BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Kurz

1813 - 1873

 

Zur Geschichte

des Romans Simplicissimus

und seines Verfassers

 

1865

 

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[3594a]

6.

Grimmelshausen.

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Nachdem wir die „Lebensbeschreibung“ des Simplicissimus durch ihre Schicksale hindurch begleitet, haben wir nun auch den Lebenslauf des Verfassers, soweit es aus dürftigen Trümmern möglich ist, vollends zum Abschluß zu bringen.

Grimmelshausen ist, wie wir gesehen haben, unter der Regierung des Bischofs Franz Egon in sein Amt eingesetzt worden. Dieser Kirchenfürst, der Ludwig XlV (1681) im Straßburger Münster mit Berufung auf die Worte Simeons begrüßte, nimmt bekanntlich mit seinen beiden Brüdern auf den ohnehin so mißfarbigen Blättern unserer damaligen Reichsgeschichte eine der dunkelsten Stellen ein. Bei seinem Regierungsantritt übrigens, so lebhaft er schon zur Zeit der Kaiserwahl gegen Oesterreich gearbeitet hatte, stand ein Bruch mit dem Kaiser noch in so weitem Felde, daß dieser die drei Brüder Fürstenberg in den Reichsfürstenstand erhob. Dieß geschah im Jahr 1664, eben zu der Zeit um welche Grimmelshausen in die Dienste des Bischofs trat. Der Dichter hat also hiemit einen Schritt gethan den der Kaiser selbst nicht hätte schelten können. Daß er dabei, nicht bloß im nationalen, sondern auch im politischen Sinne des Worts, ein guter Deutscher blieb, das sagen uns seine Schriften. Ueberdieß hielt er seinen Patriotismus vor seinem Bischof nicht einmal sonderlich geheim, da er ja, wie wir gesehen haben, gerade denjenigen die ihn persönlich kannten sich selbst als Verfasser dieser Schriften denunciirte.

Ein viel umhergerüttelter Dulder Odysseus – denn diese Eigenschaft hat er zweifellos mit seinem Helden gemein – genoß er endlich eine Reihe Friedens- und Ruhejahre, die freilich kein ganzes Jahrzehnt betragen sollten. Es ist zu wünschen daß ihm während seiner Amtsthätigkeit keine Hexe in die Hände fiel, da er, wie Simplex uns gesteht, in diesem Punkt den Wahn seiner meisten Zeitgenossen theilte. Völlig ungetrübt sollten [3594b] ihm seine Jahre nicht verfließen – dafür hatte, wenn sonst niemand, der Nachdrucker gesorgt. Wenn aber Simplicissimus diesen anklagt: er habe ihn durch sein frevelhaftes Beginnen in eine höchst gefährliche Krankheit gestürzt, so wird uns der Schalk kein gar zu großes Beileid abgewinnen. Daß die Mißgunst seinen Ruhm nicht unangefochten ließ, hat uns der Kommentator von 1684 zu verstehen gegeben.

Von seinen persönlichen Verhältnissen weiß man aus den schon berührten Renchner Aufzeichnungen noch daß seine Frau Katharina Henninger hieß, daß ihm zu Renchen eine Tochter geboren wurde und ein Sohn starb. Der Pfarrer der diese seine Familienereignisse und später seinen Tod verzeichnet hatte, war Kaspar Beyer, eine congenialische Natur. 1)

Sonstige Beziehungen finden sich in den drei Dedicationen ausgesprochen, deren eine, die von „Dietwald und Amelinde,“ wir bereits berührt haben. Es ist nicht unbeachtet geblieben daß die Personen an welche diese Zueignungen gerichtet sind protestantischen Familien angehörten. 2) Wir fügen den Nachweisungen welche Passow über dieselben gegeben hat, nur noch bei daß der Vater des Fräuleins von Fleckenstein, dem sich Grimmelshausen in der Widmung von „Proximus und Lympida“ verpflichtet nennt, Heinrich Jakob v. Fleckenstein, ein nicht weit gegenüber im Elsaß begüterter Edelmann war, der nachmals durch die Reunionschicanen von seiner Herrschaft verdrängt wurde, und bis zum Ryswicker Frieden „großes Ungemach“ zu erleiden hatte. 3)

