BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adalbert Stifter

1805 - 1868

 

Die Mappe meines Urgroßvaters

 

1847

 

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6.

Das Scheibenschiessen in Pirling.

 

Ich bin mehrere Tage zitternd, bebend, zu Gott betend gewesen. Wenn ich auf und nieder ging, legte ich die Hände auf die Brust, daß sie ruhig sei. Wie ernst und schwer oft Fälle des menschlichen Lebens sind! Es ward ein schöner starker Jüngling zu mir gebracht und lag in meinem Hause. Sie hatten ihm auf eine kleine Wunde, die er sich durch Zufall in die Brust geschlagen hatte, Pflaster von Pech und andern Klebedingen gelegt, und ihn an den Rand des Grabes gebracht. Als ihnen die Sorge stieg, brachten sie ihn von weit jenseits des Hochwaldes, wo ich noch nie gewesen war, zu mir herüber. Ich legte ihn in das grüne Zimmer, weil es meiner Stube am nächsten ist. Ich entfernte alle Afterdinge, Unglücksbildungen und bereits begonnene Zerstörungen, bis es mich selbst schauerte – ich hatte Vater und Mutter nicht zugelassen, damit sie durch Schreien oder Gejammer nicht die Ruhe zerstörten, – das Messer ward durch die Wissenschaft immer weiter geführt – – ich empfahl meine Seele Gott – und thats. Als ich fertig war, war sehr vieles, und an einer Stelle schier alles weg, so daß ich an dieser Stelle durch das einzige innerlich gebliebene Häutchen die Lunge wallen sehen konnte. Ich sagte nichts, ging hinaus, und sendete Vater und Mutter heim. Dann ging ich wieder hinein, und führte die Sache weiter. Ich war ganz allein, und hatte niemanden, der mir helfen konnte. Ich gab dem Kranken nur das Wenigste zu essen, daß er nicht erhungere, damit die Glut der Entzündung nicht komme und zerstöre. Er lag geduldig da, und wenn seine ruhigen und unschuldigen Augen, da ich an ihm vorbeiging, auf meinem Angesichte hafteten, wußte ich, wie viel meine Miene werth sei, und bat Gott, daß er sie gelassen zeige. Kein einziger Mensch wußte, wie es sei. Nur den Obristen führte ich einmal hinein und zeigte ihm die Sache. Er sah mich sehr ernst an. Weil der Jüngling stark und wohlgebildet war, erschienen nach wenigen Tagen schon die ersten Spuren der Genesung, und in Kurzem war sie in vollem Gange. Da das war, dann hatte ich die Bäume, die Wälder, das Firmament und die äußere Welt wieder. Vor der Festigkeit der Pflicht, wie sinkt jedes andere Ding der Erde zu Schanden nieder! – Nach gar nicht langer Zeit war er völlig gesund, und ich konnte ihn zu seinen Eltern über den Wald hinüber senden. – – –

Bald darauf hat sich etwas recht Liebes und Schönes zugetragen.

Die Halme unseres Kornes hatten sich zur Reife geneigt, die heißeste Waldsonne, welche alle Jahre um diese Zeit über unsern Häusern zu stehen pflegt, war schon eine etwas kühlere geworden – die Gerste, die in unserer Gegend ganz besonders gedeiht, lag schon gefällt auf den Aeckern in den gewöhnlichen Mahden wie in goldenen Zeilen dahin – der Weizen, der auf das Beispiel des Obrists hin nun sichtbarlich mehr und fast mit Vorliebe gebaut wurde, war schon in die Scheuern gebracht, ich fuhr zu meinen Kranken, die sehr unbedeutend waren, herum, – der Obrist kam öfter zu mir herab, ich zu ihm hinauf – die Zeit näherte sich allmählich dem milderen Herbste: da geschah es, daß ich einmal mit dem Obrist im Thaugrunde an dem Wege stand. Er zeigte mir, wie auf sein Vorbild die Leute schon an den Wegen die Verbesserungen in dem Sinne machen, daß sie Straßen werden – so ging namentlich durch den Thaugrund schon ein schönes gewölbtes Stück mit Gräben an beiden Seiten durch, wo vor zehn Jahren noch der morastige fürchterliche Weg gewesen war – und dann fragte er noch gelegentlich, ob ich dem bevorstehenden Schützenfeste in Pirling beiwohnen werde, er würde zugegen sein. Ich erwiederte, daß ich auch kommen würde, wenn sie mich einladen; nur, bemerkte ich, könne ich einige Tage vor dem Schützenfeste nicht zu ihm hinauf kommen, weil sie mich zu einem sehr entfernten Kranken zur Berathung gerufen haben, wo ich wohl ein paar Tage abwesend sein werde. – –

O Pirling, du freundlicher Ort, ich bin dir immer geneigt gewesen; aber wer hätte gedacht, daß du mir so theuer werden würdest. Wie erfreut sich mein Herz, wenn es deiner Schönheit gedenket: wie du so lieblich einsam auf deinem sammetgrünen Hügel liegst, und deine weißen Häuser auf den Fluß herab sehen, der seinen Saum benetzt, und der so emsig durch deine Holzbrücke rollt, auf welcher das rothe Thürmchen steht, das das Bildniß des heiligen Johannes enthält – sei mir von heute an gesegnet, und sei mir in Ewigkeit gegrüßt.

Ich will alles in dieses Buch einschreiben.

Die Siller ist bei uns ein Bach, dann wird sie größer und rollt über geglättete Kiesel dahin. Dann geht sie hinaus in die freieren Länder, wo die grünen Wiesen sind, und die unzähligen Gesellschaften der Laubbäumegruppen stehen. Im Eidun wandelt sie um eine Waldecke herum, ist schon gelassener, und geht dann in einer Wiege zwischen zwei sanften und breiten Waldrücken gegen Pirling hinaus. Dort schaut der Saum der grünen Wiesenhügel, auf denen der Ort steht, in ihre Wasser, dort ist die erste große Brücke über sie geschlagen, und von dort geht sie mündig mit großen Schlangen in die noch weitern, noch ebenern Länder hinaus, während alle Bäche, die aus den Waldthälern, aus den Hügelrinnen hervor kommen, fortfahren ihren Zoll zu ihr hinzu zu tragen.

Aus den Feldern Pirlings, die links an der Siller liegen, und von den Häusern aus angesehen sich gegen Sonnenaufgang breiten, steigt ein seltsamer Fels empor. Er steht ohne Vorbereitung geradezu mitten aus dem Getreide empor. An seinen Seiten ist mancher Baum und Strauch, aber auf dem Gipfel trägt er eine große Versammlung von Fichten, Föhren, Birken und anderen Bäumen. Wenn man hinauf steigt, so sieht man, daß der Fels nicht klein ist, wie man von Weitem hinschauend dachte, sondern daß er sich nach allen Richtungen dehnt, daß man auf seinem Haupte unter den Bäumen herum wandeln, daß man sich auf manchen Stein, auf manches hervorragende Felsstück und auf manches Hügelchen niedersetzen kann. Außer den mit Bäumen besetzten Stellen hat er auch freie, namentlich die höchsten, die einen großen Umblick in der Landschaft gewähren. Der Fels heißt der Steinbühel. Man hat eine sehr schöne und geräumige hölzerne Hütte auf ihm erbaut, die eigentlich wie ein kleiner Saal ist, und viele Menschen um ihren Tisch versammeln kann. Man hat auch Ruhebänke, Tischchen, Rasenstellen und dergleichen angebracht. Der untere Wirth Bernsteiner hatte an einer Stelle, welche ihm von der Gemeinde und dem Marktgerichte zugewiesen wurde, einen Keller in den Stein sprengen lassen, der im vorigen Sommer fertig geworden war. Es ist auch ein Schießstand auf dem Felsen, und weil sich gegen Sonnenaufgang von der Steinwand weg nur ein kleines Feldlein zieht, dann ein Wieschen steigt und an einen Wald grenzt, so stehen jenseits des Feldleins und der Wiese an dem dunkeln Saume dieses Waldes die weißen Scheiben. Neben dem Schießstande, der sehr schön geschnitzt ist, steht noch ein winziges grün angestrichenes Häuschen mit Fenstern, in welchem Häuschen ein Tisch ist, an dem der Schreiber der Schützenangelegenheiten sitzen kann. Weil man den Felsen so aufgeputzt hatte, so führt von dem eine Viertelstunde entfernten Pirling ein anmuthiger Pfad zwischen den Getreidefeldern zu ihm hinzu, und dann in einem geschlängelten Gange auf ihn hinauf. Aus der Ursache, weil er so wunderlich war, und weil man die Anlagen auf ihm gemacht hatte, ist der Fels der Platz der Pirlinger Volksfeste geworden. Im Sommer sind alle Sonntage Leute draußen. Meistens hört man auch da das Knallen der Büchsen, wie auf die Scheiben geschossen wird, und manchmal tönen darunter Waldhörner oder andere Musik. Auf dem Gipfel flattern die bunten Windfahnen der Schützen, und man sieht die weißen Tücher und Kleider der Pirlinger Frauen und Mädchen zwischen dem Grau der Steine und dem dunkeln Grün der Bäume schimmern. Zuweilen sind größere Schützenfeste; dann kommen Leute aus den benachbarten Ortschaften herzu, und mancher reist noch aus weiteren Entfernungen nach Pirling, um in dem Schützenkampfe ein Theilnehmer zu sein.

