BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Marx

1818 - 1883

 

Manifest der Kommunistischen Partei

 

1848

 

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III.

Socialistische und kommunistische Literatur.

 

1) Der reaktionäre Socialismus.

 

a) Der feudale Socialismus.

Die französische und englische Aristokratie war ihrer geschicht­lichen Stellung nach dazu berufen, Pamphlete gegen die moderne bürgerliche Gesellschaft zu schreiben. In der französischen Juni­revolution von 1830, in der englischen Reformbewegung war sie noch einmal dem verhaßten Emporkömmling erlegen. Von einem ernsten politischen Kampfe konnte nicht mehr die Rede sein. Nur der [17] literarische Kampf blieb ihr übrig. Aber auch auf dem Gebiete der Literatur waren die alten Redensarten der Restaurationszeit unmöglich geworden. Um Sympathie zu erregen, mußte die Aristokratie scheinbar ihre Interessen aus dem Auge verlieren und nur noch im Interesse der exploitirten Arbeiterklasse ihren Anklageakt gegen die Bourgeoisie formuliren. Sie bereitete sich so die Genugthuung vor, Schmählieder auf ihren neuen Herrscher zu singen und mehr oder minder unheil­schwangere Prophezeiungen ihm in's Ohr raunen zu dürfen.

Auf diese Art entstand der feudalistische Socialismus, halb Klagelied, halb Pasquill, halb Rückhall der Vergangenheit, halb Dräuen der Zukunft, mitunter die Bourgeoisie in's Herz treffend durch bittres, geistreich zerreißendes Urtheil, stets komisch wirkend durch gänzliche Unfähigkeit, den Gang der modernen Geschichte zu begreifen.

Den proletarischen Bettelsack schwenkten sie als Fahne in der Hand, um das Volk hinter sich her zu versammeln. So oft es ihnen aber folgte, erblickte es auf ihrem Hintern die alten feudalen Wappen und verlief sich mit lautem und unehrerbietigem Gelächter.

Ein Theil der französischen Legitimisten und das junge England gaben dies Schauspiel zum Besten.

Wenn die Feudalen beweisen, daß ihre Weise der Ausbeutung an­ders gestaltet war als die bürgerliche Ausbeutung, so vergessen sie nur, daß sie unter gänzlich verschiedenen und jetzt überlebten Umständen und Bedingungen ausbeuteten. Wenn sie nachweisen, daß unter ihrer Herrschaft nicht das moderne Proletariat existiert hat, so vergessen sie nur, daß eben die moderne Bourgeoisie ein nothwendiger Sprößling ihrer Gesellschaftsordnung war.

Uebrigens verheimlichen sie den reaktionären Charakter ihrer Kritik so wenig, daß ihre Hauptanklage gegen die Bourgeoisie eben darin besteht, unter ihrem Regime entwickele sich eine Klasse, welche die ganze alte Gesellschaftsordnung in die Luft sprengen werde.

Sie werfen der Bourgeoisie mehr noch vor, daß sie ein revolutionäres Proletariat, als daß sie überhaupt ein Proletariat erzeugt.

In der politischen Praxis nehmen sie daher an allen Gewalt­maßregeln gegen die Arbeiterklasse Theil, und im gewöhnlichen Leben bequemen sie sich, allen ihren aufgeblähten Redensarten zum Trotz, die goldnen Aepfel aufzulesen, und Treue, Liebe, Ehre mit dem Schacher in Schaafswolle, Runkelrüben und Schnapps zu vertauschen.

Wie der Pfaffe immer Hand in Hand ging mit dem Feudalen, so der pfäffische Socialismus mit dem feudalistischen.

Nichts leichter, als dem christlichen Ascetismus einen socialistischen Anstrich zu geben. Hat das Christenthum nicht auch gegen das Privat­eigenthum, gegen die Ehe, gegen die Staat geeifert? Hat es nicht die Wohlthätigkeit und den Bettel, das Cölibat und die Fleischesertödtung, das Zellenleben und die Kirche an ihre Stelle gepredigt? Der hei[l]ige Socialismus ist nur das Weihwasser, womit der Pfaffe den Aerger des Aristokraten einsegnet.