Aber auch schon in den siebenziger Jahren gab es Zeitaspecte die Ungemach bringen konnten. Sie rückten unserem Freund immer näher, und bedrohten zuletzt das stille Friedensthal worin er seine Heimath gefunden hatte. Gleichwie ihm die Jugend im deutschen Krieg dahingegangen war, so sollte er am Schluß seiner Tage noch den französischen erleben. Ludwig XIV fiel in Holland ein, und bald war unsere illustrirte Presse voll von französischen Gräuelthaten: besonders das Diarium europaeum zeichnete sich durch eine den ganzen Tisch bedeckende Bilderreihe mit haarsträubenden Scenen aus. Die bürgerliche Welt saß im Schatten der Dinge die da kommen sollten, denn es war leicht vorauszusehen daß das Reich in die Verwicklung werde hineingezogen werden. Unser junges Volk aber, im Frieden aufgewachsen und das alte heimathlos-kriegerische Blut der Nation in den Adern fühlend, jauchzte den Ereignissen entgegen, die wieder einmal Aussicht auf Reisläuferei eröffneten.

Grimmelshausen betheiligte sich an diesen Vorgängen mit Wort und That. Er nahm zunächst den holländischen Krieg (den er im zweiten Theil des „Vogelnestes“ auch novellistisch herbeizog) zum Anlaß eines patriotischen Schriftchens, genannt „der stolze Melcher“ und „der friedens-satten und gern-kriegenden teutschen Jugend zum Meßkram verehrt.“ Diese Schrift, die ihm nach Geist und Gesinnung zu hoher Ehre gereicht, die den ganzen Mann kennen lehrt, darf in seiner Lebensgeschichte nicht übergangen werden.

Der stolze Melcher ist ein in den Krieg entlaufener Bauernsohn, der das gewöhnliche Soldatenschicksal erfahren hat, und mit zwei Kriegsgefährten, einem das schönste Kauderwälsch redenden Savoyer und einem Schweizer, sehr abgerissen in der Nähe seines Heimathsdorfes ankommt. Den letzteren schickt er hinein, damit er ihm gut Wetter bereite. Nun kommt zuerst die Mutter mit der Tochter, zeigt große Lust den verlornen Sohn zu beohrfeigen, bricht aber aus Jammer über seinen elenden Zustand in Weinen aus. Nicht so leicht läßt sich der mit einem Prügel nachkommende Vater erweichen, der den Sohn auf immer von seiner Schwelle weist. Er ist die Tage seines Lebens keinem Krieger hold gewesen, „und du, leichtfertiger Schelm, hast dich dannoch mitten unter ihre Diebszunft und, was das allerärgste ist, unter die Wälschen begeben, dein eigen teutsches Vatterland [3595a] bekriegen, seine friedliche Ruhe zerstören, seine Freyheit untertrucken, seine Inwohner ruiniren etc. etc. zu helfen.“ Unter diesen Reden kommen der Junker und der Pfarrer, auf einem Spaziergang begriffen, herzu, sie fragen was es gebe, und bewegen den widerstrebenden Alten endlich dem Sohn zu verzeihen. Hierauf beginnt der Pfarrer diesem zu predigen. Das langweilt den Junker, er wendet sich mit „Was neues, Franzmann?“ an den Savoyer, und fragt: warum er seinem König ausgerissen sey. „Holl das Teuffel die Franzos-Krieg!“ antwortet dieser, und erzählt: er habe anfangs den Holländern gedient, sey aber gefangen und beinahe aufgehängt worden, wie das allen gebornen Franzosen solchenfalls widerfahre; als der König aber verstanden daß er kein Franzose sey, habe man ihn unter die (geworbenen) Deutschen gesteckt, die (als besondere Truppe) den Franzosen als Vorfechter, Schanzkörbe, lebendige Faschinen etc. dienen müssen, gerade als ob es darauf abgesehen wäre Deutschland in solcher Weise zu entvölkern und angreifbar zu machen. Der Schweizer gibt ähnliche Erfahrungen zum Besten, hofft seine Herren werden dem König keinen Mann mehr schicken, und will künftig lieber sein eigen Vaterland beschützen helfen, wenn voraussichtlich die Franzosen das nöthig machen sollten. Zuletzt zieht er sein großes Kleienbrod aus der Tasche, das sodann für den Melcher als tägliches Schauessen aufgehoben wird.

