BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Siebenunddreißigstes Abenteuer

 

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Wie Rüdiger erschlagen ward.

 

2247

Die Heimathlosen hatten | am Morgen viel gethan.

Der Gemahl Gotlindens | kam zu Hof heran

Und sah auf beiden Seiten | des großen Leids Beschwer:

Darüber weinte inniglich | der getreue Rüdiger.

2248

«O weh, daß ich das Leben,» | sprach der Held, «gewann

Und diesem großen Jammer | nun Niemand wehren kann.

So gern ich Frieden schüfe, | der König gehts nicht ein,

Da ihm das Unheil stärker, | immer stärker bricht herein.»

2249

Zu Dietrichen sandte | der gute Rüdiger,

Ob sie's noch könnten wenden | von den Köngen hehr?

Da entbot ihm Der von Berne: | «Wer möcht ihm widerstehn?

Es will der König Etzel | keine Sühne mehr sehn.»

2250

Da sah ein Heunenrecke | Rüdigern da stehn

Mit weinenden Augen, | wie er ihn oft gesehn.

Er sprach zu der Königin: | «Nun seht, wie er da steht

Den ihr und König Etzel | vor allen Andern habt erhöht

2251

«Und dem doch alles dienet, | die Leute wie das Land.

Wie sind so viel der Burgen | an Rüdigern gewandt,

Deren er so manche | von dem König haben mag!

Er schlug in diesen Stürmen | noch keinen löblichen Schlag.

2252

«Mich dünkt, ihn kümmert wenig, | was hier mit uns geschieht,

Wenn er nach seinem Willen | bei sich die Fülle sieht.

Man rühmt, er wäre kühner, | als Jemand möge sein:

Das hat uns schlecht bewiesen | in dieser Noth der Augenschein.»

2253

Mit traurigem Muthe | der vielgetreue Mann,

Den er so reden hörte, | den Heunen sah, er an.

Er dachte: «Das entgiltst du; | du sagst, ich sei verzagt:

Da hast du deine Mären | zu laut bei Hofe gesagt.»

2254

Er zwang die Faust zusammen: | da lief er ihn an

Und schlug mit solchen Kräften | den Heunischen Mann,

Daß er ihm vor die Füße | niederstürzte todt.

Da war gemehrt aufs Neue | dem König Etzel die Noth.

2255

«Fahr hin, verzagter Bösewicht,» | sprach da Rüdiger,

«Ich hatte doch des Leides | genug und der Beschwer.

Daß ich hier nicht fechte, | was rügst du mir das?

Wohl trüg auch ich den Gästen | mit Grunde feindlichen Hass,

2256

«Und alles, was ich könnte, | thät ich ihnen an,

Hätt ich nicht hieher geführt | Die Gunthern unterthan.

Ich war ihr Geleite | in meines Herren Land:

Drum darf sie nicht bestreiten | meine unselge Hand.»

2257

Da sprach zum Markgrafen | Etzel der König hehr:

«Wie habt ihr uns geholfen, | viel edler Rüdiger!

Wir hatten doch der Todten | so viel in diesem Land,

Daß wir nicht mehr bedurften: mit Unrecht schlug ihn eure Hand.»

2258

Da sprach der edle Ritter: | «Er beschwerte mir den Muth

Und hat mir bescholten | die Ehre wie das Gut,

Des ich aus deinen Händen | so große Gaben nahm,

Was nun dem Lügenbolde | übel auch zu Statten kam.»

2259

Da kam die Königstochter, | die hatt es auch gesehn,

Was von des Helden Zorne | dem Heunen war geschehn.

Sie beklagt' es ungefüge, | ihre Augen wurden naß.

Sie sprach zu Rüdigern: | Wie verdienten wir das,

2260

«Daß ihr mir und dem König | noch mehrt unser Leid?

Ihr habt uns, edler Rüdiger, | verheißen allezeit,

Ihr wolltet für uns wagen | die Ehre wie das Leben;

Auch hört ich viel der Recken | den Preis des Muthes euch geben.»

