BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Funfzehntes Kapitel.

 

Die Boten kamen zum Könige zurück, erzählten ihm alles, was ihnen begegnet war; fanden auch zu ihrer großen Verwunderung alle diejenigen aus dem großen Rathe todt, von welchen der alte Hirt ihnen dieses vorher gesagt hatte; nun riefen alle [109] die zugegen waren, es könne kein andrer seyn, als Merlin selber, der zu ihnen in der Gestalt eines alten Hirten gekommen sey.

König Pendragon ließ sein Reich unter der Obhut seines Bruders Uter, nahm sein Gefolge mit sich, und ritt nach Northumberland, wo er, wie die Boten aussagten, den Merlin finden sollte. Er fragte im ganzen Northumberlande nach Merlin, keiner aber wußte etwas von ihm zu sagen, denn er hatte sich nirgend zu erkennen gegeben. Endlich vertiefte der König sich in die Wälder, und sandte einige von seinen Edelleuten voran in den Wald. Einer von ihnen stieß auf eine große Heerde Vieh, und einen sehr ungestalteten häßlichen Mann, der sie hütete. Der Edelmann fragte ihn, wem das Vieh angehöre? – Ich gehöre, antwortete jener, einem angesehenen sehr weisen Manne aus Northumberland zu; er sagte mir, König Pendragon würde kommen und ihn hier suchen, könnt Ihr mir etwa sagen, ob dem so ist? – Ja wahrlich, sagte der Edelmann, dem ist so; kannst du mir den Ort sagen, wo ich [110] den weisen Mann finde? – Dir werde ich es nie sagen, dem Könige aber, wenn er hier wäre, will ich es wohl entdecken. – Nun so gehe mit mir zum König. – Ey da würde ich ja meine Heerde schlecht hüten, auch habe ich nicht nöthig, den König zu sehen, wenn er aber zu mir kommen will, so will ich ihm sagen, wo er findet, was er suchet. – Nun so bitte ich dich, erwarte mich hier, ich will dir sogleich den König herführen.

Der König ritt sogleich, als der Edelmann ihm dieß erzählte, mit ihm zu dem Hirten in den Wald. Es war wieder Merlin selber, der in Gestalt eines Viehhirten erschien. Er sagte dem Könige: du willst den Merlin holen, aber wüßtest du auch, wo er ist, er ginge doch nicht eher mit dir, bis es ihm gefiele; willst du meinem Rathe folgen, so begib dich in die nächste Stadt von hier, sobald du dort seyn wirst, wird auch Merlin bey dir seyn. – Wie soll ich wissen, fragte der König, ob das, was du sagst, die Wahrheit ist? – Wenn ihr mir nicht glauben wollt, antwortete der Hirt, so [111] thut nicht, was ich euch sage; es wäre ja eine Thorheit, einem Rathe zu folgen, dem man nicht traut. – Ich will dir nicht mistrauen, sagte der König, und will deinen Rathe folgen, ritt darauf wieder zurück, und begab sich in die nächste Stadt; hier kehrte er in ein Wirthshaus ein, daselbst war er kaum abgestiegen, als ein sehr wohl aussehender, gut gekleideter Mann auf einem schönen Pferde ankam, der nach dem Könige fragte. Es war Merlin selber. Als er vor den König kam, sagte er: Herr König, Merlin sendet mich und läßt dir sagen, er sey es gewesen, den du im Walde als einen Hirten angetroffen hat. Er hatte dir versprochen, zu dir herzukommen, er läßt dir aber sagen, du bedürfest seiner nicht mehr. Gewiß, mein Freund, antwortete der König, ich werde immer seiner bedürfen. – Er läßt durch mich euch gute Botschaft wissen; nämlich Hangius ist todt, euer Bruder Uter hat ihn erschlagen. – Du sagst erstaunliche Dinge, rief der König höchst verwundert aus, ist es denn gewiß so, wie du sagst? – Wenn du zweifelst, [112] so schicke hin und erkundige dich nach der Wahrheit.

König Pendragon ließ alsobald zwey von seinen Leuten aufsitzen und schickte sie zu einem Bruder Uter, sie waren aber noch nicht weit geritten, als sie zwey Boten von Uter begegneten, die den König Pendragon aufsuchten, um ihm zu sagen, daß Uter den Hangius erschlagen habe. Sie kehrten nun alle viere in die Stadt zurück, wo König Pendragon immer noch den Merlin erwartete. Er war erstaunt, den Tod des Hangius so eingetroffen zu sehen, wie es ihm durch den verwandelten Merlin, den er aber nicht gekannt hatte, war vorhergesagt worden. Er verbot es jenen bey Lebensstrafe, es niemand zu sagen, auf welche Weise Hangius war erschlagen worden; er wollte sehen, ob Merlin auch dieses wissen würde, wenn er käme.