Junker und Pfarrer gerathen nun bei dieser Gelegenheit in einen patriotischen „Discurs.“ Die Deutschen, sagt der Junker, werden niemals anders als durch Deutsche überwunden werden können: das wissen die Franzosen, und kaufen deßhalb um unser für französische Waaren nach Frankreich hinein vernarrtes und verreistes Geld unsere junge Mannschaft, um zunächst die Niederdeutschen zu besiegen, werden aber, wenn wir die Augen nicht aufthun, so lange fortfahren „bis sie uns endlich nach und nach gar umb unsere Freyheit, umb Hab und Gut, ja umb alles was Teutschland groß und ruhmreich macht, gebracht haben werden.“ Auf dieses meint der Pfarrer: Deutschland sollte es machen wie der König in Frankreich, der alle bei seinem Feind ertappten Franzosen hängen lasse. Der Junker aber, besser mit der Reichsverfassung bekannt, erwiedert: das lasse sich noch zur Zeit schwerlich prakticiren, wäre auch viel zu rigoros: zudem sey zwischen dem großen Deutschland mit seinen Ständen und Freiheiten und einem absoluten König ein großer Unterschied: man könnte ab dem nach Beherrschung der ganzen Welt trachtenden Frankreich auf andere Weise die Flügel beschneiden – wobei, zur Abkürzung des Gesprächs, eine damals erschienene politische Schrift, als das rechte Recept 4) enthaltend, empfohlen wird.

Mit einem friedlichen fröhlichen Schmaus schließt die kleine Handlung, die wie „Meier Helmbrecht“ begonnen hat und wie „Hermann und Dorothea“ endet. Mit wenigen glücklichen Strichen reiht sich im natürlichsten Verlauf Person an Person, bis die beiden höherstehenden herbeigeführt werden, welchen der Verfasser seine eigene Ansicht noch eindringlicher in den Mund legen kann. {3609a}

Damals schrieb er auch den „Teutschen Michel“, jene geistreiche Schrift über die Sprachverderbniß, die er mit einer auf mehr als ein Jahrhundert hinaus prophetischen Stelle schloß. Durch einen Wald, erzählt er in parabolischer Weise, sey ein Schmied mit neuen Aexten gegangen, zum Schrecken aller Bäume, die ihrem König diese Gefahr angezeigt. Darauf habe der König gefragt, ob auch jemand von ihnen sich bei den Feinden befinde, d. h. ob die Aexte auch Helme hätten, und als dieß verneint worden, habe er gesagt: so hat es noch lang keine Noth. „Wie werden aber wir bestehen,“ sagt er hierauf, „wann uns ein Volck bekriegen und unser Freyheit unter sich zwingen wolte, dessen Sprache wir schon reden, dessen Lebens-Art uns wolgefällt, dessen Kleidung wir bereits tragen, dessen Thun und Wandel wir lieben und ihme in allem nachäffen? 5)

Die Prüfung begann jetzt hereinzubrechen. Schon 1673 wälzte sich das Kriegsgewitter vom Niederrhein herauf. Zu Anfang des folgenden Jahrs wurde Wilhelm von Fürstenberg von den Kaiserlichen in Köln niedergeworfen, und das Reich trat der Kriegserklärung seines Oberhaupts bei. Aber das unglückliche Treffen von Sinzheim schlug die Gemüther nieder, {3609b}und auch als der Kurfürst von Brandenburg durch ein Anrücken den Feind über den Rhein zurücknöthigte, verbreiteten die französischen Besatzungen in Breisach und Philippsburg wiederholten Schrecken über die umliegenden Lande. Diese oberrheinischen Kriegsdrangsale wußten auch das versteckte Hybspinthal zu finden, und im Sommer des Jahrs 1675 wurde dasselbe gar – anziehend, wie „Rencher Loch“ und „Kniebispaß“ so wmanchmal für den Krieg war – der Schauplatz des Kriegs selbst. Am 8. Juni dieses Jahrs kam Turenne wieder über den Rhein, und begann mit Montecuccoli das kriegsgeschichtlich berühmte Schachspiel, dem jener Kanonenschuß bei Sasbach, eine Stunde von Renchen, am 27. Juli ein Ende machte.