 

b) Kleinbürgerlicher Socialismus.

Die feudale Aristokratie ist nicht die einzige Klasse, welche durch die Bourgeoisie gestürzt wurde, deren Lebensbedingungen in der modernen bürgerlichen Gesellschaft verkümmerten und abstarben. Das mittelalterliche Pfahlbürgerthum und der kleine Bauernstand waren die Vorläufer der modernen Bourgeoisie. In den weniger industriell und kommerciell entwickelten Ländern vegetirt diese Klasse noch fort neben der aufkommenden Bourgeoisie.

[18] In den Ländern, wo sich die moderne Civilisation entwickelt hat, hat sich eine neue Kleinbürgerschaft gebildet, die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwebt und als ergänzender Theil der bürgerlichen Gesellschaft stets von Neuem sich bildet, deren Mitglieder aber beständig durch die Konkurrenz in's Proletariat hinabgeschleudert werden, ja selbst mit der Entwicklung der großen Industrie einen Zeitpunkt herannahen sehen, wo sie als selbständiger Theil der modernen Gesellschaft gänzlich verschwinden, und im Handel, in der Manufaktur, in der Agrikultur durch Arbeitsaufseher und Domestiken ersetzt werden.

In Ländern wie Frankreich, wo die Bauernklasse weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, war es natürlich, daß Schriftsteller, die für das Proletariat gegen die Bourgeoisie auftraten, an ihre Kritik des Bourgeoisregime's den kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Maaß­stab anlegten und die Partei der Arbeiter vom Standpunkt des Kleinbürgerthums ergriffen. Es bildete sich so der kleinbürgerliche Socialismus. Sismondi ist das Haupt dieser Literatur nicht nur für Frankreich, sondern auch für England.

Dieser Socialismus zergliederte höchst scharfsinnig die Wider­sprüche in den modernen Produktionsverhältnissen. Er enthüllte die gleißnerischen Beschönigungen der Oekonomen. Er wies unwiderleg­lich die zerstörenden Wirkungen der Maschinerie und der Theilung der Arbeit nach, die Koncentration der Kapitalien und des Grundbesitzes, die Ueberproduktion, die Krisen, den nothwendigen Untergang der kleinen Bürger und Bauern, das Elend des Proletariats, die Anarchie in der Produktion, die schreienden Mißverhältnisse in der Vertheilung des Reichthums, den industriellen Vernichtungskrieg der Nationen unter einander, die Auflösung der alten Sitten, der alten Familien-Verhält­nisse, der alten Nationalitäten.

Seinem posititiven Gehalte nach will jedoch dieser Socialismus entweder die alten Produktions- und Verkehrsmittel wiederherstellen und mit ihnen die alten Eigenthumsverhältnisse und die alte Gesellschaft, oder er will die modernen Produktions- und Verkehrs­mittel in den Rahmen der alten Eigenthumsverhältnisse, die von ihnen gesprengt wurden, gesprengt werden mußten, gewaltsam wieder einsperren. In beiden Fällen ist er reaktionär und utopistisch zugleich.

Zunftwesen in der Manufaktur und patriarchalische Wirthschaft auf dem Lande, das sind seine letzten Worte.

In ihrer weiteren Entwicklung hat sich diese Richtung in einen feigen Katzenjammer verlaufen.

 

c) Der deutsche oder der wahre Socialismus.

Die socialistische und kommunistische Literatur Frankreichs, die unter dem Druck einer herrschenden Bourgeoisie entstand und der literarische Ausdruck des Kampfs gegen diese Herrschaft ist, wurde nach Deutschland eingeführt zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie so eben ihren Kampf gegen den feudalen Absolutismus begann.

