BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Achtzehntes Abenteuer

 

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Wie Siegmund heimkehrte und Kriemhild daheim blieb.

 

1107

Der Schwäher Kriemhildens | gieng hin, wo er sie fand.

Er sprach zu der Königin: | «Laßt uns in unser Land:

Wir sind unliebe Gäste, | wähn ich, hier am Rhein.

Kriemhild, liebe Fraue, | nun folgt uns zu dem Lande mein.

1108

«Daß man in diesen Landen | uns so verwaiset hat

Eures edeln Mannes | durch böslichen Verrath,

Ihr sollt es nicht entgelten: | hold will ich euch sein

Aus Liebe meines Sohnes | und des edeln Kindes sein.

1109

«Ihr sollt auch, Frau, gebieten | mit all der Gewalt,

Die Siegfried euch verstattete, | der Degen wohlgestalt.

Das Land und auch die Krone | soll euch zu Diensten stehn.

Euch sollen gern gehorchen | Die in Siegfriedens Lehn.»

1110

Da sagte man den Knechten: | «Wir reiten heim vor Nacht.»

Da sah man nach den Rossen | eine schnelle Jagd:

Bei den verhaßten Feinden | zu leben war ein Leid.

Den Frauen und den Maiden | suchte man ihr Reisekleid.

1111

Als König Siegmund gerne | weggeritten wär,

Da bat ihre Mutter | Kriemhilden sehr,

Sie sollte bei den Freunden | im Lande doch bestehn.

Da sprach die Freudenarme: | «Das könnte schwerlich geschehn.

1112

«Wie vermocht ichs, mit den Augen | den immer anzusehn, |

Von dem mir armen Weibe | so leid ist geschehn?»

Da sprach der junge Geiselher: | «Liebe Schwester mein,

Du sollst bei deiner Treue | hier mit deiner Mutter sein.

1113

«Die dir das Herz beschwerten | und trübten dir den Muth,

Du bedarfst nicht ihrer Dienste, | du zehrst von meinem Gut.»

Sie sprach zu dem Recken: | «Wie könnte das geschehn?

Vor Leide müst ich sterben, | wenn ich Hagen sollte sehn.»

1114

«Dessen überheb ich dich, | viel liebe Schwester mein.

Du sollst bei deinem Bruder | Geiselher hier sein;

Ich will dir wohl vergüten | deines Mannes Tod.»

Da sprach die Freudenlose: | «Das wäre Kriemhilden Noth.»

1115

Als es ihr der Junge | so gütlich erbot,

Da begannen auch zu flehen | Ute und Gernot

Und ihre treuen Freunde, | sie möchte da bestehn:

Sie hätte wenig Sippen | unter Siegfriedens Lehn.

1116

«Sie sind euch alle fremde,» | sprach da Gernot.

«Wie stark auch einer gelte, | so rafft ihn doch der Tod.

Bedenkt das, liebe Schwester, | und tröstet euern Muth:

Bleibt hier bei euern Freunden, | es geräth euch wahrlich gut.»

1117

Da gelobte sie dem Bruder, | im Lande zu bestehn.

Man zog herbei die Rosse | Denen in Siegmunds Lehn,

Als sie reiten wollten | gen Nibelungenland;

Da war auch aufgeladen | der Recken Zeug und Gewand.

1118

Da gieng König Siegmund | vor Kriemhilden stehn

Und sprach zu der Frauen: | «Die in Siegfrieds Lehn

Warten bei den Rossen: | reiten wir denn hin,

Da ich gar so ungern | hier bei den Burgunden bin.»

1119

Frau Kriemhild sprach: «Mir rathen | hier die Freunde mein,

Die besten, die ich habe, | bei ihnen soll' ich sein.

Ich habe keinen Blutsfreund | in Nibelungenland.»

Leid war es Siegmunden, | da er dieß an Kriemhild fand.

1120

Da sprach König Siegmund: | «Das laßt euch Niemand sagen:

Vor allen meinen Freunden | sollt ihr die Krone tragen

Nach rechter Königswürde, | wie ihr vordem gethan:

Ihr sollt es nicht entgelten, | daß ihr verloren habt den Mann.