Zu dieser Zeit spätestens war es daß der lange Mann 6) vom Schreibtisch aufstand, und in seinen alten Tagen noch einmal zu den Waffen griff 7). Wir sind auf das nackte Skelett der Thatsache verwiesen: für wen er aber die Waffen ergriffen, das kann, wie er sich so eben selbst ausgesprochen hat, keinen Augenblick im Zweifel seyn. Ob er ganz aus eigenem Antrieb – und in diesem Fall sehr wohl empfohlen, wie man aus seinen Verbindungen schließen darf – wieder unter die alten Fahnen trat, ob er schon als reisiger Beamter eines deutschen Reichsstands zur Reichsarmee zu stoßen verpflichtet war, wird vorerst unermittelt bleiben müssen. Das Bisthum nämlich dem er diente, hatte in seinen Verhältnissen zum Reich noch keinerlei Aenderung erlitten, obgleich der Bischof seit 1674, halb Aechter halb freiwilliger Flüchtling, sich's in Paris behagen ließ. In Renchen selbst gab es, wenigstens seit dem Juni 1675, wohl wenig mehr zu regieren, da sich die ländliche Bevölkerung nach damaligem wohlbegründeten Brauche bei Annäherung der Franzosen meistentheils in die „wilde Rench“ und auf unzugängliche Gebirgshöhen geflüchtet haben wird.

Am 15. Febr. 1675, an welchem Tag ihm zu Renchen ein Sohn starb, mag die Familie noch daselbst vereinigt gewesen seyn. Durch seinen Eintritt in den Kriegsdienst wurde sie zerstreut: wenn er erwachsenere Söhne hatte, so folgten diese wohl dem ritterlichen Beispiel des Vaters, und wurden nach Erforderniß des Dienstes da und dort eingereiht; die kleinere Kinder wird er in sicherer Entfernung bei Freunden untergebracht haben. 8)

Nur wie durch Wolkenrisse erblickt man flüchtig im massenhaften Wettergang der Zeitgeschichte die Gestalt des Mannes, von dem es schwer zu scheiden ist. Turenne's Fall hatte die Franzosen über den Rhein zurückgesprengt, und im Juni 1676 schritten die Deutschen zur Belagerung Philippsburgs. Jetzt konnten die Kinder in die wiederberuhigte Heimath zurückkehren, aber sie kamen nur eben noch recht um – am 17. Aug. – den Vater sterben zu sehen. 9) Ob er verwundet oder von den Anstrengungen des Kriegs aufgerieben {3610a}war, ob eine Krankheit vor der Zeit seinem Leben ein Ziel setzte, ob und warum bei dem Wiedersehen des Vaters und der Kinder die Mutter fehlte – auf alle diese Fragen bleibt unser Zeuge stumm.

Dagegen hat er uns, stillschweigend aber verständlich genug, einen bedeutungsvollen Schritt überliefert mit welchem der Dichter aus dem Leben gieng. Grimmelshausen ließ sich das Abendmahl reichen ohne die letzte Oelung zu empfangen 10), wodurch er deutlich zu erkennen gab daß er nicht unbedingt katholisch geworden sey, und daß er, mit seinem Helden in dem schon erwähnten Gespräch (Simpl. B. III, C. 20) gleichgesinnt, einfach auf „die zwölf Articul des h. christlichen Glaubens“ sterben wolle. Der katholische Pfarrer aber der die den Schritt andeutenden Worte so gelassen niederschrieb, kennzeichnet sich als einen mit der so starken Abweichung vom stricten Ritus einverstandenen Gesinnungsgenossen, zugleich als ein Ebenbild jenes bon amicus in dem Religionsgespräch, von welchem sich Simplicius zu einem halb und halb protestantisch gefärbten Katholicismus bekehren läßt.

So enthüllt denn die letzte Nachricht aus dem Leben des Dichters mit beredter Einsylbigkeit ein Bild der Freundschaft zweier Männer die in einem weltentlegenen Thal das Recht des freien Urtheils und der eigenen Ueberzeugung, des Deutschen Lebensluft, der Satzung zum Trotz aufrecht halten bis in den Tod.

