BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Drittes Abenteuer

 

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Wie Siegfried nach Worms kam.

 

47

Den Herrn beschwerte selten | irgend ein Herzeleid.

Er hörte Kunde sagen, | wie eine schöne Maid

Bei den Burgunden wäre, | nach Wünschen wohlgethan,

Von der er bald viel Freuden | und auch viel Leides gewann.

48

Von ihrer hohen Schöne | vernahm man weit und breit,

Und auch ihr Hochgemüthe | ward zur selben Zeit

Bei der Jungfrauen | den Helden oft bekannt:

Das ladete der Gäste | viel in König Gunthers Land.

49

So viel um ihre Minne | man Werbende sah,

Kriemhild in ihrem Sinne | sprach dazu nicht Ja,

Daß sie einen wollte | zum geliebten Mann:

Er war ihr noch gar fremde, | dem sie bald ward unterthan.

50

Dann sann auf hohe Minne | Sieglindens Kind:

All der Andern Werben | war wider ihn ein Wind.

Er mochte wohl verdienen | ein Weib so auserwählt:

Bald ward die edle Kriemhild | dem kühnen Siegfried vermählt.

51

Ihm riethen seine Freunde | und Die in seinem Lehn,

Hab er stäte Minne | sich zum Ziel ersehn,

So soll er werben, daß er sich | der Wahl nicht dürfe schämen.

Da sprach der edle Siegfried: | «So will ich Kriemhilden nehmen,

52

«Die edle Königstochter | von Burgundenland,

Um ihre große Schöne. | Das ist mir wohl bekannt,

Kein Kaiser sei so mächtig, | hätt er zu frein im Sinn,

Dem nicht zum minnen ziemte | diese reiche Königin.»

53

Solche Märe hörte | der König Siegmund.

Es sprachen seine Leute: | also ward ihm kund

Seines Kindes Wille. | Es war ihm höchlich leid,

Daß er werben wolle | um diese herrliche Maid.

54

Es erfuhr es auch die Königin, | die edle Siegelind:

Die muste große Sorge | tragen um ihr Kind,

Weil sie wohl Gunthern kannte | und Die in seinem Heer

Die Werbung dem Degen | zu verleiden fliß man sich sehr.

55

Da sprach der kühne Siegfried: | «Viel lieber Vater mein, |

Ohn edler Frauen Minne | wollt ich immer sein,

Wenn ich nicht werben dürfte | nach Herzensliebe frei.»

Was Jemand reden mochte, | so blieb er immer dabei.

56

«Ist dir nicht abzurathen,» | der König sprach da so,

«So bin ich deines Willens | von ganzem Herzen froh

Und will dirs fügen helfen, | so gut ich immer kann;

Doch hat der König Gunther | manchen hochfährtgen Mann.

57

«Und wär es anders Niemand | als Hagen der Degen,

Der kann im Uebermuthe | wohl der Hochfahrt pflegen,

So daß ich sehr befürchte, | es mög uns werden leid,

Wenn wir werben wollen | um diese herrliche Maid.»

58

«Wie mag uns das gefährden!» | hub da Siegfried an:

«Was ich mir im Guten | da nicht erbitten kann,

Will ich schon sonst erwerben | mit meiner starken Hand,

Ich will von ihm erzwingen | so die Leute wie das Land.»

59

«Leid ist mir deine Rede,» | sprach König Siegmund,

«Denn würde diese Märe | dort am Rheine kund,

Du dürftest nimmer reiten | in König Gunthers Land.

Gunther und Gernot | die sind mir lange bekannt.

60

«Mit Gewalt erwerben | kann Niemand die Magd,»

Sprach der König Siegmund, | «das ist mir wohl gesagt;

Willst du jedoch mit Recken | reiten in das Land,

Die Freunde, die wir haben, | die werden eilends besandt.»

61

«So ist mir nicht zu Muthe,» | fiel ihm Siegfried ein,

«Daß mir Recken sollten | folgen an den Rhein

Einer Heerfahrt willen: | das wäre mir wohl leid,

Sollt ich damit erzwingen | diese herrliche Maid.

62

«Ich will sie schon erwerben | allein mit meiner Hand.

Ich will mit zwölf Gesellen | in König Gunthers Land;

Dazu sollt ihr mir helfen, | Vater Siegmund.»

Da gab man seinen Degen | zu Kleidern grau und auch bunt.