Als ich von meiner kleinen Reise, auf die man mich zu einer ärztlichen Berathung gerufen hatte, zurück gekehrt war, fuhr ich an dem Tage vor dem Scheibenschießen, das heuer wieder abgehalten werden sollte, in Geschäften nach Pirling. Ich traf den ganzen Marktflecken in Vorbereitungen zu dem morgigen Tage. Als ich auf der oberen Straße, die von den Eidunhäusern herab führt, durch das Thor hereingefahren, und bis zu dem Marktplatze und dem obern Wirthshause gekommen war, schwenkten meine Rappen, welche gewohnt waren, daß ich sie da stehen lasse, gleichsam von selbst auf den Platz vor dem Wirthshause hinum, und hielten da an. Ich stieg aus, und befahl dem Thomas, daß er bei den Thieren bleiben und auf sie Acht haben solle, weil sie noch jung seien und sich leicht schreckten. Er führte die Pferde und den Wagen ein wenig seitwärts an die Mauer des Hauses, um dort, wie gewöhnlich, auf mich zu warten. Der Wirth stand auf der Gasse und hatte sein grünes Barett auf. Vor ihm wurde ein sehr schöner langhaariger weißer Bock gewaschen. Es wuschen mit Seife drei Knechte an ihm, und der Wirth beaufsichtigte die Sache. Als ich ausgestiegen war, that er sein Barett ab, grüßte mich und sagte: „Seid ihr wieder glücklich zurück gekommen, Doctor, glücklich zurück? Seht so muß man seine Sache waschen und reinigen lassen, ich bin heuer Schützenmeister, und der Bock ist ein Preis. Der Tanz ist bei dem untern Wirthe. Ihr kennt ja die Sitte: wenn auf den einen Wirth das Schützenamt fällt, ist der andere Tanzgeber; sonst wechseln wir ab. Gestern habe ich die Thaler mit Seife und einer Zahnbürste gewaschen, und sie darauf mit Wolle und Kreide geputzt. Sie werden heute gefaßt. Ihr werdet uns wohl auch auf dem Steinbühel die Freude machen, Herr Doctor, nicht wahr, ihr werdet?“

„Wenn ich geladen bin,“ antwortete ich.

„Muß ja die Schützenkanzlei schon herum geschickt haben,“ sagte er, „muß ja schon herum sein. Seht, der untere Wirth thut auch schon seine Schuldigkeit.“

Ich sah in diesem Augenblicke den alten ernsthaften Bernsteiner mit einem großen Wagen voll Tannenreiser die obere Gasse herein fahren, wahrscheinlich zu Triumphbogen, Ehrensäulen und dergleichen. Er grüßte mich recht freundlich, da er mich sah, und seine drei Söhne, die mit Hacke und Streumesser neben dem Wagen her gingen, hatten ebenfalls die fröhlichsten Angesichte, und grüßten ehrerbietig herüber.

Als ich das kleine Gläschen Wein, welches mir der Wirth jedesmal aufnöthigt, von dem Teller seines Töchterleins genommen und getrunken hatte, schickte ich mich an, meine Kranken zu besuchen, derentwillen ich herein gekommen war. Ich nahm mein Rohr und verschiedene andere Dinge aus dem Wagen, und machte mich auf den Weg.

Die Kranken waren nicht von Bedeutung, und gerade die übel zu werden gedroht hatten, hatten sich gebessert; aber da ich so herum kam, sah ich erst recht das Rüsten zu dem morgigen Tage. Der Kaufherr des Ortes, der wohlhabenste Mann, ein Mann in vorgerückten Jahren, stand auf der Gasse, und that sein Barett ab, und grüßte die Vorübergehenden. Ich trat in sein Haus ein, obwohl kein Kranker darinnen war. Da sah ich Mädchenkleider herrichten, und auf dem Gange hinten Büchsen putzen. Der Marktschreiber im Hause daneben hatte sein schönes Gewand auf den hölzernen Gang des Hauses in die Sonne gehängt, und die Schuhe daneben gestellt. Bei der Tischlerei waren Scheiben, bretterne Gestalten, und andere Holzdinge. Unter dem Säulengewölbe vor dem Rathhause zählten sie, der Schützenschreiber und mehrere andere, große eiserne Stifte auseinander, die zum Schießen gehörten; weiter zurück in dem Säulengange wurden Fahnenstangen geputzt, und Papier angestrichen und geklebt, hinter welches Lampen gestellt werden würden. Der eine richtete und reinigte seinen Büchsensack, der andere seine Büchse. Vor dem untern Wirthshause wurde an einem Gerüste gelattet und genagelt – und als ich an der Schule vorbei ging, hörte ich mehrere Waldhörner aus derselben, auf denen Stücke eingeübt wurden. Diejenigen, welche auch gerade nicht wegen des Schießens etwas zu thun hatten, machten sich doch aus Ursache des heutigen Tages einen Feiertag, gingen herum, und nahmen sich Anlaß hier und da ein kleines Glas zu trinken. Die Weiber sagten, daß ihre Männer närrisch seien: aber sie selbst richteten Kleider und Bänder auf morgen, und bei mancher wurden zum Vorrathe Kuchen gebacken. Als ich wieder zu dem oberen Wirthshause zurück gekommen war, und in den Wagen steigen wollte, kam die Wirthin heraus und sagte: „Fahret nur fort, Doctor; wenn die Räder eures Wagens bei dem letzten Eckhause der obern Gasse hinaus sind, dann ist der einzige vernünftige Mann, der heute in Pirling gewesen ist, fort. Mit unserm Wirthe ist es schon recht schwer: wir durften seit Wochen den Bock nicht mehr schlagen, und da er jetzt gewaschen ist, würde er ihn in unser Ehebette legen, wenn er nur sonst darin liegen bliebe. Kommt morgen nicht gar spät, Herr Doctor, ich werde eure Flasche und euren Becher hinaus bringen lassen, ihr sollt den Wein von uns haben, den ihr schon kennt, und er wird in ein Eisgefäß gestellt werden.“

Ich habe dieses alles darum eingetragen, weil es mir zu Herzen gegangen ist. Es ist mir lieb und treu gewesen seit meiner Kindheit her. Hätten sie mit fürstlichem Aufwande ein Schießen gerüstet, es hätte vor meinen Augen nicht eine Binse schwer gewogen.

Da ich auf meinem Heimwege wieder auf die Felder hinaus gekommen war, und von dem hinter mir arbeitenden Pirling kein Ruf, kein Hammerschlag mehr vernehmbar war, sondern nur mehr ein sanftes Läuten seiner Glocken hinter mir her schwamm: war ich fast traurig. – Ich legte das Buch, in welchem ich gerne zu lesen pflege, in dem Wagen seitwärts, lehnte mich auf dem Sitze zurück, kreuzte die Arme, und sah so empor. Der herbstliche Himmel, spiegelheiter, lag ganz unbeschreiblich glänzend über den Wäldern, und diese standen ruhig und empfanden die Wärme der Mittagssonne – mein Thomas saß unbeweglich vor mir, mir den Rücken und den großen Hut zuwendend, und nur von Zeit zu Zeit die Zügel leichthin regend, indeß meine jungen Rappen freudig in der heitern Luft vor ihm her tanzten und fast unnatürlich in diesem Sonnenscheine glänzten. Ach diese guten, diese treuen, diese willigen Thiere – sie sind am Ende doch das Einzige auf dieser Erde, was mich so recht vom Grunde aus liebt. – – So dachte ich mir. – – Die Felder flogen rasch zu meinen beiden Seiten zurück und funkelten; sie waren zum Theile geackert, zum Theile in Stoppeln: aber es war kein Mensch auf ihnen – es war sehr stille, selbst das Mittagläuten von dem Thurme zu Pirling konnte ich nicht mehr vernehmen – die Waldwiege lag sanft vor mir und in ihrer Tiefe war ein kaum sichtbarer Dunststreifen, den Lauf der Siller anzeigend. Es gibt solche Herbsttage, in denen es ruhig auf Feld und Wäldern spinnt, wie ein Traum, ich kenne sie von meinem Herumfahren sehr gut – – und wie ein Traum war es mir auch, daß das die nemlichen Felder und Gründe sind, wo ich so oft als Knabe gewesen bin und mich sehr gefreut hatte, wenn ein so großes Scheibenschießen bevor stand, zu dem ich mit dem Vater und oft auch im Geleite der Schwestern hinab gehen durfte. Nun fahre ich hier, ein thätiger geehrter Mann mit dem Zurückdenken an jene ferne liegende Zeit.

