BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Sechs und zwanzigstes Kapitel.

 

Hierauf wuschen sie sich alle drey in einem Fluß, wo sie hinüber mußten, und bekamen ihre natürliche Gestalt wieder. Als sie im Lager anlangten, kamen alle ihnen mit der Nachricht entgegen, der Herzog sey erschlagen. Der König war sehr betrübt über diese Nachricht, denn er hatte seinen Tod nicht gesucht. Und wie geschah dieß? fragte er seine Leute. Nun hörte er, der Herzog, der es gemerkt, daß der König nicht im Lager sey, habe in der Nacht still seine Leute waffnen lassen, und habe einen Ausfall auf die Belagernden gethan. Diese, von dem Getöse aufgeweckt, bewaffneten sich schnell, und schlugen jene in ihr Schloß zurück; als [193] sie sich aber mit ihnen ins Thor drängen wollten, sey der Herzog vom Fußvolk, das ihn nicht kannte, überwältigt und getödtet worden. Die im Schlosse haben sich nicht länger vertheidigt, als sie den Tod ihres Herrn erfahren, sondern sich sogleich mit dem Schlosse ergeben.

 

Der Tod ds Herzogs

 

Der König ließ seine Räthe zusammenrufen und legte ihnen die Sache vor, daß sie ihm riethen, wie er Genugthuung für des Herzogs Tod zu geben habe? denn er betrübte sich sehr um diesen Unfall, er hatte den Herzog nicht gehaßt und seinen Tod nicht begehrt; darum, sagte er, will ich einen Anverwandten hinlängliche Genugthuung verschaffen, wie ihr mir rathen sollt.

Ulsius saß mit im Rathe des Königs, und da die Räthe verlangten, daß er zuerst sprechen sollte, sagte er ihnen; wer dem Könige und dem Reiche zum Besten rathen will, der verlange, daß der König den Freunden und Verwandten der Herzogin Yguerne sagen lasse, wie sie sich alle zu Tintayol versammeln, dort sich über ihre Angelegenheit berathschlagen, und [194] alsdenn alle zusammen sich nach Kardueil zu begeben haben, wo der König ihnen Genugthuung geben, und Frieden mit ihnen schließen würde. Während Ulsius dieß den Räthen des Königs sagte, und sie seine Meinung begriffen und sich auf ihn verließen, weil er der vertrauteste Freund des Königs war, und wohl wissen mußte, was dem Könige am angenehmsten zu hören war, sie auch dem Ulsius versprachen, dem Könige nicht zu sagen, daß dieser Rath von ihm allein käme, sondern daß sie allesammt solches beschlossen, kam Merlin in das Zelt des Königs und sagte ihm: Ulsius spricht und denkt gut und weislich über deine Angelegenheit, auch ist er dir treu ergeben, du darfst ihm also sicher trauen und genau alles thun, was er von dir verlangt; denn es ist alles zu deinem Besten, was er verlangen wird, und alles wird auch gut bestehen nach seinem Rathe. Folge also dem treuen und verständigen Ulsius, ich muß jetzt mich von dir trennen; wenn Yoguerne, der du dich jetzt vermählen wirst, das Knäblein geboren hat, mit welchem [195] sie von dir ist schwanger worden, dann werde ich wiederkommen und es holen, denn du weißt, es ist mein nach deinem Eide. Auch werde ich dann noch nicht mit dir reden, sondern nur mit Ulsius, dem ich es sagen werde, auf welche Art er mir das Kind einhändigen müsse.

Der König war äußerst betrübt, daß Merlin von ihm gehen wolle, da er seines Rathes bedurfte, doch ward er wieder froh, da Merlin ihm die Versicherung gab, daß er sich auf Ulsius verlassen könne; und daß Yguerne seine Gemahlin werden solle, erfüllte sein Herz mit großem Entzücken. Hüte dich aber, fügte Merlin hinzu, bey dem Leben der Dame Yguerne, daß du ihr nie das Geheimniß entdeckest, wie das Kind, das sie unter ihrem Herzen trägt, nicht von ihrem Gemahl dem Herzog, sondern von dir sey, und daß du bey ihr geschlafen habest, ehe sie dir vermählet ward, denn sie ist von großer Tugend und Frömmigkeit, und wenn du sie so beschämtest, könntest du wohl ihre Liebe verlieren. Darauf beurlaubte er sich vom Könige und begab sich zum Meister Blasius, wo er ihn alles so aufschreiben ließ, wie wir es hier lesen.

 

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