf ankommt, die Verirrungen in der neueren Jurisprudenz zu charakterisiren, sein obiges Werk dazu zu verwenden. Es steht in dieser Beziehung allerdings nicht allein da, – ich könnte noch manche andere Proben von minder bedeutenden Schriftstellern mittheilen – aber unzweifelhaft steht es oben an, und dem literarhistorischen Kritiker muß es unbenommen bleiben, sich für seine Zwecke den geeignetsten Gegenstand auszusuchen. Die Stelle lautet folgendermaßen:

„Die prätorischen Fiktionen hatten zumeist nur die Aufgabe geschichtlicher Vermittelung, sie blitzten auf vom Tribunal des Magistrats, gleich den Wettern, in denen die Natur [320] sich entladet, um den aufbrechenden Lenz auf die Gefilde zu locken und die ansetzende Blüthe zur Frucht zu zeitigen; sie erinnern an die Donnerkeile des olympischen Zeus, der mit ihnen bewaffnet vom Thron der Allmacht herab die Welt in ihren Angeln bewegte und die schwere Atmosphäre reinigte, denn das Tribunal des Prätors ist der Olymp des römischen Rechtslebens, das unter der neuen Herrschaft von der Mühsal titanischer Urzeit erlöst wird; sie reihen sich nicht den frei organischen Gebilden der Natur an, sondern gleichen den Ausbrüchen der Vulkane oder dem Vorüberrauschen der Orkane und werden als entbehrliche Hülsen abgestreift, (– – eigenthümliche Orkane, die sich in Hülsen verwandeln, um sich dann abstreifen zu lassen – –), wenn der in ihnen großgezogene Rechtsgedanke zur Reife gediehen ist, um durch eigene Energie seinen Platz im dogmatischen Bau zu behaupten; sie sind die beweglichen, schwirrenden Bienen, welche regsam und fleißig die Blüthenfülle des gesunden Baumes umschweben und sich festsaugend von dem Safte trinken, als seien sie organisch mit der Blüthe verwachsen. Es ist Täuschung!

Es webt ein dämonisches Walten in diesem wundersamen Reich der Fiktionen; es ist der Blick des aufrechten Menschenleibes nach den freien lichten Höhen des Äthers, wo er von irdischer Fessel sich entbunden träumt.“

Ähnliche Stellen finden sich noch manche. So ersteigt auf S. 408 „der römische Geist die ersten Staffeln der civilistischen Lyrik“ – das Obligationengebiet ist „die Lyrik der Vermögensrechte“ – die gegenseitige Obligation „die Lyrik der Obligationen“ – „ihr Reigen bildet die Ouvertüre der civilistischen Lyrik“ (– – der Reigen eine Ouvertüre – –).

Von S. 408 lasse ich noch folgende Stelle abdrucken – daran wird es genug sein.

„Was die Tonkunst im Reich der Künste, dasselbe ist das Obligationenrecht im Bereich der Vermögensrechte: die Römer haben vornehmlich den epischen Unterbau gegründet, die strebende Welt der Säulen und Pfeiler ist vorzüglich dem an Motiven so überreichen Fruchtboden der germanischen Anschauung entsprossen, und in der gereiften Rechtsidee des modernen Verkehrslebens wird die dramatische Versöhnung [321] gelingen. Es wird ja daran gearbeitet. Und die Strömung dieser modernen Geistesarbeit strahlt wiederum im Kleinen das Bild jenes geschichtlichen Entwicklungsverlaufes zurück; denn wir erblicken in dem gebundenen (persönlichen Sola-) Wechsel den epischen Unterbau, in dem Inhaberpapier mit seiner – –ungezügelten Feuerseele die geheimnisvolle Lyrik und in dem Ordrepapier die beruhigende, versöhnende Wendung zum Drama. – – Tonkunst und Obligationenrecht sind die lyrischen Mysterien, die verschleierten Bilder der ästhetischen und der juristischen Welt, und die Skepsis ist der in der Mondnacht suchende Jüngling.“

Hier wollen wir ihn dann ruhig suchen lassen, bis er am Ende des Werkes (S. 422) „dem gereiften Genius der Rechtswissenschaft“ begegnet, „durch dessen Haupthaar sich dereinst ein Ölkranz schlingen, in dessen Rechten die Siegesgöttin winken, in dessen Linken das Adlerscepter ruhig herrschen wird“, – dann dürfte er sich beruhigen.

 

Anmerkung 5, S. 283.