Wir waren unterdessen in die Waldwiege gekommen, und fuhren in ihrem Schatten. Als wir wieder jenseits ihr hinaus gelangten, waren wir auf den Feldern des Eidun. Man sieht dort die Siller wieder, und sie ist in dieser Tageszeit gewöhnlich glänzend, gleichsam als wäre ein geschlungener Silberblitz in das Thal geworfen worden. Wir fuhren durch die weit zerstreuten Häuser des Eidun hin, unsern bekannten Waldbeständen zu. Die Pferde witterten die Heimath und liefen lustiger dahin. Rechts hatten wir das Schwarzholz, in dem wir vor drei Wintern das fürchterliche Rauschen des Eissturzes zuerst gehört hatten, und vor uns war der Thaugrund, dem wir uns näherten. – Rascher rollte der Wagen, als wir diesen Wald erreicht hatten, auf der festgestampften von dem Obrist veranlaßten Straße in ihn hinein, und als sich die letzten Bäume desselben wieder auseinander gethan hatten, lag der weiße Punkt meines Hauses vor uns und ich sah hinter ihm den Obstgarten, dessen Bäume mich gleichsam erwarteten, daß ich nachsehe, wie es stehe, und ob keinem ein Ast gebrochen sei. Die Pferde flogen durch das Grün, und in wenig Augenblicken knirschte der Wagen durch den Kies meines Hofgitters hinein. Ich sprang ab, klopfte die Rappen auf ihren Nacken und lobte sie. Die klugen Thiere nickten und schmeichelten mit den Köpfen, als verstünden sie es – und sie verstanden es auch. Dann warfen sie die Augen und Ohren freudig herum, daß sie endlich daheim seien, und mit einander zum Mittagmahle gehen würden. Ich aber ging in das Haus, und sah in dem Speisezimmer bereits den Tisch gedeckt: eine Flasche, ein Glas, und ein Gedecke. Auf demselben lag ein großer gesiegelter Ladebrief zu dem Scheibenschießen, der in meiner Abwesenheit gekommen war.

Nachmittag ging ich zu Einigen, wo zwar keine Hilfe nothwendig war; aber Trost.

Am andern Tage fuhr ich sehr früh aus, damit ich meine Pflicht gethan hätte, und nicht gar zu spät zu dem Scheibenschießen käme, was die Einladenden gekränkt hätte. Auch dachte ich daran, daß ich dem Obristen meine Gesellschaft versprochen hatte. Es war nichts Wichtiges vorgefallen, ich that alles ab, und um zwei Uhr Nachmittags ließ ich meine müden Thiere langsam auf den Feldern, wo man von dem Eidun herab kömmt, gegen Pirling hinein gehen. Als ich durch die obere Gasse vorwärts gekommen war, lenkten die Pferde wieder dem Wirthshause zu und waren sichtlich erfreut. Ich hatte eigentlich durch den Ort durch, und auf dem Feldwege bis zu dem Fuße des Felsens fahren wollen; aber die Zuversicht der Thiere, mit welcher sie hier, wo ihr gewöhnlicher Ruheplatz war, zubogen, und ihre Müdigkeit, die sie sich am ganzen Vormittage gesammelt hatten, dauerte mich, und ich sagte dem Thomas, er solle nur vollends auf die Wirthsgasse hinzufahren. Er that es; aber kein Wirth und keine Wirthin kamen auf die Gasse, uns zu bewillkommen; der ganze Marktplatz war verödet, und nicht einmal ein Hund bellte; denn alle waren sie in den Steinbühel hinaus. Ich half also selber dem Thomas die Pferde ausspannen und in den Stall bringen, wo ich ihnen eine eigene Kammer halte, in die nie andere Pferde kommen, damit sie mir gesund bleiben. Ich empfahl die Thiere der Obhut des Thomas, sagte, wenn er ebenfalls auf den Steinbühel hinaus ginge, solle er zusperren und den Schlüssel zu sich stecken; dann nahm ich meinen Stock und ein Buch aus dem Wagen, schloß die anderen Behältnisse ab, und machte mich auf den Weg zu dem Festschießen, das heute alles vereiniget hatte. Mir fiel die Oede des Ortes auf. Außer der gewöhnlichen sonntäglichen Ruhe war heute noch eine ungewöhnliche. Nur auf mancher Bank vor einem Hause saß ein Greis, und es thaten ihm die Strahlen der auf ihn scheinenden Herbstsonne bereits wohler, als ihm die Freude auf dem Steinbühel draußen gethan hätte. Obwohl heute nicht mein Krankentag für Pirling war, so besuchte ich doch, weil ich einmal da war, einige von ihnen. Auch bei denselben waren nur ganz alte Mütterlein zur Pflege geblieben.

Als ich dies abgethan hatte, und am unteren Ende des Ortes in das Freie getreten war, schaute der für heute so merkwürdige Fels schon aus den Feldern herüber, und ich erkannte mit meinen ziemlich guten Augen sehr bald, daß man ein Gezelt zwischen den Bäumen gespannt haben müsse; denn es schimmerte deutlich und festtäglich weiß zwischen dem dunklen Föhrengrün herüber. Ich ging durch die Felder dahin. Sie waren meistens schon nur mehr mit Stoppeln bedeckt; blos der Haber stand noch von Getreide da; aber er neigte auch schon ins Gold, und hatte seine Körner an den leichten Fäden neben mir hängen. Da ich dem Felsen näher gekommen war, sah ich auch, wie hoch über den Wipfeln seiner Bäume das Schützenfähnlein wehte, eine lange wallende Zunge, roth und weiß, welche Farben sich sanft von der tiefen Bläue des Himmels abhoben. Auch manches bläulich geringelte oder weiße Rauchwölklein ward zuweilen über den Laubkronen sichtbar, und man konnte schon die einzelnen Schüsse vernehmen.

Da ich endlich an dem Fusse des Felsens angekommen war, wandelte ich langsam auf seinem geschlungenen Pfade empor, den ich als Knabe, wenn ich mit den Meinigen zuweilen hatte herab gehen dürfen, und als junger Student, wenn ich die Herbstfeiertage zu Hause zubrachte, niemals einschlug, sondern gerade aufwärts kletternd durchschnitt.

Als ich bis zu dem Schießstande empor gekommen war, trat ich ein. Es mußte eben ein guter Schuß gethan worden sein, wie ich aus dem Krachen des Feldmörsers, den man aufgestellt hatte, und aus dem Jauchzen des Schützenzielers vernahm. Der Stand hatte das gewöhnliche Aussehen, wie es an solchen Tagen ist. Zwei lagen vorne mit ihren Büchsen am Schießbaume und zielten und warteten – andere standen hinter ihnen in Bereitschaft, wenn sie abgeschossen hätten und weggegangen wären, einzutreten – wieder andere waren noch weiter zurück, und arbeiteten an ihren Büchsen, um sie zurecht zu richten – der alte Bernsteiner wischte sein schlechtes Gewehr, und schleuderte die schwarzen Lappen seitwärts. Wenn man es mir auch nicht gesagt hätte, daß er bisher den besten Schuß gethan habe, so hätte ich es doch aus seinem freudigen Gesichte errathen. Auch den oberen Wirth sah ich, den Forstmeister, den Marktschreiber und viele andere Bekannte.