2261

«Ich mahn euch nun der Treue, | die mir schwur eure Hand,

Da ihr mir zu Etzeln riethet, | Ritter auserkannt,

Daß ihr mir dienen wolltet | bis an unsern Tod.

Des war mir armen Weibe | noch niemals so bitter Noth.»

2262

«Das kann ich nicht läugnen, | ich schwur euch, Königin,

Die Ehre wie das Leben | gäb ich für euch dahin:

Die Seele zu verlieren | hab ich nicht geschworen.

Zu diesem Hofgelage | bracht ich die Fürsten wohlgeboren.»

2263

Sie sprach: «Gedenke, Rüdiger, | der hohen Eide dein

Von deiner stäten Treue, | wie du den Schaden mein

Immer wolltest rächen | und wenden all mein Leid.»

Der Markgraf entgegnete: «Ich war euch stäts zu Dienst bereit.»

2264

Etzel der reiche | hub auch zu flehen an.

Da warfen sie sich beide | zu Füßen vor den Mann.

Den guten Markgrafen | man da in Kummer sah;

Der vielgetreue Recke | jammervoll begann er da:

2265

«O weh mir Unselgem, | muß ich den Tag erleben!

Aller meiner Ehren | soll ich mich nun begeben,

Aller Zucht und Treue, | die Gott mir gebot;

O weh, Herr des Himmels, | daß mirs nicht wenden will der Tod!

2266

«Welches ich nun laße, | das Andre zu begehn,

So ist doch immer übel | und arg von mir geschehn.

Was ich thu und laße, | so schilt mich alle Welt.

Nun möge mich erleuchten, | der mich dem Leben gesellt!»

2267

Da baten ihn so dringend | der König und sein Weib,

Daß bald viel Degen musten | Leben und Leib

Von Rüdgers Hand verlieren | und selbst Der Held erstarb.

Nun mögt ihr bald vernehmen, | welchen Jammer er erwarb.

2268

Er wuste wohl nur Schaden | und Leid sei sein Gewinn.

Er hätt es auch dem König | und der Königin

Gern versagen wollen: | der Held besorgte sehr,

Erschlug er ihrer Einen, | daß er der Welt ein Greuel wär.

2269

Da sprach zu dem Könige | dieser kühne Mann:

«Herr Etzel, nehmt zurücke, | was ich von euch gewann,

Das Land mit den Burgen; | bei mir soll nichts bestehn:

Ich will auf meinen Füßen | hinaus in das Elend gehn.

2270

«Alles Gutes ledig | räum ich euer Land,

Mein Weib und meine Tochter | nehm ich an die Hand,

Eh ich so ohne Treue | entgegen geh dem Tod:

Das hieß' auf üble Weise | verdienen euer Gold so roth.»

2271

Da sprach der König Etzel: | «Wer aber hülfe mir?

Mein Land mit den Leuten, | das alles geb ich dir,

Daß du mich rächest, Rüdiger, | an den Feinden mein:

Du sollst neben Etzeln | ein gewaltger König sein.»

2272

Da sprach wieder Rüdiger: | «Wie dürft ich ihnen schaden?

Heim zu meinem Hause | hab ich sie geladen;

Trinken und Speise | ich ihnen gütlich bot,

Dazu meine Gabe; | und soll ich sie nun schlagen todt?

2273

«Die Leute mögen wähnen, | ich sei zu verzagt.

Keiner meiner Dienste | war ihnen je versagt:

Sollt ich sie nun bekämpfen, | das wär nicht wohl gethan.

So reute mich die Freundschaft, | die ich an ihnen gewann.

2274

«Geiselher dem Degen | gab ich die Tochter mein:

Sie konnt auf Erden nimmer | beßer verwendet sein,

Seh ich auf Zucht und Ehre, | auf Treu oder Gut.

Nie ein so junger König | trug wohl tugendreichern Muth.»

2275

Da sprach wieder Kriemhild: | «Viel edler Rüdiger,

Nun laß dich erbarmen | unsres Leids Beschwer,

Mein und auch des Königs; | gedenke wohl daran,

Daß nie ein Wirth auf Erden | so leide Gäste gewann.»