Savigny a. a. O. S. 30. „Da der Besitz kein Rechtsverhältnis ist, so ist auch die Störung desselben keine Rechtsverletzung.“ S. 43 . . . . „es ist klar, daß der Besitz an sich, seinem ursprünglichen Begriff nach ein Faktum ist.“ S. 44, „seinem Wesen nach Faktum.“ S. 51, „abstrahirt von dieser Verletzung giebt der Besitz gar kein Recht.“ S. 55, „der Besitz erscheint uns zunächst als die bloß faktische Herrschaft über die Sache und daher als ein Nichtrecht (verschieden von Unrecht), als ein rechtlich Indifferentes.“ S. 58, „in Wahrheit kein Recht.“ S. 59, „der Besitz hat im System, als Recht keine Stellung, da er kein Recht ist.“

 

Anmerkung 6, S. 283.

Der Übergang vom Faktum zum Recht wird dem Besitz natürlich nicht so leicht, er wird vermittelt durch Zwischenstadien. S. 58, „demnach wird er gegen gewisse Verletzungen geschützt, und um dieses Schutzes willen werden Regeln aufgestellt über Erwerb und Verlust des Besitzes, gerade als ob er ein Recht wäre.“ Hier wagt er noch nicht, sich offen für ein Recht auszugeben, er thut bloß so, „als ob er es [322] wäre“. Aber er ermannt sich auf S. 58, wo er „fähig wird, ähnliche Wirkungen wie ein Recht hervorzubringen“, und noch mehr auf S. 44, wo er es von der bloßen Ähnlichkeit zur Gleichheit bringt: „in seinen Folgen einem Rechte gleich.“ Auf S. 206 hat er durchgesetzt, was er wollte: „Der Besitz wird als Recht anerkannt“, und es ist daher „gar nichts Besonderes, daß er wie alle Rechte überhaupt durch Sklaven und durch Kinder in väterlicher Gewalt erworben werden kann“ (S. 308).

 

Anmerkung 7, S. 284.

Ich verweise auf meine Ausführungen in meiner Schrift über den Grund des Besitzschutzes, Aufl. 2, Jena 1869, S. 160-179, wo ich die Savigny'sche Theorie über den Erwerb und Verlust des Besitzes einer Kritik unterworfen habe. Die beiden Gesichtspunkte, welche Savigny aufstellt: die physische Herrschaft und die beliebige Möglichkeit der Reproduktion des ursprünglichen Verhältnisses ergeben in nicht wenig Fällen das gerade Gegentheil von dem, was er ihnen entnimmt, man muß nicht bloß ein Auge, sondern beide Augen zudrücken, um sie in diesen Fällen noch für zutreffend zu halten. Wohl noch nie hat ein Schriftsteller mit den von ihm selber aufgestellten Begriffen ein solches reines Spiel getrieben, wie Savigny mit diesen beiden, – es sind die reinen Kautschuckbegriffe, die sich jedem Fall willig anschmiegen.

 

Anmerkung 8, S. 284.

Bekker a. a. O. S. 12. „Die Frage nach dem sog. philosophischen Grunde des Besitzesschutzes ist einfach zurückzuweisen.“ Auf S. 357, 358 taucht aber gleichwohl die Frage vom philosophischen Grunde des Besitzrechts auf, und ich räume ein, daß der Vergleich, dessen dieser Schriftsteller sich zur Persiflirung des „Haschens nach den Gründen des Besitzschutzes“ bedient (Anm. 10), für das Problem, wie er es sich stellt, völlig zutrifft. Er hält es nämlich „nicht für unmöglich, einen Besitz von welthistorischer Bedeutung zu entdecken, der bei den verschiedenartigsten Völkerschaften, sobald diese nur einen gewissen Bildungsgrad erreicht [323] hätten, vorhanden sein müßte. Für diesen universellen Besitz existirt jedenfalls auch ein ebenso universaler, darum bleibender und philosophischer Grund.“ Wenn der Verfasser hinzufügt, daß ihm „der universelle Besitz einstweilen unbekannt sei, und daß er auch darum verzweifele, jemals eine genügende Kenntnis desselben zu erlangen“, so stimme ich dem vollkommen bei und bemerke, daß ich meinerseits, weit entfernt von allem müßigen Hin- und Herreden über die Frage, was der Besitz an sich sei, die in meinen Augen eine thörichte ist, bei meiner ganzen Untersuchung lediglich die römische Gestalt des Besitzinstitutes ins Auge gefaßt und zu Grunde gelegt und nur für sie die Frage nach dem Grunde des Besitzschutzes zu beantworten versucht habe. Die Frage war also keine philosophische, sondern eine praktische oder legislative, und ich habe, um mir Klarheit über sie zu verschaffen, denselben Weg eingeschlagen wie bei jedem Institut, dessen praktische Bedeutung ich mir klar machen will: ich denke es mir hinweg und sehe zu, was dann in praktischer Beziehung aus dem Recht wird, – die Lücken, die sich ergeben, zeigen mir, wozu das Institut da ist.