Es streckten sich mir mehrere Hände, und wie es bei uns gebräuchlich ist, manches Glas zum Grusse entgegen. Ich dankte nach den verschiedenen Seiten und that Bescheid. Und als ich die Einladung, daß ich doch heute auch mit schießen möge, mit den Worten abgelehnt hatte, daß ich nicht mehr so schießen könne, wie in meinen Schuljahren, und daß mir meine Geschäfte auch keine Uebung erlauben: schaute ich die Anstalten an. Die hölzernen Säulen des Standes waren mit Flittern umwunden. Auf dem Gipfel des Gebäudes hing die schwere große Schützenfahne nieder, zum Unterschiede der schmalen langen, die über den Baumwipfeln des Felsens flatterte. Alle Nadeln und Finger der Pirlinger Mädchen hatten daran gearbeitet, und hatten breite feurige Bänder dazu gegeben. Die Hinterwand des Saales war mit berühmten Scheiben der Vergangenheit bedeckt. Ich erkannte beinahe mit Herzklopfen manche darunter aus meiner Kindheit, und andere, in denen noch die Löcher meiner eigenen einstigen Kugeln waren. Unter den Scheiben saßen solche, die da aßen und tranken, lauter Männer; denn die Frauen und Mädchen durften während des Schießens nicht herein. Auf einem lichtgrün angestrichenen Gerüste, das seitwärts des Schützenschreiberhäuschens war, stand, von einem Geländer umfangen, daß er nicht herab könne, der blüthenweiße langhaarige Bock des oberen Wirthes. Die Spitzen seiner Hörner waren vergoldet, und zwischen denselben trug er einen großen aufrechten Kranz aus Blumen und Bändern eingeflochten, in welchem Kranze wieder sieben eingefaßte leuchtende Thaler zu sehen waren. Von dem Kopfe des Thieres hingen überdies noch Bänder und Fransen herab, und in die schön gekämmte Mähne und in den Bart waren zuletzt noch seidene rosenrothe Schleifen gebunden. Hinter dem Bocke, auf einem Pfeiler ins Kreuz gesteckt, war der zweite Preis: zwei himmelblaue Seidenfähnlein mit eingewirkten Goldstücken. Dann war ein Blumenstrauß, aus lauter kleinen Silbermünzen zusammen gesetzt. Er stand in einem Geschirre auf einem Tischlein. Zuletzt war ein mit Bein und Perlenmutter eingelegtes Horn, zum Aufbewahren des Pulvers. Dasselbe hing mit einem zierlichen Bande gebunden an einem Baumaste. Außerhalb des Schießhauses, weil sie ebenfalls nicht hinein durften, standen dicht gedrängt die Pirlinger Buben, und staunten, wie einstens ich selber, den Bock, die Schützen und die anderen Sachen an. Ein wenig weiter weg war in die Zweige mehrerer neben einander stehender Föhren ein Gerüste gebaut worden, auf welchem, in den Wald der Nadeln eingehüllt, die Hornbläser saßen, und die eingelernten Stücke von Zeit zu Zeit vernehmen ließen. In dem Schießhause waren auch Trompeten, die auf jeden glücklichen Schuß in lustiger Weise tönten.

Als ich alles eine Weile angeschaut hatte, trat ich wieder unter die Bäume hinaus. Ich hatte mir vorgenommen, ehe ich in das Gezelt ginge, und nach dem Obristen forschte, den Gipfel des Felsens zu besuchen, um den eine so reine und klare Umsicht liegt. Ich hatte sie schon lange nicht gesehen, und wollte sie ein wenig anschauen. Ich trat unter die Bäume hinaus, und es wehte mich eine duftende Waldluft an, die gegen den Pulverrauch recht angenehm wirkte. Ich ging an mehreren sehr jungen Mädchen vorüber, die eine hölzerne, an einer Schnur hängende Taube nach einem Ziele stoßen ließen – ich ging dann an einer Rasenbank vorbei, auf welcher zwei Frauen saßen, die ich nicht kannte, sie mußten Fremde sein – das Gezelt und die hölzerne Hütte hatte ich links liegen lassen – dann kam ich noch an mehreren hervorragenden Steinblöken vorüber, die Bäume und Gesträuche hörten auf, ich ging über den Rasen und gelangte auf den freien Gipfel empor. Es war kein einziger Mensch auf demselben, weil sie alle unterhalb in dem Gebüsche und in dem Wäldchen waren, wo sie sich der Lustbarkeit ergaben.

Die Sonne war schon tiefer gesunken, fast in die Mitte des letzten Viertheiles ihrer Bahn. Es lagen unter mir die einfärbigen falben Stoppeln der abgemähten Getreidefelder – jenseits derselben stand der einsame Kirchthurm und die Häuser des verlassenen Pirling, und weiter zurück der blaue, duftige Wald, in welchem das Eidun und meine Heimath ist. In dem Thale konnte man die Siller erblicken, aus welcher die schief stehende Sonne dahin rinnendes, geschlängeltes Silber machte.

Als ich noch schaute, war der Obrist zu mir herauf gekommen. Er war hinter mir auf dem gewöhnlichen Wege gekommen, und ich bemerkte ihn erst, als ich seine Tritte hörte. Ich wendete mich um und grüßte ihn recht freundlich. Er ging noch die wenigen Schritte zu mir herauf, stellte sich neben mich, dankte dann meinem Gruße und sprach: „Ich wußte es schon, daß ihr hier seid, und habe euch gesucht. Ich habe euch etwas Nothwendiges zu sagen. Ich konnte es euch nicht früher sagen; denn drei Tage seid ihr abwesend gewesen, und da ich gestern Nachmittags zu euch hinab gegangen bin, habe ich euch nicht zu Hause gefunden. Margarita ist angekommen. Ich habe ihr geschrieben, daß sie kommen solle, ich habe die Anstalten zu der Reise gemacht, aber ich habe den Tag ihrer Ankunft nicht gewußt. Da kam sie, als ich es euch nicht melden konnte. Sie ist unten in dem Gezelte bei den anderen Frauen und Mädchen, denen sie erzählen muß. Ich aber habe mir gedacht, daß ich euch suchen und euch die Sache anzeigen werde.“

„Ich danke euch,“ antwortete ich ihm, „und ich muß euch sagen, daß mein Herz eine große Freude hat, daß sie da ist. Ich habe immer an sie gedacht.“

Er schwieg eine Weile, dann sagte er: „Ich weiß es, ich weiß es. – – Lieber, theurer junger Freund! werbt um sie. Wißt ihr noch, wie ich einmal sagte: lasset nur eine Zeit verfließen, es wird alles gut werden? – Es ist gut geworden. Ich habe euch beide sehr lieb, ihr werdet es wohl wissen. Ich habe euch beiden ein Opfer dargebracht. Ich habe Margarita mit Absicht fort gegeben. Ich habe, da ich mit der Zeit geizen muß, weil ich alt bin, doch drei Jahre meiner Freude hingegeben. Ich that es, um zu sehen, wie alles werden würde. Es ist gerade so geworden, wie ich es vorher gesehen habe. Margarita ist so gut zurück gekehrt, wie sie fort gegangen ist – oder eigentlich zu sagen, sie ist noch besser geworden. Sie hat sogleich nach euch gefragt. Sie war sehr freudig, daß sie mich wieder habe, und sie hat gebeten, daß ich sie nicht mehr fort schicken solle. Wir sind in den Tagen, da ihr auf der Reise zu dem fernen Kranken waret, auf allen jenen Plätzen gewesen, wo sie sonst mit euch gewesen ist – ja, daß ich euch alles sage, wir waren sogar bei euch. Heute waren wir bei euch. „Ich habe ihm sehr weh gethan,“ hat sie gesagt, „ich muß ihm freundliche Worte sagen.“ Da ich euch gestern Nachmittags nicht antraf, gab ich euren Leuten gar keine Botschaft in der Sache auf, sondern wir nahmen uns vor, euch heute früh zu besuchen, ehe ihr fort fahret, um euch einen freundlichen guten Morgen zu wünschen. Wir ließen unsern Wagen, in dem wir gleich nach Pirling fahren wollten, langsam gegen den Thaugrund vorausgehen, und gingen in euer Haus. Aber ihr waret ebenfalls schon fort. Wir schauten alles an, und Margarita bemerkte die Veränderungen, die seit ihrer Abwesenheit geschehen waren, besser als ich. Wir gingen durch alle eure Zimmer – nur die Hauskapelle zeigte ich ihr nicht. Eure alte Maria führte uns herum. Es muß die letzten Tage niemand vom Haghause zu euch hinab gekommen sein; denn die Maria wußte noch nichts von der Ankunft meiner Tochter, und hatte große Freude, als sie dieselbe sah. Obwohl noch sehr starker Thau lag, so ging doch Margarita auch einige Schritte in den Garten hinein, um zu sehen, welche Blumen ihr habt, und wie alles geordnet und eingetheilt ist. Dann wendeten wir uns wieder um, gingen durch euren Hof hinaus, und wandelten dann langsam auf der schönen Straße durch den Thaugrund hinüber, an dessen Rande, wo die Eidunfelder beginnen, der Wagen auf uns wartete. – Seht, Doctor, ich bin recht freudig über die Güte dieses Kindes. Ich habe sie vielleicht zu sündhaft lieb, aber es ist ein Naturspiel da, das wunderbar ist. Ich habe euch schon gesagt, daß ich am Begräbnißtage meines Weibes bemerkt hatte, daß auf dem Munde der dreijährigen Margarita die Knospe der Rose war, die sie eben begraben hatten, und daß in ihrem Haupte die Augen ihrer Mutter standen. Nach und nach ist sie ihr immer ähnlicher geworden; und seit sie fort war, ward sie ihr vollkommenes Ebenbild. Als wir dieser Tage so durch die Wiesen und Wälder wandelten, bemerkte ich, daß sie den Gang ihrer Mutter habe, daß sie dieselben Worte sage, und daß sie bei Gelegenheit den Arm so hebe, den Leib so beuge, gerade wie sie. Ich mußte meine runzligen Hände anschauen, um nicht zu glauben, ich sei jung, und es gehe mein junges Weib neben mir, und sammle mir Blumen, und pflücke Nüsse, wie einst in jenem Walde. Darum liebe ich sie gar so sehr. – Als wir heute durch eure Zimmer gingen, und sie eure Geräthe und sonstige Anordnung sah, erblickte ich auf ihrem Angesichte denselben gewinnenden Schimmer, wie einstens an meiner Gattin, da sie in meinem Hause schalten und walten und stellen durfte, wie sie wollte. Ich erkannte hieraus auch, daß Margarita in dem Augenblicke das Nehmliche empfinde, wie damals ihre Mutter. – – Seht, so ist es mit Margarita. – Ich weiß auch, wie es mit euch ist, und wußte es immer. Ich erkannte es, weil ihr schwieget – ich kenne das männliche Verschließen in der Brust, anstatt zu klagen – und das treuliche Erfüllen seines Berufes. Ich wußte es, wenn ich auch bei mir stille schwieg. Ich muß euch, weil ich jetzt rede, meine ganze Schwäche sagen. Da ich einmal von euch fort ging, kamen mir bitterliche Thränen in die Augen, weil ich gesehen habe, daß ihr eine heilige Margarita, deren Sinnbild ich gar wohl kenne, auf euren Hausaltar gestellt habt, um euer Herz zu trösten. – Wißt ihr noch, wie ich einmal an dem traurigen Tage, da ich euch meine Lebensgeschichte erzählte, gesagt habe, ihr hättet eine schöne Lage in der Biegung des Thales, ihr wäret noch jung, und wenn ihr euch bestrebtet, könne es ein schönes Besitzthum werden, das seinen Herrn und seine Frau erfreut, wenn einmal eine einzieht. Wißt ihr es noch? Wie hold ist es jetzt, daß Margarita eingeht, die ihr immer so gerne gewollt habt! – – Ich muß euch, lieber Doctor, weil die Sache einmal so ist, und wir darüber reden, auch das noch sagen: Margarita ist nicht reich, denn ich bin in meinem ganzen Leben arm gewesen; aber sie kömmt auch nicht ohne Mittel in euer Haus. Ich habe in meinen letzten Tagen gespart, wie ich in meinen ersten verschwendet habe, und das Wenige, welches für sie von meinen Vorfahren herstammt, habe ich zusammen gehalten. Sie bekömmt einmal das Haghaus mit dem, was dazu gehört, sie bekömmt die Bilder, die Bücher, und dann alles das andere, was noch da ist; denn ich habe ja niemand weiter, als euch beide.“ – –

