BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Fünf und zwanzigstes Kapitel.

 

Als der König einige Tage darauf nach der Messe in sein Zelt kam, fand er den Merlin daselbst. Groß war seine Freude, da er ihn erblickte, mit offenen Armen eilt er auf ihn zu, schloß ihn an sein Herz und küßte ihn. Merlin, fing er an, ich sage dir nichts von meinen Angelegenheiten, du weißt sie besser als ich selber; aber ich bitte dich um Gottes Willen hilf mir von meinem Herzeleid, das dir so wohl bekannt ist. Laß erst den Ulsius kommen, sagte Merlin, dann will ich dir antworten. – Ulsius wurde sogleich gerufen, und als er kam, und der König zu ihm sagte, sieh hier ist Merlin! ward er vergnügt, begrüßte ihn, und sagte zum Könige: Nun dürft ihr nicht mehr weinen, denn sicherlich bringt er euch Trost und Hülfe. Ach, sagte der König, könnt er Yguernens Gunst mir verschaffen, so [187] gäbe es nichts, was ich nicht für ihn thäte, wenn es nur in meiner Macht steht, zu thun. – Wagst du, sagte Merlin hierauf, mir das zu versprechen, was ich dir anfordern werde, so will ich dir Yguerne zu verschaffen suchen, so daß du bey ihr in ihrer Kammer und in ihrem Bette schläfst. Ulsius lachte, als er dieß hörte, und sagte: jetzt wird man sehen, was eines Königs Herz werth ist. – Fordere, was du willst, rief der König, es gibt nichts, was ich dir nicht dafür gäbe, fordere nur! – Ich will dessen gewiß seyn, erwiederte Merlin, du und Ulsius, ihr müßt beyde mir einen Eid auf die heiligen Reliquien ablegen, daß ich von dir bekomne, was ich dir den Morgen abfordern werde, nachdem du die Nacht bey Yguerne zugebracht haben wirst. Willst du mit dem Könige schwören, Ulsius? – Mir währet die Zeit lang, ehe ich geschworen habe, erwiederte dieser. Hierauf ließ der König die heiligsten Reliquien vor sich bringen, er und Ulsius legten die Hände darauf, und so schwuren beyde, daß der König dem Merlin das geben müsse, [188] was Merlin am Morgen nach der Nacht, die er bey Yguernen zubringen würde, von ihm fordern werde.

Nachher eröffnete Merlin ihnen die Art, wie er dem Könige Yguernens Gunst verschaffen wollte. – Du, sprach er zum Könige, mußt dich dabey mit vieler Weisheit und sehr klug betragen; denn Yguerne ist eine sehr tugendliche Dame, die Gott und ihrem Gemahle immer treu gewesen. Ich will dir aber durch meine Kunst die Gestalt des Herzogs geben, so daß sie dich für ihren Gemahl halten muß. Auch hat der Herzog zwey Ritter, sein und Dame Yguernes vertraute Freunde, sie heißen Bretiaur und Jourdains. Die Gestalt des ersten will ich annehmen, du, Ulsius, sollst aber die des Jourdains haben. Wenn es dunkel wird, so wollen wir unter dieser Verwandlung nach dem Schloß Tintayol reiten, die Wachen werden uns den Eingang nicht verwehren, da sie uns für die ihrigen ansehen. Nur des Morgens müssen wir gar früh uns wieder fort begeben, denn wir werden wunderbare Dinge [189] hören; dein Lager laß unterdessen wohl bewachen, und daß deine Leute niemanden sagen, wo du hingegangen bist. Vergiß von allem dem nichts, was ich dir hier sage, und seyd zwischen hier und morgen bereit, wenn ich euch zu holen komme.

Der König erwartete den Merlin mit der größten Ungeduld; endlich kam er wieder und sagte: jetzt ist alles in Bereitschaft und fertig, nun zu Pferde. Sie ritten bis eine kleine halbe Meile von Tintayol; hier müssen wir uns ein wenig aufhalten, sagte Merlin, steigt ab von euren Pferden und erwartet mich hier ein wenig. Sie stiegen alle ab, Merlin ging etwas abwärts, pflückte Kräuter ab, rieb dem Könige das Gesicht und die Hände damit, alsdann dem Ulsius und sich selber, und sofort verwandelten sie sich alle drey; der König sah vollkommen wie der Herzog von Tintayol aus, so wie Merlin und Ulsius dem Jourdains und Bretiaux glichen, so daß sie sich einander ansahen und sich wirklich lange dafür hielten.

 

Mit hereinsinkender Nacht kamen sie an das Schloßthor von Tintayol

 

Mit hereinsinkender Nacht kamen sie an das Schloßthor [190] von Tintayol, wurden ohne Schwierigkeit eingelassen, und gaben der Wache den Befehl, es niemanden bekannt zu machen, daß der Herzog zu Tintayol sey. Die Herzogin war schon zu Bette, als die drey in ihr Schlafzimmer kamen, die Ritter halfen ihrem Herrn sich entkleiden und in das Bett zur Dame Yguerne steigen, und entfernten sich alsdann. In dieser Nacht ward sie mit einem Sohne schwanger, der nachmals der gute König Artus genannt wurde. Der König genoß große Freude und Liebe die ganze Nacht hindurch von Yguerne, denn sie umarmte ihn und begegnete ihm mit herzlicher Freundlichkeit, wie sie ihren treu geliebten Gemahl umfing.

 

Der König genoß große Freude und Liebe die ganze Nacht

 

Mit Tagesanbruch hörten Merlin und Ulsius, die schon aufgestanden waren, das Gerücht in der Stadt, der Herzog sey erschlagen, und seine Seneschalls gefangen. Sie liefen also gleich ins Schlafzimmer zu ihrem Herrn, und riefen: Herr Herzog, steht auf und begebt euch in euer anderes Schloß, denn die Nachricht ist gekommen, daß eure Leute euch für todt [191] halten. Ihr Herr stand auch sogleich auf, nahm zärtlichen Abschied von der Dame Yguerne, empfahl sie dem Schutze Gottes, küßte sie, und ritt davon mit den beyden Begleitern. Niemand im Schlosse wußte darum, daß der Herzog die Nacht bey seiner Gemahlin gewesen, außer ihre Kammerfrauen und die Thorwächter.

Als sie glücklich wieder hinaus gekommen waren, und sich des gelungenen Anschlags freuten und sich fröhlich unterhielten, fing Merlin an und sagte zum Könige: ich habe, denke ich, dir mein Wort gehalten, jetzt denke auch du darauf, daß du deinen Eyd hältst. – Du hast mir, antwortete der König, mehr Freude gegeben, und einen viel größeren Dienst geleistet, als je ein Mensch dem andern leistete, und ich bin bereit, dir mein Versprechen zu halten; jetzt also sage an, was du verlangt. – Wisse, sprach Merlin, daß Yguerne in dieser Nacht mit einem Kinde männlichen Geschlechts ist schwanger worden, dieses Kind verlange ich von dir. – Der König entsetzte sich, durfte aber sein Wort nicht zurückziehen; ich legte einen [192] Eyd ab, sagte er, dir zu geben, was du verlangen würdest; es sey dir also zu deiner Willkühr übergeben.

 

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