BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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[243]

Zwey und dreyßigstes Kapitel.

 

Die Geschichte sagt, daß nach langer Zeit König Artus einst Hof halten wollte. Er ließ die Fürsten und Barone des Landes zusammen berufen, die auch mit großer Begleitung ankamen. Zuerst kam König Loth von Orcanien, welcher das Land Leonnois hatte, mit fünf hundert Rittern, alle in guter Rüstung und wohl beritten; dann kam König Urien vom Lande Gorre, ein junger, in den Waffen wohlgeübter Ritter, begleitet von vier hundert Rittern von hohem Werth. Als dann König Uter von Gallot, welcher eine Schwester des Königs Artus zur Gemahlin hatte, mit sieben hundert Rittern; dann König Lrarados von Brebas, ein sehr großer und starker Herr, er beherrschte Estrangegore, und war einer der Ritter von der Tafelrunde. Dann kam der schöne junge König Aguiseaulx von Schottland, mit fünf [244] hundert Rittern; zuletzt König Idiers mit vierhundert jungen, tapfern und in den Waffen wohlgeübten Rittern.

König Artus war höchst erfreut, eine so vortreffliche und edle Ritterschaft bey sich in London versammelt zu sehen, und empfing sie allesammt mit vielen Ehrenbezeugungen und großer Festlichkeit. König Artus war unterdessen auch ein sehr schöner Herr und vortrefflicher Ritter geworden, so daß es eine Freude war, ihn anzuschauen, und war mit seinen Gütern sehr freygebig. Er beschenkte also jeden der Fürsten und jeden Ritter mit kostbaren Kleinodien und mit allerhand reichen Gaben, und mit so edlem freygebigen Anstand, wie einer, dem es an solchen Schätzen nicht fehle, und der gewohnt ist, sie zu verschenken. Einige von den Fürsten nahmen die Geschenke mit Freude an, und dachten sehr gut von ihrem König deßwegen, andre aber waren voller Neid, und von dieser Zeit an trugen die größten und vornehmsten einen tödtlichen Haß gegen den König im Herzen. Ist es nicht eine Thorheit, sagten sie [245] unter einander, daß wir einem Burschen von so geringer Abkunft eine solche Macht und das beste Königreich gelassen haben, so daß er solche Schätze sammeln und sie mit Stolz verschenken kann? Das wollen wir von nun an nicht länger zugeben. – Schlugen also die Geschenke des Königs hoffärtig ab und schickten sie ihm zurück, ließen ihm auch dabey sagen, er solle wissen, daß sie ihn nicht länger als ihren König ansähen, er möge daher nur aufs eiligste sein Reich, so wie das ganze Land verlassen, und sich wohl hüten, sich je wieder das selbst sehen zu lassen; sonst würden sie ihn auf alle Weise ums Leben zu bringen suchen.