„Hört auf, Obrist,“ rief ich, indem ich ihn unterbrach, „redet nicht von diesen Dingen – wie kann ich euch denn für eure Liebe danken, und wie kann ich es denn begreifen, daß ihr so gut und groß seid.“

„Nein ich bin nicht gut,“ antwortete er, „ich suche in euch nur meine Freude. Wir bleiben nun alle beisammen. Ihr werdet in dem oberen Hause wohnen, oder auch in dem unteren, oder es mag Margarita, wie es das Natürlichste ist, bei euch sein, und ich oben in meinem Hause. Ihr werdet oft bei mir sein, ich oft bei euch, und es wird sich ein Umgang spinnen, der noch freundlicher ist, als bisher. Ich kann euch nur sagen: ihr erhaltet in Margarita ein sehr gutes Weib, das ihr ehren müsset, und sie wird in eurem Hause so glücklich sein, wie es meine Gattin in dem meinigen gewesen ist, gebe ihr nur Gott dereinst einen späteren und einfacheren Tod, als ihrer Mutter. – Aber jetzt, Doctor, müssen wir zu den anderen hinunter gehen. Sie wissen schon, daß ihr da seid, ihr müßt ihnen auch eine kleine Zeit gönnen, da ihr ohnehin immer durch euer Amt aufgehalten seid, und zu solchen Dingen gewöhnlich erst spät kommen könnt.“

„Wartet noch einen Augenblick, Obrist,“ sagte ich, „ihr wißt wohl, wie ich euch stets verehrt und geliebt habe; aber ihr thut mir noch immer mehr Gutes, als ich erwarten und verdienen konnte. Ich muß euch hier meinen großen Dank dafür sagen, und muß euch sagen, seit ihr in der Gegend seid, ist es mir, als hätte ich wieder einen Vater, und wäre nicht mehr, wie früher, allein.“

„Ihr habt es ja erfahren, ich bin es auch, ich bin euer Vater,“ antwortete er, „und werde es in der Zukunft noch mehr sein. – Aber jetzt kommt, laßt uns hinunter gehen, die anderen warten schon und möchten es übel nehmen, wenn gerade wir zwei nicht an der Fröhlichkeit Antheil nähmen.“

Nach diesen Worten wendeten wir uns beide von dem Gipfel des Felsens, und stiegen auf dem Wege, der um Steine und graue Klippen geht, hinunter. Wir hatten oben von der allgemeinen Freude nicht viel vernommen. Die Schüsse hörten wir nur gedämpft, und von dem Wäldchen mochte manchmal ein einzelner Ruf herauf gekommen sein, den wir nicht beachteten. Da wir aber hinab gingen, näherten sich uns gleichsam wieder die Schüsse, die Töne der Waldhörner, die Rufe der Knaben und Mädchen, und das ruhige Gemurmel des allgemeinen Durcheinandersprechens der Menschen. Wir schlugen weiter unten einen andern Weg ein, als den ich heraufgegangen war, und näherten uns der hölzernen Hütte, dem Gezelte und überhaupt dem Platze, wo die Menschen mehr zu ihrer Lust zusammen gedrängt waren.

Wir kamen wieder zu wandelnden Gruppen, und zu spielenden Kindern. Auf einem grünen Platze unter den Bäumen war ein Stand aufgeschlagen, wo man Lebkuchen verkaufte, und nicht weit davon war einer, in welchem der Josikrämer stand, und seine Sachen zum Verkaufe ausgelegt hatte. Er hatte gerade diejenigen gewählt, welche für den heutigen Tag die passendsten waren. Weil ich und er die einzigen waren, die in der Gegend am meisten herum kommen, und auf ihren Wanderungen sich öfter treffen, ging ich zu ihm hinzu und sprach mehrere Worte mit ihm. Der Obrist redete mit den Kindern und gab ihnen Geschenke, wovon er die Taschen seines Gewandes voll hatte.

Endlich kamen wir zu dem Gezelte. Es war nicht ein von allen Seiten geschlossenes, sondern man hatte über einen großen Tisch, an welchem die vorzüglicheren Bewohner der Gegend saßen, gleichsam einen weißen Baldachin in die Baumäste geknüpft, um die Sonnenstrahlen abzuhalten; aber es war dennoch, wie ein rings herum begrenzter Saal, weil gerade um den Platz die schönsten und die dichtesten Föhren und Birken standen. Als wir durch den Eingang eingetreten waren, sahen von dem oberen Ende des Tisches zwei sanfte Augen auf mich herüber – ach Gott! ich erkannte sie gleich – es waren Margaritas Augen, – sie blickten mit dem schönen demüthigen Lichte, das einst meine Freude und mein Entzücken gewesen war. Wir gingen an den Menschen, die an dem Tische saßen, nach einander hinauf, damit ich sie begrüße, und damit wir, der Obrist und ich, die Stühle einnähmen, die man an ihrer Seite für uns leer gelassen hatte. Da ich bis zu ihr gekommen war, sagte ich: „Seid mir herzlich schön gegrüßet, Margarita, ich bin abwesend gewesen, da ihr angekommen seid, sonst hätte ich meinen Willkommensgruß schon in das Haghaus hinauf gebracht. Euer Vater hat es mir erst vor wenigen Augenblicken gesagt, daß ihr auf dem Steinbühel seid. Seid mir recht, recht schön gegrüßt.“

Sie war aufgestanden, als ich zu ihr getreten war, und zog den Handschuh aus, um mir die Hand zu reichen. Sie war erröthet und die Hand, die sie mir reichte, zitterte sehr.

„Seid mir auch gegrüßt,“ antwortete sie. „Ich war schon drei Tage zu Hause, während ihr fort waret, und heute morgens sind wir bei euch gewesen, um euch selber meine Ankunft zu sagen; aber ihr seid sehr früh ausgefahren, und waret schon lange fort, da wir kamen. Seid mir vielmal gegrüßt.“

Wir faßten uns bei den wechselseitig dargereichten Händen, und drückten uns dieselben recht freundlich.