Damit aber kein elegischer Klang uns begleite beim Abschied von der Simplicianischen Welt und ihrem Schöpfer, „dem es so wollen behagen mit Lachen die Wahrheit zu sagen“, so lassen wir zum Schluß einen der guten Abende vor uns aufdämmern, welche die beiden Freunde in Besprechung der für jene Welt bestimmten Lebensbilder und Charakterzüge zugebracht haben mögen. Dabei stellen wir uns vor daß vielleicht Hr. Kaspar Beyer zu dem ebenso heitern als frommen, mit derbem Witz schlagfertigen Pater im zweiten Theil des „Vogelnestes“ als Modell gesessen ist. Dießmal ist es ein Kalenderschwank, das Geschichtchen vom „teutschen Bauer“, was wir Grimmelshausen beim Glas Oberkircher Klingelbergers dem Freund erzählen hören. Zwar gilt der Treff nur den beiden Kriegsfarben jener dreißiger Jahre, aber unwillkürlichen Nachhall weckend erinnerte er, und erinnert heute noch, an die unter andern Formen immer gleich wiederkehrenden Störenfriede im religiösen oder politischen Gewand, nicht an die Mächte des Dualismus selbst, die ein Naturgebot geschaffen hat, aber an die bösen Geister die zu beiden Seiten das Feuer anblasen, an die Sklavenhände die mit Lust als Werkzeuge des Verderbens dienen. Das Geschichtchen aber ist dieses. Ein Bauer den eine Streitpartei am Bodensee gefangen hat, soll bekennen, ob er schwedisch oder kaiserlich sey. Nachdem der commandirende Officier ihm mit seinem Ehrenwort zugesichert hat, daß ihm die Wahrheit keinen Schaden bringen solle, antwortet er vom Herzen weg: „Ich wollte wünschen die Kaiserlichen wären eine Milchsuppe, so groß als dieser See, und die Schwedischen wären die Brocken drin, alßdenn möcht der Teuffel sie mit einander außfressen.“

Tübingen.                                                                 Hermann Kurz.

 

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1) Durch Passow bekanntlich ist die im Renchner Todtenbuch vergrabene Notiz ans Licht gekommen. Da ihr Inhalt nachher im einzelnen zu besprechen ist, so mag sie gleich hier im ganzen stehen: „Anno 1676, 17 August. Obiit in Domino Honestus et magno ingenio et eruditione (?) Joannes Christophorus von Grimmelshausen praetor hujus loci et quamvis ob tumultus belli nomen militiae dederit et pueri hinc inde dispersi fuerint, tamen hic casu omnes convenerunt, et parens sancto (?) Eucharistiae pie munitus obiit et sepultus est, cujus an[ima] requiescat in pace.“ Da der Eintrag, wenn auch flüchtig, in geläufigem Latein geschrieben ist, so wird man die sprachlichen Ader solzenstöße die er bietet, zu Gunsten des Schreibenden auszulegen haben. Nach ingenio et eruditione ist demselben ein Wort wie insignis oder dergl. in der Feder geblieben. Statt sancto wird vermuthlich scto. geschrieben und sacramento zu lesen seyn, das sonst etwas zu leichtfertig hinter Eucharistiae ausgefallen wäre. Die Abkürzung von anima scheint auch nicht ganz sicher; ihr Sinn ist jedenfalls unzweifelhaft. 

2) Passow, Bl. f. l. N. 1843, S. 1046. Doch wird die Bezeichnung auf zwei derselben beschränkt werden müssen, da Schauenburg ohne Zweifel katholisch war. Philipp Hannibal v. Schauenburg war, was wir hier nachtragen, Grimmelshausens Nachbar: nicht bloß das Stammschloß der Familie, die alte Schauenburg, auch ihr wirklicher Sitz Gaisbach liegt bei Oberkirch. 

3) Basler Lexikon u. d. N. Fleckenstein. 

4) Dasselbe ist nationalökonomischer Natur: ein Einfuhrverbot gegen französische Waaren, die allerdings damals ungeheure Summen nach Frankreich leiteten. Der Vorschlag (von Wassenberg, abgedruckt in, Diar. europ. XXV) wurde wirkklich in Wien befolgt. 