König Artus ward sehr ergrimmt über diese Drohungen; da er sich aber nichts Gutes von ihnen versah, entfernte er sich in der Stille, und verschloß sich in einen festen Thurm, welcher in der Stadt London sich befand, wo er sich fünfzehn Tage lang verbarg, weil er die Verrätherey der Fürsten schon kannte. Hierauf kam Merlin an, und zeigte sich öffentlich dem ganzen Volke. Als dieses den Merlin erkannte, [246] war seine Freude so groß, und die Freudensbezeugungen und der Tumult so laut um ihn her, daß man wohl den Donner nicht gehört hätte, so sehr lärmten sie. Merlin ist gekommen! Merlin ist da! so schrieen sie auf allen Gassen einander zu. Auch die Fürsten gingen ihm entgegen, erzeigten ihm viel Ehre, und führten ihn nach dem Palast, in einem Saal, dessen Fenster über die Stadt weg auf eine lustige grüne Wiese sahen; durch diese Wiese sah man einen schönen hellen Fluß fließen, den man sehr weit verfolgen konnte, bis er die Mauern der festen Burg Clarion umgab. Hier setzten die Fürsten sich mit Merlin nieder, und zogen ihn zur Rechenschaft; fragten ihn, was ihn bedünke zu dem neuen Könige, welchen der Erzbischof Brice gekrönt habe, ohne ihre Erlaubniß, und gegen ihren Willen sowohl, als gegen den Willen des Volks. – Er hat wohl gethan, antwortete Merlin, ihr möget wissen, daß er keinen andern hätte wählen können, der geschickter dazu wäre. – Wie das, Merlin? Erkläret euch; denn uns dünkt, [247] es sind viele unter uns, welche sowohl der Tapferkeit als der Geburt nach, diese Ehre mehr verdient hätten, als ein solcher Bursche, von dem man nicht weiß, wer er ist? – Er ist von höherer Abkunft, als einer von euch, sagte Merlin, denn er ist weder Anthor's Sohn noch Lreux's Bruder! – Merlin, ihr macht uns immer mehr und mehr verwirrt; wer ist er denn? was sollen wir denken? – Sendet nach dem König Artus, daß er hier vor uns erscheine, und versprecht ihm Sicherheit, auch einen Pflegevater Anthor lasset zugleich herkommen, und Ulsius, den Rath des Königs Uterpendragon, nebst den Erzbischöfen von Brice und von London, in deren Gegenwart sollt ihr hören, wer Artus ist, und eure Zweifel sollen gelöst werden. – Es ward sogleich einer aus ihrer Mitte abgesandt, welcher den König Artus im Namen Merlins und der versammelten Fürsten rufen mußte, so auch die Erzbischöfe, und die andern beyden. Als sie hörten, daß Merlin dabey war, wurden sie fröhlichen Muthes, und begaben sich sogleich hin; Artus zog [248] aber einen Panzer unter seinem Rocke an, denn er traute den verrätherischen Fürsten nimmer. Als sie nun in den Saal vor die versammelten Herren kamen, wo sich auch eine große Menge vom Volke befand, um diese Sache zu hören, setzten sich alle, Merlin aber stand auf, und erzählte den ganzen Verlauf von der Geburt des Königs Artus mit allen Umständen und mit großer Deutlichkeit, worauf denn Ulsius und Anthor den Eyd vor den Bischöfen ablegten, daß alles sich so zugetragen, wie Merlin es erzähle. Ihr seht also, sagte Merlin weiter, daß König Uterpendragon, sein Vater, ihn nicht für seinen Sohn und Erben erklären wollte, aus großer Gewissenhaftigkeit, weil er nämlich diesen seinen Sohn mir überliefert hatte, noch ehe er wußte, daß er ihn erzeugt, er wollte also seinen Schwur auf keine Weise brechen. Gott der Herr aber, der seine Frömmigkeit und die Tugend seiner Gemahlin Yguerne sah, beschloß, daß um der Aeltern willen der Sohn dennoch zu einem rechtmäßigen Erbe gelange, und sandte das Wunder [249] mit dem Schwerdte, damit ihr alle erkennen möget, wie Gott selber ihn erwählte, und daß er euer König seyn soll.

Das ganze Volk weinte vor Freude, als es diese wunderbare Geschichte hörte, und daß Artus ein Sohn des sehr geliebten Königs Uterpendragon sey, und verfluchte im Herzen diejenigen, welche diese Zerstörung anfingen und nicht wollten, daß Artus König seyn solle.

