B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Karl Marx
1818 - 1883
     
   


G e d i c h t e   v o n
K a r l   M a r x ,   g e s c h r i e b e n
i n   d e n   J a h r e n   1 8 3 5   u n d   1 8 3 6


Zusammengestellt von Sophie Marx

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[...]

Sturmlied.

Könnt ihr nicht besser hausen
Ihr Stürme und Orkan,
Nicht Berge niederbrausen,
Durch weiten Erdenplan?

Ihr seid nicht eingezwänget
Von Menschen und von Stein,
Um eure Seele dränget
Sich nicht ein morsch Gebein.

Ein Weltall dürft ihr fassen,
Dürft fluchen ihm in's Herz,
Laut heulen euer Hassen,
Laut heulen euren Schmerz!

Den Himmel dürft ihr fodern,
Zum schicksalsvollen Kampf,
Bis zu den Wolken lodern,
In heißem Feuerdampf!

Doch nur wie Knabenlieder
In schlechten Melodien,
Tönt euer Sang hernieder,
Weit durch die Welt zu fliehn.

Und nimmer horch ich lange,
Und nimmer sehnsuchtsschwer,
Ergriffen wie vom Drange,
Denn 's klingt nur hohl und leer.

Mich fesseln tausend Schranken,
Die Seele morsch Gebein,
Der Himmel den Gedanken,
Den Körper Mensch und Sein.

Mein armes Herz umfassen
Zwei kleine Spannen leicht,
Die Geister mich verlassen,
Wenn's von dem Blitz erreicht.

Und dennoch tönt und stürmet
Es ewig heiß da fort,
Und Schmerz auf Schmerz gethürmet
Erbraust an diesem Ort.

Ihr müßt euch untertauchen,
Wenn's tief in mir ertönt,
Dann seid ihr nur ein Haufen,
Was einen Sturm verhöhnt.

Dann spreng' ich alle Bande,
Dann flammt's zum Himmel auf,
In kühnem Fichtenbrande,
In ungemeß'nem Lauf.

Dann frage ich die Welten,
Den Gott um Rechenschaft,
Und fühl' in meinem Schelten,
Des Busens Gluth und Kraft.

Dann stürzt hernieder, Himmel,
Ich falle unter euch,
Und in dem Weltgewimmel
Bleib ich mir selber gleich.

Dann möcht' ihr prasselnd sinken,
Ich leg' die Hand auf's Herz,
Und heule im Ertrinken
Euch meinen Fluch und Schmerz.

[...]
 

Die Zerrißne.
Ballade.
(auch im Buch der Liebe I und in Sophies Notizbuch)

     I.
Sie steht im Prachtgewande,
     Von Purpurkleid geziert,
In zartem Atlasbande,
     Das sich im Busen verliert.

Und spielend in den Locken
     Ein Rosenkranz ihr ruht,
Die einen gleich Schneesflocken,
     Die andern, wie Feuer und Blut.

Doch nimmer der Rose Flammen
     In ihrem Antlitz spielt,
Sie sinket gebeugt zusammen,
     Wie ein Wild, das der Pfeil erzielt.

Sie blicket so bleich und so bebend
     In vollem Demantenschein,
     Das Blut von der Wange strebend,
Es schlägt in's Herz hinein.

«Schon wieder mußt' ich eilen,
     Zu stürzen in leere Lust,
Die Schritte schwebend theilen,
     Gepreßt in tiefer Brust!»

«Mir schlägt ein ander Verlangen
     Durch der Seele wogend Meer,
Als mich an Pracht zu hangen,
     So kalt, so liebeleer!»

«Ich weiß mir nicht zu erklären,
     Was in dem Busen brennt,
Der Himmel kann's nur gewähren,
     Kein irdischer Laut es nennt.»

«Und keinem darf ich's vertrauen,
     Sie spotten meiner nur,
Vermögen nicht zu schauen
     In tiefere Natur.»

«Ach! dürft' ich fliehen, fliehen
     Zum Aether hoch hinauf,
Doch Stürm' und Wogen ziehen
     Mich fort im Erdenlauf.»

«Ich möcht' so gerne sterben,
     Im Schmerze untergehn,
Den Himmel zu erwerben,
     Und schöner Land zu sehn!»

Sie schlägt den Blick mit Thränen,
     Hinauf zum Himmelslicht,
Und ihres Busens Wähnen
     In stummen Seufzern bricht.

Dann legt sie leis sich nieder,
     Und spricht ein tief Gebet,
Und Schlaf umhüllt die Glieder,
     Und ein Engel über ihr steht.

     II.
Und Jahre zogen herüber,
     Die Wangen fielen ein,
Sie wurde still und trüber,
     Sank mehr in sich hinein.

Vergebens sucht sie zu kämpfen,
     Zu stillen den tiefen Schmerz,
Die Riesengewalten zu dämpfen,
     Es springt das volle Herz.

