BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Eduard Mörike

1804 - 1875

 

Das Stuttgarter Hutzelmännchen

 

1853

 

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Es waren seit der Fürstin Abschied nah bei hundert Jahr vergangen, als unser Seppe, der Schuster, im Dörflein Suppingen vom Wagen stieg, dem Bäuerlein noch vielmals dankte und sich von ihm den Weg Blaubeuren zu nachweisen ließ. Bis Mittag, sagte der Mann, könne er gar wohl dort seyn. [51]

Das hätte sich auch nicht gefehlt, bald aber fing sein Hühneraug ihn wieder zu buksiren an. Er mußte alle fünfzig Schritt hinsitzen, und wenn er einmal saß, trat er das Rad so fleißig, als wenn er auf Bestellung zu arbeiten hätte. Endlich zum letztenmal riß er sich auf und hinkte vollends die Steig hinab.

Sie läuteten im Kloster Drei, da er in's Städtlein kam.

Während er nun auf die Herberge zu ging, lief eben Jörg Seysolff, der Wirth und Bräumeister, über den Hof, und sprach zu seinem Weib, die auf der Hausbank saß und ihren Salat zum Abendessen putzte: schau, Emerenz, da kommt auch schon der Dritt'! – Ei, weiß Gott, sagte sie: und ist ein Unterländer – ach mein, knappt der daher! dem sey es 'gunnt.

Der Seppe sah hoch auf, als ihn die Leute so mit sonderlicher Freundlichkeit begrüßten. Sie gingen alle Beide gleich mit ihm hinauf. Er ließ sich eine Halbe geben, ein Sauerkraut mit Schweinefleisch aufwärmen.

Der Wirth, wie er vernahm, daß er von Stuttgart käme, frug ihn nach Dem und Jenem: ob sie auch Hagelwetter drunten hätten? was jetzt die Gerste gelte? bis wann des Grafen Jüngste Hochzeit habe, von deren Schönheit man überall höre. Der Seppe diente ihm auf Alles ordentlich, dagegen er sich über's Essen Manches von hiesigen Geschichten, besonders von dem Wasserweib, erzählen ließ. Auch zeigte ihm der Wirth das alte Conterfei von ihr im Hausgang an der Stiege, so wie das herrliche Kunstwerk, den Bauren-Schwaiger, an welchem er sich nicht satt sehn und hören konnte. Der den gemacht hat, sagte er, den laß mir einmal einen Dreher heißen! – Ja, meinte Jörg, die Arbeit ist auch nicht an Einem Tag gemacht. – Will's glauben! sagte der Seppe und seufzte, denn er gedachte an seine Dreherei.

Nachdem er nun gegessen und getrunken, frug er nach seiner Schuldigkeit. Zween Batzen, war die Antwort. Die legt der Seppe auf den Tisch. Bekämt Ihr sechzehn Kreuzer 'naus, sagte der Wirth, zählte sie hin und steckte die zween Batzen ein, wie wenn es sich so in der ganzen Welt von selbst verstünde. Es war jedoch ein alter Brauch von der Frau Betha Zeiten her, den Reisenden auf solche Weise ihren Zehrpfennig zu reichen. Der Schuster lächelte, als wollt' er fragen, wie ist das gemeint? – Laßt's gut seyn, lieber Gesell, sprach Jörg Seysolff, kommt mit zu meinem Ehni, der sagt Euch schon mehr. [53]

Er führte ihn durch einen langen Gang an eine stille Thür, die that er vor ihm auf. Da saß in einer säuberlichen Stube ein gar schöner Greis von achtzig Jahr in einem Sorgenstuhl bei'm Fenster. Die Sonne fiel eben ein wenig zwischen den Vorhänglein durch auf einen kleinen Tisch, so vor ihm stand, schneeweiß gedeckt, darauf nichts weiter denn ein blauer Topf mit Wasser und noch Etwas in einem Tuche war. Der Alte aber war der kleine Hans, Frau Betha's Herzblatt, gewesen. Er redete den Schuster in Gegenwart des Wirthes also an:

 

Hab' Gott zum Gruß auf dieser Schwell'!

Obwohl das Glück dein Reis'gesell;

Ob solches mit dir in der Wiegen

Von Mutterleib aus kam zu liegen,

Ob du es in dem Gürtel hegest,

Ob du es in den Sohlen trägest.

 

Hierauf behändigte der Greis dem Seppe das Tüchlein und sprach: du magst es einmal, wenn du Meister bist und gründest deinen eignen Herd, deiner Liebsten verehren, am Heirathstag, dazu dir aller Segen werde.

Was aber war im Tuch? Eine silberne Haube – man konnte nichts Schöneres sehen. Der Seppe wäre deckenhoch gesprungen, wenn sich's geschickt hätte. [54]

Nun sagte ihm der Alte, wem er das Angebind verdanke, dann ließ er ihn Verschwiegenheit geloben, zu dessen sichtlicher Bekräftigung er einen Finger in dem Topfe netzen und auf den Mund legen mußte. Auch gab er dem Gesellen noch eine christliche Vermahnung, empfing den Dank desselben, und ganz am End empfahl er ihm, wenn er ein Klötzlein Blei von ungefähr wo finde hier herum, so möge er solches daher in den Nonnenhof bringen. – In seines Herzens Freude fast hätte er's versprochen, da fiel ihm zum Glück noch der Pechschwitzer ein, deßwegen er nur sagte: ich will sehn.