63

Da vernahm auch diese Märe | seine Mutter Siegelind;

Sie begann zu trauern | um ihr liebes Kind:,

Sie bangt' es zu verlieren | durch Die in Gunthers Heer.

Die edle Königstochter | weinte darüber sehr.

64

Siegfried der Degen | gieng hin, wo er sie sah.

Wider seine Mutter | gütlich sprach er da:

«Frau, ihr sollt nicht weinen | um den Willen mein:

Wohl will ich ohne Sorgen | vor allen Weiganden sein.

65

«Nun helft mir zu der Reise | nach Burgundenland,

Daß mich und meine Recken | ziere solch Gewand,

Wie so stolze Degen | mit Ehren mögen tragen:

Dafür will ich immer | den Dank von Herzen euch sagen.»

66

«Ist dir nicht abzurathen,» | sprach Frau Siegelind,

So helf ich dir zur Reise, | mein einziges Kind,

Mit den besten Kleidern, | die je ein Ritter trug,

Dir und deinen Degen: | ihr sollt der haben genug.»

67

Da neigte sich ihr dankend | Siegfried der junge Mann.

Er sprach: «Nicht mehr Gesellen | nehm ich zur Fahrt mir an

Als der Recken zwölfe: | verseht die mit Gewand.

Ich möchte gern erfahren, | wie's um Kriemhild sei bewandt.»

68

Da saßen schöne Frauen | über Nacht und Tag,

Daß ihrer selten Eine | der Muße eher pflag,

Bis sie gefertigt hatten | Siegfriedens Staat.

Er wollte seiner Reise | nun mit nichten haben Rath.

69

Sein Vater hieß ihm zieren | sein ritterlich Gewand,

Womit er räumen wollte | König Siegmunds Land.

Ihre lichten Panzer | die wurden auch bereit

Und ihre festen Helme, | ihre Schilde schön und breit.

70

Nun sahen sie die Reise | zu den Burgunden nahn.

Um sie begann zu sorgen | beides, Weib und Mann,

Ob sie je wiederkommen | sollten in das Land.

Sie geboten aufzusäumen | die Waffen und das Gewand.

71

Schön waren ihre Rosse, | ihr Reitzeug goldesroth;

Wenn wer sich höher dauchte, | so war es ohne Noth,

Als der Degen Siegfried | und Die ihm unterthan.

Nun hielt er um Urlaub | zu den Burgunden an.

72

Den gaben ihm mit Trauern | König und Königin.

Er tröstete sie beide | mit minniglichem Sinn

Und sprach: «Ihr sollt nicht weinen | um den Willen mein:

Immer ohne Sorgen | mögt ihr um mein Leben sein.»

73

Es war leid den Recken, | auch weinte manche Maid;

Sie ahnten wohl im Herzen, | daß sie es nach der Zeit

Noch schwer entgelten müsten | durch lieber Freunde Tod.

Sie hatten Grund zu klagen, | es that ihnen wahrlich Noth.

74

Am siebenten Morgen | zu Worms an den Strand

Ritten schon die Kühnen; | all ihr Gewand

War von rothem Golde, | ihr Reitzeug wohlbestellt;

Ihnen giengen sanft die Rosse, | die sich da Siegfried gesellt.

75

Neu waren ihre Schilde, | licht dazu und breit,

Und schön ihre Helme, | als mit dem Geleit

Siegfried der kühne | ritt in Gunthers Land.

Man ersah an Helden | nie mehr so herrlich Gewand.

76

Der Schwerter Enden giengen | nieder auf die Sporen;

Scharfe Spere führten | die Ritter auserkoren.

Von zweier Spannen Breite | war, welchen Siegfried trug;

Der hatt an seinen Schneiden | grimmer Schärfe genug.

77

Goldfarbne Zäume | führten sie an der Hand;

Der Brustriem war von Seide: | so kamen sie ins Land.

Da gafften sie die Leute | allenthalben an:

Gunthers Mannen liefen | sie zu empfangen heran.

78

Die hochbeherzten Recken, | Ritter so wie Knecht,

Liefen den Herrn entgegen, | so war es Fug und Recht,

Und begrüßten diese Gäste | in ihrer Herren Land;

Die Pferde nahm man ihnen | und die Schilde von der Hand.

79

Da wollten sie die Rosse | ziehn zu ihrer Rast;

Da sprach aber Siegfried alsbald, | der kühne Gast:

«Laßt uns noch die Pferde | stehen kurze Zeit:

Wir reiten bald von hinnen; | dazu bin ich ganz bereit.