Endlich zeigte Merlin sich dem Könige in seiner wahren Gestalt, so daß alle ihn erkannten, die ihn vormals gesehen. Er nahm den König beyseite und sagte ihm: Von nun an [113] bin ich ganz der eurige, und will euch in allem, was ihr bedürft, beystehen. Ich bin Merlin, nach welchem ihr so lange sucht; ich war der Hirt, der im Walde mit euch sprach; ich war auch derselbe, der als Abgesandter hier bey euch war; ich habe auch eurem Bruder gerathen, mit dem Hangius zu fechten. Unter den verschiedenen Gestalten, die ich angenommen, konnten eure Räthe, die mich ehedem gekannt, mich nicht wieder kennen; denn diese Leute kennen nichts an mir, als meine Außenseite, mein inneres Wesen aber werden sie nie erkennen. So wie ich jetzt hier vor dir stehe, bin ich ihnen bekannt, ich kann aber, wenn ich will, mich immer vor ihnen verbergen, euch aber, Herr König, bin ich ganz ergeben.

Der König freute sich so, den Merlin zu haben, als hätte man ihm die ganze Welt geschenkt. Er ließ seine Räthe kommen, diese erkannten den Merlin sogleich, und waren ganz erstaunt, als sie hörten, daß er unter so mancherley Gestalt schon mit dem Könige geredet. – Jetzt, Merlin, fing Pendragon an, sage mir, [114] wie starb Hangius? – So bald als er erfuhr, sprach Merlin, daß der König aus dem Lager gegangen sey, um mich aufzusuchen, beschloß er in seinem kühnen Muth, sich bey Nacht zu waffnen und in das Zelt eures Bruders Uter zu dringen. Ich wußte seine Absicht sogleich, begab mich also zu eurem Bruder und warnte ihn, daß er auf seiner Hut sey, weil Hangius in der Nacht nach seinem Zelte kommen wolle, um ihn meuchelmörderisch zu erschlagen; sagte ihm auch viel von des Hangius Kühnheit, Stärke und von dessen Tapferkeit. Gott und der seinigen sey Dank! er glaubte meinen Worten. Als nun die Nacht gekommen war, schlich Hangius sich mit gezognem Schwerte nach dem Zelte eures Bruders, dieser war aber nicht darin, so wie ich ihn gelehrt hatte, worüber Hangius sich sehr ärgerte, ihn nicht darin zu finden. Als er wieder vom Zelte zurückgehen wollte, paßte euer Bruder ihm auf und fiel ihn an; sie fochten so lange, bis Uter den Sieg davon trug und den Hangius erschlug. – Unter welcher Gestalt erschienst du meinem Bruder? [115] fragte der König. – Unter der Gestalt eines sehr alten Mannes. – Sagtest du ihm, wer du seyst? – Nein, dieß sagte ich ihm nicht, er wird es auch nicht erfahren, als bis ihr es ihm entdecket. – Gehst du nicht mit mir? denn ich sehe ein, welcher Weisheit du voll bist, und werde deines Rathes immer bedürftig seyn. – Je länger ich bey euch bleibe, je mehr ärgern sich eure Räthe, weil für sie nichts zu thun bleibt, wenn ich euch guten Rath ertheile; aber über zwölf Tage sollt ihr mich bey eurem Bruder Uter wieder sehen, unter derselben Gestalt, in welcher ich ihm erschienen bin; aber ich bitte euch, Herr König, sagt davon keinem Menschen, ich sage euch sonst nie wieder etwas. Gewiß, sagte der König, ich werde keinem Menschen ein Wort davon sagen. Sie nahmen also die Abrede, daß Merlin sich den zwölften Tag in Lager Pendragons und Uters einfinden sollte, und trennten sich darauf. Merlin ging wieder in den Wald zum Meister Blasius, und ließ ihn alle diese Begebenheiten aufschreiben, so wie wir es hier in seinem Buche [116] finden; Pendragon aber ging zurück ins Lager zu seinem Bruder Uter.