Jetzt machte er sich auf die Bahn und lenkte seine Schritte zuvörderst hinter das Kloster, wo ihm der Quell gleich in die Augen strahlte. So viel man ihm davon gerühmt, doch hätte er sich solche Wunderpracht in seinem Sinn nicht eingebildet, und meinte er bei sich: es ist nicht anders denn als wenn zum wenigsten ein Stücker sechs Blaufärber sammt einem vollen Kessel eben erst darin ersoffen wären!

Wie er sich recht daran ersättigt und im Andenken an das Wasserweib etliche Vaterunser aus gutem Herzen für ihr Heil gebetet hatte (denn er der Meinung war, sie sitze schon bei hundert Jahr sammt [55] andern armen Heidenseelen auf der hellen Wiese, da sie in Wahrheit jung und schön wie ehedem noch bei den Ihren lebte), vergaß er auch das Klötzlein nicht, nach welchem so viel Fragens war. Er hatte von dem Doctor Veylland und dem Loth schon als ein kleiner Bube den Urgroßvater hören erzählen. Der Bauer wußte nichts davon; den Wirth im Nonnenhof befrug er aber nicht, weil ihm erst jetzt einkam, es seye mit dem Blei wohl gar dasselbe Loth gemeint. Nun sah er hinter manchen Busch und Baum, und weiterhin an seiner Straße hier und dort in einen Graben, fand aber nichts dergleichen und ließ sich endlich deßhalb keine grauen Haare wachsen.

Der Schmerzen seines Fußwerks ganz und gar vergessen, und nichts als Glücksgedanken und Habergeisen in dem Kopf, hinkt' er so immerfort das Blauthal hinunter. Bisweilen, wenn es ihm sein Linker zu arg machte, hockt' er auf einen Stein, packte die silberne Haube heraus und legte sie vor sich auf's Knie, an seinen zukünftigen Schatz dabei denkend. Es war nur gut, daß ihm nicht wissend, was schon zween andere Gesellen, ein Feilenhauer und ein Nagelschmied, nur eine halbe Stunde eh er kam, aus dem Nonnenhof davongetragen, er hätte seine Haube [56] nur noch mit halben Freuden angesehen. Die beiden Bursche waren auf der Steig hinter der Stadt an dem Schuster vorübergekommen und hatten ihn gegrüßt, doch weil er eben saß und in Gedanken mit dem Rad im besten Werken war, so sah er gar nicht auf und brummte nur so für sich hin: Schön guten Morgen! – obzwar die Sonne ihm von Abend auf den Buckel schien. Ja morgen nach dem Bad! sagte der Eine, und lachten sich Beide die Haut voll darüber.

Mit sinkender Nacht kam er wohl- oder übelbehalten nach Ulm.

Es war gerade Markt und hie und da Musik und Tanz. Er trat in eins der nächsten Wirthshäuser, wo ihrer sechs Gesellen bei'm Wein an einem Tisch beisammen saßen und einen Rundgesang anstimmten. Mann für Mann sang einzeln sein Gesetz, darauf mit Macht der Chor einfiel und sie alle die Gläser anstießen. Der Leser mag wohl so viel Verse vernehmen, als sie eben jetzt sangen; das Lied im Ganzen ist viermal so lang. [57]

 

Erster Gesell:

Seid ihr beisammen all'?

Ihr Freund', auf allen Fall

Zeigt eure Professionen an,

Daß wir nach Sitten stoßen an,

Mit großem Freudenschall!

 

Chor:

Zeigt eure Professionen an,

Daß wir nach Sitten stoßen an!

 

Zweiter:

Eine Wiege vor die Freud',

Eine Bahre vor das Leid:

Meinem Hobel ist das Alles gleich,

Der denkt, ich mach' den Meister reich,

Spähn' gibt es allezeit.

 

Chor:

Seinem Hobel ist etc.

 

Dritter:

Meine Arbeit ist wohl fein,

Von Gold und Edelstein;

Allein das kriegt man bald gar satt,

Zumal man es nicht eigen hat:

Gebt mir so güldnen Wein!

 

Chor:

Ich glaub's ihm schon, das wird man satt etc.

 

Vierter:

Wen freut ein kecker Muth,

Nicht dau'rt sein junges Blut,

Ich schaff' ihm Wehre mannigfalt,

Zu Scherz und Ernst, wid'r Feindsgewalt;

Mein Zeug ist allweg gut.

 

Chor:

Und gilt es wider Feindsgewalt,

Ein Spieß und Schwert uns auch gefallt. [58]

 

Fünfter:

Der Schneider sitzt am Glas;

Vom Wirth nehm' ich die Maas,

Zu Hause schaff' ich gar nicht viel,

Meine Stich' mach ich bei'm Kartenspiel,

Da weiß ich doch für was.