Die Fürsten aber erklärten laut, sie wollten keinen König, welcher nicht in rechtmäßiger Ehe erzeugt sey; stießen darauf sehr üble Reden aus, die ich gar nicht hersetzen will; unter andern sagten sie, er sey ein Bastard, und einem Bastard hätten sie nicht nöthig den Frieden zu halten, oder ihn in einem Reiche wie London herrschen zu lassen. Darauf gingen sie alle in großem Zorne und Grimme davon, die Erzbischöfe aber, der Clerus und alles Volk war auf Artus Seite. Die Ritter bewaffneten sich in ihren Gasthöfen; und ließen dem Könige Artus den Frieden aufsagen. Dieser begab sich wieder nach seinem festen Thurm, und setzte [250] sich nebst so vielen Leuten, als er habhaft werden konnte, in Bereitschaft, sich zu vertheidigen. Nachdem seine ganze Parthey versammelt war, fand es sich, daß er wohl, den Clerus mitgezählt, an siebentausend Mann hatte. Ritter hatte er aber nur eine sehr geringe Anzahl, ungefähr dreihundert und funfzig an der Zahl, der König gab ihnen Waffen und Pferde, und sie versprachen ihn treu bis in den Tod zu bleiben und ihm zu helfen.

Merlin ging zu den Fürsten, die sich fertig machten, den König anzugreifen, und machte ihnen Vorstellungen wegen ihres bösen Unternehmens. Die Fürsten aber spotteten über Merlin, nannten ihn Schwarzkünstler, und hießen ihn schweigen. Merlin sagte, es würde sie dieses Betragen zeitig genug gereuen, ging von ihnen, und begab sich zum König Artus in sein festes Schloß. – Sey nicht erschrocken, Sire, sagte er, du darfst deine Feinde nicht fürchten, denn ich will dir helfen gegen sie; keiner unter ihnen ist so keck, daß er nicht, noch ehe es Nacht wird, wenn auch ganz nackt, [251] bey sich zu Hause zu seyn wünschen soll. – Artus bat ihn darauf in sehr sanften und demüthigen Worten, daß er ihn nicht verlassen möchte, und daß er ihn so lieben möge, wie er seinen Vater Uterpendragon geliebt; er wolle, so wie dieser, ihm in allen Stücken gehorchen und seinen Willen pünktlich erfüllen. Sey gutes Muthes, König Artus, erwiederte Merlin, du darfst nichts fürchten, höre aber genau zu, was ich dir hier sagen will. Sobald du diese Barone dir wirst vom Halse geschafft haben, welches gar nicht lange dauern soll, so thue, wozu ich dir hier rathen will. Wie du weißt, sind die Ritter von der runden Tafel, nach dem Absterben deines frommen Vaters, dessen Seele jetzt bey Gott ist, da sie sahen, welcher Betrug und welche Falschheit hier im Lande entstand, von hier fortgezogen, und haben die Tafel verlassen. Nun mußt du wissen, es regiert ein König, Namens Leodagan, in Thamelide, seine Gemahlin ist todt, er ist schon bey Jahren, und hat nur eine einzige Tochter, Genevra genannt, die einzige Erbin seines Reiches [252] ist. Dieser König Leodagan ist in einem schweren Kriege begriffen gegen Rion, König des Riesenlandes, und des Hirtenlandes, welches niemand bewohnen kann, denn es gehen so wunderbare und seltsame Dinge daselbst vor, daß kein Mensch weder des Tags noch des Nachts daselbst Ruhe findet. König Rion ist sehr mächtig, an Land und an kühnen, tapfern Leuten; dabey ist er ein sehr grausamer Mann. Er hat wohl schon an zwanzig gekrönte Könige bezwungen und ihnen grausamer Weise die Bärte abgeschnitten, aus welchen er sich einen Mantel verfertigen ließ; diesen Mantel muß einer seiner Ritter ihm stets vortragen bey seiner Hofhaltung; da nun an diesem Mantel noch etwas fehlt, so hat er geschworen, nicht eher zu ruhen, bis er dreyßig Könige besiegt und mit ihren Bärten seinen Mantel vollendet hätte. Jetzt macht er dem König Leodagan den Krieg, und hat seinem Lande schon unendlich viel Schaden zugefügt. Du mußt aber wissen, daß wenn er erst sein Land erobert hat, so verlierst du alsdenn auch das deinige [253] gegen ihn; und würde König Leodagan nicht von den Rittern der Tafelrunde unterstützt, die sich alle bey ihm versammelt haben, so hätte er schon jetzt sein Königreich verloren, denn er ist schon alt. Zu diesem König Leodagan ziehe also und diene ihm eine Zeitlang; er wird dir seine Tochter Genevra zur Gemahlin geben, und du wirst also Erbe seines Reiches werden. Seine Tochter ist eine junge sehr schöne Dame, und dabey eine der verständigsten in der Welt. Trage keine Sorge um dein Land, es wird ihm nichts geschehen, denn die Barone, welche jetzt mit dir Krieg führen wollen, werden so viel zu thun haben, daß sie nicht werden daran denken können, dein Land zu bekriegen, außer daß sie dich angreifen werden im Vorbeygehen, wenn du auf dem Wege nach dem festen Lande seyn wirst; doch sollen sie auch da keinen Vortheil finden. Ehe du aber ziehest, versorge deine Hauptstädte und die festen Burgen mit Nahrungsmitteln, mit Kriegsleuten und allem, was zur Gegenwehr nothwendig ist. Und dem [254] Erzbischof von Brice trage auf, daß er alle die excommunicire, welche dem Lande auf irgend eine Weise schaden oder als Feinde begegnen, und daß er gleich diesen Abend anfange, die Fürsten und Barone mit dieser Ercommunication zu belegen, und so muß es die Geistlichkeit in jeder Stadt, und an jedem Orte, alle Tage wiederhohlen. Du sollst sehen, daß auch die frechsten deiner Feinde davon erschreckt und von Kriege abgeschreckt seyn werden. Auch will ich zu jeder Zeit und bey allen Gelegenheiten dir zur Hülfe seyn, und dich niemals verlassen, wo du dich auch aufhalten magst.