80

«Man soll uns auch die Schilde | nicht von dannen tragen; |

Wo ich den König finde, | kann mir das Jemand sagen,

Gunther den reichen | aus Burgundenland?»

Da sagt' es ihm Einer, | dem es wohl war bekannt.

81

«Wollt ihr den König finden, | das mag gar leicht geschehn:

In jenem weiten Saale | hab ich ihn gesehn

Unter seinen Helden; | da geht zu ihm hinan,

So mögt ihr bei ihm finden | manchen herrlichen Mann.»

82

Nun waren auch die Mären | dem König schon gesagt,

Daß auf dem Hofe wären | Ritter unverzagt:

Sie führten lichte Panzer | und herrlich Gewand;

Sie erkenne Niemand | in der Burgunden Land.

83

Den König nahm es Wunder, | woher gekommen sei'n

Die herrlichen Recken | im Kleid von lichtem Schein

Und mit so guten Schilden, | so neu und so breit;

Das ihm das Niemand sagte, | das war König Gunthern leid.

84

Zur Antwort gab dem König | von Metz Herr Ortewein;

Stark und kühnes Muthes | mocht er wohl sein:

«Da wir sie nicht erkennen, | so heißt Jemand gehn

Nach meinem Oheim Hagen: | dem sollt ihr sie laßen sehn.

85

«Ihm sind wohl kund die Reiche | und alles fremde Land;

Erkennt er die Herren, | das macht er uns bekannt.»

Der König ließ ihn holen | und Die in seinem Lehn:

Da sah man ihn herrlich | mit Recken hin zu Hofe gehn.

86

Warum nach ihm der König, | frug Hagen da, geschickt?

«Es werden fremde Degen | in meinem Haus erblickt,

Die Niemand mag erkennen: | habt ihr in fremdem Land

Sie wohl schon gesehen? | das macht mir, Hagen bekannt.»

87

«Das will ich,» sprach Hagen. | Zum Fenster schritt er drauf,

Da ließ er nach den Gästen | den Augen freien Lauf.

Wohl gefiel ihm ihr Geräthe | und all ihr Gewand;

Doch waren sie ihm fremde | in der Burgunden Land.

88

Er sprach, woher die Recken | auch kämen an den Rhein,

Es möchten selber Fürsten | oder Fürstenboten sein.

«Schön sind ihre Rosse | und ihr Gewand ist gut;

Von wannen sie auch ritten, | es sind Helden hochgemuth.»

89

Also sprach da Hagen: | «Soviel ich mag verstehn,

Hab ich gleich im Leben | Siegfrieden nie gesehn,

So will ich doch wohl glauben, | wie es damit auch steht,

Daß er es sei, der Degen, | der so herrlich dorten geht.

90

«Er bringt neue Mären | her in dieses Land:

Die kühnen Nibelungen | schlug des Helden Hand,

Die reichen Königssöhne | Schilbung und Nibelung;

Er wirkte große Wunder | mit des starken Armes Schwung.

91

«Als der Held alleine | ritt aller Hülfe bar,

Fand er an einem Berge, | so hört ich immerdar,

Bei König Niblungs Horte | manchen kühnen Mann;

Sie waren ihm gar fremde, | bis er hier die Kunde gewann.

92

«Der Hort König Nibelungs | ward hervorgetragen

Aus einem hohlen Berge: | nun hört Wunder sagen,

Wie ihn theilen wollten | Die Niblung unterthan.

Das sah der Degen Siegfried, | den es zu wundern begann.

93

«So nah kam er ihnen, | daß er die Helden sah

Und ihn die Degen wieder. | Der Eine sagte da:

«Hier kommt der starke Siegfried, | der Held aus Niederland.»

Seltsame Abenteuer | er bei den Nibelungen fand.

94

«Den Recken wohl empfiengen | Schilbung und Nibelung.

Einhellig baten | die edeln Fürsten jung,

Daß ihnen theilen möchte | den Schatz der kühne Mann:

Das begehrten sie, bis endlich | ers zu geloben begann.

95

«Er sah so viel Gesteines, | wie wir hören sagen,

Hundert Leiterwagen | die möchten es nicht tragen,

Noch mehr des rothen Goldes | von Nibelungenland:

Das Alles sollte theilen | des kühnen Siegfriedes Hand.