 

Anmerkung 9, S. 285.

Bruns in seiner sonst so vorzüglichen Darstellung des heutigen römischen Rechts in Holtzendorff's Rechtsencyclopädie Bd. 1, Aufl. 1, S. 387. „Dem Hunde nehme ich die Sache mit Gewalt weg; nehme ich sie dem Menschen so, so behandle ich ihn wie einen Hund und nicht als Person. Das ist der Kern und der Ausgangspunkt des ganzen Besitzesschutzes.“ Der Kern ist ein sehr wurmstichiger! Dem Detentor darf ich die Sache mit Gewalt wegnehmen, die Besitzrechtsmittel werden ihm versagt, – ist er ein Hund? Dasselbe galt früher vom injustus possessor in seinem Verhältnis zum justus, – dritten Personen gegenüber geschützt, d. i. nach Bruns als Person anerkannt, war er jenem gegenüber schutzlos, d. i. Hund. An res extra commercium erkennt das römische Recht einen Besitz nicht als möglich an, weil sie nicht im Eigenthum stehen können, während dasselbe im Übrigen auch für sie einen Rechtsschutz zuläßt. Nach Bruns würde die Versagung des Besitzschutzes an ihnen abermals denselben Satz impliciren, [324] wie in jenen Fällen: die Person darf in diesem Verhältnis nach römischem Recht als Hund behandelt werden. Es ist kaum zu begreifen, daß ein Mann wie Bruns, der die Besitztheorie zum Gegenstand seines besondern Studiums und einer reichen literarischen Thätigkeit gemacht hat, und dem sie in historischer Beziehung so viel verdankt, die römische Auffassung des Besitzesschutzes so gänzlich verkennen konnte. Gerade sein Hundeargument hätte ihm die Augen öffnen und ihn belehren sollen, daß der Besitzesschutz nicht die Idee der Persönlichkeit zu seinem Grunde, nicht den Schutz derselben zu seinem Zweck hat. Der Schutz, der der Person um ihretwillen zu Theil wird und darum auch im Detentionsverhältnis (l. 5, § 2, 4 de injur.; 47. 10), wird wie der der Person überhaupt durch die actio injuriarum vermittelt; ich pflege ihn in meinen Vorlesungen als unechten Besitzesschutz zu bezeichnen. Zu der act. injuriarum kommen für den bloßen Detentor bereits im römischen Recht noch einige besondere Rechtsmittel hinzu, deren Namhaftmachung hier kein Interesse hat. Daß auch die Spolienklage zum Gebiet dieses unechten Besitzesschutzes gehörte, bedarf nicht der Bemerkung.

 

Anmerkung 10, S. 285.

So wörtlich Bekker a. a. O. S. 14. In besonderer Anwendung auf den Grund des Besitzschutzes S. 12: „Ein guter Bekannter von uns, der aber hier nicht genannt zu werden wünscht (das begreife ich; ich möchte es auch nicht!) sagt, daß bei diesem Haschen der modernen Jurisprudenz nach dem Grunde des Besitzschutzes ihm immer das Bild vor Augen trete, wo ein eifriger Vierfüßler im heitern Zirkelsprunge den Ansatz zu erpacken sucht, mit dem Mutter Natur sein Hintertheil geziert hat.“ Man entnimmt daraus, daß der Hund für die Besitztheorie ein äußerst instruktives Thier ist. Bei Bruns freilich in gerade entgegengesetzter Richtung als bei Bekker. Ersterem dient er dazu, um den Grund des Besitzschutzes zu erschließen, Letzterem dazu, um von dem „Haschen“ nach demselben abzuschrecken.

 

Anmerkung 11, S. 288.