Sie zog dann den Handschuh wieder an, und setzte sich nieder. Obwohl sie zu Hause immer in bloßen Händen ist, und uns auch so auf unsere Spaziergänge und zum Pflücken der Blumen begleitet hatte, so hielt der Obrist doch bei solchen Gelegenheiten darauf, daß sie den Anstand beobachte, und die Anwesenden ehre. Darum war er selber auch in einem schönen dunklen Gewande. Er saß auf dem Stuhle zu ihrer Rechten, und ich setzte mich auf den, der links war, und den man mir aufgehoben hatte. Ich setzte mich ein wenig weiter weg, und gab Acht, daß ich an ihrem Gewande nicht streife.

Ich wußte jetzt eigentlich nicht, was ich sagen sollte.

Es waren viele Menschen zugegen, welche ich kannte. Es saß der Kaufherr von Pirling mit seinen Töchtern gleich neben dem Obrist; es waren Bürger von Thunberg da; Frauen und Männer von Pirling; es war der sehr alte ehrwürdige Pfarrer von Sillerau zugegen, und saß neben seinem Amtsbruder aus Pirling; es waren Frauen und Töchter von Rathsherren da, deren Männer und Väter aber in dem Schießhause drüben waren; es waren geachtete Landleute da, der Erlebauer mit seinen Töchtern, der Vetter Martin, der Wirth am Rothberge, mit seiner Tochter Josepha; dann einige aus Haslung, aus dem Eidun und andere. Ich kannte beinahe alle. Sie grüßten mich, als ich nieder gesessen war, und einige machten mir den Vorwurf, warum ich denn so spät gekommen sei. Ich antwortete, daß meine Geschäfte von dem Zufalle abhingen, daß ich sie mir nicht auf eine gewisse Stunde lassen oder mir vorarbeiten könne, und daß ich daher erst zu erscheinen vermöge, wenn sie abgethan sind, und mich entlassen.

Die obere Wirthin von Pirling kam mit einer sehr schönen gleichsam in Kristallen geschliffenen Flasche, in der Wein war, nebst einem Glase mit meinem Namen, das sie mir einmal hergerichtet hatten, daß ich daraus trinke, wenn ich in Pirling bin, zu mir her, und sagte: „Zur Tafel seid ihr, wie jedesmal bei solchen Gelegenheiten, zu spät gekommen. Diesen Wein gibt euch die Schützengesellschaft als Ehrentrunk; er ist der beste, der zu haben ist, er ist aus dem Keller meines Mannes, des Schützenmeisters, und ist heute für unsere geehrten Gäste heraus gebracht worden. Er steht unten in mehreren Flaschen in Eisfutter, und muß sehr kühl sein. Die Speisen, die ihr bekommen werdet, sind von dem unteren Wirthe, Bernsteiner, dem der Keller des Steinbühels gehört, und bei dem der Schützentanz sein wird. Er wird sie euch auch im Namen der Schützengesellschaft senden.“

Als sie noch kaum ausgeredet hatte, kam die Tochter des alten Bernsteiners nebst zwei Mägden, welche Kuchen, allerlei kalte Speisen, schön verziert, und angenehm geordnetes Obst vor mich hin stellten.

Ich dankte für die Aufmerksamkeit, und sagte, daß ich von den Dingen schon nehmen werde. Rings herum auf der Tafel standen vor denen, die da saßen, ähnliche Sachen, die Beschlußstücke eines gehaltenen Mahles. Die Männer hatten Wein, die Frauen und Mädchen Kuchen, Obst und dergleichen, und an mehreren Stellen stand auch ein Becher süssen Weines für manche ältliche Frau.

Der Obrist redete mit dem Kaufherrn und mit dem Forstmeister, der von dem Schießhause herüber gekommen, und hinter ihre Stühle getreten war. Sie verhandelten alle Verhältnisse, die eben an der Zeit waren, und für die Gegend größere oder kleinere Dringlichkeit hatten. Ich sprach einige Worte zu dem Pfarrer von Sillerau, und zu anderen, die in meiner Nähe waren. Einige fragten mich um verschiedene Kranke, wie es ihnen gehe und ob Hoffnung zur Besserung sei. Ich hatte die Freude, ihnen sagen zu können, daß ich gar keinen schwer Erkrankten habe, und daß alle, die jetzt liegen, bald aufstehen würden.

Die Mädchen und Frauen hatten ihre sonntäglichen Kleider an und manche waren sehr geputzt. Man erblickte silberne und sogar goldene Verzierungen auf den Miedern und Spangen. Margarita saß recht einfach neben mir auf ihrem Stuhle. Sie hatte ein graues geglänztes Kleid an, welches sie nach den weißen am meisten liebt. Auf dem ganzen Gewande war keine andere Zierde, als eine kleine rothseidene Schleife am Halse, wo das Gewand geschlossen war. Den feinen Strohhut, den sie im Sommer gerne trägt, hatte man ihr von dem Haupte genommen, und ihn an den Ast einer Birke gehängt. Obwohl sie nicht ihren sonntäglichen oder gar festtäglichen seidenen Putz an hatte, in dem sie mir immer gleichsam etwas fremd vorkam, so hielt ich doch dafür, daß sie unter denen, die hier versammelt waren, die schönste sei, noch schöner, als die Töchter des Erlebauer.

Wir konnten nicht viel reden, und sagten nur gewöhnliche Dinge. Ihre Antworten waren recht lieb und gut und hold und freundlich. Ich weiß nicht, ob die Leute wußten, in welcher Beziehung ich zu Margarita gestanden war; aber niemand sagte ein Wörtlein, das dahin abzielte, oder eine Andeutung auf die Sache ahnen ließ, selbst dann nicht, als ich aufgestanden war und längs des Tisches hinab ging, um mit allen, die ich näher kannte, ein freundliches Wort zu reden. Sie hatten alle zu viele Achtung für mich, als daß sie es thaten.

Nachdem diese Unterredung aus war, und nachdem ich noch manchen andern, die herum standen oder ein und aus gingen, auf ihre Fragen eine Antwort ertheilt hatte, ging ich wieder zu meinem verlassenen Sitze zurück. Da sah ich an der Seite des Obrists und Margaritas, wo man Platz gemacht hatte, zwei fremde dunkelgekleidete Frauen; es waren die nehmlichen, welche ich, als ich auf den Gipfel des Felsens ging, auf einer Rasenbank hatte sitzen gesehen. Der Obrist stellte mich ihnen vor, und sagte, das sei die Muhme, bei der Margarita die Zeit her gewesen ist, und die andere sei die Gesellschaftsfrau derselben, auch eine nur um etwas Weniges entferntere Muhme. Die beiden Frauen hätten ihm die Freude gemacht, die Rückreise Margaritas zu benutzen, um ihn, wie er sie bittend eingeladen habe, zu besuchen. Sie hätten sich eben die Freuden und die Ländlichkeit des Steinbühels besehen, und seien ganz vergnügt darüber. „Uns ist es etwas Gewöhnlicheres,“ setzte er hinzu, „wir haben das schon öfter gesehen, und machen es allemal auf gleiche Weise.“

Die Frauen waren beide alt, freundlich und einfach. Man hatte zufällig nach ihrer Entfernung ihre Sitze besetzt, und räumte sie ihnen jetzt wieder ein. Sie sprachen zu mir und fragten mich um einige Dinge, wie das bei ersten Bekanntschaften der Fall zu sein pflegt. Es sprachen auch der Forstmeister, die Bürgermeisterin, der Kaufherr, und der Pfarrer mit ihnen, wie man Fremde auf höfliche Weise in einer Umgebung einheimisch zu machen sucht. Indessen hatte sich auch die Gesellschaft um mehrere Schützen vermehrt, welche die ihnen zugewiesenen Schüsse ausgeschossen hatten, und jetzt hier im Gezelte bei ihren Frauen, Schwestern oder anderen Angehörigen waren, und sich vergnügten.

Als die Gespräche so gingen, kam der Kutscher des Obrists herein, ging zu seinem Herrn, und sagte ihm, daß der Wagen heute gar nicht gemacht werden könne, weil der Schmied nicht eine einzige Kohle zu Hause habe, und weil er keine am Sonntage von dem Meiler, wo sie liegen, herein bringen dürfe, und weil auch gar niemand zu Hause sei; denn das alles habe ihm nur die alte Großmutter des Schmiedes gesagt.

„Ich habe es wohl so erwartet,“ antwortete der Obrist.

Auf meine Frage, was es sei, sagte er, es sei ihnen ein Nabenring an dem Wagen zersprungen, es habe nicht so viel auf sich, aber es sei doch nicht so zuversichtlich zu fahren.