 

Chor:

Ei, Bruder Leipziger, bessr' Er sich,

Denn, sieht Er, das ist liederlich.

 

Sechster:

Meine Kunst, das glaubt gewiß,

Schreibt sich vom Paradies.

Von Mägdlein bin ich werthgeschätzt,

Ich hab' ja was ihr Herz ergetzt,

Veiel und Röslein süß.

 

Chor:

Von Mägdlein ist er etc.

 

Jetzt kam die Reihe an den Schuster, und da derselbe sein Gesetzlein so aus froher Kehle sang, ward es dem Seppe um den Brustfleck weh, daß er sein gutes Handwerk lassen sollte. Dabei vermerkte er, wie ihn sein rechter Schuh zweimal ganz weidlich vor Vergnügen zwickte, so zwar, wie wenn er sagen wollte: hörst du Narr?

 

Erster:

Gebt meinem Stand die Ehr'!

Den Schuster braucht man sehr.

Zwar führ' ich nicht den besten Gout,

Allein wer macht euch Hochzeitschuh,

Wenn ich kein Schuster wär'?

 

Chor:

Zwar führt er nicht etc. [59]

 

Dem Seppe quoll bereits das Wasser in den Augen; er sprach bei sich mit ingrimmigen Schmerzen: du bist kein Schuster und bist auch kein Dreher, du bist der wirtenbergisch Niemez! – Und schwur in seine Seele, hinfort zu bleiben, was er war.

 

Zweiter:

Und wer kein Pietist,

Und auch kein Hundsfott ist,

Der mag sich wohl beim Wein erfreu'n –

Mein letzter Schluck soll ehrlich seyn!

So meint's ein guter Christ.

 

Chor:

Stoßt an, Kameraden, stimmet ein:

Mein letzter Schluck soll ehrlich seyn!

 

Hier stand der Seppe auf, trat hin zu den Companen und grüßte mit bescheidener Ansprache. Da machten sie ihm Platz an ihrem Tisch, tranken ihm zu und hörten, was für ein Landsmann er sey, welches Gewerbs, wohin er wollte. Warum bleibt Ihr nicht hier? sagte Vincenz, der Schuster, in Ulm ist es schön und Arbeit findet Ihr dermal genug. – Er ließ sich nicht schwer überreden, und schon den andern Tag stand er bei einer jungen Wittwe ein, von welcher ihm der Herbergvater sagte.

Als er das erstemal in deren Haus einging, empfing er eine Warnung: sein Rechter wollte nicht über die Schwelle; doch achtete er weiter nicht darauf. [60]

Die Wittwe war eine schöne Person, und wie der Seppe schon nicht leicht mehr Eine ansah, daß ihm nicht einfiel, was der Pechschwitzer sagte: vielleicht begegnet dir dein Glück einmal auf Füßen: so prüfte er auch jetzt, obwohl mit schüchternen Blicken, die stattliche Frau. Sie sah sehr blaß, nicht gar vergnügt, und sparte ihre Worte gegen Jedermann. Ihr Thun in allen Dingen war aber sanft und klug, so daß sie einen jungen Mann wohl locken konnte.

Es mag zuvor schon Manchem so mit ihr gegangen seyn, beim Seppe blieb es auch nicht aus, und desto minder, da ihm nach den ersten Wochen däuchte, er gelte vor den Andern etwas bei der Meisterin. Geschah es, daß sie ihrer Einen nöthig hatte, zu einer kleinen Hilfe außerhalb der Werkstatt, dann rief sie immer zehnmal gegen Eines ihn vom Stuhl hinweg, und wenn er Samstags für die Küche Holz klein sägte, sie aber backte eben Zwiebelkuchen, da trug sie ihm gewiß ein Stück, warm von dem Ofen weg, zum Voraus in den Schopf hinaus; das schmeckte zu solchem Geschäft aus der Faust ganz außer Maßen.

Von dort an aber gebärdeten sich des Hutzelmanns lederne Söhne sehr übel; insonderheit auf der Gesellenkammer war oft die halbe Nacht in Seppes Kasten, [61] wo sie standen, ein Gepolter und Gerutsch, als hätten sie die ärgsten Händel miteinander, und die Gesellen schimpften und fluchten nicht wenig deßhalb. Es ist der Marder, sagten sie: er hat den alten Schlupf zwischen den Dielen wieder gefunden; wird nicht viel fehlen hat er Junge; wir brechen morgen auf und bescheren in's Kindbett. – Der Seppe schwieg dazu; am andern Morgen aber holt' er in der Stille einen schweren platten Stein aus einem Bühnenwinkel vor, den stellte er bedachtsam mit dem Rand auf sie, quer über den Reihen. So, sprach er, jetzt ihr Ketzer, ihr schwernöthige, jetzt bocket, gampet und durnieret, wenn ihr könnt! – Da molestirten sie hinfort auch Niemand mehr.