2276

Da begann der Markgraf | zu der Köngin hehr:

«Heut muß mit dem Leben | entgelten Rüdiger,

Was ihr und der König | mir Liebes habt gethan:

Dafür muß ich sterben, | es steht nicht länger mehr an.

2277

«Ich weiß, daß noch heute | meine Burgen und mein Land

Euch ledig werden müßen | von dieser Helden Hand.

So befehl ich euch auf Gnade | mein Weib und mein Kind

Und all die Heimathlosen, | die da zu Bechlaren find.»

2278

«Nun lohne Gott dir, Rüdiger!» | der König sprach da so;

Er und die Königin, | sie wurden beide froh.

«Uns seien wohlbefohlen | alle Leute dein;

Auch trau ich meinem Heile, | du selber werdest glücklich sein.»

2279

Da setzt' er auf die Wage | die Seele wie den Leib.

Da begann zu weinen | König Etzels Weib.

Er sprach: «Ich muß euch halten | den Eid, den ich gethan.

O weh meiner Freunde! | wie ungern greif ich sie an.»

2280

Man sah ihn von dem König | hinweggehn trauriglich.

Da fand er seine Recken | nahe stehn bei sich:

Er sprach: «Ihr sollt euch waffnen, | ihr All in meinem Lehn:

Die kühnen Burgunden | muß ich nun leider bestehn.»

2281

Nach den Gewaffen riefen | die Helden allzuhand,

Ob es Helm wäre | oder Schildesrand,

Von dem Ingesinde | ward es herbeigetragen.

Bald hörten leide Märe | die stolzen Fremdlinge sagen.

2282

Gewaffnet ward da Rüdiger | mit fünfhundert Mann;

Darüber zwölf Recken | zu Hülf er sich gewann.

Sie wollten Preis erwerben | in des Sturmes Noth:

Sie wusten nicht die Märe, | wie ihnen nahe der Tod.

2283

Da sah man unterm Helme | den Markgrafen gehn.

Scharfe Schwerter trugen | Die in Rüdgers Lehn,

Dazu vor den Händen | die lichten Schilde breit.

sah der Fiedelspieler: | dem war es ohne Maßen leid.

2284

Da sah der junge Geiselher | seinen Schwäher gehn

Mit aufgebundnem Helme. | Wie mocht er da verstehn,

Wie er damit es meine, | es sei denn treu und gut?

Da gewann der edle König | von Herzen fröhlichen Muth.

2285

«Nun wohl mir solcher Freunde,» | sprach da Geiselher,

«Wie wir gewonnen haben | auf der Fahrt hieher.

Meines Weibes willen | ist uns Hülfe nah:

Lieb ist mir, meiner Treue, | daß diese Heirath geschah.»

2286

«Wes ihr euch wohl tröstet» | sprach der Fiedelmann:

«Wann saht ihr noch zur Sühne | so viel der Helden nahn

Mit aufgebundnen Helmen, | die Schwerter in der Hand?

Er will an uns verdienen | seine Burgen und sein Land.»

2287

Eh der Fiedelspieler | die Rede sprach vollaus,

Den edeln Markgrafen | sah man schon vor dem Haus.

Seinen Schild den guten | setzt' er vor den Fuß:

Da must er seinen Freunden | versagen dienstlichen Gruß.

2288

Rüdiger der edle | rief da in den Saal:

«Ihr Kühnen Nibelungen, | nun wehrt euch allzumal.

Ihr solltet mein genießen, | ihr entgeltet mein:

Wir waren ehmals Freunde: | der Treue will ich ledig sein.»

2289

Da erschraken dieser Märe | die Nothbedrängten Schwer.

Ihnen war der Trost entsunken, | den sie gewähnt vorher,

Da sie bestreiten wollte, | dem Jeder Liebe trug.

Sie hatten von den Feinden | schon Leid erfahren genug.

2290

«Das verhüte Gott vom Himmel!» | sprach Gunther der Degen,

«Daß ihr eurer Freundschaft, trätet so entgegen

Und der großen Treue, | darauf uns sann der Muth:

Ich will euch wohl vertrauen, | daß ihr das nimmermehr tuth.

