BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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[70]

Zehntes Kapitel.

 

Die sieben Astronomen studierten jeder besonders mit vielem Fleiß und großer Anstrengung; sie konnten aber nichts finden, was zu ihrer Absicht gehörte. Es war freylich etwas besonders seltsames in der Constellation zu sehen, und jeder von ihnen fand es, aber dieses Seltsame paßte nicht, und gehörte nicht in das, was sie suchten, und sie wußten es auf keine Weise damit zu verbinden. Als sie nun zusammenkamen, und sich ihre Entdeckungen mittheilten, waren sie nicht wenig erschrocken darüber, daß sie alle nur dasselbe gesehen, und also über den eigentlichen Grund der Sache nichts heraus gebracht hatten. Dazu kam, daß der König sie sehr drängte, und eiligst zuwissen verlangte, was sie gefunden. Ey Herr König, antwortete ihm einer der Astrologen, wir können Euch eine so schwere Frage nicht so [71] schnell lösen, als Ihr wohl denkt; wir brauchen noch neun Tage zu unsern Studien. Die sollt Ihr haben, rief der ungeduldige Vortigern, aber hütet Euch, wo Ihr nicht am Ende dieser neun Tage mir die wahre Ursache erklärt, und ausfindig gemacht habt!

Nun studierten die Astrologen wieder in den Sternen; und als sie wieder zusammenkamen, und sich einander fragten, was sie wahrgenommen, sprach keiner von ihnen etwas, sondern sie sahen sich an und schwiegen still. Wollt Ihr, fing endlich der älteste und verständigte unter ihnen an, mir lieber jeder besonders und heimlich Eure Meinung über die Sache sagen, so will ich bey meiner Treue Euch nicht verrathen, und keiner soll von mir erfahren, was die andern mir offenbart. Dieß waren alle zufrieden, und jeder sagte dem Aeltesten ins Geheim, was er wahrgenommen, und zu seinem Erstaunen sagten alle dasselbe, nämlich daß sie über die Sache mit dem Thurme nichts gefunden; daß sie aber eine andre wunderbare Sache gesehen, nämlich ein Kind, welches jetzt [72] sieben Jahr alt sey, von einer Frau geboren, ohne einen irdischen Erzeuger. – Ihr habt eines und dasselbe gesehen und mir jeder das nämliche entdeckt, sagte der Alte; jedoch eines ist, was Ihr mir alle verschwiegt, und was Ihr doch eben so wohl gesehen, als ich, daß nämlich dieses Kind vom Weibe geboren, aber ohne irdischen Vater erzeugt, Schuld an unserm Untergang, und die Ursache unsers Todes seyn wird. Ist es nicht so? – Es ist wahrlich so, sagten die andern erstaunt und bekümmert. – Nun so hört mich, fing der Alte wieder an; wir würden in unserer Kunst wenig taugen, wenn wir nicht dem, was uns kund gethan, abhelfen könnten. Laßt uns nur einig seyn, und uns nicht in unsern Reden widersprechen, wenn wir vor den König kommen. Folgendes wollen wir aber einstimmig dem Könige sagen: Wisse, Herr König, daß Dein Thurm niemals fest stehen wird, und nie kann zu Ende gebaut werden, wenn Du nicht den Grundstein mit dem Blute eines Kindes netzest, das von einem Weibe geboren, aber [73] von keinem Mann erzeugt worden. Es lebt auch in der That ein solches Kind, wenn Du, Herr König, es nur finden kannst, und sein Blut auf den Grundstein des Thurmes vergießen läßt, so wird der Thurm fest stehen und nie wieder fallen. Auch müssen wir dem Könige verbieten, fuhr der Alte fort, daß er das Kind nicht selber zu sehen verlangt, noch es sprechen hört, sondern diejenigen, die er aussendet, es zu suchen, sobald sie es gefunden, müssen es hinaus führen und auf dem Grundstein tödten. Auf diese Weise werden wir uns des Kindes entledigen, von welchem wir in den Sternen gesehen, daß es an unserm Tode schuld sein wird. Auf solche Weise verabredeten sich nun die Sterndeuter über jedes Wort, damit alle dieselben Worte vor dem Könige sprechen möchten.

