BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Novalis

1772 - 1801

 

Jugendwerke (1788-1793)

Fabeln und andere Prosastücke

 

4. Geschichte der Theoclea,

einer schönen Griechin in Korinth

 

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Geschichte der Theoclea,

einer schönen Griechin in Korinth

 

Vorrede

 

Die kleine Geschichte einer der galantesten griechischen Damen, die kurz vor den Zeiten des Pericles in Corinth die Augen der schönsten griechischen Jünglinge auf sich zog, fand einer unsrer liebenswürdigsten Landsleute, ein Mann mit dem feinsten Geschmack und dem ächten attischen Geiste erfüllt, auf einer Reise durch Griechenland in einem Kloster des Berges Athos unter manchen Folianten voll spitzfündigen, scholastischen Distinctionen und einem schrecklichen Wuste von unnützer, ungeheurer Gelehrsamkeit, welche so manche Jahrhunderte die schöne Griechin den Augen unwissender Mönche verbargen, die sie vielleicht nicht verbrannt, aber doch wenigstens in einer barbarische[n] Vertügade in die Welt geschickt haben würden, unter der nur geübte Kenner die Reitze und Grazien des Originals würden erkannt haben. Er schickte mir die Handschrift um sie in einem deutschen Gewande der Lesewelt und besonders der schönen galanten Welt zu präsentiren. Ich bin der Bitte meines Freundes gefolgt und übergebe hier die Geschichte der schönen Theoclea in einem Gewande, von dem ich mir schmeichle, daß es der schönen Griechin nicht ganz unwerth ist, allen Lesern des Agathon und besonders den Damen, die nicht aus Pruderie den Agathon für gefährlich und Sitten verderbend ausschreyen, sondern ihn für die schönste Blüthe des deutschen Genies halten, für ein Buch, das unsere Litteratur auch in diesem Fache der schönsten Litteratur allen gesitteten, feinen Nationen gleichsezt. Für Alterthumskenner will ich nur noch hinzusezen, daß ein gewisser Chaereas der Verfasser dieses kleinen interressanten Romans ist, denn wenn auch eine wahre Geschichte zum Grunde liegt, so sieht man doch offenbar, daß sie der Verfasser oft sehr ausgeschmückt hat; er ist aus den Zeiten nach dem Pericles, und schreibt eine sehr niedliche griechische Prosa, die ich freylich in der Übersetzung nur schwach habe nachahmen können. Vielleicht gibts einige Skeptiker unter meinen Lesern, denen meine ganze Erzählung verdächtig scheint und die vermuthen, daß die Fantasie des Herausgebers vielleicht der einzige Geburtsort dieser Geschichte sey und der liebenswürdige Reisende, das Kloster auf dem Berge Athos und der angebliche Verfasser Chäreas nur in der Fantasie des Herrn Herausgebers existiren, aber wie soll ich mich gegen sie vertheidigen? Ungläubige werden nicht so leicht überzeugt, und der Engel Gabriel könnte troz seiner himmlischen Beredsamkeit an ihrem Unglauben zuschanden werden; ich hülle mich also schweigend in den Mantel meiner Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe und überlasse meine Pflegetochter den Händen billiger Leserinnen und Leser, die nicht überall Einwürfe und Spöttereyen dem ohnehin so geplackten Autor und Pflegevater an den Hals werfen, welchen ich überhaupt die Geschichte der schönen Griechin dedicire und zu geneigten Wohlwollen empfehle und reise meinem Freunde nach um vielleicht noch eine verlorne Handschrift von dieser oder einer andern interressanten Gattung aufzufinden. Ich bin

der Herausgeber.

 

 

Geschichte der Theoclea

 

Einleitung des Verfassers

 

1stes Kapitel

 

Ich habe Dir, Klinias, schon längst versprochen, die Geschichte meiner Mutter der schönen Theoclea zu erzählen und das fiel mir heute Nachmittag ein, da ich eben im Poecile spatziren gieng und das Gemälde meiner Mutter vom Mahler Xeniades als Venus Callipigos gemahlt erblickte. Ich erinnerte mich an den Rosentraum ihrer Jugend, wo sie von Scherzen umflattert ganz Corinth zu ihren Füßen sah und als das Muster der Tugend einige Jahre nachher selbst von ihren Feindinnen angesehn wurde. Ich eilte nach Haus, suchte unter ändern Manuscripten auch den Theil ihrer Lebensgeschichte, der diese merckwürdige Umwandlung enthielt und den ich selbst aufgesezt hatte aus ihren Erzählungen und schicke ihn Dir hier. Manches wird Dir gewiß nicht ganz uninterressant seyn, ob Du gleich über manche Scenen hinwegschlüpfen mußt, die um das Ganze nicht zu unterbrechen da stehen, und wo der Pinsel etwas zu frey geschildert hat.

 

2tes Kapitel