In einer deutschen Spruchfakultät vor wenig Jahren wirklich geschehen! Das romanistische Mitglied wies die [325] Autorität des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, dessen dem römischen Recht widerstreitende Bestimmungen in dem Fall zur Anwendung zu bringen waren, einfach damit zurück, daß das Handelsgesetzbuch gegen die Vernunft des Rechts und das römische Recht nichts vermöge. Theoretisch formulirt ist die Ansicht von Siegmund Schloßmann, der Vertrag, Leipzig 1876, S. 175-206. Ich hebe einige Proben hervor. S. 175: „Auch darin täuscht man sich, daß man Gesetz und Gewohnheit als Quellen des positiven Rechts ausgiebt, und wenn man behauptet, daß was aus jenen Quellen herkomme, d. h. was vom Staat befohlen werde und was als Entschädigungsnorm auch ohne Gesetz mit der Überzeugung, es solle so sein, lange Zeit angewendet worden ist, – solle und müsse vom Richter angewendet werden, so läßt sich mit gleichem Rechte das gerade Gegentheil behaupten.“ S. 178. „Jede Art von Zwang, wodurch der Richter zur Anwendung einer bestimmten, sei es aus Gesetz oder Gewohnheit herrührenden Satzung angehalten werden könnte, ist unzulässig, und die Bestrafung eines Richters, welcher in der Überzeugung von der Unanwendbarkeit einer solchen Satzung die Anwendung versagt, ausgeschlossen.“ (!!)

Nach S. 180 „reicht schon ein einziger Fall der bewußten und gebilligten Vernachlässigung des Gesetzes aus, um die geltende Lehre von den Rechtsquellen zu stürzen, da ein wissenschaftliches Dogma simul cum in aliquo vitiatum est, perdit officium suum.“ Ein einziger hirnverbrannter oder pflichtvergessener Richter, der dem Gesetz den Gehorsam aufkündigt, stürzt die ganze Lehre, daß der Richter dem Gesetz Gehorsam schuldet, über den Haufen! Ein wissenschaftliches Dogma, das damit fällt, daß irgend ein Querkopf es negirt, ein Gesetz, das damit seine verbindende Kraft verliert, daß irgend Jemand es übertritt! Und dafür die bekannten Worte des römischen Juristen in l. 1 de R. J. (50. 17), welche nichts als den selbstverständlichen Satz enthalten, daß eine wissenschaftliche Formulirung des Rechts, die letzterem nicht vollständig entspreche (cum in aliquo vitiatum est), keine Geltung habe (perdit officium suum). Und aus dieser logischen Diskrepanz zwischen dem Recht und seiner theoretischen [326] Formulirung macht der Verfasser die praktische zwischen dem Recht und seiner thatsächlichen Befolgung: tatsächliche Übertretung der Regel hebt die Regel auf! Wie werden die Diebe jubeln, wenn diese Lehre Anklang findet, – an der „bewußten und (– von ihren Spießgesellen –) gebilligten Vernachlässigung des Gesetzes“ werden sie es nicht fehlen lassen. Befindet sich der Richter dem Gesetz gegenüber in einer andern Lage als sie?

Auf S. 182. heißt es: „Die Erforschung und Darstellung des s. g. positiven Rechts kann nur in einem untergeordneten Sinn als wissenschaftliche Thätigkeit bezeichnet werden.“ – –– „Die Wiederausgleichung der Störungen der durch die Idee der Gerechtigkeit vorgezeichneten Ordnung bildet den Inhalt des Richterberufs.“ S. 180. „Gesetze, Gewohnheiten, wissenschaftliche Dogmen, Sätze der Billigkeit sind die Gewichte in der Wage der Gerechtigkeit, die bald miteinander vereint, bald gegeneinander wirkend, das Zünglein bald nach dieser, bald nach jener Seite lenken.“ Der Leser wird sich jetzt ausmalen können, wie die Urtheile ausfallen werden, wenn das neue Evangelium von der Verwirklichung der Idee der Gerechtigkeit durch den Richter bei den Zuhörern dieses Gelehrten Proselyten machen sollte, – – – möchte der Verfasser der Erste sein, der es in einem Rechtsstreit an sich selber zu erproben hätte!

Solchen wissenschaftlichen Umsturzversuchen gegenüber ist meines Erachtens kein Wort zu scharf. Die Reform, welche sie der Jurisprudenz in Aussicht stellen, steht auf einer Linie mit derjenigen, welche einst die Kinder eines Bekannten von mir in Abwesenheit der Eltern mit der Einrichtung des Wohnzimmers vorgenommen hatten. Es war alles zu unterst und zu oberst gekehrt, der Tisch stand mit der Platte auf der Erde, die Stühle waren zu einem Thurm zusammengebaut, die Bücher zu einer Pyramide, Spiegel und Bilder sahen die Wand an, kurz die Umgestaltung ließ nichts zu wünschen übrig. Ich verdanke es der Lektüre der obigen Schrift, daß mir diese meinen Gedächtnis längst entschwundene Geschichte wieder in die Erinnerung zurückgerufen worden ist. [327]

 

Anmerkung 12, S. 289.