96

«Sie gaben ihm zum Lohne | König Niblungs Schwert:

Da wurden sie des Dienstes | gar übel gewährt,

Den ihnen leisten sollte | Siegfried der Degen gut.

Er könnt es nicht vollbringen: | sie hatten zornigen Muth.

97

«So must er ungetheilet | die Schätze laßen stehn.

Da bestanden ihn die Degen | in der zwei Könge Lehn:

Mit ihres Vaters Schwerte, | das Balmung war genannt,

Stritt ihnen ab der Kühne | den Hort und Nibelungenland

98

«Da hatten sie zu Freunden | kühne zwölf Mann,

Die starke Riesen waren: | was konnt es sie verfahn?

Die erschlug im Zorne | Siegfriedens Hand

Und siebenhundert Recken | zwang er vom Nibelungenland.

99

«Mit dem guten Schwerte, | geheißen Balmung.

Vom Schrecken überwältigt | war mancher Degen jung

Zumal vor dem Schwerte | und vor dem kühnen Mann:

Das Land mit den Burgen | machten sie ihm unterthan.

100

«Dazu die reichen Könige | die schlug er beide todt.

Er kam durch Albrichen | darauf in große Noth:

Der wollte seine Herren | rächen allzuhand,

Eh er die große Stärke | noch an Siegfrieden fand.

101

«Mit Streit bestehen konnt ihn | da nicht der starke Zwerg.

Wie die wilden Leuen | liefen sie an den Berg,

Wo er die Tarnkappe | Albrichen abgewann:

Da war des Hortes Meister | Siegfried der schreckliche Mann.

102

«Die sich getraut zu fechten, | die lagen all erschlagen.

Den Schatz ließ er wieder | nach dem Berge tragen,

Dem ihn entnommen hatten | Die Niblung unterthan.

Alberich der starke | das Amt des Kämmrers gewann.

103

«Er must ihm Eide schwören, | er dien ihm als sein Knecht,

Zu aller Art Diensten | ward er ihm gerecht.»

So sprach von Tronje Hagen: | «Das hat der Held gethan;

Also große Kräfte | nie mehr ein Recke gewann.

104

«Noch ein Abenteuer | ist mir von ihm bekannt:

Einen Linddrachen | schlug des Helden Hand;

Als er im Blut sich badete, | ward hörnern seine Haut.

So versehrt ihn keine Waffe: | das hat man oft an ihm geschaut.

105

«Man soll ihn wohl empfangen, | der beste Rath ist das,

Damit wir nicht verdienen | des schnellen Recken Haß.

Er ist so kühnes Sinnes, | man seh ihn freundlich an:

Er hat mit seinen Kräften | so manche Wunder gethan.»

106

Da sprach der mächtge König: | «Gewiss, du redest wahr:

Nun sieh, wie stolz er dasteht | vor des Streits Gefahr,

Dieser kühne Degen | und Die in seinem Lehn!

Wir wollen ihm entgegen | hinab zu dem Recken gehn.»

107

«Das mögt ihr,» sprach da Hagen, | «mit allen Ehren schon:

Er ist von edelm Stamme | eines reichen Königs Sohn;

Auch hat er die Gebäre, | mich dünkt, beim Herren Christ,

Es sei nicht kleine Märe, | um die er hergeritten ist.»

108

Da sprach der Herr des Landes: | «Nun sei er uns willkommen.

Er ist kühn und edel, | das hab ich wohl vernommen;

Des soll er auch genießen | im Burgundenland.»

Da gieng der König Gunther | hin, wo er Siegfrieden fand.

109

Der Wirth und seine Recken | empfiengen so den Mann,

Daß wenig an dem Gruße | gebrach, den er gewann;

Des neigte sich vor ihnen | der Degen ausersehn

In großen Züchten sah man | ihn mit seinen Recken stehn.

110

«Mich wundert diese Märe,» | sprach der Wirth zuhand,

«Von wannen, edler Siegfried, | ihr kamt in dieses Land

Oder was ihr wollet suchen | zu Worms an dem Rhein?»

Da sprach der Gast zum König: | «Das soll euch unverhohlen sein.

111

«Ich habe sagen hören | in meines Vaters Land,

An euerm Hofe wären, | das hätt ich gern erkannt,

Die allerkühnsten Recken, | so hab ich oft vernommen,

Die je gewann ein König: | darum bin ich hieher gekommen.

