BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Uhland

1787 – 1862

 

Briefe

 

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An Karl Joseph Anton Mittermaier

An Alexander von Humboldt

An Alexander von Humboldt

 

 

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An Karl Joseph Anton Mittermaier

 

Tübingen, 25. Sep. 1849

 

Hochverehrter Herr!

Noch immerfort bringen uns die Zeitungsblätter aus Baden stand­rechtliche Erkenntnisse, meist Todesurteile und, wo die Milde vor­schlägt, Verurteilungen zu 10jährigem Zuchthaus. Von Tag zu Tag hat man die Einstellung dieser außerordentlichen Strafrechtspflege erwartet, vergeblich! wie die gleichgiltigste Fristerstreckung wird die Fortdauer des Standrechts je wieder von vier Wochen zu vier Wochen verkündigt. Der Eindruck dieses Verfahrens ist der, daß nicht der ge­genwärtige Zustand des badischen Landes die Verlangerung erheische, sondern daß dieselbe lediglich verfügt werde, damit nicht die milderen, ordentlichen Gerichte eintreten, bevor alle, an denen man ein blutiges Beispiel aufstellen zu müssen glaubt, standrechtlich getroffen sind. Umsonst versucht man es, für diese Gerichtsbarkeit überhaupt einen rechtlichen Standpunkt zu ergründen. Es ist auch meines Wissens von der badischen Regierung nirgends ein solcher angegeben worden. Ist es denn auch jemals erhört worden, daß eine Regierung den Stab des Blutgerichts über ihre eigenen Angehörigen freiwillig in die Hände einer fremden Militärgewalt übergeben hat? Mußten es Kriegsgerichte sein, war es denn durchaus unmöglich, aus einem neuen Kerne des badischen Heeres ordnungsmäßig solche herzustellen? Und war dies wirklich nicht ausführbar, wäre man also genötigt gewesen, alle jene Prozesse an den ordentlichen gemeinen Richter zu verweisen und hätte man dann auch, nach früherer Erfahrung, von den Geschwornen nur parteiische Freisprechungen erwarten zu dürfen gemeint, so fragt es sich noch immer, und dies ist der politische Gesichtspunkt: auf welcher Seite lag das größere Unheil? Lag es darin, daß keine Hinrichtungen stattgefunden hätten, der strafenden Gerechtigkeit nicht ihr Opfer geworden wäre, oder liegt es nicht vielmehr in einer Maßregel, welche die Wunden des zerrütteten Landes nicht heilen läßt, weil sie täglich neu aufgerissen werden? Es ist wahrlich nicht abzusehen, wie eine Regierung sich befestigen kann, die den ernstesten Teil des Richteramts verfassungswidrig auf eine Weise hingibt, wodurch bei der besiegten Partei fortwährend der Schrei der Rache geweckt, und auch bei solchen, die nicht zu dieser Partei zählen, der Groll des Widerwillens und der Entrüstung erzeugt wird. Ja, verehrter Mann! Sie erinnern sich, denn Sie haben in erster Reihe daran gearbeitet, mit welchem Eifer, mit welcher ängstlichen Sorgfalt wir in den «Grundrechten des deutschen Volks« und noch bei Beratung des letzten Ausnahmeartikels der Verfassung die Strafrechtspflege unabhängig und unantastbar hinzustellen bemüht waren. Und nun in einem Lande, dessen Regierung die Grundrechte verkündet, die Verfassung anerkannt hat, diese Behandlung des Strafrechts! Die Zerrüttung, ich erkenne das an, ist in Baden nicht von der Regierung ausgegangen, aber durch solche Maßregeln pflanzt sie die Zerrüttung fort, bringt sich um Zuneigung und Glauben, verdirbt sich gründlich ihre Stellung im eigenen Land und im deutschen Gesamtwesen, denn welcher Vaterlandsfreund sollte sich nicht tief verletzt, gedemütigt fühlen, daß nach den Erwartungen und Anstrebungen des Jahres 1848 in einem deutschen Staate dieser Zustand, und dazu noch mit dem harmlosen Anspruch auf rechtliche Giltigkeit, seit Monaten sich erhalten kann!