Es war dies die Formel, mit der Savigny sie in seinen Vorlesungen abzuthun pflegte. Die „neuern Juristen“ sind mir damals immer als höchst dürftige Leute erschienen, jeder von uns Zuhörern fühlte sich erhaben über sie. Später bin ich freilich zu einem andern Urtheil über sie gelangt und habe erkannt, daß ihre angeblichen Irrthümer nicht selten werthvolle Wahrheiten in sich schlossen, für die nur ihrem im starren romanistischen Purismus befangenen Kritiker der Blick und das Verständnis fehlte, s. meinen Geist des röm. Rechts II, 2. S. 466. Savigny klagt in der Vorrede zu seinem System des heutigen römischen Rechts (S. XXV) über die stets wachsende Scheidung zwischen Theorie und Praxis. Wer hat sie in höherem Grade verschuldet, als gerade er? Er, der Vertreter der historischen Richtung, hat zuerst das Beispiel gegeben, die historische Fortbildung des römischen Rechts auf unserem einheimischen Boden einfach zu ignoriren. Die Spolienklage und das Summariissimum dienen ihm nur dazu, die Verirrungen der praktischen Jurisprudenz in ein recht helles Licht zu setzen. Sein Glaube, durch quellenmäßige Korrektheit der Theorie dem Übel der Trennung zwischen Theorie und Praxis zu steuern, erinnert mich an die junge unerfahrene Hausfrau, welche ihrem Manne weiche Eier kochen sollte und nicht begreifen konnte, daß die Eier trotz allen Kochens nicht weich werden wollten.

 

Anmerkung 13, S. 290.

So Savigny a. a. O. S. 474: (von dem Besitz der persönlichen Servituten). S. 480 (in Bezug auf Prädialservituten, welche in Handlungen des Berechtigten bestehen). Vom Erwerb des Quasibesitzes an ihnen wird hier gelehrt: Die Handlung, welche den Gegenstand des Rechts ausmacht, „muß irgend einmal ausgeübt und zwar als Recht ausgeübt sein.“ Also auch in Abwesenheit des Eigenthümers? Nimmt Jemand die leerstehende Sommerwohnung eines Andern im Winter in Besitz und setzt sich den ganzen Winter darin fest, so hat er trotz der ein ganzes halbes Jahr bestehenden corporalis possessio keinen Sachenbesitz, geht er [328] in Abwesenheit desselben einmal über sein Grundstück, so hat er den Quasibesitz! Dasselbe Recht, das ihn in dem einen Fall gegen die einseitige Besitzaneignung des Gegners im Interesse der Erhaltung seiner Rechtsstellung vorsorglich schützt, läßt ihn in dem andern gänzlich schutzlos. Aber was kommt es auf das Interesse des Eigenthümers an, wenn der Begriff die Entstehung des Quasibesitzes erfordert? Vom Verlust des Quasibesitzes heißt es auf S. 481: „Vom Verlust gilt hier ganz dasselbe, was oben bei den persönlichen Servituten bemerkt worden ist“. Nach S. 474 aber „wird dieser Besitz, wie jeder andere, fortgesetzt durch die ununterbrochene Möglichkeit, die ursprüngliche Herrschaft zu reproduciren; verloren also durch die Aufhebung dieser Möglichkeit“. In derselben Weise äußert sich A. Randa, der Besitz nach österreichischem Recht. Aufl. 3. Leipzig 1879, § 34. S. 650, Note 1: „Der Quasibesitz besteht so wenig in der Ausübung, als der Sachbesitz in der Apprehension. Durch die Ausübung wird nur der Quasibesitz erworben. Der Quasibesitz besteht in der durch wenigstens einmalige Ausübung bethätigten und gewollten Möglichkeit der Wiederausübung eines Rechts für sich.“ S. 653 (für das österreichische Recht): „Besteht das Recht in gewissen sich wiederholenden Handlungen (Benutzungsakten), so geht der Besitz durch Ablauf der Verjährungsfrist nicht verloren, sobald innerhalb derselben die Handlung, wenn auch nur einmal vorgenommen wurde“ S. 655, „selbst wenn dem Kläger eingewendet werden könnte, daß er außer dem vor (z. B. nahezu dreißig) Jahren keinen weitern Rechtsgebrauch gemacht habe.“ Ich habe diese Theorie nebst den Konsequenzen, zu denen sie führt (s. u.), bereits in meiner Schrift über den Grund des Besitzesschutzes, Aufl. 2. S. 174 fl., einer Kritik unterworfen, konnte mir hier aber dies Beispiel zur Illustration der Verirrungen der formalistischen Begrifssjurisprudenz nicht entgehen lassen.