112

«So hör ich auch euch selber | viel Mannheit zugestehn,

Man habe keinen König | noch je so kühn gesehn.

Das rühmen viel der Leute | in all diesem Land;

Nun kann ichs nicht verwinden, | bis ich die Wahrheit befand.

113

«Ich bin auch ein Recke | und soll die Krone tragen:

Ich möcht es gerne fügen, | daß sie von mir sagen,

Daß ich mit Recht besäße | die Leute wie das Land.

Mein Haupt und meine Ehre | setz ich dawider zu Pfand.

114

Wenn ihr denn so kühn seid, | wie euch die Sage zeiht,

So frag ich nicht, ists Jemand | lieb oder leid:

Ich will von euch erzwingen, | was euch angehört,

Das Land und die Burgen | unterwerf ich meinem Schwert.»

115

Der König war verwundert | und all sein Volk umher,

Als sie vernahmen | sein seltsam Begehr,

Daß er ihm zu nehmen | gedächte Leut und Land.

Das hörten seine Degen, | die wurden zornig zuhand.

116

«Wie sollt ich das verdienen,» | sprach Gunther der Degen,

Wes mein Vater lange | mit Ehren durfte pflegen,

Daß wir das verlören | durch Jemands Ueberkraft?

Das wäre schlecht bewiesen, | daß wir auch pflegen Ritterschaft!»

117

«Ich will davon nicht laßen,» | fiel ihm der Kühne drein,

«Von deinen Kräften möge | dein Land befriedet sein,

Ich will es nun verwalten; | doch auch das Erbe mein,

Erwirbst du es durch Stärke, | es soll dir unterthänig sein.

118

«Dein Erbe wie das meine | wir schlagen gleich sie an,

Und wer von uns den Andern | überwinden kann,

Dem soll es alles dienen, | die Leute wie das Land.»

Dem widersprach da Hagen | und mit ihm Gernot zuhand.

119

«So stehn uns nicht die Sinne,» | sprach da Gernot,

«Nach neuen Lands Gewinne, | daß Jemand sollte todt

Vor Heldeshänden liegen: | reich ist unser Land,

Das uns mit Recht gehorsamt, zu Niemand beßer bewandt.»

120

In grimmigem Muthe | standen da die Freunde sein.

Da war auch darunter | von Metz Herr Ortewein.

Der Sprach: «Die Sühne | ist mir von Herzen leid:

Euch ruft der starke Siegfried | ohn allen Grund in den Streit.

121

«Wenn ihr und eure Brüder | ihm auch nicht steht zur Wehr,

Und ob er bei sich führte | ein ganzes Königsheer,

So wollt ichs doch erstreiten, | daß der starke Held

Also hohen Uebermuth, | wohl mit Recht bei Seite stellt.»

122

Darüber zürnte mächtig | der Held von Niederland:

«Nicht wider mich vermeßen | darf sich deine Hand:

Ich bin ein reicher König, | du bist in Königs Lehn;

Deiner zwölfe dürften | mich nicht im Streite bestehn.»

123

Nach Schwertern rief da heftig | von Metz Herr Ortewein: |

Er durfte Hagens Schwestersohn | von Tronje wahrlich sein;

Daß er so lang geschwiegen, | das war dem König leid.

Da sprach zum Frieden Gernot, | ein Ritter kühn und allbereit.

124

«Laßt euer Zürnen bleiben,» | hub er zu Ortwein an,

«Uns hat der edle Siegfried | noch solches nicht gethan;

Wir scheiden es in Güte | wohl noch, das rath ich sehr,

Und haben ihn zum Freunde; | es geziemt uns wahrlich mehr.»

125

Da sprach der starke Hagen | «Uns ist billig leid

und all euern Degen, | daß er je zum Streit

an den Rhein geritten: | was ließ er das nicht sein?

So übel nie begegnet | wären ihm die Herren mein.»

126

Da sprach wieder Siegfried, | der kraftvolle Held:

«Wenn euch, was ich gesprochen, | Herr Hagen, missfällt,

So will ich schauen laßen, | wie noch die Hände mein

Gedenken so gewaltig | bei den Burgunden zu sein.»

127

«Das hoff ich noch zu wenden,» | sprach da Gernot.

Allen seinen Degen | zu reden er verbot

In ihrem Uebermuthe, | was ihm wäre leid.

Da gedacht auch Siegfried | an die viel herrliche Maid.