Sie lag einst wieder versunken
     Im Bette ohne Rast,
Schien schon im Nichts ertrunken,
     Vom Schlage tief erfaßt.

Der Blick ist aufgerissen,
     Er schaut so hohl und irr,
Scheint nicht mehr von sich zu wissen,
     Sie redet geisterwirr.

Und aus dem Auge quillet
     Ein Blutstrom ohne Wahl,
Da scheint der Schmerz gestillet,
     Da blizt es wie Geistesstrahl:

«Ich seh' den Himmel offen,
     Mich faßt's so seltsam an,
Zum Wesen wird mein Hoffen,
     Ich darf den Sternen nahn.»

So bebt's von den Lippen, den bleichen,
     So hallt die Seele aus,
Die zarten Geister weichen,
     Und fliehn zum Aetherhaus.

Hin trieb sie ein tiefes Streben,
     Dort zog sie's wie Zauberband,
Zu kalt war ihr das Leben,
     Zu arm das Erdenland.

[...]
 
Empfindungen.
(auch im Buch der Liebe II)

Nimmer kann ich ruhig treiben,
     Was die Seele stark erfaßt,
Nimmer still behaglich bleiben,
     Und ich stürme ohne Rast.

And're mögen nur sich freuen,
     Wenn's so recht zufrieden geht,
Mögen Glückwunsch sich erneuen,
     Beten nur ihr Dankgebet.

Mich umwogt ein ewig Drängen,
     Ew'ges Brausen, ew'ge Gluth,
Kann sich nicht in's Leben zwängen,
     Will nicht ziehn in glatter Fluth.

Himmel such' ich zu erfassen,
     Und die Welt in mich zu ziehn,
Und in Lieben und in Hassen
     Möcht' ich bebend weitersprühn.

Alles möcht' ich mir erringen,
     Jede schönste Göttergunst,
Und in Wissen wagend dringen,
     Und erfassen Sang und Kunst;

Welten selber stark zerstören,
     Weil ich keine schaffen kann,
Weil sie meinem Ruf nicht hören,
     Stummgekreist im Zauberbann.

Ach! die todten, stummen gaffen
     Uns're Thaten höhnend an,
Wir zerfalln und unser Schaffen,
     Und sie wandeln ihre Bahn.

Doch ich möcht' ihr Loos nicht tauschen,
     Von der Fluth dahingejagt,
Ewig fort im Nichts zu rauschen,
     Pracht, die stets sich selbst beklagt.

Denn die Mauern und die Hallen,
     Alles stürzt im raschen Lauf,
Kaum sind sie im Nichts zerfallen,
     Und ein neues Reich steigt auf.

Und so schwankt es durch die Jahre,
     Von dem Nichts bis zu dem All,
Von der Wiege bis zur Bahre,
     Ew'ges Steigen, ew'ger Fall.

Und so treiben tief die Geister,
     Bis sie selbst sich aufgezehrt,
Bis sie ihren Herrn und Meister
     Selber schonungslos verheert.

Darum laßt den Kreis durcheilen,
     Den ein Gott uns herrschend zog,
Laßt uns Lust und Leiden theilen,
     Wie die Schicksalswage wog.

Darum laßt uns alles wagen,
     Nimmer rasten, nimmer ruhn;
Nur nicht dumpf so gar nichts sagen,
     Und so gar nichts woll'n und thun.

Nur nicht brütend hingegangen,
     Aengstlich in dem niedern Joch,
Denn das Sehnen und Verlangen,
     Und die That, sie blieb uns doch.

 
Harmonie.
An Jenny.
(auch im Buch der Lieder und in den Geburtstagsgedichten)

Kennst Du das süsse Zauberbild,
     Wo Seelen in einander fliessen,
     In einem Hauche sich ergiessen,
Melodisch voll und freundlich mild?

Sie glühen auf in einer Purpurrose,
Und bergen sich verschämt im weichen Moose.

Und walle weit durch Flur und Land,
     Das Zauberbild wirst Du nicht finden,
     Kein Talisman vermag's zu binden,
Und keine Sonne je es fand.

Es ist in ihrem Scheine nicht entsprossen,
Hat keine Erdennahrung je genossen.

Drum bleibt es ewig prangend stehn,
     Ob schwingt die Zeit den raschen Flügel,
     Apollo fast der Rosse Zügel,
Und Welten stumm im Nichts vergehn.

In sich hat's eine Kraft sich selbst erzeuget,
Die keine Welt, die selbst kein Gott ihm beuget.

Es ähnelt wohl dem Zytherklang,
     Gespielt auf einer ew'gen Leier,
     In stetem Glühen, steter Feier,
In hohem, sehnsuchtsvollem Drang.

O! horch den Saiten, die in Dir erschallen,
Zu suchen wird Dein Fuß nicht weiterwallen.

[...]