BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Neun und zwanzigstes Kapitel.

 

Den Tag vor der Niederkunft der Königin kam Merlin zu Ulsius, und sprach: ich bin zufrieden mit den Anstalten, welche der König getroffen, und wie er sich überhaupt sehr verständig genommen. Geh, sage ihm, er solle die Königin vorbereiten, sie würde morgen nach Mitternacht entbunden werden; und wie sie gleich nach ihrer Entbindung das Kind dem Manne übergeben müsse, den sie beym Hinausgehen aus ihrem Zimmer erblicken würde. Ulsius fragte ihn, ob er nicht selber mit dem Könige sprechen wolle, er sagte aber; Nein, nicht zu dieser Stunde. Ulsius bestellte dem Könige alles, was Merlin ihm aufgetragen [213] und der König ging so gleich zur Königin. Morgen nach Mitternacht, sagte er ihr, wirst du entbunden seyn; ich bitte dich aber, und verlange es ausdrücklich, daß du das Kind gleich nach der Geburt deiner vertrautesten Kammerfrau giebst, mit dem ausdrücklichen Befehl, es dem Manne zu geben, der es ihr beim Herausgehen aus dem Zimmer abfordern wird. Auch mußt du allen denen, welche bey der Niederkunft zugegen seyn werden, bey ihrem Leben verbieten, daß sie niemanden sagen, daß du niedergekommen bist, weil viele glauben möchten, das Kind sey nicht von mir; auch kann es wohl in Wahrheit nicht von mir seyn. – Ich sagte es euch ja, erwiederte die Königin, wie ich nicht wisse, wer Vater dieses Kindes ist; ich will alles thun mit ihm, was ihr verlangt, das ich thun soll. Sie war aber so beschämt, daß sie den König nicht ansehen konnte, sondern ihre Augen niederschlug.

Um die bestimmte Stunde kam sie nieder, worüber sie sehr verwundert war, daß der König die Stunde ihrer Entbindung vorher gesagt. [214] Es geschah auch alles so, wie der König ihr befohlen hatte. – Traute Freundin, sagte sie zur Kammerfrau, nimm das Kind und gieb es dem Manne, der am Ausgang des Zimmers es dir abfordern wird; gieb aber genau Acht, wer dieser Mann ist? – Die Kammerfrau wickelte das Kind in reiche Windeln, und trug es hinaus; als sie die Thüre öffnete, kam ihr ein sehr alter, schwacher Mann entgegen; worauf wartet ihr hier?" fragte sie. – Auf das, was ihr bringt, antwortete der Alte. – Wer seyd ihr? was soll ich meiner Gebieterin sagen, wem ich es gegeben? – Bekümmere dich nicht darum, thu was dir befohlen ward, und was du thun mußt. –

 

Die Kammerfrau gibt dem Alten das Kind

 

Darauf reichte sie ihm das Kind, er nahm es, und in demselben Moment verschwand er damit, so daß die Kammerfrau nicht wußte, wo er hin gekommen. Als sie nun wieder zur Königin ins Zimmer kam, und ihr erzählte, wie sie das Kind einen fremden sehr alten Manne habe geben müssen, der in dem Moment, als er es erhielt, damit verschwand; fing die Königin bitterlich an zu [215] weinen, und zu klagen, über den Verlust ihres Kindes.

Der Alte ging mit dem Kinde hinaus, um es dem frommen Anthor zu bringen, begegnete ihm aber auf der Gasse, als er eben zur Messe gehen wollte. – Anthor, redete er ihn an, ich bringe dir ein Kind, das du wie das deinige erziehen und ernähren sollst. Wisse, daß wenn du solches treulich thust, wird das Gute, das dir und den Deinen daraus entstehen wird, unermeßlich, und dir selber nicht glaubwürdig seyn. Der König sowohl, als jeder edle Mann und jede edle Frau bitten dich, es gut zu halten, auch ich bitte dich darum; meine Bitte muß dir so viel als die des reichsten Mannes gelten. – Anthor nahm das Kind, sah es an und fand es wohlgebildet und von großer Schönheit. Ist es getauft? fragte er den Alten. – Nein, sagte dieser, du magst es sogleich in der Kirche taufen lassen, wo du Willens warst zur Messe zu gehen. – Welchen Namen soll ich ihm geben? – Nenn es Artus. Du wirst bald genug gewahr werden, welch ein großes Gut [216] du mit ihm erhältst, denn sowohl du als deine Frau, ihr werdet diesen Knaben sehr lieben, und ihn von eurem eignen nicht zu unterscheiden wissen. Und hiemit Gott empfohlen. – Sie schieden von einander; Anthor ließ das Kind taufen, ihm den Namen Artus geben, und brachte es nachher seiner Frau, die es freundlich willkommen hieß, es küßte, an ihre Brust legte, und es mit ihrer Milch tränkte, während sie ihren eignen Sohn einer fremden Frau, welche sie vorher angenommen, zu nähren gab.

 

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