128

«Wie geziemt' uns mit euch zu streiten?» | sprach wieder Gernot

«Wie viel dabei der Helden | auch fielen in den Tod,

Wenig Ehre brächt uns | so ungleicher Streit.»

Die Antwort hielt da Siegfried, | König Siegmunds Sohn, bereit:

129

Warum zögert Hagen | und auch Ortewein,

Daß er nicht zum Streite | eilt mit den Freunden sein,

Deren er so manchen | bei den Burgunden hat?»

Sie blieben Antwort schuldig, | das war Gernotens Rath.

130

«Ihr sollt uns willkommen sein,» | sprach Geiselher das Kind,

«Und eure Heergesellen, | die hier bei euch find:

Wir wollen gern euch dienen, | ich und die Freunde mein.»

Da hieß man den Gästen | schenken König Gunthers Wein.

131

Da sprach der Wirth des Landes: | «Alles, was uns gehört,

Verlangt ihr es in Ehren, | das sei euch unverwehrt;

Wir wollen mit euch theilen | unser Gut und Blut.»

Da ward dem Degen Siegfried | ein wenig sanfter zu Muth.

132

Da ließ man ihnen wahren | all ihr Wehrgewand;

Man suchte Herbergen, | die besten, die man fand:

Siegfriedens Knappen | schuf man gut Gemach.

Man sah den Fremdling gerne | in Burgundenland hernach.

133

Man bot ihm große Ehre | darauf in manchen Tagen,

Mehr zu tausend Malen, | als ich euch könnte sagen;

Das hatte seine Kühnheit | verdient, das glaubt fürwahr.

Ihn sah wohl selten Jemand, | der ihm nicht gewogen war.

134

Flißen sich der Kurzweil | die Könge und ihr Lehn,

So war er stäts der Beste, | was man auch ließ geschehn.

Es konnt ihm Niemand folgen, | so groß war seine Kraft,

Ob sie den Stein warfen | oder schoßen den Schaft.

135

Nach höfscher Sitte ließen | sich auch vor den Fraun

Der Kurzweile pflegend | die kühnen Ritter schaun:

Da sah man stäts den Helden | gern von Niederland;

Er hatt auf hohe Minne | seine Sinne gewandt.

136

Die schönen Fraun am Hofe | erfragten Märe,

Wer der stolze fremde | Recke wäre.

«Er ist so schön gewachsen, | so reich ist sein Gewand!»

Da sprachen ihrer Viele: | «Das ist der Held von Niederland.»

137

Was man beginnen wollte, | er war dazu bereit;

Er trug in seinem Sinne | eine minnigliche Maid,

Und auch nur ihn die Schöne, | die er noch nie gesehn,

Und die sich doch viel Gutes | von ihm schon heimlich versehn.

138

Wenn man auf dem Hofe | das Waffenspiel begann,

Ritter so wie Knappen, | immer sah es an

Kriemhild aus den Fenstern, | die Königstochter hehr;

Keiner andern Kurzweil | hinfort bedurfte sie mehr.

139

Und wüst er, daß ihn sähe, | die er im Herzen trug,

Davon hätt er Kurzweil | immerdar genug.

Ersähn sie seine Augen, | ich glaube sicherlich,

Keine andre Freude | hier auf Erden wünscht' er sich.

140

Wenn er bei den Recken | auf dem Hofe stand,

Wie man noch zur Kurzweil | pflegt in allem Land,

Wie stand dann so minniglich | das Sieglindenkind,

Daß manche Frau ihm heimlich | war von Herzen hold gesinnt.

141

Er gedacht auch manchmal: | «Wie soll das geschehn,

Daß ich das edle Mägdlein | mit Augen möge sehn,

Die ich von Herzen minne, | wie ich schon längst gethan?

Die ist mir noch gar fremde; | mit Trauern denk ich daran.»

142

So oft die reichen Könige | ritten in ihr Land,

So musten auch die Recken | mit ihnen all zur Hand.

Auch Siegfried ritt mit ihnen: | das war der Frauen leid;

Er litt von ihrer Minne | auch Beschwer zu mancher Zeit.

143

So wohnt' er bei den Herren, | das ist alles wahr,

In König Gunthers Lande | völliglich ein Jahr,

Daß er die Minnigliche | in all der Zeit nicht sah,

Durch die ihm bald viel Liebes | und auch viel Leides geschah.