Deutsche Philosophen, Halbphilosophen und Schöngeister bemäch­tigten sich gierig dieser Literatur und vergassen nur, daß bei der Einwanderung jener Schriften aus Frankreich die französischen Lebensverhältnisse nicht gleichzeitig nach Deutschland eingewandert waren. Den deutschen Verhältnissen gegenüber verlor die französische Literatur alle unmittelbar praktische Bedeutung und nahm ein rein literarisches Aussehen an. Als müßige Spekulation über die wahre Gesellschaft, über die Verwirklichung des menschlichen Wesens mußte sie erscheinen. So hatten für die deutschen Philosophen des 18. Jahrhunderts die Forderungen der ersten französischen Revolution nur den Sinn, Forderungen der «praktischen [19] Vernunft» im Allgemeinen zu sein und die Willensäußerung der revolutionären französischen Bourgeoisie bedeuteten in ihren Augen die Gesetze des reinen Willens, des Willens wie er sein muß, des wahrhaft menschlichen Willens.

Die ausschließliche Arbeit der deutschen Literaten bestand darin, die neuen französischen Ideen mit ihrem alten philosophischen Gewissen in Einklang zu setzen oder vielmehr von ihrem philosophischen Standpunkt aus die französischen Ideen sich anzueignen.

Diese Aneignung geschah in derselben Weise, wodurch man sich überhaupt eine fremde Sprache aneignet, durch die Uebersetzung.

Es ist bekannt wie die Mönche Manuscripte, worauf die klassischen Werke der alten Heidenzeit verzeichnet waren, mit abgeschmackten katholischen Heiligengeschichten überschrieben. Die deutschen Litera­ten gingen umgekehrt mit der profanen französischen Literatur um. Sie schrieben ihren philosophischen Unsinn hinter das französische Origi­nal. Z. B. hinter die französische Kritik der Geldverhältnisse schrieben sie «Entäußerung des menschlichen Wesens», hinter die französische Kritik des Bourgeoisstaats schrieben sie «Aufhebung der Herrschaft des abstrakt Allgemeinen» u. s. w.

Die Unterschiebung ihrer philosophischen Redensarten unter die französischen Entwicklungen tauften sie «Philosophie der That», «wah­rer Socialismus», «Deutsche Wissenschaft des Socialismus», «Philoso­phische Begründung des Socialismus» u. s. w.

Die französisch-socialistisch kommunistische Literatur wurde so förmlich entmannt. Und da sie in der Hand des Deutschen aufhörte, den Kampf einer Klasse gegen die andere auszudrücken, so war der Deutsche sich bewußt, die französische Einseitigkeit überwunden, statt wahrer Bedürfnisse das Bedürfniß der Wahrheit, und statt die Interessen des Proletariers die Interessen des menschlichen Wesens, des Menschen überhaupt vertreten zu haben, des Menschen, der keiner Klasse, der überhaupt nicht der Wirklichkeit, der nur dem Dunsthimmel der philosophischen Phantasie angehört.

Dieser deutsche Socialismus, der seine unbeholfene Schulübungen so ernst und feierlich nahm und so marktschreierisch ausposaunte, verlor indeß nach und nach seine pedantische Unschuld.

Der Kampf der deutschen namentlich der preußischen Bourgeoisie gegen die Feudalen und das absolute Königthum, mit einem Wort, die liberale Bewegung wurde ernsthafter.

Dem wahren Socialismus war so erwünschte Gelegenheit geboten, der politischen Bewegung die socialistischen Forderungen gegenüber zu stellen.

Die überlieferten Anatheme gegen den Liberalismus, gegen den Repräsentativ=Staat, gegen die bürgerliche Konkurrenz, bürgerliche Preßfreiheit, bürgerliches Recht, bürgerliche Freiheit und Gleichheit zu schleudern und der Volksmasse vorzupredigen, wie sie bei dieser bürgerlichen Bewegung nichts zu gewinnen, vielmehr Alles zu verlieren habe. Der deutsche Socialismus vergaß rechtzeitig, daß die französische Kritik, deren geistloses Echo er war, die moderne bürgerliche Gesell­schaft mit den entsprechenden materiellen Lebensbedingungen und der angemessenen politischen Konstitution vorausgesetzt, lauter Voraus­setzungen, um deren Erkämpfung es sich erst in Deutschland handelte.