2291

«Es ist nicht mehr zu wenden,» | sprach der kühne Mann: |

«Ich muß mit euch streiten, | wie ich den Schwur gethan.

Nun wehrt euch, kühne Degen, | wenn euch das Leben werth,

Da mir die Königstochter | nicht andre Willkür gewährt.»

2292

«Ihr widersagt uns nun zu spät,» | sprach der König hehr.

«Nun mög euch Gott vergelten, | viel edler Rüdiger,

Die Treu und die Liebe, | die ihr uns habt gethan,

Wenn ihr bis ans Ende | auch halten wolltet daran.

2293

«Wir wollen stäts euch danken, | was ihr uns habt gegeben,

Ich und meine Freunde, | laßet ihr uns leben,

Der herrlichen Gaben, | als ihr uns brachtet her

In Etzels Land mit Treue: | des gedenket, edler Rüdiger.»

2294

«Wie gern ich euch das gönnte,» | sprach Rüdiger der Degen,

«Daß ich euch meiner Gabe | die Fülle dürfte wägen

Nach meinem Wohlgefallen; | wie gerne that ich das,

So es mir nicht erwürbe | der edeln Königin Haß!»

2295

«Laßt ab, edler Rüdiger,» | sprach wieder Gernot,

«Nie ward ein Wirth gefunden, | der es den Gästen bot

So freundlich und so gütlich, | als uns von euch geschehn.

Des sollt ihr auch genießen, | so wir lebendig entgehn.»

2296

«Das wollte Gott,» sprach Rüdiger, | «viel edler Gernot,

«Daß ihr am Rheine wäret, | und ich wäre todt.

So rettet' ich die Ehre, | da ich euch soll bestehn!

Es ist noch nie an Degen | von Freunden übler geschehn.»

2297

«Nun lohn euch Gott, Herr Rüdiger,» | sprach wieder Gernot,

«Eurer reichen Gabe. | Mich jammert euer Tod,

Soll an euch verderben | so tugendlicher Muth.

Hier trag ich eure Waffe, | die ihr mir gabet, Degen gut.

2298

«Sie hat mir noch nie versagt | in all dieser Noth:

Es fiel vor ihrer Schärfe | mancher Ritter todt.

Sie ist stark und lauter, | herrlich und gut:

Gewiss, so reiche Gabe | kein Recke je wieder thut.

2299

«Und wollt ihr es nicht meiden | und wollt ihr uns bestehn,

Erschlagt ihr mir die Freunde, | die hier noch bei mir stehn,

Mit euerm Schwerte nehm ich | Leben euch und Leib.

So reut ihr mich, Rüdiger, | und euer herrliches Weib.»

2300

«Das wolle Gott, Herr Gernot, | und möcht es geschehn,

Daß hier nach euerm Willen | Alles könnt ergehn

Und euern Freunden bleiben | Leben möcht und Leib,

Euch sollten wohl vertrauen | meine Tochter und mein Weib.»

2301

Da sprach von Burgunden | der schönen Ute Kind:

«Wie thut ihr so, Herr Rüdiger? | Die mit mir kommen sind,

Die sind euch all gewogen; | ihr greift übel zu:

Eure schöne Tochter | wollt ihr verwitwen allzufruh.

2302

«Wenn ihr und eure Recken | mich wollt im Streit bestehn,

Wie wär das unfreundlich, | wie wenig ließ' es sehn,

Daß ich euch vertraute | vor jedem andern Mann,

Als ich eure Tochter | mir zum Weibe gewann.»

2303

«Gedenkt eurer Treue,» | sprach da Rüdiger.

Und schickt euch Gott von hinnen, | viel edler König hehr,

«So laßt es nicht entgelten | die liebe Tochter mein:

Bei aller Fürsten Tugend | geruht ihr gnädig zu sein.»

2304

«So sollt ichs billig halten,» | sprach Geiselher das Kind;

«Doch meine hohen Freunde, | die noch im Saal hier sind,

Wenn die von euch ersterben, | so muß geschieden sein

Diese stäte Freundschaft | zu dir und der Tochter dein.»