 

Pendragon reitet ins Lager zu seinem Bruder Uter

 

Die beyden Brüder freuten sich sehr, als sie einander wieder sahen. Pendragon nahm seinen Bruder sogleich besonders, und erzählte ihm mit den kleinsten Umständen, wie er den Hangius erschlagen habe, nebst noch vielen andern Dingen, worüber Uter sehr erstaunte; denn niemand, sagte er, kann diesen ganzen Hergang so wissen als Gott, und ein wackrer alter Mann, der mir insgeheim sagte, daß ich vor Hangius auf meiner Hut seyn solle, weil er mich in der Nacht erschlagen wolle. Um Gottes willen also, wer kann diese Dinge dir erzählt haben? – Du siehst also, mein Bruder, antwortete der König, daß ich es sehr wohl weiß. Wer aber war der Mann, der dich warnte? denn hätte er dich nicht gewarnt, so wärst du wohl, denke ich, jetzt vom Hangius erschlagen. – Bey meinem Leben, sagte Uter, ich kenne ihn nicht, hatte ihn auch nie vorher gesehen; aber er schien mir ein rechtlicher ansehnlicher Mann, darum traute ich seinen Worten. – Würdest du wohl, fragte Pendragon, [117] den Mann wieder erkennen, wenn du ihn vor dir sähest? – Gewiß denke ich ihn wieder zu erkennen. – Nach eilf Tagen wird er hier bey dir seyn, entferne dich also zu dieser Zeit nicht von mir, damit auch ich ihn sehe und kennen lerne. Uter versprach, den Tag, an welchem jener erscheinen wolle, bey ihm zu erwarten.