Als sie nun vor König Vortigern gerufen wurden, baten sie sich jeder insbesondre Gehör bey ihm aus, was er ihnen auch sogleich bewilligte. Ist es möglich, rief er, nachdem er sie alle vernommen, und sie ihm alle dasselbe [74] gesagt, ist es möglich, daß ein solches Wunder auf Erden lebe? Ein Kind ohne Vater erzeugt? Wenn dieß sich wirklich so verhält, so seyd Ihr in Wahrheit sehr weise und gelehrte Männer. Wenn es sich nicht so verhält, sagten die Astrologen, so thue der König mit uns nach seinem Wohlgefallen, wir sind in seiner Hand. Aber wie kann es möglich seyn? erwiederte Vortigern noch einmal. Niemals, antworteten jene wieder, haben wir vorher so etwas gehört, dieses Kind aber ist ohne Vater erzeugt, lebt, und ist jetzt sieben Jahr alt. Ich will es aufsuchen lassen, sagte der König wieder, aber bis es gefunden ist, so bleibt Ihr in der genauesten Verwahrung. Es geschehe so, wie der Herr unser König befiehlt, sagten jene; doch hüte sich der König, den Knaben zu sehen, oder sprechen zu hören, sondern die Boten, die ihn suchen, müssen ihn sogleich tödten, wenn sie ihn gefunden haben, und das Blut auf den Grundstein des Thurms ausgießen. Hierauf wurden die Sterndeuter von dem Könige entlassen, und in einem festen [75] Thurm wohl verwahrt, wo ihnen Speise und Trank gereicht ward, nebst allem, was sie sonst zum Leben bedurften. König Vortigern sandte aber sogleich zwölf Boten, denen befahl er an, auf der ganzen Erde nach einem Knaben zu suchen, der sieben Jahr alt, und ohne Vater erzeugt von einem Weibe geboren sey. Niemals sollten sie wieder zurückkommen, wenn sie ihn nicht gefunden. Er ließ sie aber einen Eid ablegen, daß sie ihn sogleich erschlagen würden, so bald sie ihn hätten.

 

Die Boten machen sich auf die Suche nach Merlin

 

Die Boten vertheilten sich je zwey und zwey, und suchten den Knaben Merlin nach der Vorschrift des Königs Vortigern. Nicht weit von dem Orte, wo Merlin sich aufhielt, begegneten sich vier Boten, und beschlossen eine halbe Tagereise zusammen zu machen. Sie waren noch nicht lange geritten, so sahen sie einen Haufen Knaben, die spielten und den Ball schlugen. Merlin war unter diesen Knaben, und wußte sehr wohl, daß die Boten an diesem Tage kommen würden, und auch, wen sie suchten; daher als er sie kommen sah, nahm [76] er den Schlägel, womit er seinen Ball schlug, und hieb damit einen andern Knaben so derb gegen das Bein, daß dieser anfing zu schreyen und zu weinen, und den Merlin ausschimpfte. Du Hurensohn, schrie er, hast gar keinen Vater, deine Mutter hat dich ja ohne Vater geboren! Da die Boten dieß hörten, standen sie stille; hier ist er, sagten sie, nun haben wir ihn endlich gefunden! Merlin stellte sich zwischen die andern Knaben und lachte, als er sahe, wie die Boten den weinenden Knaben ausfrugen, er sollte ihnen den zeigen, der ihn geschlagen. Merlin trat lachend aus dem Haufen gegen die Boten; hier ist der, den Ihr sucht, sagte er, dessen Blut Ihr geschworen habt dem Könige Vortigern zu überbringen. Wer hat dir das gesagt? riefen die Boten voll Erstaunen aus. Ich will Euch auch wohl sagen, fing Merlin wieder an, warum Ihr mich erschlagen sollt, und warum der Thurm nicht stehen bleiben will; wollt Ihr mir schwören, mir kein Leides zu thun, so gehe ich mit Euch. – Dieß sagte Merlin bloß um sie immer mehr [77] in Erstaunen zu setzen, er wußte es sehr wohl vorher, daß sie ihm nichts zu Leide thun, noch ihn umbringen würden. Dieß Kind spricht Wunderdinge, sagten die Boten; wahrlich es wäre sündlich ihn zu tödten, ich möchte lieber, riefen alle viere aus, meineidig werden, als ihm ein Leides anthun. Wir schwören dir, sagten sie zu Merlin, dich nicht zu tödten, noch dich tödten zu lassen, gehe aber mit uns. Ich will wohl, antwortete Merlin, vorher aber kommt mit mir zu meiner Mutter, damit ich sie um Urlaub zur Reise bitte, und sie mich vorher segne, auch muß ich den frommen Mann, der bey ihr wohnt, noch sprechen. Er führte also die Boten in das Kloster, wo seine Mutter lebte, ließ sie gut bewirthen, auch für ihre Pferde Sorge tragen; darauf führte er sie hinein zu Meister Blasius.

Meister, redete er ihn an, hier sind die, von denen ich Euch sagte, daß sie kommen würden, mich zu erschlagen. Höre jetzt, was ich ihnen sage, und schreibe es auf; darauf wandte er sich zu den Boten; Ihr seyd einem Könige [78] unterthan, dessen Name ist Vortigern. Dieser König Vortigern will einen Thurm erbauen lassen, und so sagte er den Boten alles aufs Haar, wie es dabey herging, was der König gesagt, und was die weisen Räthe und Sterndeuter; auch wie sie viere nebst noch acht andern wären geschickt worden, ihn aufzusuchen, und sein Blut dem Könige Vortigern zu bringen. Ich selbst, fuhr er fort, wollte mich von Euch finden lassen, darum schlug ich den Knaben gegen die Beine, daß er schreyen mußte, und schimpfend mich Euch verrathen.