 

Anmerkung 14, S. 292.

So Puchta a. a. O. S. 73. Seine Deduktion kehrt sich hier gegen Savigny, der S. 474 sich folgendermaßen vernehmen läßt: „Da nämlich durch bloßen non usus am Ende eines bestimmten Zeitraumes die Servitut selbst verloren wird, [329] so muß in der ganzen Zwischenzeit der Besitz verloren gewesen sein, obgleich jene Reproduktion stets möglich gewesen sein kann“ .... Also inzwischen Besitz und hinterher doch wieder keiner, und das trotz des zugestandenen Daseins seiner Voraussetzungen während der ganzen Zeit und trotz der faktischen Natur des Besitzes! „Deßwegen bleibt nichts übrig (– man sollte sagen: als zur Einsicht zu gelangen, daß es mit der aufgestellten Formel nichts ist –) als anzunehmen, daß während des bloßen Nichtgebrauchs der Besitz in suspenso ist, und daß es sich erst durch Erneuerung des Gebrauchs oder durch Ablauf des ganzen Zeitraums zeigt, ob er in der ganzen Zwischenzeit dagewesen oder nicht dagewesen ist.“ Bei allen Rechtsverhältnissen, die sich in suspenso befinden, muß die Entscheidung bekanntlich erst abgewartet werden, der Expektant hat inzwischen keine Klage. Wie nun hier? Ich frage: wenn der in der Ausübung der Servitut vom Gegner gehinderte Quasibesitzer Rechtsschutz nachsucht, – hat er ihn oder hat er ihn nicht? Nach Savigny zweifellos Ja! Folglich ist der Besitz zur Zeit nicht in suspenso, sondern er ist da. Und diese für die ganzen zehn Jahre zugestandene Gestalt des Verhältnisses wird dann von Savigny hinterher nach Abfluß derselben wieder auf den Kopf gestellt. Wir glaubten, während der ganzen Zeit, der Besitz wäre da. Aber der Quasibesitz ist ein Schäker, er hat uns die ganzen zehn Jahre hinters Licht geführt, – hinterher zeigt es sich, daß er gar nicht dagewesen ist.

Wir können dem Fall noch eine akutere Gestalt geben. Der Quasibesitzer, der am 31. December 1799 die letzte Ausübungshandlung vorgenommen hatte, hat, da er bei dem Versuch erneuerter Ausübung der Servitut im Jahre 1805 auf Widerstand des Gegners gestoßen ist, Klage erhoben und bei dem Richter, der die Savigny'sche Theorie zur Anwendung brachte, den Sieg davongetragen. Fernere Ausübungshandlungen sind bis zum 1. Januar 1811 gar nicht vorgekommen. Hier ist die Servitut wegen des non usus vom 31. December 1799 bis zum 1. Januar 1811 zweifellos untergegangen, während anderersei[t]s das Dasein des Besitzes im Jahre 1805 durch das Urtheil rechtskräftig festgestellt worden ist. Soll sich hier das rechtskräftige Urtheil dem Verdikt  [330] von Savigny fügen: es muß in der ganzen Zwischenzeit der Besitz verloren gewesen sein?

So führt Savigny uns das Bild eines Mannes vor Augen, der sich in eine Sackgasse verrannt hat. Hätte er den Muth der vollen Konsequenz gehabt, die des argumentum ab absurdo spottet, so würde er mit Puchta muthig bis zu Ende gegangen sein. Hören wir den Schüler, an dem der Lehrer diesmal seinen Meister in der Begrifssjurisprudenz gefunden hat.