2305

«Nun möge Gott uns gnaden,» | sprach der kühne Mann.

Da hoben sie die Schilde | und wollten nun hinan

Zu streiten mit den Gästen | in Kriemhildens Saal.

Laut rief da Hagen | von der Stiege her zu Thal:

2306

«Verzieht noch eine Weile, | viel edler Rüdiger,»

Also sprach da Hagen: | «wir reden erst noch mehr,

Ich und meine Herren, | wie uns zwingt die Noth.

Was hilft es Etzeln, finden | wir in der Fremde den Tod?

2307

«Ich steh in großen Sorgen,» | sprach wieder Hagen,

«Der Schild, den Frau Gotlind | mir gab zu tragen,

Den haben mir die Heunen | zerhauen vor der Hand;

Ich bracht ihn doch in Treuen | her in König Etzels Land.

2308

«Daß es Gott vom Himmel | vergönnen wollte,

Daß ich so guten Schildrand | noch tragen sollte,

Als du hast vor den Händen, | viel edler Rüdiger:

So bedürft ich in dem Sturme | keiner Halsberge mehr.»

2309

«Wie gern wollt ich dir dienen | mit meinem Schilde,

Dürft ich dir ihn bieten | vor Kriemhilde.

Doch nimm ihn hin, Hagen, | und trag ihn an der Hand:

Hei! dürftest du ihn führen | heim in der Burgunden Land!»

2310

Als er den Schild so willig | zu geben sich erbot,

Die Augen wurden Vielen | von heißen Thränen roth.

Es war Die letzte Gabe: | es dürft hinfort nicht mehr

Einem Degen Gabe bieten | von Bechlaren Rüdiger.

2311

Wie grimmig auch Hagen, | wie hart auch war sein Muth,

Ihn erbarmte doch die Gabe, | die der Degen gut

So nah seinem Ende | noch hatt an ihn gethan.

Mancher edle Ritter | mit ihm zu trauern begann.

2312

«Nun lohn euch Gott im Himmel, | viel edler Rüdiger.

Es wird eures Gleichen | auf Erden nimmermehr,

Der heimathlosen Degen | so milde Gabe gebe.

So möge Gott gebieten, | daß eure Milde immer lebe.»

2313

«O weh mir dieser Märe,» | sprach wieder Hagen.

«Wir hatten Herzensschwere | schon so viel zu tragen:

Das müße Gott erbarmen, | gilts uns mit Freunden Streit!»

Da sprach der Markgraf wieder: | «Das ist mir inniglich leid.»

2314

«Nun lohn ich euch die Gabe, | viel edler Rüdiger:

Was euch auch widerfahre | von diesen Recken hehr,

Es soll euch nicht berühren | im Streit meine Hand,

Ob ihr sie all erschlüget | Die von der Burgunden Land.»

2315

Da neigte sich ihm dankend | der gute Rüdiger.

Die Leute weinten alle: | Daß nicht zu wenden mehr

Dieser Herzensjammer, | das war zu große Noth.

Der Vater aller Tugend | fand an Rüdiger den Tod.

2316

Da sprach von der Stiege | Volker der Fiedelmann:

«Da mein Geselle Hagen | euch trug den Frieden an,

So biet ich auch so stäten | euch von meiner Hand.

Das habt ihr wohl verdient an uns, | da wir kamen in das Land.

2317

«Viel edler Markgraf, | mein Bote werdet hier:

Diese rothen Spangen | gab Frau Gotlinde mir,

Daß ich sie tragen sollte | bei dieser Lustbarkeit:

Ich thu es, schauet selber, | daß ihr des mein Zeuge seid.»

2318

«Wollt es Gott vom Himmel,» | sprach da Rüdiger,

«Daß euch die Markgräfin | noch geben dürfte mehr.

Die Märe sag ich gerne | der lieben Trauten mein,

Seh ich gesund sie wieder: | Des sollt ihr außer Zweifel sein.»