Merlin wußte sehr genau, was die Brüder zusammen verabredet hatten, und wie Pendragon ihn auf alle Weise auf die Probe stellen wollte; sagte auch alles dem Meister Blasius wieder und ließ es ihn aufschreiben. Was werdet ihr nun mit ihnen machen? fragte Meister Blasius. Pendragon und sein Bruder Uter, antwortete Merlin, sind schöne liebenswerthe edle Fürsten, von angenehmen Sitten und rechtem Wandel; ich will ihnen mit Liebe und Treue, mit Wort und That dienstbar zugethan seyn; will ihnen auch gar seltnen Spaß vormachen, daß sie fröhlich darüber lachen sollen. Uter liebt eine schöne Dame von hohem Adel, ich will die Gestalt des kleinen Pagen dieser Dame [118] annehmen und ihm einen Brief von ihr bringen; er wird mir also glauben, was ich ihm sage, und da ich nun alles, was er mit dieser Dame insgeheim gesprochen hat, sehr wohl weiß, so will ich es ihm erzählen, worüber er sehr erstaunt seyn wird; und das soll grade auf den eilften Tag geschehen, an welchem er mich erwartet. Er nahm Abschied vom Meister Blasius, und kam an dem bestimmten Tage in dem Lager des Königs an. Unter der Gestalt des kleinen Pagen ward er vor Uter gebracht, der sich sehr freute, eine Botschaft von seiner Dame zu erhalten. Er nahm den Brief, welchen der Page ihm in ihrem Namen überreichte, erbrach ihn mir vor Freude bebendem Herzen, und fand die allerlieblichsten Worte darin, auch stand darin, daß er dem Pagen alles glauben dürfe, was er ihm sagen würde. Merlin gab ihm darauf die fröhlichsten Nachrichten, erzählte ihm Dinge, von welchen er wohl wußte, daß sie dem Uter viel Vergnügen machen würden, und unterhielt ihn mit solchen angenehmen Dingen bis gegen den Abend. Uter freute sich über [119] die Maßen sehr, und beschenkte den Pagen reichlich. Pendragon, der an diesem Tage die Erscheinung des Merlin erwartete, ward sehr bestürzt, als es Abend ward und er immer nicht kam. Auch Uter erwartete ihn, und während er mit dem Pagen sich unterhielt, zog dieser sich einen Augenblick zurück, nahm die Gestalt des alten Mannes an, so wie er ihm zum erstenmal erschienen war, und zeigte sich ihm so in dem Schloßhofe, wo er zuvor mit ihm auf und ab gegangen war. Uter erkannte ihn auch sogleich, ging ihm entgegen und sagte: Freund, ich bitte dich, warte hier ein wenig auf mich, bis ich mit meinem Bruder Pendragon gesprochen habe. Jener willigte ein, auf ihn zu warten, und Uter ging zum Könige. Bruder, rief er, der Mann ist angekommen. Weißt du gewiß, fragte Pendragon, daß es derselbe ist, der dich vor Hangius warnte? – Ja wohl ist er es, ich kenne ihn genau. – So gehe doch noch einmal zu ihm hinaus und prüfe ihn, ob es derselbe ist, und wenn du dessen ganz gewiß bist, so komm und rufe mich. – Uter gehorchte seinem Bruder, [120] und ging wieder hinaus in den Hof, wo er den Mann noch so fand, wie er ihn zuvor verließ. Ihr seyd es, sagte er, der mich vor Hangius warnte, wohl kenne ich euch, und ihr seyd mir sehr willkommen. Wundern muß ich mich aber, daß mein Bruder Pendragon alles genau weiß und mir erzählte, was ihr mir damals sagtet, und auch alles genau wußte, was ich that, als ihr nicht mehr bey mir waret; so wußte er auch, daß ihr heute herkommen würdet; ich muß billig darüber mich verwundern, wer ihm doch alles das mag offenbaret haben. – Geht, holt euern Bruder, sagte Merlin, er soll uns sagen, durch wen er es erfahren. Uter ging hinein zu Pendragon und sprach: Jetzt komm, mein Bruder, denn es ist wirklich derselbe Mann. Pendragon, der wohl wußte, daß es Merlin sey, und daß er seinem Bruder noch verschiedene artige Streiche spielen würde, befahl den Thorhütern, keinen Menschen weder hinaus noch herein gehen zu lassen, und als sie beyde sich darauf dahin begaben, wo Uter den Mann verließ, fanden sie niemand als den [121] kleinen Pagen. Nun, Bruder, fragte Pendragon, wo ist der Mann? und Uter stand bestürzt, und wußte nichts zu sagen, worüber Pendragon sich sehr ergötzte, weil er wohl merkte, daß Merlin nur scherzen wollte. Er trieb dieses Spiel auch noch eine Zeit lang, bis er sich endlich den Uter und Pendragon in einer wahren Gestalt zeigte, und ihnen alles erklärte, worüber sie beyde sich sehr freuten, und noch viel darüber scherzten, und fröhlich waren. Sieh, mein Bruder, sagte Pendragon, er ist es, der dich vor Hangius beschützte; er ist es, den ich zu suchen ausging; er ist es, der Macht hat, alles zu wissen was geschieht und was gesagt wird, sowohl in der Gegenwart, als auch in der Zukunft. Bitten wir ihn also, daß er stets mit uns sey, und uns mit seinem Rathe und seiner Hülfe beystehe, damit wir nichts ohne ihn unternehmen, und er uns allenthalben leitet. Beyde Brüder baten ihn also, daß er bey ihnen bleiben möchte, indem sie alles mit ihm berathen, und nur unter seiner Leitung regieren wollten. – [122] Gern, antwortete Merlin, will ich euch rathen, nur müßt ihr an mich glauben, welches ihm auch beyde Brüder zu thun versprachen, weil sie noch alles wahr gefunden, was er ihnen gesagt hatte; beyde wiederholten auch nochmals ihre Bitten, daß er nicht von ihnen gehen möchte. – Gnädige Herren, erwiederte Merlin, ihr sollt allein um mich wissen, und ihr besonders sollt mein Wesen stets erkennen; jetzt aber muß ich nothwendig mich nach Großbritannien verfügen, ich bin dazu genöthigt und gezwungen. Aber bey Gott schwöre ich euch, daß wo ich auch seyn, und an welchem Orte ich mich auch befinden möge, ich immer eure Angelegenheiten zuerst und ganz vorzüglich bedenken und besorgen, und in meinem Gedächtniß tragen werde. Laßt es euch nicht verdrießen, und kränkt euch nicht, wenn ich von euch gehe, denn ich kann ja zu jeder Stunde des Tages bey euch seyn, wenn es nöthig ist, und wo ihr in Verlegenheit, oder in Gefahr seyd, werdet ihr mich ohne Fehl bey euch sehen, meine Hülfe und mein Rath soll euch niemals [123] fehlen, sobald ihr desen benöthigt seyn werdet. Wenn ich jetzt wieder zu euch komme, werden eure Leute mich bey euch melden, thut alsdann vor ihnen, als sähet ihr mich zum erstenmal, und freut euch meiner Gegenwart, als käme sie euch ganz unerwartet; sie werden euch alsdenn rathen, mich um alle Dinge zu fragen, und werden mich sehr rühmen, alsdann könnt ihr in völliger Sicherheit meinem Rath, und meinen Vorschlägen folgen, so als ob es die Meinung der andern wäre.

 

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