„Man nimmt“, heißt es a. a. O. S. 72 „nun allerdings an, der bloße non usus hebe den Besitz nicht auf, aber wenn er so lange fortgedauert habe, daß dadurch das Recht zerstört werde, so müsse man dann auch den Besitz, und zwar schon von der Zeit an, wo der non usus eingetreten sei, als verloren betrachten. Dies scheint eine willkürliche Annahme zu sein; sie würde nur dann als gerechtfertigt erscheinen, wenn ein so wesentlicher Zusammenhang zwischen der Existenz des Rechts und dem Besitze desselben bestände, daß der letztere nicht ohne das erstere fortdauern könnte. Dies ist aber bei dem Quasibesitz so wenig der Fall als bei dem körperlichen. So gut jemand den Besitz eines Rechts erwerben kann, ohne das Recht selbst erworben zu haben, so gut kann er Besitzer bleiben, während das Recht untergegangen ist. Also steht an sich nichts entgegen, den noch als Besitzer zu betrachten, der das Recht durch den non usus verloren hat 1). Aber eine andere Frage ist, ob dieser Besitz für ihn noch die rechtlichen Wirkungen hat, die mit dem Besitz verknüpft sind, und ob also nicht sein Besitz wirkungslos geworden ist, somit dem Effekte nach aufgehört hat zu existiren.“ Darauf lautet die Antwort für die Ersitzung: „wenn wir auch dem, der einmal in den Besitz gekommen ist und diesen nicht auf die eben angegebene Weise verloren hat, den Besitz nicht absprechen können, so hilft ihm doch dieser Besitz nicht zur Ersitzung, weil dieselbe wirkliche fortwährende Ausübung voraussetzt.“ In Bezug auf die Interdikte: [331] „Das Erfordernis des gegenwärtigen Besitzes für den Kläger ist bei ihnen auf so eigenthümliche Weise bestimmt, daß der bloße Erwerb und Nichtverlust des Besitzes auch zu dieser Wirkung nicht hinreicht“ ..... Aber gleichwohl „bleibt der Satz stehen, daß der Quasibesitz dieser Rechte ohne wirkliche Ausübung zwar nicht entstehen, aber fortgesetzt werden kann; indessen ist dieser Satz ohne praktische Wirkung, weil die beiden Wirkungen des Besitzes hier nicht bloß seine Existenz in abstracto, sondern einen Zustand wirklicher Ausübung fordern“.

Also ein Besitz ohne die Wirkungen des Besitzes – „ein Besitz in abstracto“ – „Sätze ohne praktische Wirkungen, welche doch stehen bleiben“!

Ein Seitenstück zu diesem Quasibesitz ohne Wirkungen hat Puchta, (Pandekten § 11, g) bei dem Gewohnheitsrecht geliefert, dessen Ausschließung von Seiten des Gesetzgebers dasselbe „nur seiner Wirkungen auf den Richter beraubt“! – ein Feuer, das nicht brennt, ein Licht, das nicht leuchtet! S. darüber meinen Zweck im Recht I S. 321 (Aufl. 2, S. 322).

Ist die Kritik, die ich im Bisherigen über die Begriffsjurisprudenz geübt habe, eine zu harte gewesen?

 

Anmerkung 15, S. 292.

Dies hatte Savigny in den ersten fünf Auflagen seines Buchs stillschweigend angenommen. Erst in der sechsten Auflage kommt folgender Zusatz hinzu (S. 475): „Eine etwas (sic!) verschiedene Bewandtnis hat es mit der Fortsetzung des Besitzes, insofern diese zu einem Erwerb durch Ersitzung führen soll. Hier nimmt Unterholzner (Verjährungslehre § 214) an, der Besitz dauere fort, wenngleich gewöhnliche Unterbrechungen der Ausübung stattfinden (–ungenau ausgedrückt! Unterholzner sagt: wenn die einzelnen Handlungen bloß durch gewöhnlich vorkommende Zwischenräume getrennt sind –), dagegen sei er unterbrochen, wenn man die Ausübung ganz ungewöhnlich lange Zeit hindurch unterlassen habe (wiederum ungenau! Unterholzner sagt: „wenn der Weg längere Zeit unbenutzt bleibt, als es bei Wegservituten vorzukommen pflegt“). Diese Annahme, bei [332] welcher freilich ein sehr freies Ermessen des Richters unvermeidlich ist, scheint richtig.“

Damit haben wir also einen andern Besitzbegriff für die Ersitzung, einen andern für den Besitzesschutz, für jenen ist die angeblich ganz generelle Formel der bloßen Möglichkeit der Reproduktion des ursprünglichen Verhältnisses aufgegeben, es bedarf der Wirklichkeit derselben. Für diesen ist sie beibehalten. Was lag nun näher, als die damit preisgegebene Einheit der Voraussetzungen der Ersitzung und des Besitzesschutzes auf dem Wege wieder herzustellen, daß das Moment des fortgesetzten uti auch auf den Interdiktenbesitz übertragen wurde? Wird es doch in der Fassung der Interdikte stets betont (S. 290 Anm). Aber dann wäre es um die obige Formel gänzlich geschehen gewesen.

