B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Karl Marx
1818 - 1883
     
   


V o l k s l i e d e r s a m m l u n g

I X )   F i n n i s c h e   R u n e n .
(Herausgegeben von H. v. Schröter.)


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     78)
     Die Geburt des Bären.

Wo gezeuget ward der Bär wohl,
Wo der Süßfuß sanft geschaukelt?
Bei dem Monde, bei der Sonne,
Bei den Otawaistens Achseln.
Dorther ward herabgelassen
Er in Silberhellen Stricken,
In den Lichtguldigen Wiegen,
Maid Maria, kleine Mutter,
Warf Wollflocken auf die Wasser,
Windeln, wie die Flaggen flatternd,
Auf die klaren Meeresklippen,
Auf die weiten grossen Wellen.
Ungewitter thät sie wiegen, –
Wassers Athem sie umfächelt –
Zu Waldreichem Vorgebirgsrand,
Hinzurasen in das Heidland,
Zu zertreten nord'sche Triften.
Süßfuß! laß, was barsch und bös ist,
Nicht geselle dich Gemeinem!
Das verbot dir Deine Mutter.
Schade nicht gedüngtem Schenkel,
Tödte nicht Milchträgerinnen!
Mehr zu thun hat deine Mutter,
Vieles leidet die Erzeugrin,
Wenn der Sohn das Böse schaffet,
Wenn das Kind im Schlimmen sitzet,
Eile fort, wie wilder Eber,
Schnell vorbei wie Fisch im Wasser,
Haste dich zur Heimathshöhle,
Daß die Milchfrau dich nicht merke!

 
     79)
     Die Geburt der Kolik.
     (Ich setze blos Stellen weis das Gedicht her, in dem sich recht die
        Naivetät der finnischen Volksanschauung bekundet.)


Bauchkrampf Du, Bauchkrampfes Sohn Du,
Andrer Sohn, elend'ger Pfuscher,
Du, gemacht von Theerholz Stöcken,
Aus 'nes Seepfahls Schwamm geschaffen,
Du aus Feuersbrand geboren!

Wo sind meine Schlangenhandschuh,
Wo sind meine Eidechsstiefeln,
Womit ich dich packe Kröte,
Greife dich, du böse Mücke,
Von der Haut des armen Menschen,
Von des Weibgebornen Leibe.

 
     80)
     Die Geburt der Harfe.
     (Wäinämöinen ist der oberste Finnengott)

Alter Wäinämöinen selber auf dem Berge hieb ein Boot zu,
Schuf auf Bergeshöh' die Harfe. Wovon ist der Harfe Höhlung?
Von dem bunten Birkenmaser. Woraus sind der Harfe Schrauben?
Aus gleichdickem Ast der Eiche. Woraus sind der Harfe Zungen?
Aus dem Schweifhaar tücht'gen Hengstes, aus des Lemposfüllen Kleidung.

Alter Wäinämöinen selber, rief Jungfrauen, rief Jünglinge,
Um zu spielen mit den Fingern.
Freude wurde nicht zu Freude,
Spiel sich nicht zu Spiele stimmte,
Rief er unbeweibten Männern,
Rief er die beweibten Helden:
Freude wurde nicht zu Freude,
Spiel sich nicht zu Spiele stimmte,
Rief er Alte aus den Weibern,
Männer in den Mitteljahren:
Freude wurde nicht zu Freude,
Spiel sich nicht zu Spiele stimmte.
Sezt der alte Wäinämöinen
Selbst sich da zu seinem Sitze,
Nahm mit Fingern sein die Harfe,
Wandt' an seine Knie die Höhlung,
Unter seine Hand die Harfe;
Alter Wäinämöinen spielte,
Wurde da erst Spiel zu Spiele,
Freude sich zu Freude stimmte.

Fand man keinen in dem Heine,
Laufend auf der Füsse vieren,
Trippelnd auf den kleinen Tatzen,
Der nicht kam, um zuzuhorchen,
Als der Vater Freude weckte,
Als Wäinämöinen spielte.
Selbst der Bär stemmt an den Zaun sich,
Als Wäinämöinen spielte.
Fand man keinen in dem Heine,
Schwingend seine beiden Schwingen,
Die Vornehmsten des Geflügels,
Der nicht kam, geschaart, wie Flocken.
Fand man keinen in dem Meere,
Fahrend mit sechs feinen Flossen,
Hin und her bewegend achte,
Der zu horchen nicht gekommen.
Selbst die Wirthin in dem Wasser
Warf herauf sich auf das Seegras,
Zog sich auf die Wassersteine,
Auszuruhen auf dem Bauche.
Aus Wäinämöinens eignen Augen drang ein klares Wasser,
Rundlicher als wie Moosbeere, derb wie Ei des Haselhuhnes,
Auf die Brust hin, die redliche, von der Brust zu seinen Knien,
Von den Knien zu den Füssen fielen nieder Wasserstropfen,
Fielen durch fünf Wollenmäntel,
Durch acht lange wollene Röcke.