„Freilich nicht,“ antwortete ich, „die Nabe könnte zerfallen, und dann wären Rad und Speichen auf die Straße gestreut. Nehmt von mir den Wagen und die Pferde, Obrist, und laßt den eurigen in Pirling, daß er morgen gemacht werde.“

Als er sich hierauf weigerte, und sagte, es wäre schon genug, wenn ich ihm nur den Wagen gäbe, er könne seine eigenen Pferde einspannen, stand ich auf, ging zu ihm hin, da er mit dem Kutscher abseits an die Bäume getreten war, und sagte: „Nein Obrist, nehmt auch die Pferde – laßt mir die Freude, daß sie meinen Wagen gebraucht, als wäre er schon der ihrige. Ich nehme ein offenes Wägelchen in Pirling, spanne eure Pferde vor, und fahre mit eurem Kutscher hinter euch nach. Ihr könnt dann morgen, wenn der Reifen geschweißt ist, das Wägelchen nach Pirling schicken, und mit den Pferden euren fertigen Wagen zurücknehmen.“

Hierauf willigte er ein, ich gab seinem Kutscher den Auftrag, wenn er meinen Thomas sehe, ihm zu sagen, daß er den zweiten Sitz unseres Wagens in Bereitschaft richten, und wenn der Schützenzug in Pirling angekommen wäre, gefaßt sein möchte, jeden Augenblick einspannen zu können. Als der Kutscher dieses vernommen und sich entfernt hatte, fragte ich den oberen Pirlinger Wirth, der indessen auch seine Schüsse ausgeschossen hatte und zu uns herein gekommen war, ob er sein offenes Wägelchen zu Hause habe, und ob er es mir bis morgen Mittag leihen könne. Er bejahte beides, und daher war diese Sache in Ordnung.

Es waren in dieser Zeit die Sonnenstrahlen immer schiefer in das Gezelt gekommen und der Tag neigte sich zu seinem Ende. Das Schießen war schon früher vereinzelter geworden, und jetzt hörte man nur zuweilen einen verspäteten Knall, gleichsam wie einen Nachzügler zu einem Heere. Die Schützen waren immer mehrere zu uns herüber gekommen, und auch die Kinder der verschiedenen Gäste, welche heute hatten mitgehen dürfen, fanden sich von den zerstreuten Spielplätzen aus dem Wäldchen ein, und stellten sich zur Mutter oder hingen sich an den Vater, zum Zeichen, daß sie ausgespielt hatten und die Heimathmüdigkeit eingetreten war. Auch die Versammelten im Zelte standen endlich gruppenweise nach manchem nachträglichen und schnell noch zu Ende geführten Gespräche auf, und man zerstreute sich in dem Gehölze.

Die Scheiben standen leer und ihrer Pflicht entbunden, von dem rosenrothen Lichte der Sonne beleuchtet, am Walde draußen. In dem Schützenstande, in welchen jetzt alles hinein durfte, richtete mancher Schütze seine Geräthe in seinen Büchsensack zusammen, oder ließ es von seinem Diener thun; der Schützenschreiber that sein Buch in das lederne Fach, das er zusammen schnallte, und der Schützenmeister, der obere Wirth, befahl, daß alles in gehörige Bereitschaft gesetzt werde.

Es war gebräuchlich, daß die ganze Schützenschaft nach solchen Tagen einen Einzug in Pirling halte, und daß die anderen Anwesenden gewöhnlich vom Steinbühel bis Pirling hinter dem Zuge hergehen. Heute sollte es auch so sein, nur ward befohlen, daß man erst die Sonne untergehen lassen müsse.

Margarita, der Obrist und die zwei fremden Frauen standen in einem Kreise von Pirlinger Bewohnern, meistens Frauen, und redeten. Ich ging daher noch einen Augenblick auf den Gipfel des Felsens. Aber wie war der Anblick jetzt verändert: auf den Stoppeln und den Wäldern lag der Abendschein, in dem ferneren Thale waren die Gründe nicht mehr zu unterscheiden, nur lag die Siller jetzt als eine Goldschlange in ihnen, und hinter Pirling flammte ein gelber Baldachin des Himmels; denn die Sonne war eben in dem Augenblicke untergegangen. Gar schön war es aber gerade unter mir im Birkenwäldchen, es zitterte gleichsam wie Rauschgold in jedem der dünnen Zweige.

Ich ging gleich wieder hinab, weil es jetzt sehr bald zum Heimgange nach Pirling kommen würde. Aus der hölzernen Hütte, in welcher viele aus den niedereren Ständen gewesen waren, Knechte, Diener und andere, sah ich manche herauskommen, und den Hügel hinab gehen, weil sie vor dem Einzuge in Pirling sein mußten. Darunter war mein Thomas, der sich sehr beeilte, damit er, wenn wir angekommen sein würden, angespannt hätte, und mit dem Wagen in Bereitschaft stünde.

Die Scheiben waren abgeschlagen und herein getragen worden, der weiße Baldachin war aus den Bäumen gelöset, und selbst Tische und Stühle wurden den Felsen hinab getragen, wo ein Wagen wartete, daß sie nicht in dem Nachtthaue draußen blieben. Die Menschen hatten sich meistens unter den Föhren neben dem Schießstande eingefunden, wo der Zug sich ordnen und anfangen sollte. Der Schützenmeister las endlich aus einem Papiere vor, wie sie sich alle stellen müssen, und so wie er es gelesen hatte, stellten sie sich, und da die Musik das Zeichen dazu gab, fingen sie an zu gehen.

Zuerst war der geschlungene Weg über den Felsen hinab zurück gelegt, und dann dehnte sich der Zug über die Felder hin. Hinten fuhr der Wagen mit den Tischen und Stühlen nach.

Es nahm sich seltsam aus, wie die Menschen so gingen. In den röthlich scheinenden Stoppeln der Felder bewegte es sich Pirling zu. An der Spitze ging der Schützenbote und trug die große Schützenfahne, nach ihm kamen zwei Schützenbuben mit den kleineren langzüngigen Windfahnen. Dann folgten die Trompeter und Waldhornbläser, dann, von sechs bunt gekleideten Zielern getragen, die Scheiben, und hinter ihnen die Preisgewinner und Preise. Es war zuerst der Bock, der von zwei roth und weiß gekleideten Schützenbuben geführt wurde; neben ihm ging der alte Bernsteiner, dem der Preis geblieben war; es hing ihm ein langes rothes Band von dem Hute herunter; dann wurden von Schützenbuben die anderen Preise getragen, und die Gewinner, gleichfalls mit Bändern geschmückt, gingen daneben. Hierauf folgte die Schützenkanzellei, und dann ging der Schützenmeister an der Spitze sämmtlicher Schützen. Hinter ihnen folgten alle wir anderen Leute, die heute in dem Steinbühel gewesen waren. Neben mir ging die liebe Gestalt Margaritas, dann die schöne dunkelgekleidete ihres Vaters, der die ältere seiner Muhmen führte. Die andere wurde von dem Kaufherrn geführt, und dann gingen der Bürgermeister, die zwei Pfarrer, und Frauen und Mädchen nach verschiedenen Weisen eingetheilt. Wenn man zurück sah, stand der verlassene Steinbühel schon schwarz in der bereits nächtlich dunkelnden Luft.

Wie wir uns Pirling näherten, standen an dem Wege schon hie und da Zuschauer, und sie wurden immer mehr, je mehr wir uns dem Orte näherten, und waren endlich dicht gedrängt an Büschen, Hecken und Planken. Es waren solche, die zu Hause geblieben, oder von dem Steinbühel früher herein gegangen oder von benachbarten Ortschaften herzu gekommen waren, um die Sache zu sehen. Am Eingange des Marktes war, wie gewöhnlich, eine Musik aufgestellt, die uns erwartete und empfing.

Da der Zug bis zu dem unteren Wirthshause gekommen war, in welchem in dieser Nacht der Schützentanz sein sollte, erkannte man erst, warum es nicht erlaubt gewesen war, vor Sonnenuntergang vom Steinbühel herein zu ziehen; denn ein weiter großer Eingangsbogen von Tannengrün war vor dem Thore aufgebaut, strahlende Lampen waren rings in ihm eingeflochten, und über ihm brannten durchsichtige Papierbuchstaben, hinter denen Lampen standen, und die die Ankommenden willkommen hießen.

Der ganze Zug ging, wie es gebräuchlich ist, sammt dem Bocke in den Tanzsaal. Dort gaben die Schützen ihre Büchsen, und die anderen Schießvorrichtungen an Diener, oder selbst an Söhne ab, welche sie nach Hause trugen. Der alte Bernsteiner hob die Thalerkrone dem Bocke vom Haupte und gab sie seiner freundlichen eben so alten Gattin, daß sie zu anderen Schützensiegeszeichen in den Glasschrein des Schlafzimmers gestellt werde. Der Bock aber mußte jetzt in den Stall.

