BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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[49]

Sechstes Kapitel.

 

Meister Blasius war ein frommer und sehr gelehrter Mann, der Gott von ganzem Herzen diente. Er war ganz erstaunt, das Kind Merlin so weissagen zu hören, und solchen übermenschlichen Geist bey ihm wahrzunehmen. Er war im Herzen über diese Seltsamkeit bekümmert, und suchte auf allerhand Art den Merlin hierüber auszufragen, um die Ursache davon zu erforschen. Meister Blasius, fing Merlin endlich an, ich bitte dich, gieb dir keine Mühe mich zu erforschen, denn je mehr du mich wirst reden hören, desto mehr Ursach wirst du finden zu erstaunen; beruhige dich, glaube mir, und thue was ich dich heißen werde. Wie sollt' ich dir glauben, erwiederte Blasius; sagtest du nicht selbst, du wärst ein Kind des Teufels? Wenn ich dieß nun glaube, [50] so wie ich es wirklich glaube, muß ich nicht alsdenn fürchten, daß du mich täuschet und hintergehest? – Sieh, sagte Merlin, es ist die Macht der Gewohnheit aller bösen Gemüther, daß sie eher das Böse glauben und annehmen als das Gute. Der Böse sieht nichts als Böses, so wie der Gute nur das Gute sieht. – Er erklärte ihm darauf vollkommen das Geheimniß seiner Erzeugung, und wie der Teufel durch sich selber betrogen worden, indem er ihn in dem Leibe einer Gottgeweihten und reinen Jungfrau erzeugt habe. Jetzt aber, fuhr er dann fort, höre mich und thue was ich dir sagen werde. Verfertige ein Buch, darin du alle Dinge aufschreiben sollst, die ich dir vorsagen werde. Allen Menschen, welche künftig das Buch lesen werden, wird es eine große Wohlthat seyn, denn es wird sie bessern, und sie vor Sünden bewahren. Sehr gern, sagte Blasius, will ich das Buch auf dein Wort, und nach deinem Worte verfertigen, ich beschwöre dich aber zuerst im Namen Gottes, der Dreyeinigkeit, und aller Heiligen, daß du [51] mich nichts schreiben läßt, was dem Willen und den Geboten unsers Herrn Jesu Christi entgegen ist. Ich schwöre dir sagte Merlin. Nun so bin ich bereit, erwiederte Blasius, von ganzem Herzen und ganzer Seele zu schreiben, was du mir befiehlst, ich habe auch Dinte und Pergament, und alles was zu einem solchen Werke nöthig ist.

Nachdem er alles in völlige Bereitschaft gesetzt, fing Merlin an ihm vorzusagen; zuerst die Freundschaft von Christus und Joseph von Arimathia, wie auch von Adalam und de Perron und von den andern Gefährten, so wie es sich mit ihnen zugetragen, so wie auch das Ende des Joseph, und aller andern. Nach allem diesen sagte er ihm die Geschichte, und die Ursache seiner wunderbaren Erzeugung vor, mit allen Umständen, so wie wir sie hier vor uns haben.

 

 

Blasius war immer mehr erstaunt über alle die wunderbaren Dinge, die er von Merlin vernahm; die Worte, die er schreiben mußte, dünkten ihm alle gut und wundervoll, und [52] er schrieb eifrig fort. Als sie aber recht mit dem Werke beschäftigt waren, sagte Merlin eines Tages zu ihm: Meister es steht dir große Noth bei deinem Werke bevor, mir selber aber eine noch weit größere. Wie das? fragte Blasius. Man wird mich, antwortete Merlin, nach dem Abendlande zu holen kommen; diejenigen aber, die von ihrem Herrn mich zu holen gesandt werden, haben ihm mit einem Eid zugesagt, mich zu erschlagen und ihm mein Blut zu überbringen. Sie werden aber, so bald sie mich gesehen, und mich reden gehört, keine Lust haben mir Uebels zu thun; ich werde alsdenn mit ihnen gehen. Du aber begib dich von hier weg, und zu denen hin, die das Gefäß des heiligen Graal besitzen; sey aber stets bemüht, die Bücher weiter zu schreiben.

Diese Bücher werden immer und zu jeder Zeit gern von allen gelesen werden, aber man wird ihnen nicht glauben, weil du kein Apostel Christi bist; denn diese Apostel schrieben nichts auf, als was sie mit eignen Augen sahen, mit ihren Ohren hörten, du aber schreibst blos das, [53] was ich dir sage. Und eben so wie ich den Leuten jetzt verborgen und unbekannt bin, gegen welche ich mich nun rechtfertigen muß, eben so wohl werden es auch diese Bücher bleiben, nur wenige Menschen werden sie erkennen und dir Dank dafür wissen. Auch das Buch von Joseph von Arimathia nimm mit dir, wenn ich werde fortgeführt seyn. Wenn du einst dein Werk vollendet haben wirst, so muß dieses Buch von Joseph mit dazu gehören; diese beyden Bücher zusammen werden ein schönes und herrliches Werk ausmachen. Diejenigen, welche es künftig lesen und verstehen, werden uns für unsere Mühe segnen. Alle Gespräche und die eigentlichen Worte zwischen Christus und Joseph von Arimathia sage ich dir nicht, diese gehören nicht hierher.

 

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