Unterholzner hatte früher auch für die Ersitzung die volle Konsequenz der Formel gezogen: „Wenn sich freilich während der ganzen Ersitzungszeit keine Gelegenheit zur Ausübung darböte, so könnte das einzige Faktum der Besitzergreifung zur Ausübung hinreichen!“ – ein Servitut durch Ersitzung entstanden, die man vor zehn Jahren zum ersten und letzten Male ausgeübt hat!

 

Anmerkung 16, S. 311.

Röder, Grundzüge des Naturrechts oder Rechtsphilosophie Abth. II, Aufl. 2, Heidelberg 1863, S. 91: „Meist wird zwar Zudringlichkeit aller Art (z. B. neugieriges Ausfragen, Eintreten zur Thür ohne Aufforderung u. dgl.) nur als Verstoß gegen die feine Sitte und Lebensart betrachtet, und das Urtheil darüber lediglich allen Gebildeten anheim gegeben; allein sie verletzt ohne Frage zugleich das Recht und darf durch alle rechtlichen Mittel (– wie hat der Verfasser sich die wohl gedacht?) und nöthigenfalls durch den Verletzten selber abgewehrt werden.“ Das Recht, das dadurch verletzt wird, figurirt in der Überschrift des Paragraphen als „Recht des Eigenlebens oder des Umganges mit sich selbst“ – ein Umgang, der seine Schwierigkeiten und unter Umständen wenig Werth haben dürfte – der Gefangene hat ihn! Eine Verletzung dieses Rechts enthält auch „der Zeitdiebstahl durch überlästige Besuche, zudringliche Vergleichsstifterei [333] (zumal von Gesetzes- und Gerichtswegen), selbst das Vorschreiten von Amtswegen wegen Ehebruchs, Nothzucht, Unzucht, anstatt erst den Antrag der zunächst Betheiligten abzuwarten“ (S. 92). Man sieht: mit dem Naturrecht ist nicht zu spaßen, Niemand ist sicher, sich nicht gegen die Bestimmungen desselben zu vergehen. Selbst „das Aufnöthigen einer wenn auch richtigen, doch der Fassungskraft Anderer noch zu hohen Ansicht durch rücksichtslose Geltendmachung unserer geistigen Überlegenheit gehört streng genommen hierher.“

Der Verfasser hat in Bezug auf die Vergehen gegen das Naturrecht ein ungemein ausgebildetes Auge. Auf S. 94 gesellen sich zu den obigen Fällen, die der geistigen Zudringlichkeit angehören, als Beispiele der leiblichen u. a. folgende hinzu: „die schamlos öffentliche Untersuchung Schwangerer in manchen Gebärhäusern, alle unnöthigen Körperbesichtigungen bei Kriegsdienstpflichtigen und Anderen, die Durchsuchungen vermeintlicher Schmuggler von Seiten der Mauthbeamten oder Gefangener – zumal weiblicher – durch rohe Gefangenwärter.“ Den letzteren Passus werden gewiß alle Schmuggler und Gefangenen gern unterschreiben, ich bin überhaupt der Ansicht, daß sie sich beim Naturrecht ungleich besser stehen als beim positiven Recht.

 

Anmerkung 17, S. 311.

Röder a. a. O. S. 98, wo auch „die Verhinderung der Auswanderung durch den Vorwand der Kriegsdienstpflicht“ genannt und durch das Argument abgethan wird, daß „Niemand mehr durch das Staatsbürgerrecht bedingte Pflichten haben kann, sobald er dieses selbst aufgiebt.“ Eine ganze Menge von Verstößen, welche sich die Staatsgewalt gegen die privatrechtliche Gleichheit außerdem noch zu Schulden kommen läßt, findet man S. 144, z. B. das Post-, Bergwerk-, Salz-, Tabak-Monopol. Wie viel muß sich in der Welt noch ändern, bis das Naturrecht zur vollen Verwirklichung gelangt!

 

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1) Ebenso Randa a. a. O. S. 650 Note 1: „Die Möglichkeit der Wiederausübung des Rechts kann offenbar auch dann noch fortbestehen, wenn das Recht durch non usus erloschen ist.“