2319

Nach diesem Angeloben | Den Schild hob Rüdiger,

Sein Muth begann zu toben: | nicht länger säumt' er mehr.

Auf lief er zu den Gästen | wohl einem Recken gleich.

Viel kraftvolle Schläge | schlug da dieser Markgraf reich.

2320

Volker und Hagen | traten beiseit,

Wie ihm verheißen hatten | die Degen allbereit.

Noch traf er bei den Thüren | so manchen Kühnen an,

Daß Rüdiger die Feindschaft | mit großen Sorgen begann.

2321

Aus Mordbegierde ließen | ihn ins Haus hinein

Gernot und Gunther; | das mochten Helden sein.

Zurück wich da Geiselher: | fürwahr, es war ihm leid;

Er versah sich noch des Lebens, | drum mied er Rüdigern im Streit.

2322

Da sprangen zu den Feinden | Die in Rüdgers Lehn.

Hinter ihrem Herren | sah man sie kühnlich gehn.

Schneidende Waffen | trugen sie an der Hand:

Da zerbrachen viel der Helme | und mancher herrliche Rand.

2323

Da schlugen auch die Müden | noch manchen schnellen Schlag

Auf die von Bechlaren, | der tief und eben brach

Durch die festen Panzer | und drang bis auf das Blut.

Sie frommten in dem Sturme | viel Wunder herrlich und gut.

2324

Das edle Heergesinde | war alle nun im Saal.

Volker und Hagen | die sprangen hin zumal:

Sie gaben Niemand Frieden | als dem Einen Mann.

Das Blut von ihren Hieben | von den Helmen niederrann.

2325

Wie da der Schwerter Tosen | so grimmig erklang,

Daß unter ihren Schlägen | das Schildgespänge sprang!

Die Schildsteine rieselten | getroffen in das Blut.

Da fochten sie so grimmig, | wie man es nie wieder thut.

2326

Der Vogt von Bechlaren | schuf hin und her sich Bahn,

Wie Einer der mit Ungestüm | im Sturme werben kann.

Des Tages ward an Rüdiger | herrlich offenbar,

Daß er ein Recke wäre, | kühn und ohne Tadel gar.

2327

Hier standen diese Recken, | Gunther und Gernot,

Sie schlugen in dem Streite | viel der Helden todt.

Geiselhern und Dankwart | am Heile wenig lag:

Da brachten sie noch Manchen | hin zu seinem jüngsten Tag.

2328

Wohl erwies auch Rüdiger, | daß er stark war genug,

Kühn und wohl gewaffnet: | hei, was er Helden schlug!

Das sah ein Burgunde, | da schuf der Zorn ihm Noth:

Davon begann zu nahen | des edeln Rüdiger Tod.

2329

Gernot der starke | rief den Helden an.

Er sprach zum Markgrafen: | «Ihr wollt mir keinen Mann

Der Meinen leben laßen, | viel edler Rüdiger.

Das schmerzt mich ohne Maßen: | ich ertrag es nicht länger mehr.

2330

«Nun mag euch eure Gabe wohl | zu Unstatten kommen,

Da ihr mir der Freunde | habt so viel genommen.

Nun bietet mir die Stirne, | ihr edler kühner Mann:

So verdien ich eure Gabe, | so gut ich immer nur kann.»

2331

Bevor da der Markgraf | zu ihm gedrungen war.

Ward noch getrübt vom Blute | manch lichter Harnisch klar.

Da liefen sich einander | die Ehrbegiergen an:

jedweder sich zu schirmen | vor starken Wunden begann.

2332

Doch schnitten ihre Schwerter, | es schützte nichts dagegen.

Da schlug den König Gernot | Rüdiger der Degen

Durch den steinharten Helm, | daß niederfloß das Blut:

Das vergalt alsbald ihm | dieser Ritter kühn und gut.

2333

Hoch schwang er Rüdgers Gabe, | die in der Hand ihm lag;

Wie wund er war zum Tode, | er schlug ihm einen Schlag

Auf des Helmes Bänder | und durch den festen Schild,

Davon ersterben muste | der gute Rüdiger mild.