Sie haben wohl gelesen, daß in Württemberg von vielen Seiten, auch von den konservativen Gemeindebehörden, dringende Aufforderungen an unsre Regierung ergehen, sich mit allen ihr zu Gebot stehenden Mitteln für die Aufhör des badischen Standrechts überhaupt und namentlich auch in Beziehung auf dort verhaftete Württemberger zu verwenden. Ich weiß nicht, ob dem württembergischen Ministerium die Mittel einer wirksamen Verwendung zu Gebot stehen, ob nicht alle volksmäßige Kundgebungen in dieser Sache von den Gewalthabern in Baden nur für Parteigetrieb angesehen werden. Unbekannt ist mir auch, was in Ihrem Lande selbst in dieser Richtung geschehen, ob insbesondre etwas dem Ähnliches versucht worden ist, was ich Ihrer Erwägung hier vorzulegen mir gestatte. Wenn angesehene Rechtskundige, Sie, Welcker, Mohl u. a., Männer, die außerhalb der schroffen Parteiung stehen, die als badische Staatsbürger und Volksvertreter den nächsten, dringend­sten Beruf der Beteiligung haben und dafür anerkannt sind, wenn diese ungesäumt und öffentlich vor Baden und vor der ganzen deutschen Na­tion ihr nach allen Seiten rückhaltloses Rechtserachten, ihren entschie­denen Ausspruch darüber abgäben, was gegenüber jenen Ausnahme­gerichten Verfassung, Gesetz, selbst die allgemeinsten Rechtsgrundsätze fordern und verwerfen, ich denke mir, eine solche Stimme würde nicht wirkungslos verhallen.

In dieser quälenden Zeit sinnt jeder an seinem Teil auf Rat und Abhilfe; nehmen Sie auch meinen Gedanken, dem Sie vielleicht auf andrem Wege schon werktätig vorgegriffen haben, mit derselben freundlichen Gesinnung auf, der ich mich durch alle Wechselfälle der Frankfurter Versammlung von Ihnen zu erfreuen hatte.

In aufrichtiger Hochschätzung

L.. U.

 

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An Alexander von Humboldt

 

Tübingen, 2. Dez. 1853

 

Euer Exzellenz!

Von verschiedenen Seiten und in glaubhafter Weise kommt mir heute die Nachricht zu, daß das Kapitel des Ordens, der sich Ihrer Vor­standschaft erfreut, beschlossen habe, mich zum Mitglied desselben vorzuschlagen. Es mag voreilig erscheinen, wenn ich vor erfolgter Be­stätigung dieses Vorschlags und vor irgendwelcher amtlicher Eröffnung mir eine Äußerung gestatte, die eine gänzlich überflüssige sein kann. Gleichwohl ergreife ich eben den Augenblick der noch unentschiedenen Sache, um nichts zu versäumen, was ein so überraschender und unverdienter Gunsterweis mir auflegt. Er verpflichtet mich, jetzt schon unrückhaltig zu sagen, daß ich mit literarischen und politischen Grundsätzen, die ich nicht zur Schau trage, aber auch niemals verleugnet habe, in unlösbaren Widerspruch geraten würde, wenn ich in die mir zugedachte, zugleich mit einer Standeserhöhung verbundene Ehrenstelle eintreten wollte. Dieser Widerspruch wäre um so schneidender, als nach dem Schiffbruch nationaler Hoffnungen, auf dessen Planken auch ich geschwommen bin, es mir nicht gut anstände, mit Ehrenzeichen geschmückt zu sein, während solche, mit denen ich in vielem und wichtigem zusammengegangen bin, weil sie in der letzten Zerrüttung weiterschritten, dem Verluste der Heimat, Freiheit und bürgerlichen Ehre, selbst dem Todesurteil verfallen sind, und doch, wie man auch über Schuld oder Unschuld urteilen mag, weder irgendein einzelner, noch irgendeine öffentliche Gewalt sich aufrichtig wird rühmen können, in jener allgemeinen, nicht lediglich aus kecker Willkür, sondern wesentlich aus den geschichtlichen Zuständen des Vaterlands hervorgegangenen Bewegung durchaus den einzig richtigen Weg verfolgt zu haben.

