BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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[83]

Eilftes Kapitel.

 

Merlin kam mit seinen Begleitern durch eine Stadt, wo Markt gehalten wurde; als sie jenseits der Stadt waren, trafen sie einen jungen Mann, der sich auf dem Markt ein Paar neue Schuh und ein großes Stück Leder gekauft, weil er eine lange Wallfahrt zu thun gelobt hatte. Merlin lachte laut, als er vor diesem Manne vorbey war; die Boten fragten um die Ursache seines lauten Lachens. – Fragt den Mann, sagte Merlin, was er mit dem Leder zu machen gesonnen sey? Er wird euch sagen, daß er seine neuen Schuhe damit flicken wolle, wenn sie zerrissen sind, denn er hat eine große Reise vor; ehe er aber seine Schuhe nach Hause getragen, wird er todt seyn. Wir wollen sehen, sagten die Boten, ob du die Wahrheit gesprochen; zwey von uns werden dich begleiten, zwey sollen den Mann anreden und mit ihm [84] gehen. Sie thaten also, bestimmten aber vorher einen Ort, wo sie sich wieder antreffen würden.

Als die zwey an den jungen Mann herangingen, fragten sie ihn, was er mit dem Stück Leder machen wolle, und der Mann sagte ihnen dieselben Worte, die Merlin ihnen vorher gesagt, worüber sie sehr erstaunten; als sie aber noch ein Stück Weges mit ihm fortgegangen waren, so fiel der Mann vor ihnen hin und war todt. Die beyden waren verwundert und erschrocken über diese Begebenheit, und machten sich sogleich auf den Weg, Merlin und die andern Gefährten aufzusuchen. Indem sie ritten, unterhielten sie sich von dem wundervollen Kinde und seiner Weisheit. In Wahrheit, sagten sie, diejenigen, die seinen Tod verlangten, sind sehr thöricht, wir selber möchten viel lieber sterben, als ihm ein Leid zufügen lassen. Hierauf trafen sie den Merlin wieder an, der, so wie er ihrer ansichtig ward, sich bey ihnen bedankte, daß sie so Gutes von ihm geredet; ich weiß jedes Wort, was ihr von [85] mir gesprochen. – Sag es uns, wenn du es weißt. Hierauf wiederholte Merlin ihnen alle Worte, die sie, während sie abwesend, von ihm geredet, worüber sie nur immer mehr erstaunten.

Als sie ungefähr eine Tagereise weit im Lande des Königs Vortigern gekommen waren, begegneten sie in einer Stadt einem Leichenzuge. Ein Kind ward zur Erde bestattet, und Männer und Frauen folgten der Leiche in großer Betrübniß und in Trauerkleider gehüllt, wie auch der Prior nebst vielen Geistlichen, die mit Gesange dem Zuge folgten. Merlin stand stille, und als der Zug vorbey war, fing er wieder an zu lachen. Die Boten fragten ihn wieder, worüber er lache? – Ueber diese wunderlichen Dinge lache ich, sagte Merlin; seht doch, wie dieser gute Mann klagt und trauert, und wie der Prior so brav singt! Umgekehrt sollte es seyn, der Prior sollte trauern und der gute Mann könnte singen; denn das Kind, das der Mann beweint, ist nicht sein Kind, wie er wähnt, sondern der Prior ist sein Vater. Ey, sagten die Boten, sollte dieß wahr seyn? Geht [86] hin, erwiederte Merlin, zu der Frau des Mannes und fragt sie, warum der Mann solch Leid trüge? sie wird antworten, weil ihm ein Kind begraben wird. Darauf sagt ihr nur keck: Ey, Frau, das Kind gehört nicht dem Manne, sondern dem Prior, alle Geistlichen wissen das auch sehr wohl, läugnet es also nur nicht, der Prior hat Tag und Stunde aufgeschrieben, da er bey Euch geschlafen. Die Boten richteten alles so aus, wie Merlin ihnen vorgeschrieben. Als sie nun der Frau das so dreist sagten, ward sie über und über roth. Habt Barmherzigkeit mit mir, bat sie; es ist so, wie Ihr sagtet, aber sagt es nur nicht meinem Herrn wieder, er bringt mich sonst ums Leben. Die Boten kehrten nun wieder zu Merlin zurück. Du bist, riefen sie noch lachend über diese Begebenheit, der vortrefflichste Wahrsager. Jetzt, aber, Merlin, nähern wir uns der Stadt, in welcher wir den König Vortigern antreffen. Nun unterrichte uns nach deiner Weisheit, wie wir dem Könige antworten sollen; denn du weißt wohl, daß wir einen Eid abgelegt, dich [87] zu erschlagen und ihm dein Blut zu überbringen. Ihr habt Recht, erwiederte Merlin; folgt mir aber, so wird euch wegen meiner kein Leides wieder fahren. Geht zum Könige und erzählt ihm treulich, was ihr von mir gehört und gesehen, auch wie ihr mich gefunden. Sagt ihm auch, ich wolle ihm wohl sagen, warum sein Thurm nicht feststehen wolle; sagt ihm nur, meine Meinung wäre, er müsse mit denen, die er im Gefängniß verwahre, so thun, wie sie ihm gerathen, mit mir zu thun. Wenn ihr ihm über alles die Wahrheit von mir berichtet, so thut alsdenn, was er euch befehlen wird.

Zwey von den Boten gingen zum Könige, der sich freute, als er sie sah; sie baten sich geheimes Gehör bey ihm aus, und erzählten ihm alles mit treuer Wahrheit, was sie von Merlin gehört und gesehen, wie er sich ihnen selbst kund gegeben, obgleich er wohl gewußt, daß sie gekommen seyn, ihn zu tödten; wie er darauf so vielfältig gewahrsagt, und wie er dem Könige auch sagen wolle, warum ein Thurm nicht stehen will. Ihr müßt mir, erwiederte der König, mit [88] eurem Leben für die Wahrheit dessen stehen, was ihr mir berichtet! Das wollen wir, Herr König, sagten die Boten. Nun so will ich ihn sprechen, sagte der König. Die Boten gingen hinaus, Merlin zu holen, der König war aber so voller Begierde, ihn zu sehen, daß er ihnen auf dem Fuße nachritt. Die Boten kamen zu Merlin, der ihnen entgegen rief: ich weiß schon, was zwischen euch und dem Könige vorgegangen, ihr habt mit eurem Leben für mich gutgesagt, aber ihr sollt nicht für mich zu zahlen brauchen. Er ritt mit ihnen, und begegnete dem König Vortigern, der ihnen entgegen ritt. Merlin grüßte ihn, sobald er ihn ansichtig wurde; der König gab ihm einen Gruß wieder, nahm ihn bey der Hand und sprach mit ihm in Gegenwart der Boten. Du wolltest mich fangen, sagte Merlin, um mein Blut zu haben, damit dein Thurm feststünde; versprichst du mir, mit denen, die dir diesen Rath gegeben, so zu verfahren, als sie verlangten, daß mir geschehen solle, so will ich dir in ihrer Gegenwart zeigen und sagen, warum dein Thurm nicht stehen [89] kann. Bey meinem Leben, rief der König, ich schwöre dir, zeigst du mir die Sache, so wie du sagst, so soll mit jenen geschehen, wie sie wollten, daß mit dir geschehen solle.

 

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