Die Zeit von der Ankunft im Tanzsaale bis zum Beginne des Tanzfestes verwendeten die Einheimischen gerne zu einem Gange zu den Ihrigen, zum Umkleiden oder dergleichen. Die Fremden blieben in dem Gasthause, und richteten sich auch zu dem her, was da kommen sollte. Wir hatten beschlossen auf den Anfang des Tanzes zu warten, und dann nach Hause zu fahren.

Ich wurde in dieser Zwischenzeit sogar zu einem gerufen, der plötzlich krank geworden war. Es war von keiner Wichtigkeit und ich gab ihm ein betreffendes Mittel.

Als ich wieder in den Saal zurück gekehrt war, waren die meisten schon anwesend, und es wurde zur Einleitung des Festes geschritten. Die Tische in den Speisegemächern waren besetzt, die Paare in dem Saale stellten sich an, die Musik begann, und durch einen ruhigen schönen Einleitungstanz wurde das Schützennachtfest eröffnet. Der Obrist zeigte Margariten und den zwei Frauen alles, wie man es hier mache, er blieb bei den zwei ersten Tänzen mit ihnen als Zuschauer, dann aber empfahlen wir uns als solche, die noch einen weiten Weg nach Hause zu machen haben und daher bei Zeiten aufbrechen. Viele Grüße und freundliche Wünsche wurden uns zugerufen, und wir gingen dann über die Treppe hinab, um uns in das obere Wirthshaus zu begeben, wo unsere Sachen waren. Auf der Gasse stand schon der Thomas mit meinem bespannten Wagen und harrte. Der Obrist und die Frauen hatten nur ihre Ueberkleider zu nehmen, um einzusteigen und fort zu fahren. Da begab sich etwas, das das Schönste an diesem Abende war.

Ich hatte an dem Wagen gewartet. Margarita war mit den Frauen aus dem Hause gekommen, der Obrist aber noch nicht. Ich half den Frauen in den Wagen, und wollte es mit Margarita desgleichen thun. Ich faßte ihre Hand, die sie aus dem Ueberrocke hervorgestreckt hatte, aber ich half ihr nicht auf den Wagentritt, sondern ich hielt die Hand einen Augenblick, und sagte, weil mein Herz so gerührt war: „Margarita, werdet ihr mir es verzeihen, daß ich einmal so heftig an euch gehandelt habe?“

„O verzeiht ihr mir nur,“ antwortete sie, „daß ich so gewesen bin – einziger, lieber Freund meiner Jugend – o ich weiß es schon und der Vater hat es gesagt, was ihr für ein herrlicher Mann geworden seid.“

„Nein, Margarita,“ sagte ich, „euer Vater ist gut, er weiß es schon, welche Fehler ich habe – und ihr seid ein Engel!“

Ich vergaß mich, und schlang meine Arme um ihren Nacken, wie man eine Schwester nach langem Entferntsein begrüßet. Sie that ihre Arme auch um meinen Hals, drückte ihr Angesicht an das meinige, und fing so heftig zu weinen an, daß ich es gar nicht fassen konnte. Ich empfand das Naß ihrer Thränen auf meinen Wangen. Ich beugte nur einen Augenblick zurück, und wir drückten dann mit einem Male unsere Lippen an einander. Ich hielt sie fest an mein Herz gepreßt, wie eine verlorene und wiedergefundene Braut.

Es war hier das erste Mal in unserm Leben gewesen, daß wir uns geküßt hatten.

Als sich die Arme wieder gelöset hatten, und ich ihre liebe Hand hielt, sagte ich: „Margarita, darf ich morgen euren Vater um euch bitten?“

„O bittet,“ antwortete sie, „es ist gut für uns beide.“

Dann wandte sie sich zu den Frauen, die im Wagen saßen und sagte: „Nehmet es mir nicht übel, was ich that; er ist mein Bräutigam.“

„Steiget jetzt ein, Margarita,“ sagte ich, „morgen komme ich sehr, sehr bald zu euch hinauf. Gute Nacht.“

„Gute Nacht,“ antwortete sie, und wir drückten uns sehr innig die Hände.

„Steige nur ein,“ sprach plötzlich der Obrist, der neben uns stand, „ihr werdet recht glückliche Menschen mit einander sein.“

Margarita warf sich an sein Herz, er hielt sie einen Augenblick sanft, und half ihr dann in den Wagen. Ich nahm ihn bei der Hand, drückte sie und konnte nichts sagen, weil meine Augen voll Wasser standen.

„So ist es also offenkundig geworden, daß diese zwei Brautleute sind, und ihr dürft es unten bei dem Feste verkünden. Ich wollte es noch ein wenig geheim halten, aber sie haben sich selber verrathen,“ sagte der Obrist zu dem oberen Wirthe, der ein wenig weiter zurück stand, weil er von dem Tanzsaale herauf gegangen war, um den Obrist zu dem Wagen zu geleiten.

„Das ist ein erfreuliches Ereigniß,“ sagte der Wirth, „das ist ein erfreuliches Ereigniß.“

„Jetzt gute Nacht, Doctor,“ sprach der Obrist zu mir, „und kommet morgen bald zu uns hinauf.“

„Gute Nacht,“ antwortete ich, und war ihm behülflich, wie er in den Wagen stieg.

Dann ging ich zu dem Thomas hinvor, und sagte ihm, daß er Acht habe, und vorsichtig fahre, damit den Freunden kein Unglück zustoßen könne. Hierauf regte der Thomas die Zügel, sprach zu den Pferden, und sie liefen rasch mit dem Wagen in die obere Gasse hinein.

„Ich wünsche recht viel Glück, Doctor,“ sagte der Wirth, „ich wünsche recht viel Glück.“

„Ich danke,“ antwortete ich, „ich danke. Aber Mann, das ist ein Weib, welches ich erst verdienen muß.“

„Ihr seid aber auch der rechte Mann zu ihr,“ sagte er, „und das wird eine Freude in der Gegend sein.“

„Wird es,“ erwiederte ich, „nun so freut es mich, und es thut mir sehr wohl, wenn man mir Margarita gönnet. Aber jetzt seid so freundlich, und lasset mir euren Wagen richten, damit ich ebenfalls nach Hause fahren kann. Ich muß morgen sehr früh wieder fort.“

„Ist schon gerichtet, und darf nur angespannt werden,“ antwortete er.

Als die Braunen des Obrists in das offene Wägelchen des Wirthes gespannt waren, ich meinen Oberrock genommen hatte und eingestiegen war, fuhr der Kutscher des Obrists mit mir durch die obere Gasse auf die Felder hinaus, wo die Straße gegen das Eidun und gegen meine Heimath zielte. Ich konnte von den Vorausfahrenden nichts mehr vernehmen, weil wahrscheinlich mein Thomas aus Eifer und Ehrgeiz sehr gut und auch sehr schnell dahin fuhr.

An dem Himmel über mir standen unzählige schöne freundliche Sterne – und in meinem Herzen war eine Freude, welche ich noch niemals in meinem Leben empfunden habe. Ich ging schon gegen die dreißig Jahre, und es war so wohl, so süß, so herrlich in mir, als wenn ich im achtzehnten wäre, wo man ein Kind ist, unerfahren ist, und die ganze Welt an das Herz drückt, damit es nur gestillt werde.

Ich dachte: „O mein Gott, o mein Gott, was ist es für ein Glück, zu wissen, daß ein einziges Herz in dieser Welt ist, das uns liebt, das es durchaus und vom Grunde gut und treu mit uns meint: und wenige Schritte vor mir fahren zwei, die beide so gegen mich sind. Was ist es für ein Glück.“

Ich fuhr in der dunklen stillen Nacht hin, und kam endlich bei meinem Hause an. Ich gab dem Kutscher eine Belohnung und schickte ihn mit den Pferden zu seinem Herrn hinauf. Die meinigen waren schon zu Hause, ich ging noch in den Stall hinein und streichelte die guten Thiere, die sie unverletzt in ihre Wohnung gebracht hatten. Dann ging ich in mein Zimmer. Ich zündete mit Freude meine Lichter an, ich war heute zum ersten Male gleichsam nicht mehr allein, und setzte mich zu meinem Schreibgerüste nieder.

Es war eine Ruhe, Stille und Feierlichkeit in meinem Hause. – –

Aber ich blieb nicht lange sitzen, sondern ich stand auf, ging zu dem Fenster, öffnete es, und lehnte mich hinaus. Auch draußen war Ruhe, Stille, Feierlichkeit und Pracht – und es rührten sich die unzähligen silbernen Sterne am Himmel.