Der politisch parteilose Standpunkt, den das verehrte Ordenskapitel einnimmt, das ausgezeichnete Wohlwollen, das mir in jetziger Zeitlage doppelt erfreuend zugewandt wird, müssen, ich fühle das sehr wohl, den Tadel schärfen, der unvermeidlich über meinen Entschluß ergehen wird, aber Überzeugungen, die mich im Leben und im Liede geleitet haben, lassen mir keine Wahl, so wenig sie dem lebhaften Danke Eintrag tun, mit dem mich die mir in hohem Grade ehrenvolle Beschlußnahme des Kapitels erfüllt hat.

Genehmigen Euer Exzellenz den Ausdruck

meiner vollkommenen, dankbarsten Verehrung.

Dr. L. U.

 

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An Alexander Freiherrn von Humboldt

 

Tübingen, 10. Dez. 1853

 

Euer Exzellenz!

Ihre verehrten Schreiben, beide vom 5. d. M., sind mir ehegestern und gestern zugegangen. Das zweite, ein Zeugnis unermüdeter Güte, sagt mir leider, daß meine fast voreilig beschleunigten Zeilen vom 2. d. doch nicht zeitig genug in Ihre Hand gekommen sind. Öffentliche Blätter brachten und besprachen zwar sogleich die Kunde von der auf mich gefallenen Wahl des Ordenskapitels, von meiner Seite blieben Empfang und Inhalt der beiden Zuschriften überall unerwähnt, so dankbar ich derselben zu gedenken volle Ursache hätte.

Ein eigenes Zusammentreffen der Umstände hat es gefügt, daß am nächsten Morgen nach Abgang meines Schreibens vom 2. d. mir von München aus die Nachricht einer gleichen Verleihung amtlich zukam, worauf ich sofort in derselben Weise wie nach Berlin und mit Beziehung auf die hier rückstellige Wahl meine Äußerung einzuschicken mich beeilte. Darin liegt nun freilich, abgesehen von den Grundsätzen, die tatsächliche Unmöglichkeit eines Wechsels meiner Entschlüsse. Mein Verhalten darf gewiß nicht nach der einen und der andern Seite ein verschiedenes sein, und wie könnte ich mit gutem Gewissen die huld­volle Wahlbestätigung Sr. Majestät des Königs von Preußen mir an­eignen, da ich annehmen muß, daß dieselbe nicht erfolgt wäre, wenn jener andre Vorgang oder wenn meine in dem Schreiben an Euer Ex­zellenz ausgesprochene Gesinnung zuvor noch zur höchsten Kenntnis hätte gelangen können. Um die Darlegung meines ehrfurchtsvollen Dankes an höchster Stelle Sie zu bitten, darf ich mir unter solchen Verhältnissen kaum gestatten.

Tief empfinde ich, daß es minder schwer ist, der Ungunst und dem Unrecht die Stirne zu bieten, als einer großen und unerwarteten Begünstigung sich nicht entgegenkommend zu erzeigen, über alles drückend aber ist mir das Bewußtsein, daß Ihnen, edler, hochgestellter Mann, in dem Augenblicke da Sie für die wohlwollendste, mit Aufopferung verfolgte Absicht nur Unlust und Verlegenheit ernten, mein inniger Dank, meine anhänglichste Verehrung nichts gelten kann.

Euer Exzellenz

ehrerbietigster

Dr. L. U.