1121

«Fahrt auch mit uns zur Heimat | um euer Kindelein:

Das sollt ihr eine Waise, | Frau, nicht laßen sein.

Ist euer Sohn erwachen, | er tröstet euch den Muth.

Derweil soll euch dienen | mancher Degen kühn und gut.»

1122

Sie sprach: «Mein Herr Siegmund, | ich kann nicht mit euch gehn. |

Ich muß hier verbleiben, | was halt mir mag geschehn,

Bei meinen Anverwandten, | die mir helfen klagen.»

Da wollten diese Mären | den guten Recken nicht behagen.

1123

Sie sprachen einhellig: | «So möchten wir gestehn,

Es sei in dieser Stunde | uns erst ein Leid geschehn.

Wollt ihr hier im Lande | bei unsern Feinden sein,

So könnte Helden niemals | eine Hoffahrt übler gedeihn.»

1124

«Ihr sollt ohne Sorge | Gott befohlen fahren:

Ich schaff euch gut Geleite | und heiß euch wohl bewahren

Bis zu euerm Lande; | mein liebes Kindelein

Das soll euch guten Recken | auf Gnade befohlen sein.»

1125

Als sie das recht vernahmen, | sie wolle nicht hindann, |

Da huben Siegfrieds Mannen | all zu weinen an.

Mit welchem Herzensjammer | nahm da Siegmund

Urlaub von Kriemhilden! | Da ward ihm Unfreude kund.

1126

«Weh dieses Hofgelages!» | sprach der König hehr.

«Einem König und den Seinen | geschieht wohl nimmermehr

Einer Kurzweil willen, | was uns hier ist geschehn:

Man soll uns nimmer wieder | hier bei den Burgunden sehn.»

1127

Da sprachen laut die Degen | in Siegfriedens Heer:

«Wohl möchte noch die Reise | geschehen hieher,

Wenn wir den nur fanden, | der uns den Herrn erschlug.

Sie haben Todfeinde | bei seinen Freunden genug.»

1128

Er küsste Kriemhilden: | kläglich sprach er da,

Als er daheim zu bleiben | sie so entschloßen sah:

«Wir reiten arm an Freuden | nun heim in unser Land!

All mein Kummer | ist mir erst jetzo bekannt.»

1129

Sie ritten ungeleitet | von Worms an den Rhein:

Sie mochten wohl des Muthes | in ihrem Sinne sein,

Wenn sie in Feindschaft | würden angerannt,

Daß sich schon wehren solle | der kühnen Niblungen Hand.

1130

Sie erbaten Urlaub | von Niemanden sich.

Da sah man Geiselheren | und Gernot minniglich

Zu dem König kommen; | ihnen war sein Schade leid:

Das ließen ihn wohl schauen | die kühnen Helden allbereit.

1131

Da sprach wohlgezogen | der kühne Gernot:

«Wohl weiß es Gott im Himmel, | an Siegfriedens Tod

Bin ich ganz unschuldig: | ich hört auch niemals sagen,

Wer ihm Feind hier wäre: | ich muß ihn billig beklagen.»

1132

Da gab ihm gut Geleite | Geiselher das Kind.

Er bracht ohne Sorgen, | die sonst bei Leide sind,

Den König und die Recken | heim nach Niederland.

Wie wenig der Verwandten | man dort fröhlich wiederfand!

1133

Wie's ihnen nun ergangen ist, | weiß ich nicht zu sagen.

Man hörte hier Kriemhilden | zu allen Zeiten klagen,

Daß ihr Niemand tröstete | das Herz noch den Muth

Als ihr Bruder Geiselher: | der war getreu und auch gut.

1134

Brunhild die schöne | des Uebermuthes pflag:

Wie viel Kriemhild weinte, | was fragte sie darnach!

Sie war zu Lieb und Treue | ihr nimmermehr bereit;

Bald schuf auch ihr Frau Kriemhild | wohl so ungefüges Leid.