 

Artus überreicht die Drachenfahne Lreux, seinem Seneschall

 

König Artus dankte dem Merlin sehr, nachdem er aufmerksam alle Worte vernommen, die er ihm gesagt. Hierauf überreichte Merlin ihm eine Fahne von großer Bedeutung; es war ein eherner Drache darin, der helles Feuer auszuspeyen schien: ein Schwanz, gleichfalls von Erz, war ungeheuer lang und dick und wand sich in vielen Krümmungen. Kein Mensch wußte, wo Merlin diese Fahne herbekommen. [255] Artus nahm den Drachen an und überreichte ihn dem Lreux, seinem Seneschall, daß er denselben ihm vortrage, mit dem Bedeuten, daß er auf Lebenszeit Fahnenträger im Königreich London sey. Lreux war ein tapfrer Ritter und von allen wohl geehrt, hielt sich auch bey allen Fehden und in den Schlachten sehr muthig und tapfer, nur daß er den Fehler hatte, sehr verdrüßlich und langweilig zu sprechen; und wegen dieses Fehlers flohen alle Ritter seine Gesellschaft und verspotteten ihn. Wer ihn kannte, der ließ seine thörichte Reden sich nicht verdrießen, weil er im Herzen eigentlich niemand übel wollte, oder zu schaden suchte, aber er sprach bloß aus Gewohnheit thöricht; so daß, wenn er zu reden anfing, er immer nicht recht wußte, was er eigentlich sagen wollte, sondern er sprach so allerley, bis irgend ein verkehrtes Wort ihm entfiel, man über ihn lachte, und ihn stehen ließ. Diesen seltsamen Fehler ausgenommen, war er von den besten Sitten; er hatte ihn sicher nicht von seiner Mutter, der artigsten und verständigsten Frau [256] von der Welt, sondern von der Amme, welcher er überlassen war, um Artus desto besser zu erziehen 1).

 

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1) Da von hier an Merlin nicht weiter bedeutend vorkommt, als daß er dem Artus beständig in allen Schlachten zum Siege verhilft, so übergehen wir hier den größten Theil des Originals um so mehr, da dieß alles in dem Roman vom König Artus, welchen wir in der Folge zu geben gedenken, besser und ausführlicher Statt findet. 

 

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