Er diente den deutschen absoluten Regierungen mit ihrem Gefolge von Pfaffen, Schulmeistern, Krautjunkern und Büreaukraten als er­wünschte Vogelscheuche gegen die drohend aufstrebende Bourgeoisie.

Er bildete die süßliche Ergänzung zu den bittern Peitschenhieben und Flintenkugeln, womit dieselben Regierungen die deutschen Arbei­ter-Aufstände bearbeiteten.

[20] Ward der wahre Socialismus dergestalt eine Waffe in der Hand der Regierungen gegen die deutsche Bourgeoisie, so vertrat er auch unmittelbar ein reaktionäres Interesse, das Interesse der deutschen Pfahlbürgerschaft. In Deutschland bildet das vom 16. Jahrhundert her überlieferte und seit der Zeit in verschiedener Form hier immer neu wieder auftauchende Kleinbürgerthum die eigentliche gesellschaftliche Grundlage der bestehenden Zustände.

Seine Erhaltung ist die Erhaltung der bestehenden deutschen Zu­stände. Von der industriellen und politischen Herrschaft der Bour­geoisie fürchtet es den sichern Untergang, einer Seits infolge der Koncentration des Kapitals, andrer Seits durch das Aufkommen eines revolutionären Proletariats. Der wahre Socialismus schien ihm beide Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Er verbreitete sich wie eine Epidemie.

Das Gewand, gewirkt aus spekulativem Spinnweb, überstickt mit schöngeistigen Redeblumen, durchtränkt von liebesschwülem Gemüths­thau, dies überschwängliche Gewand, worin die deutschen Socialisten ihre paar knöchernen ewigen Wahrheiten einhüllten, vermehrte nur den Absatz ihrer Waare bei diesem Publikum.

Seiner Seits erkannte der deutsche Socialismus immer mehr seinen Beruf, der hochtrabende Vertreter dieser Pfahlbürgerschaft zu sein.

Er proklamirte die deutsche Nation als die normale Nation und den deutschen Spießbürger als den Normal=Menschen. Er gab jeder Nie­dertracht desselben einen verborgenen, höheren, socialistischen Sinn, worin sie ihr Gegentheil bedeutete. Er zog die letzte Konsequenz, indem er direkt gegen die rohdestruktive Richtung des Kommunismus auftrat, und seine unparteiische Erhabenheit über alle Klassenkämpfe verkün­dete. Mit sehr wenigen Ausnahmen gehört alles, was in Deutschland von angeblich socialistischen und kommunistischen Schriften zirkulirt, in den Bereich dieser schmutzigen, entnervenden Literatur.

 

2) Der konservative oder Bourgeois=Socialismus.

Ein Theil der Bourgeoisie wünscht den socialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.

Es gehören hierher: Oekonomisten, Philantrophen, Humanitäre, Ver­besserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohlthätigkeits-Organisirer, Abschaffer der Thierquälerei, Mäßigkeits-Vereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art. Und auch zu ganzen Systemen ist dieser Bourgeois-Socialismus ausgearbeitet worden.

Als Beispiel führen wir Proudhons Philosophie de la misère an.

Die socialistischen Bourgeois wollen die Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft ohne die nothwendig daraus hervorgehenden Kämpfe und Gefahren. Sie wollen die bestehende Gesellschaft mit Abzug der sie revolutionirenden und sie auflösenden Elemente. Sie wollen die Bourgeoisie ohne das Proletariat. Die Bourgeoisie stellt sich die Welt, worin sie herrscht, natürlich als die beste Welt vor. Der Bourgeois=Socialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu einem halben oder ganzen System aus. Wenn er das Proletariat auffordert seine Systeme zu verwirklichen, um in das neue Jerusalem einzugehen, so verlangt er im Grunde nur, daß es in der jetzigen Gesellschaft stehen bleibe, aber seine gehässigen Vorstellungen von derselben abstreife.