5) Der „Stolze Melcher“ und der „Teutsche Michel“ sind, so viel bekannt, die letzten Schriften welche Grimmelshausen (1672 und 1673) veröffentlicht hat Auch machte jetzt der Krieg den Buchhandel stocken. Schon dieser Grund verbietet das früher besprochene Emblem des wetterbeschädigten Baumes auf die Verhaftung Wilhelms von Fürstenberg und Franz Egons jetzt beginnende Bedrängnisse zu deuten. Für eine neue Auflage der Mondreise war nach dem Februar 1674 keine Zeit. 

6) Keller (II, 1132) zu Simpl. B. V, C. 17. Vgl. auch B. VI, C. 26. 

7) Et quamvis ob tumultus belli nomen militiae dederit. Die Stelle ist bisher unrichtig verstanden und auf seine Dienste im dreißigjährigen Krieg bezogen worden. Als Kaspar Beyer 1676 diese Worte schrieb, blickte er auf den so eben in naher und nächster Nähe mit dem Sinzheimer Treffen und der Sasbacher Affaire vorübergegangenen französischen Kriegstumult zurück. Der deutsche Krieg lag für ihn und seine Zeit in nebelgrauer Ferne; waren ja seit dem westfälischen Frieden schon fast dreißig Jahre vergangen! 

8) Et pueri hinc inde dispersi fuerint. Der so eben berichtigte Irrthum hat zu einem weiteren geführt, nämlich daß diese Söhne einer schon im dreißigjährigen Krieg geschlossenen Ehe entstammt seyen. Hätte Grimmelshausen von jener Zeit her Söhne gehabt, so wäre es im höchsten Grad verwunderlich daß dieselben während achtundzwanzig langer Friedensjahre in der Zerstreuung gelebt, und jetzt erst durch den kaum halb beendigten französischen Kriegslärm hindurch den Weg nach Renchen gefunden haben sollten. Seine muthmaßlichen Lebensschicksale machen es ohnehin wahrscheinlich daß er spät, wenn auch nicht erst in Renchen, heirathete, und hiezu stimmt auch der Ausdruck pueri, statt filii, der sonst allerdings nicht entscheidend wäre. Wie alt der Sohn war der ihm am 15. Febr. 1675 starb, ist nicht angegeben. Wenn aber, wie man doch vermuthen muß, jener Hauptmann und Postmeister Christoph v. Grimmelshausen in Renchen, welchen Passow in einem Kaufbrief von 1711 aufgefunden hat, ein Sohn des Dichters war, so hatte er, nur vom Tode seines Vaters an gerechnet, schon fünfunddreißig Jahre auf dem Rücken, kann also damals recht wohl im vollen Sinn des Worts ein puer gewesen seyn. Die irrige Annahme einer früheren Ehe findet einen scheinbaren Halt in der Ehe welche Simplicissimus, der Held des Romans, im deutschen Krieg schließt. Allein gerade hier zeigt es sich daß das Leben des Helden und seines Verfassers durchaus nicht buchstäblich zusammen gehen. Simplicissimus führt nach seiner Verheirathung ein solches Junggesellenleben fort, daß dem Verfasser, soweit er eigene Erinnerungen gab, nur dieses und nicht das Gegentheil vorgeschwebt haben kann. 

9) Tamen hic casu omnes convenerunt. Der Zufall war wohl nicht so wunderbar wie er auf den ersten Blick ansieht. Die Heimkehr der Kinder wird stattgefunden haben sobald das nächste Feld, besonders vollends durch die Blokade von Philippsburg, gesäubert war. Nur i>das war zufällig, und ein freundlicher Zufall, daß sie ziemlich gleichzeitig, wie es scheint, eintrafen, und daß sie den sterbenden Vater noch am Leben fanden. 

10) Sacramento Eucharisticae pie munitus obiit. Die Stelle ist so auffallend daß Keller (II, 1130) sagt: die Nichterwähnung der letzten Oelung könnte Verdacht gegen den Katholizismus des Sterbenden erwecken, wenn nicht das Todtenbuch von einem katholischen Priester geführt worden wäre, der von einem Protestanten diesen Ausdruck nicht gebraucht haben würde.