2334

So reicher Gabe übler | gelohnt ward nimmermehr.

Da fielen beid erschlagen, | Gernot und Rüdiger,

Im Sturm gleichermaßen | von beider Kämpfer Hand.

Da erst ergrimmte Hagen, | als er den großen Schaden fand.

2335

Da sprach der Held von Tronje: | «Es ist uns schlimm bekommen.

So großen Schaden haben wir | an den Zwein genommen,

Daß wir ihn nie verwinden, | ihr Volk noch ihr Land.

Uns Heimathlosen bleiben | nun Rüdgers Helden zu Pfand.»

2336

Da wollte Keiner weiter | dem Andern was vertragen:

Mancher ward darnieder | unverletzt geschlagen,

Der wohl noch wär genesen: | ob ihm war solcher Drang,

Wie heil er sonst gewesen, | daß er im Blute doch ertrank.

2337

«Weh mir um den Bruder! | der fiel hier in den Tod.

Was mir zu allen Stunden | für leide Märe droht!

Auch muß mich immer reuen | mein Schwäher Rüdiger:

Der Schad ist beidenthalben | und großen Jammers Beschwer.»

2338

Als der junge Geiselher | sah seinen Bruder todt,

Die noch im Saale waren, | die musten leiden Noth.

Der Tod suchte eifrig, | wo sein Gesinde wär:

Deren von Bechelaren | entgieng kein Einziger mehr.

2339

Gunther und Hagen | und auch Geiselher,

Dankwart und Volker, | die guten Degen hehr,

Die giengen zu der Stelle, | wo man sie liegen fand:

Wie jämmerlich da weinten | diese Helden auserkannt!

2340

«Der Tod beraubt uns übel,» | sprach Geiselher das Kind.

«Nun laßt euer Weinen | und gehn wir an den Wind,

Daß sich die Panzer kühlen | uns streitmüden Degen:

Es will nicht Gott vom Himmel, | daß wir länger leben mögen.»

2341

Den sitzen, den sich lehnen | sah man manchen Mann.

Sie waren wieder müßig. | Die Rüdgern unterthan

Waren all erlegen; | verhaßt war das Getos.

So lange blieb es stille, | daß es Etzeln verdroß.

2342

«O weh dieses Leides!» | sprach die Königin.

«Sie sprechen allzulange; | unsre Feinde drin

Mögen wohl heil verbleiben | vor Rüdigers Hand:

Er will sie wiederbringen | heim in der Burgunden Land.

2343

«Was hilfts, König Etzel, | daß wir an ihn vertan,

Was er nur begehrte? | Er that nicht wohl daran:

Der uns rächen sollte, | der will der Sühne pflegen.»

Da gab ihr Volker Antwort, | dieser zierliche Degen:

2344

«Dem ist nicht also leider, | viel edel Königsweib.

Und dürft ich Lügen strafen | ein so hehres Weib,

So hättet ihr recht teuflisch | Rüdigern verlogen.

Er und seine Degen | sind um die Sühne gar betrogen.

2345

«So williglich vollbracht er, | was ihm sein Herr gebot,

Daß er und sein Gesinde | hier fielen in den Tod.

Nun seht euch um, Frau Kriemhild, | wem ihr gebieten wollt:

Euch war bis an sein Ende | Rüdiger getreu und hold.

2346

«Wollt ihr mir nicht glauben, | so schaut es selber an.»

Zu ihrem Herzeleide | ward es da gethan:

Man trug ihn hin erschlagen, | wo ihn der König sah.

König Etzels Mannen | wohl nimmer leider geschah.

2347

Da sie den Markgrafen | todt sahn vor sich tragen,

Da vermöcht euch kein Schreiber | zu schildern noch zu sagen

Die ungebärdge Klage | so von Weib als Mann,

Die sich aus Herzensjammer | da zu erzeigen begann.

2348

König Etzels Jammern | war so stark und voll,

Wie eines Löwen Stimme | dem reichen König scholl

Der Wehruf der Klage; | auch ihr schufs große Noth;

Sie weinten übermäßig | um des guten Rüdger Tod.