Eine zweite, weniger systematische nur mehr praktische Form des Socialismus suchte der Arbeiterklasse jede revolutionäre Bewegung zu verleiden, durch den Nachweis, wie nicht diese oder jene politische Ver­änderung, sondern nur eine Veränderung der materiellen Lebens­verhältnisse, der ökonomischen [21] Verhältnisse ihr von Nutzen sein könne. Unter Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse versteht dieser Socialismus aber keineswegs Abschaffung der bürgerlichen Produktions-Verhältnisse, die nur auf revolutionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesserungen, die auf dem Boden dieser Produktions-Verhältnisse vor sich gehen; also an dem Verhältniß von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bour­geoisie die Kosten ihrer Herrschaft vermindern und ihren Staats­haushalt vereinfachen.

Seinen entsprechenden Ausdruck erreicht der Bourgeois-Socialismus erst da, wo er zur bloßen rednerischen Figur wird.

Freier Handel! im Interesse der arbeitenden Klasse; Schutzzölle! im Interesse der arbeitenden Klasse; Zellengefängnisse! im Interesse der arbeitenden Klasse, das ist das letzte, das einzig ernst gemeinte Wort des Bourgeois=Socialismus.

Ihr Socialismus besteht eben in der Behauptung, daß die Bourgeois Bourgeois sind – im Interesse der arbeitenden Klasse.

 

3) Der kritisch-utopistische Socialismus oder Kommunismus.

Wir reden hier nicht von der Literatur, die in allen großen moder­nen Revolutionen die Forderungen des Proletariats aussprach. (Schriften Babeufs u. s. w.)

Die ersten Versuche des Proletariats in einer Zeit allgemeiner Auf­regung, in der Periode des Umsturzes der feudalen Gesellschaft direkt sein eigenes Klasseninteresse durchzusetzen, scheiterten nothwendig an der unentwickelten Gestalt des Proletariats selbst, wie an dem Mangel der materiellen Bedingungen seiner Befreiung, die eben erst das Produkt der bürgerliche Epoche sind. Die revolutionäre Literatur, welche diese ersten Bewegungen des Proletariats begleitete, ist dem Inhalt nach nothwendig reaktionär. Sie lehrt einen allgemeinen Ascetismus und eine rohe Gleichmacherei.

Die eigentlich socialistischen und kommunistischen Systeme, die Systeme St. Simons, Fourriers, Owens u. s. w. tauchen auf in der ersten, unentwickelten Periode des Kampfes zwischen Proletariat und Bour­geoisie, die wir oben dargestellt haben. (S. Bourgeoisie und Proletariat.)

Die Erfinder dieser Systeme sehen zwar den Gegensatz der Klassen wie die Wirksamkeit der auflösenden Elemente in der herrschenden Gesellschaft selbst. Aber sie erblicken auf der Seite des Proletariats keine geschichtliche Selbstthätigkeit, keine ihm eigenthümliche politische Bewegung.

Da die Entwicklung des Klassengegensatzes gleichen Schritt hält mit der Entwicklung der Industrie, finden sie eben so wenig die materiellen Bedingungen zur Befreiung des Proletariats vor, und suchen nach einer socialen Wissenschaft, nach socialen Gesetzen, um diese Bedingungen zu schaffen.

An die Stelle der gesellschaftlichen Thätigkeit muß ihre persönlich erfinderische Thätigkeit treten, an die Stelle der geschichtlichen Bedin­gungen der Befreiung phantastische, an die Stelle der allmählig vor sich gehenden Organisation des Proletariats zur Klasse eine eigens aus­geheckte Organisation der Gesellschaft. Die kommende Weltgeschichte löst sich für sie auf in die Propaganda und die praktische Ausführung ihrer Gesellschaftspläne.

Sie sind sich zwar bewußt in ihren Plänen hauptsächlich das In­teresse der arbeitenden Klasse als der leidendsten Klasse zu vertreten. Nur unter diesem Gesichtspunkt der leidendsten Klasse existirt das Proletariat für sie.