Hierauf entfernte Merlin sich, und Meister Blasius fragte die Boten; verhält alles sich so, als der Knabe hier sagte? In Wahrheit, antworteten sie, es ist alles genau so, wie er gesagt, oder unsre Seele komme nie zu Gott. Meister Blasius kreuzigte sich und sprach: es wird ein sehr weiser Mann aus ihm, wenn er leben bleibt, und sehr sündlich wäre es, und gar Schade, wenn Ihr ihn umbringen wolltet. Lieber, erwiederten die Boten, wollten wir in Ewigkeit unser eignes Leben missen, und dem [79] Könige alle unser Hab und Gut überlassen. Er selber, der Knabe, der so vieles weiß, wird auch, daß dieß Wahrheit ist, sicher wissen. Ihr habt Recht, antwortete Meister Blasius, ich werde ihn in Eurer Gegenwart darum fragen. Da nun Merlin wieder zu ihnen kam, sagte ihm Meister Blasius, du hast in allem wahr gesagt, jetzt aber antworte mir auf eine andre Frage: Haben diese Boten die Macht, und sind die Willens dich zu tödten? – Sie haben wohl die Macht dazu, antwortete Merlin lachend, und waren es freylich Willens, jetzt aber haben sie, Gott sey Dank, die Lust dazu verloren, und ich darf wohl mit ihnen ziehen. Schwört mir aber vorher, daß nicht allein Ihr mich nicht erschlagen wollt, sondern daß Ihr auch dafür sorgt, daß niemand anders mir ein Leid zufüge, und daß Ihr mich wohlbehalten vor den König bringen wollt; hat dieser mich nur erst reden hören, so bin ich gewiß, daß er mein Blut nicht weiter verlangen wird.

Die Boten legten den Eid ab, den Merlin von ihnen gefordert. Darauf sagte Meister [80] Blasius: Ich sehe nun wohl Merlin, daß du mich verlassen mußt, sage mir aber vorher, was aus dem angefangenen Buche werden soll? – So bald ich von hier weg bin, antwortete ihm Merlin, so mache dich auf, und gehe nach der Gegend und in das Land, welches Northumberland genannt wird. Dieses Land ist voller großer Wälder, so daß die Einwohner selbst es nicht genau kennen, denn es gibt da Wälder, wo niemals ein Mensch hingekommen. Dort halte dich auf, ich werde dich schon zu finden wissen, und dir alles bringen, was zu Vollendung unsers Werks nothwendig ist. Wisse, dieses Werk wird dir viel Mühe und Arbeit verursachen, sey aber nur gutes Muthes und arbeite mit Geduld, du wirst am Ende einen hohen Lohn davon tragen. Es wird dieses Werk von Jahrhundert zu Jahrhundert fortleben, und der Lohn wird dem gleich seyn, den Joseph von Arimathia erhielt, da er den heiligen Leib des Herrn vom Kreuze abnahm; du wirst alsdann mit dem guten Joseph und seinen Begleitern in Gesellschaft, und ein Zeuge [81] seyn, nebst deinen Nachkommen, der Güter, deren sie für ihre gute Werke theilhaft wurden. Wisse auch, daß ich in dem Königreiche, wohin ich jetzt gehe, es dahin bringen werde, daß Männer und Frauen für einen Menschen von Gott geliebter Abkunft thätig seyn sollen. Aber erst bey dem vierten Könige wird dieß Statt finden. König Artus wird er heißen. Geh du nur dahin, wo ich dir sagte, ich werde oft zu dir kommen und dir sagen, was du schreiben sollst. Alle Lebensbeschreibungen vom König Artus, und aller, die gleichzeitig mit ihm leben, werde ich dich schreiben lassen, so wie alles, was zu seiner Zeit geschieht; es wird ein wundervolles Werk werden, du aber wirst alsdenn dieselbe Gnade erlangen, welcher alle jene aus der Gesellschaft des heiligen Graal theilhaft werden. Nach unserm Tode wird dieß Buch gefunden werden, und es wird ein ewiges Denkmal seyn. – Meister Blasius erfreute sich der Reden des Knaben und sagte: ich thue mit Freuden alles, was du mir befiehlt. Darauf ging Merlin, in Begleitung der Boten, zu einer Mutter, [82] und beurlaubte sich von ihr. Ich muß mich von Euch mit diesen fremden Boten entfernen, sagte er, es geschieht im Dienste des Herrn, daß ich mit ihnen gehe; auch Meister Blasius muß zu diesem Ende nach einem andern Lande ziehen. Sey Gott empfohlen mein Sohn, sagte die Mutter, ich kann dir nicht den Urlaub vorenthalten, denn alles, was du beginnst, ist weise, und nach dem Willen Gottes. Könnte aber Meister Blasius bey mir bleiben, das würde in meinem abgeschiedenen, der Betrachtung geweihten Leben mir von großem Nutzen seyn. – Es kann dießmahl nicht seyn, Mutter, erwiederte Merlin, nahm Abschied von ihr, und machte sich in Begleitung der Boten auf den Weg. Meister Blasius aber ging, so wie ihm befohlen worden, nach dem Northumberlande.

 

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