Die unentwickelte Form des Klassenkampfes, wie ihre eigene Le­benslage bringen es aber mit sich, daß sie weit über jenen Klassen­gegensatz erhaben zu sein glauben. Sie wollen die Lebenslage aller Ge­sellschaftsglieder, auch [22] der bestgestellten, verbessern. Sie appelliren daher fortwährend an die ganze Gesellschaft ohne Unterschied, ja vorzugsweise an die herrschende Klasse. Man braucht ihr System ja nur zu verstehen, um es als den bestmöglichen Plan der bestmöglichen Gesellschaft anzuerkennen.

Sie verwerfen daher alle politische, namentlich alle revolutionäre Aktion, sie wollen ihr Ziel auf friedlichem Wege erreichen und versuchen, durch kleine natürlich fehlschlagende Experimente, durch die Macht des Beispiels dem neuen gesellschaftlichen Evangelium Bahn zu brechen.

Die phantastische Schilderung der zukünftigen Gesellschaft ent­springt in einer Zeit, wo das Proletariat noch höchst unentwickelt ist, also selbst noch phantastisch seine eigene Stellung auffaßt, seinem ersten ahnungsvollen Drängen nach einer allgemeinen Umgestaltung der Gesellschaft.

Die socialistischen und kommunistischen Schriften bestehen aber auch aus kritischen Elementen. Sie greifen alle Grundlagen der beste­henden Gesellschaft an. Sie haben daher höchst werthvolles Material zur Aufklärung der Arbeiter geliefert. Ihre positiven Sätze über die zu­künftige Gesellschaft, z. B., Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, der Familie, des Privaterwerbs, der Lohnarbeit, die Ver­kündung der gesellschaftlichen Harmonie, die Verwandlung des Staates in eine bloße Verwaltung der Produktion – alle diese ihre Sätze drücken blos das Wegfallen des Klassengegensatzes aus, der eben erst sich zu entwickeln beginnt, den sie nur noch in seiner ersten gestaltlosen Unbestimmtheit kennen. Diese Sätze selbst haben daher noch einen rein utopistischen Sinn.

Die Bedeutung des kritischen utopistischen Socialismus und Kom­munismus steht im umgekehrten Verhältniß zur geschichtlichen Ent­wicklung. In demselben Maaße, worin der Klassenkampf sich entwickelt und gestaltet, verliert diese phantastische Erhebung über denselben, diese phantastische Bekämpfung desselben, allen praktischen Werth, alle theoretische Berechtigung. Waren daher die Urheber dieser Systeme auch in vieler Beziehung revolutionär, so bilden ihre Schüler jedes Mal reaktionäre Sekten. Sie halten die alten Anschauungen der Meister fest gegenüber der geschichtlichen Fortentwicklung des Proletariats. Sie su­chen daher konsequent den Klassenkampf wieder abzustumpfen und die Gegensätze zu vermitteln. Sie träumen noch immer die versuchs­weise Verwirklichung ihrer gesellschaftlichen Utopien, Stiftung einzel­ner Phalanstere, Gründung von home=Colonien, Errichtung eines kleinen Icariens – Duodez=Ausgabe des neuen Jerusalems – und zum Aufbau aller dieser spanischen Schlösser müssen sie an die Philan­thropie der bürgerlichen Herzen und Geldsäcke appelliren. Allmählich fallen sie in die Categorie der oben geschilderten reaktionären oder konservativen Socialisten, und unterscheiden sich nur mehr von ihnen durch mehr systematische Pedanterie, durch den fanatischen Aber­glauben an die Wunderwirkungen ihrer socialen Wissenschaft.

Sie treten daher mit Erbitterung aller politischen Bewegung der Ar­beiter entgegen, die nur aus blindem Unglauben an das neue Evange­lium hervorgehen konnte.

Die Owenisten in England, die Fourrieristen in Frankreich, reagiren dort gegen die Chartisten, hier gegen die Reformisten.